Was uns als erstes in Reykjavik auffiel, waren die Hummeln (Bumblebees): die Heckenrosen und andere blühende Sträucher waren voll von Hummeln. Wir sahen weder Bienen noch Wespen noch Schmetterlinge noch irgendwelche Fliegen – nur Hummeln in rauhen Mengen. Es gibt sie hier erst seit den Siebzigerjahren, wurde uns gesagt, eine Blitzrecherche im Internetcafé ergab jedoch: Es gibt drei Arten von Hummeln auf Island, eine – Bombus jonellus – bereits seit den Anfängen der Besiedlung der Insel (durch die Wikinger Anfang des 9. Jhds.). Die anderen beiden Arten – Bombus lucorum und Bombus hortornum – gelangten erst später mit Frachtschiffen nach Island. „Es genügt ja bereits eine einzige Hummel, um eine Population zu begründen,“ erklärte uns dazu der Berliner Biologe Cord Riechelmann telefonisch. Unser einheimischer Informant hatte die Hummel-Besiedlungsgeschichte wahrscheinlich mit der der Wespen verwechselt, deren Vorkommen aus Island in der Tat erst seit den Siebzigerjahren nachgewiesen ist. Von ihnen leben ebenfalls drei Arten auf der Insel, am häufigsten soll Dolichovespula norvegica sein. Wir fanden jedoch keine einzige Wespe in den Parkanlagen von Reykjavik und Umgebung.
„Und wie sieht es mit den Bienen auf Island aus?“ fragten wir Kaminers dortigen Lektor Kristjan Bjarki Jonasson, dessen Vater Landwirt ist – er züchtet Pferde und Schafe. „Nicht gut,“ meint er, „es gibt sie zwar, aber sie geben eigentlich keinen Honig, sie sind nur zum Bestäuben der Blütenpflanzen da.“ Die Bienenexperimente auf Island begannen in den Dreißigerjahren, als man einige Völker aus Norwegen importierte. Sie produzierten zwar 10 kg Honig in einer Saison, überlebten den langen und harten isländischen Winter jedoch nicht. Anfang der Fünfzigerjahre versuchte es eine Australierin in Reykjavik noch einmal – wieder mit norwegischen Bienen. Diesmal waren es ihre Nachbarn, die sie zwangen, die Bienen zu töten. Seit 1975 bis heute wird immer wieder versucht, aus Norwegen und Schweden importierte Völker auf Island heimisch werden zu lassen, wobei man auch mit verschiedenen Standorten experimentiert. Sie produzieren auch Honig, zwischen 10 und 15 kg, aber die meisten Völker überleben den Winter noch immer nicht und sie werden auf Island sehr aggressiv. Wahrscheinlich, weil sie sauer sind, dass man sie an einen Ort verschleppt hat, wo sie mittelfristig keine Überlebenschance haben (Bienen planen sehr langfristig). Aber die Isländische Imkervereinigung (BY) gibt nicht auf, jedes Jahr werden neue Völker eingeführt. Ihnen kommt natürlich die globale Erwärmung entgegen.
Man hat gesagt, England habe seinen Reichtum den Hummeln zu verdanken. Das muß man wohl so verstehen, dass die Hummeln vornehmlich die Kleeblüten bestäuben, und der Klee ist wiederum Nahrungsgrundlage für die Schafe. Bei der Beziehung zwischen Klee und Hummeln kann man geradezu von einer Symbiose sprechen, die französischen Marxisten Gilles Deleuze und Felix Guattari haben daraus ein ganzes Lebensmodell gemacht: „Werdet wie die Hummel und der Klee!“. Die nordischen Länder – Dänemark, Faröer, Aland-Inseln, Finnland, Island, Norwegen und Schweden – haben kürzlich die Hummel als Hauptelement für ihr gemeinsames Wappens gewählt. Das hat jedoch nichts mit ihrer Schafzucht zu tun, sondern damit, wie ihre südlicheren Nachbarn sie sehen: eine erfolgreiche Wirtschaft, die auf hohen Steuern und hohen Sozialausgaben basiert, so dass es im Ideal weder Reiche noch Arme dort gibt. Einige Biologen haben behauptet, gemäß ihres Gewichts und ihrer Flügelgröße dürfte die Hummel eigentlich nicht so gut fliegen können wie sie es tut. So haben auch einige US-Ökonomen behauptet, die nordischen Staaten dürften mit ihrer sausozialen Wirtschaftspolitik eigentlich gar nicht so erfolgreich sein wie sie es sind. Dies hat diese Staaten nun bewogen, die Hummel als ihr Wappentier zu wählen.
