vonHelmut Höge 03.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

Mehr über diesen Blog

Der letzte Hausmeister des Reichsbahnausbesserungswerkes an der Warschauer Brücke, Wilhelm Zepernick,  wurde bei der Stillegung des Werkes entlassen, er kam aber als Nachtwächter bei einem Wachdienst unter – und schaffte es dann, wieder auf “seinem” alten RAW-Gelände eingesetzt zu werden. Das Reichsbahnausbesserungswerk Franz Stenzer an der Warschauer Brücke  entstand 1867. Die Reichsbahn selbst war jedoch genaugenommen erst infolge des “Versailler Friedensvertrages” 1920 entstanden: Um die Reparationen, die Deutschland an die Siegermächte zahlen sollte, zu gewährleisten, mußte das Reich sein gesamtes Eisenbahnnetz verpfänden. Dazu mußten aber erst mal alle Regionalbetriebe und privaten Eisenbahngesellschaften verstaatlicht und zu einer Reichsbahngesellschaft zusammengefaßt werden. Mit einer Million Beschäftigten erwuchs daraus   der größte Betrieb der Welt. Jetzt ist “Wal Mart” mit ebensoviel Beschäftigten allein in den USA der größte private Arbeitgeber. Die Reichsbahn wurde 1945 – ebenfalls von den Siegermächten – geteilt. Ihre Osthälfte wurde dann mit der Wiedervereinigung von der Bundesbahn geschluckt, die gleichzeitig zügig privatisiert wurde: zunächst als “Bahn AG” und dann indem der Konkurrenz Schiene und Bahnhof geöffnet wurde.

Im Reichsbahnausbesserungswerk Franz Stenzer” (benannt nach einem von der SS 1933 “auf der Flucht” im KZ Dachau erschossenen KPD-Reichstagsabgeordneten) wurden zu DDR-Zeiten vor allem Kühlwaggons gewartet. Die Bundesbahn ließ es 1991 stillegen, wobei 1000 Leute ihren Arbeitsplatz verloren. Anschließend übergab sie ihrer Immobilienabteilung (Vivico) das 10 Hektar große Gelände zur Neu-Verwertung. Die “Developer” schlossen erst mal einen Nutzungsvertrag mit einer Gruppe von politisch und kulturell aktiven Frauen um die Amsterdamer Industriegebäude-Besetzerin Bibiena Houwer ab. Und diese wiederum quartierte etwa 15 Kunst-, Kultur- und Modeinitiativen mit Unternutzerverträgen in den diversen Gebäuden und Hallen ein. Zugleich veranstalteten die Frauen selbst Lesungen, Modeschauen, Diskussionen etc. im Verwaltungshaus des “RAW”, dass sich mit  diesem Kürzel in die Club- und Event-Scene der Stadt einreihte – und somit teilnahm am Reigen junger erlebnishungriger Menschen, die an den Wochenenden die schrägsten und schrillsten Urban-Locations abklappern. Obwohl Biebiena diese “Techno- und Exstacy”-Scene eigentlich in ihrem “RAW-Tempel” “repolitisieren” wollte. 2004 immerhin kam es zum Konflikt mit den Bundesbahnmanagern, die etwas ganz Schickes aus der Immobilie entwickeln wollten. Desungeachtet konnten die dagegen auf “topogene Entwicklungsstrategien” setzenden RAW-Frauen dann doch weiter machen. Denn die Bahn AG besitzt zu viele Objekte in der Gegend und hat  das Umfeld bereits überentwickelt,  zudem fiel den Global Playern nichts anderes ein als noch ein Dienstleistungs-, Gewerbe- und Wohnmix. In diese  Toleranzzeitzone zwischen Projektemachern von unten und von oben stieß dann noch eine dritte Gruppe – von Theatermachern, die auf vier Industriebrachen, von denen drei zum Weltkulturerbe gehören, ein von Stiftungen finanziertes Spektakel inszenieren wollen – basierend auf dem Nonfiction-Roman von Erik Reger über Krupp: “Union der festen Hand”. Dazu verpflichteten sie an den vier Spielorten, wozu das RAW-Gelände gehört, jede Menge Schauspieler, Autoren, Akrobaten, Musiker etc. – von denen viele ebenfalls inzwischen als Projektemacher “freigesetzt” worden waren.

Diese Spezies, die im 17. Jahrhunderte aufkam und lange Zeit insbesondere von den protestantischen Unternehmern als charakterlose, unmoralische Betrüger abgetan wurde, ist inzwischen zur global vorherrschenden Individualisierungsform geworden. Auf dem RAW-Gelände trifft man sie auf allen “Struktur-Ebenen” an: Als Immobilienfuzzis, als Politaktivisten, als Kulturmanager, als Sponsor, als Kleingewerbetreibende, als Existenzgründer, als Künstlergruppe, als Modedesigner, als Theatermacher, als Mitwirkende auf Honorarbasis – und schlußendlich auch noch als Zuschauer, Cateringcompanies und selbständige Theaterkritiker. So gesehen ging das Stück – “Union der festen Hand” von Erik Reger in der Regie von Stephan Stroux – allen Beteiligten nichts mehr an. Weder hielten sich dort noch richtige Arbeiter noch ebensolche Unternehmer oder dauerhafte Lösungen injizierende  bürgerliche Politiker  auf – vor und hinter Bühne (die es dort nun auch nicht mehr gibt). Das ganze “Projekt” basiert somit auf einem ähnlich abgesackten Bildungsgut wie eine “Weber”-Inszenierung in der staatlichen Volksbühne von Mitte. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, mir die Inszenierung anzukucken und – vom Hausmeister/Nachtwächter informiert – einige Details über den Spielort RAW für das Programmheft beizusteuern.

Danach verlor ich den “RAW-Tempel”, wie die “Location” dann genannt wurde, aus den Augen. Sie betreiben inzwischen eine Webpage in zwölf Sprachen und regelmäßig finden dort jetzt – im “Wrestling Tempel” – internationale Ringwettkämpfe statt. Es gibt dort ferner eine “Volksküche” und Theatervorstellungen – u.a. vom Obdachlosentheater “Ratten 07”, aber auch “Tangoabende” und “Comedy”. Das Objekt wird also fleißig bespielt, so kann man es sagen. Und verantwortlich ist dafür der RAW-Tempel-e.V. – ein Verein, der sich in verschiedene Arbeitsbereiche – “Strukturen” sinnigerweise genannt – gliedert. Für die “Ordnung und Sicherheit sowie die Be- und Entsorgung” ist die Struktur “Haus und Hofmeisterei” zuständig, konkret: Achmad Radjaipou, von Mo. – Fr., ab 7 Uhr 30 bis in die späten Nachmittagsstunden.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/10/03/hausmeister-strukturen-1/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert