vonHelmut Höge 06.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Im Friedrichshainer Vereinsheim junger Kommunisten “Zielona Gora” fand anläßlich seines dreijährigen Bestehens ein “Kulturabend” statt, auf dem es u.a. um den Projektbegriff und um “Genossenschaften” ging, die sich hierzulande gerade ausbreiten – als Alternative zu Privatisierung und Wieder- bzw. Entstaatlichung. Kritisiert wurden dabei die gerade vom Europabüro Sahra Wagenknechts (Dr. Lydia Krüger) verschickten Papiere über die Berliner Sparkasse und die Berliner Wasserbetriebe, die der Attac-Theoretiker Alexis Passadakis bzw. der Diplompolitologe Benedict Ugarte Chacón erstellten. Den beiden geht es dabei um eine “Rekommunalisierung” – von Genossenschaften ist keine Rede. Dafür wurde jedoch die taz für diese Form von “Vergesellschaftung” gelobt, jedoch gleichzeitig aber bemängelt, dass ihre Genossenschafts-Mindesteinlage 500 Euro beträgt. Das sei zu viel, wurde gesagt, warum nicht 50? Das wäre unseriös, erfuhr ich anschließend von der taz-Genossenschafts-Abteilung, denn eine solche Summe werde sofort vom Verwaltungsaufwand geschluckt. Das mußte ich schlucken. Gab jedoch zu bedenken, dass die “Junge Welt”-Genossenschaft zwar ebenfalls eine Mindesteinlage von 500 Euro verlange, für diese jedoch zur Not auch eine Ratenzahlung – à 50 Euro – akzeptiere.
Im Gegensatz zur taz mobilisiert die JW auch gleichzeitig gegen das kürzlich verhängte Verbot des tschechischen kommunistischen Jugendverbandes KSM. Als offizielle Begründung für das Verbot hatte die Regierung in Prag angeführt, dass die KSM in ihrem Programm die Vergesellschaftung der Produktionsmittel fordert. Man darf also in Tschechien derzeit nicht einmal eine Alternative zu Privatisierung und Entstaatlichung fordern. Über kurz oder lang wird es dazu aber auch sowieso in Böhmen an Realia fehlen, denn dann ist alles bereits in der Hand ausländischer Kapitale. In jedem Dorf und in jeder Kleinstadt haben sich bereits Lidl, Obi, Rossmann, GM-Money-Bank, Generali, Allianz, Siemens, Netto etc. breit gemacht – und die Masse der jungen Leute hat Jobs als Kellner und Verkäufer gefunden – für etwa 200 Euro im Monat. Sie können davon trotz 50-Stundenwoche noch nicht einmal die Miete zahlen.

Auch wenn in Deutschland die jungen Kommunisten nicht gleich verboten werden, so hegt man doch auch hier offiziell ein tiefes Mißtrauen gegen jede Art von Alternative zu Privatisierung und Entstaatlichung. Ganz besonders gemein gestaltet sich dies bei den Arbeitsämtern, die mit Ich-AGs und ähnlichen Existenzgründungsideen befaßt sind. Dabei gehen sie deduktiv vor, d.h. den Betreffenden werden alle Muß- und Soll-Vorschriften um die Ohren gehauen, inklusive teurem Unternehmensberater, Steuerberater, Kreditgebern etc..

Statt seine soziale Phantasie walten zu lassen, das Umfeld seiner Existenzgründung zu erforschen und sich dafür kleine Geschäftsideen einfallen zu lassen – bis hin zum Kooperieren mit anderen, so dass vielleicht ein Kollektiv entsteht, dass die Verpflichtungen und Aufgaben gemeinsam angeht, ist der arbeitsamtlich betreute Selbständige bald nur noch damit beschäftigt, sklavisch alle Bedingungen zu erfüllen, die ihm auferlegt wurden und werden. Dabei verfehlt er von vorneherein das oberste Gebot jeden Unternehmertums – und bleibt abhängig Beschäftigter (in seinem eigenen Laden): Dass man alle Gesetze und Gebote interpretatorisch und nicht aktiv anzugehen hat, sie also zu seinen eigenen Gunsten “umfrisieren” muß, wie Michel de Certeau das nennt. Wenn man das nicht versucht, ist man bestenfalls ein “Scheinselbständiger”.