Sie gehört zu den Stechimmen (Aculeata), bildet jedoch im Gegensatz zu den Bienen nur so genannte Sommerstaaten. Dazu muß die Königin, wenn sie im Frühjahr erwacht ihre ersten Waben selber bauen und auch ihre Brut erst einmal selber füttern – mit Pollen. Dann übernehmen jedoch die von ihr großgezogenen Töchter (Arbeiterinnen) alle weiteren „Pflichten“ wie Nestbau, Brutpflege und Nestverteidigung. Je nach Art leben schließlich 50 bis 500 Hummeln in einem Nest. In Deutschland gibt es rund 30 Arten, wobei einige vom Aussterben bedroht sind. Im Sommer fängt die Königin an, unbefruchtete Eier zu legen, aus denen männliche Hummeln (Drohnen) werden, zudem werden aus einigen befruchteten Eiern Königinnen gezogen, indem die Larven eine besondere Nahrung bekommen – so nimmt man jedenfalls in Analogie zu den Bienenköniginnen an.
Diese „Vollweibchen“ verpaaren sich auf alle Fälle im Spätsommer und suchen sich dann Erdlöcher, in denen sie überwintern. Das restliche Volk stirbt dagegen ab, inklusive der Männchen und der alten Königin. Es gibt hier also keine (tödlichen) Kämpfe wie bei den Bienen, sondern das kälter werdende Wetter übernimmt diese langsame Auslöschung – je nach Art geschieht das zwischen Ende August und Oktober. Das Nest wird im darauffolgenden Jahr auch nicht wiederbesiedelt, es zerfällt.
„In Island gibt es Jahre, da man nach besonders langen und harten Wintern keine Hummeln mehr sieht, aber dann sind sie plötzlich doch wieder da,“ so unser Informant Kristjan Bjarki Jonasson. Hinzugefügt sei, dass die Insel früher stark bewaldet war, aber dem Schiffs- und Hausbau sowie auch den Heiz- und Räucheröfen fielen nach und nach fast alle Bäume zum Opfer, hinzu kam noch eine Überweidung durch zu viele Schafe. Dieser Verwüstungsprozeß ist jedoch seit Jahrzehnten rückläufig: Erst einmal werden jährlich 8 Millionen neue Bäume auf der Insel gepflanzt und zum anderen gibt es auch immer weniger Schafe – wird die Landwirtschaft überhaupt immer weniger wichtig für die isländische Wirtschaft. Beides kommt den Hummeln zugute – und damit auch den Überlebenschancen ihrer Königinnen selbst in langen und harten Wintern. Und dies trägt wiederum entscheidend zur Vermehrung der isländischen Pflanzenwelt bei:
„Hummeln sind ausgezeichnete Bestäuber, die durch ihre lange Zunge und das so genannte Vibrationssammeln besonders gut tiefe Blüten bestäuben können. Sie werden daher inzwischen rund um das Jahr für die Bestäubung im Gewächshaus gezüchtet. Allerdings haben sie auch zahlreiche Gegenspieler. So gibt es Kuckuckshummeln (Gattung Psithyrus) die die Nester ihrer Verwandten übernehmen und ihren Nachwuchs von den Arbeiterinnen aufziehen lassen. Der schlimmste Gegenspieler ist jedoch die moderne Landwirtschaft: Das Abmähen blühender Flächen, Insektizideinsatz und Monokulturen haben gerade im ländlichen Raum zu einem dramatischen Artensterben geführt, so dass sich viele Hummelarten inzwischen auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten finden lassen,“ schreibt der Bund für Naturschutz (NABU), der die Steinhummel zum „Insekt des Jahres 2005“ erklärte.
Abschließend sei noch die aufgrund eines untermeerischen Vulkanausbruchs 1963 aus dem Atlantik aufgetauchte Insel Surtsey südlich von Island erwähnt. Dort befinden sich heute nur einige Forschungsstationen, die Insel darf nämlich nur zu wissenschaftlichen Zwecken betreten werden, sie soll in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen werden. Bereits zwei Jahre nachdem Surtsey aus dem Wasser aufgetaucht war (der höchste Punkt ist 154 Meter hoch), siedelten sich dort Moose und Flechten an (Flechten sind eine Symbiose aus Pilz und Alge), zunächst vor allem in der Nähe des Austritts von heißem Dampf aus der Erde. Ab 1970 gab es auf Surtsey schon die ersten höher entwickelten Pflanzen wie Meersenf, Strandhafer, Salzmiere und Austernpflanzen. Die Wissenschaftler schätzen, dass 75% der Gefäßpflanzenarten von Vögeln dort hingebracht wurden, 14% durch den Wind und 1% über die Meeresströmung. Aber erst nachdem sich Vögel dort niedergelassen hatten, stieg die Qualität des Bodens und gediehen die höher entwickelten Pflanzen. Umgekehrt ist jedoch auch das Wachstum der Vogelpopulationen auf der Insel von den Pflanzen dort abhängig.
1998 wurde der erste Busch auf der Insel entdeckt – eine Weidenart. Bis jetzt hat man über 60 Pflanzenspezies dort identifizieren können, jedes Jahr erreichen zwei bis fünf neue Arten die Insel. 1966 nisteten die ersten Vögel (der Eissturmvogel und die Trottellumme) auf Surtsey. Seit 1986 gibt es eine Seemöwenkolonie auf Dauer dort. 1999 waren es schon 300 Paare, die aufgrund ihrer Anzahl einen großen Einfluß auf das Pflanzenleben der Insel hatte. 2004 nisteten die ersten Papageientaucher auf der in etwa 100 Jahren wahrscheinlich wieder verschwundenen Vulkaninsel.
Wie Cord Riechelmann im selben Jahr an der Nordspitze Irlands herausfand, ist die dortige Papageientaucher-Kolonie auf der Suche nach neuen Lebensräumen. Papageientaucher leben vorwiegend von Sandaalen und diese verschwinden langsam wegen der Meereserwärmung an den Rändern des Atlantiks – in Irland, Schottland und Norwegen. Auf den Brutfelsen von Rathlin Island, so beobachtete Cord Riechelmann, konnten die Papageientaucher schon kaum noch Jungen großziehen. Und nicht nur dort:
„Disaster at sea: global warming hits UK birds“ – die globale Erwärmung trifft britische Vögel, titelte z.B. eine englische Zeitung: „Was der Independent berichtet, ist tatsächlich ein Desaster. Auf den Orkney- und Shetland-Inseln im Norden Großbritanniens hat kaum ein Seevogel in diesem Jahr Junge großgezogen. Von den 16.200 Paaren der Dreizehenmöwe, die auf Shetland in Kolonien in den Felsen brüten, war der Bruterfolg nahezu null. Die 1.200 Paare von Trottellummen im Süden Shetlands nahe den Klippen von Sumburgh Head haben nicht ein einziges Küken großgezogen. Während die 6.800 Skua-Pärchen von Shetland gerade einmal zehn Küken zur Flugreife brachten. Die katastrophalen Zahlen für den Nachwuchs sehen für Gryllteisten, Küstenseeschwalben und Tordalke nicht viel anders aus. Unsicher sind nur die Nachwuchswerte für die Papageientaucher, was daran liegt, dass die Vögel in Höhlen brüten, in denen man weder die Eier noch die Jungen zählen kann.