Während der Berliner Debatten und Gesetzesentwürfe zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit besuchte ich einmal in der TU die “Gründertage”. Mir kam diese “Experten”-Veranstaltung wie eine deprimierende Versammlung von Parasiten und Zwischenhändlern vor – auf der Suche nach den letzten verwertbaren Ideenentwicklern.

All die Standfrauen in Chanel- Kostümen von H&M und gepflegten Anzugmänner mit flippigen Schlipsen (Soll heißen: “Seht her, ich bin wahnsinnig kreativ”) waren Festangestellte – von Banken, Versicherungen, Patentanwälten, Gründerzentren-Entwicklern und dubiosen Senatsprojekten. Um die 24 Standplätze voll zu kriegen, hatte man selbst die im Osten gerade ihre Filialen reduzierende Hamburgerkette “Mc Donald’s” zum Franchiser- Fangen eingeladen. Auf allen Monitoren gaben hochbezahlte Amis den abwesenden Ostakademikern gute Ratschläge – auf englisch.

Bei den “Grundlagen-Foren” scheute man nicht einmal vor dem abgestandenen taz-Witz “Design bestimmt das Bewußtsein” (als Marketing-Veranstaltung) zurück. Da wendete sich der zukünftige Selbständige mit Grausen! Aber es kam noch dicker: Die meisten “Anbieter” wollten ihm nämlich gar nicht in den Steigbügel helfen, sondern ans Portemonnaie gehen – und offerierten Möbel, Immobilien, Check-Point-Charly-Büros (mit und ohne Sekretariatsservice), TÜV-Gutachten, großkotzige Finanzierungen oder ISDN (“Ihre Verbindung in die Unabhängigkeit”). Dazu hatten sich unselbständige Werbefuzzis tolle Sprüche ausgedacht: Die Berliner Landesbank – mit einer Minigolfanlage und einem Clown angetreten – verteilte ein “Start Up 97”-Programm, und die Berliner Volksbank fragte jeden: “Sind sie fit für die Selbständigkeit? Machen Sie den Existenzgründer-Test am Computer.”

Die selber extrem um ihre Existenz ringende Berliner Service- Gesellschaft “Zukunft im Zentrum” (ZiZ), aber auch die Potsdamer Technologie- und Innovationsagentur (TINA) versprachen uns – trotz alledem, “mit Kompetenz die Zukunft (zu) gestalten”. Und die altehrwürdige Volkshochschule (Vhs) machte sich vollkommen unironisch Mut – mit dem Slogan: “Selbständig in die Zukunft”. Sogar eine “Zeitarbeitsfirma” war vor Ort dabei: wahrscheinlich um die letzten “Part- Time-Loser” für sich zu gewinnen.

Das einzig Sympathische an den ganzen Gründertagen waren die herzzerreißenden Kittelschürzen der TU-Cafeteriafrauen, die so mürrisch aussahen, als wäre ihr Outsourcing bereits beschlossene Sache.

Die Gespräche, die ich dort belauschte, drehten sich übrigens alle entweder um einen ISDN-Zweitanschluß oder um den neuen BMW. Eberswalde warb mit einem EU- geförderten Pilotprojekt, in dem ein Teil der Arbeitslosen als Unternehmer und ein anderer Teil als ihre zukünftigen Mitarbeiter ausgebildet werden. Bei all diesen Fördermaßnahmen schienen mir eher die neuen Existenzgründer die wahren Scheinselbständigen zu sein.

Über zehn Jahre war ich nicht kranken- und rentenversichert – arbeitete bei Bauern oder bei Freunden auf ihren Höfen – und hatte das Gefühl, wirklich selbständig zu sein, erst nach des Bundesfinanzministers Anziehen der Steuerschraube und stagnierender Einkünfte, bekomme ich das Gefühl, zunehmend scheinselbständiger zu werden. Das meint, daß der Zwang zunimmt, nur um des bloßen Geldes wegen irgendwelche Scheißaufträge anzunehmen, wobei deren Spielräume auch noch immer enger werden.

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