Zum Zeitpunkt des Independent-Artikels waren die Jungen noch nicht ausgeflogen, beziehungsweise hatten sich die ‚Puffins‘ noch nicht zum Abflug versammelt, eine Zählung war also noch nicht möglich. Man kann aber davon ausgehen, dass die Werte nicht viel anders ausfallen werden als bei den bereits erwähnten Arten. Denn auch Papageientaucher ernähren sich von kleinen Fischen, in der Hauptsache von den kleinen schlanken Sandaalen. Und damit ist man den Ursachen der Katastrophe schon ziemlich nahe.
Sandaallarven benötigen bestimmte Wassertemperaturen, um zu überleben. Die Population der Fische ist in den letzten Jahren im Meer um die nordbritischen Inseln stetig zurückgegangen, und das in Abhängigkeit von der langsam wärmer werdenden Nordsee. In diesem Jahr sind sie allerdings das erste Mal ganz ausgeblieben. Experten wie der Leiter der Royal Society in Shetland, Peter Ellis, sehen eine direkte Verbindung zwischen der Erwärmung der Nordsee um zwei Grad in den vergangenen zwanzig Jahren und der Vernichtung der Sandaalpopulation. Mit dem wärmer werdenden Wasser verändert sich die Planktonzusammensetzung und damit die Nahrungsgrundlage für die Folgekonsumenten in der ansteigenden Nahrungskette. Seevögel, die sich von Sandaalen ernähren, müssen längere Wege zurücklegen, um die nötige Nahrung zu finden. Reicht es nur noch für die Selbsterhaltung, brüten sie nicht mehr oder lassen ihre Brut verhungern.“
Zurück zur Entwicklung von Flora und Fauna auf der isländischen Vulkaninsel Surtsey: Dort tauchten nach und nach erst einmal immer mehr Zugvögel auf: Singschwäne, Gänse und Raben z.B.. Die Felsen liegen zwar abseits ihrer üblichen Zugrouten, aber wegen der sich dort entfaltenden Vegetation lohnt sich für immer mehr Arten der Umweg. Dies gilt inzwischen für insgesamt 89 verschiedene Arten. Robben wurden schon bald nach der Entstehung von Surtsey entdeckt, 1983 wurden die ersten Kegelrobben und Seehunde mit Nachkommen, zunächst in dem der Erosion weniger ausgesetzten Nordteil der Insel, beobachtet. Die Anwesenheit der Robben zog wiederum ihren Freßfeind, den Großen Schwertwal, in die Gewässer um Surtsey.
Die ersten Insekten, die sich dort niederließen, waren Fluginsekten, später erreichten auch einige Insekten auf Treibholz sowie über lebende und tote Tiere die Insel. 1975 wurden die ersten Springschwänze registriert, 1993 die ersten Regenwürmer bei Bodenproben entdeckt, Schnecken gibt es dort seit 1998, daneben haben sich auch Spinnen und Käfer angesiedelt. Insgesamt gibt es nun rund 133 Fliegenarten, 62 Milbenarten, 19 Schmetterlingsarten, 10 Spinnenarten, 5 Käferarten und 2 Wurmarten auf Surtsey und außerdem – Hummeln!
Die „aktion-hummelschutz.de“ meldet:
Hummeln werden immer seltener. Für Großbritannien ist das Aussterben von drei der 25 Hummelarten in den letzten Jahrzehnten belegt.
Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Die Zerstörung natürlicher Lebensräume und der Einsatz von Insektiziden in der Landwirtschaft, mittlerweile auch die Bedrohung durch künstlich erzeugte Artgenossen, die Krankheitserreger verbreiten, führen zum Verlust von Bestäubern.
Mittlerweile – und das ist die gute Nachricht – hat auch die Wirtschaft die Bedeutung der Insekten erkannt. Für die USA wird der Wert einer Bestäubung von Kulturpflanzen durch Bienen und Hummeln pro Jahr auf 30 bis 60 Milliarden Euro geschätzt, andere Quellen geben noch höhere Zahlen an. Die Eisfirma Häagen-Dazs stellt Forschungsgelder bereit, um auch in Zukunft Früchte ernten zu können.