vonHelmut Höge 08.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Neben dem Lidl-Supermarkt machten einige Kursanten einer Existenzgründer-Beratungs- und -Schulungsfirma eine Zigarettenpause. Es waren alles arbeitslose Jungmänner. Und alle machten den Eindruck, als fühlten sie sich irgendwie verarscht. Einer bestätigte mir das dann auch schlechtgelaunt.

Aber das hier lasse er nur quasi über sich ergehen, eigentlich wolle er  im Boxsport Fuß machen, fügte er hinzu. Woraufhin wir über Boxen sprachen. Ich erzählte ihm, dass ich die Berliner Boxmeisterin 2000 Esther Röhrborn kennen würde. Das interessierte ihn.

Esther Röhrborn wurde 1965 geboren und wuchs in Gropiusstadt auf. Nach dem Abitur studierte sie Jura an der FU, dann Malerei an der HdK, nebenbei arbeitete sie noch im Krankenhaus. 1993 machte sie sich selbstständig, indem sie zusammen mit zwei anderen Frauen ein SM-Studio eröffnete. Ihr gemeinsames “Atelier Rheingold” existierte sieben Jahre.

1997 fing sie an zu boxen, zuerst im Neuköllner Verein “Allegria und Combat”, dann auch noch im Postsportverein, “um an Boxkämpfen teilnehmen zu können”. Zweimal, 1999 und 2000, wurde sie Berliner Meisterin im Leichtgewicht. Von fünf Kämpfen gewann sie vier. Nach ihrem letzten Kampf, den sie gegen die norddeutsche Meisterin verlor, hörte sie 2001 auf: “Man muss sich gut auf den Kampf vorbereiten – und gewinnen wollen; weil ich erst mit 32 angefangen hatte zu boxen, gab es aber keine Karriere mehr für mich.”

Dennoch gab Esther Röhrborn das Kämpfen nicht auf, ebensowenig die Dominanz als Dienstleistung. Zunächst tat sie sich mit ihren drei Künstlerkolleginnen Gudrun Herrbold, Tanja Knauf und Ursula Rogg zusammen, um aus ihren abgeschlossenen “Atelier Rheingold”-Erfahrungen eine Inszenierung und Dokumentation zu machen – unter dem kollektiven Pseudonym “Dorothy Vallens”. “Der Moment, im Ring zu stehen, hat auch etwas mit Kunst und vor allem Theater zu tun”. Ende 2001 war sie als Boxerin in der Rollenden Road-Show der Volksbühne zu sehen, in einer Show über Be- und Erleuchtung. Ihr Auftritt bestand darin, eine brennende Glühbirne auszuknocken und Boxtricks zu verraten. Ich lernte dort ihre “Managerin” kennen. Später engagierte Christoph Schlingensief sie für seine Volksbühnen-Show “Love Pangs” – als “Wut-Expertin”.

Inzwischen hat sich Esther Röhrborn aufs Ringen verlegt, zuletzt bot sie Ringkämpfe im SM-Bereich an. In der Hamburger Kunstfabrik Kampnagel trat sie mit einer “Ring-Performance” auf. Im vergangenen Jahr zeigte “Dorothy Vallens” eine weitere Photo- und Videoarbeit im Berliner Kunstraum “plattform”, verbunden mit einer Performance: Erstere hieß “Drei Tage Madeleine”, letztere “Zwei Tage Greta sein”. Die Performance wurde gerade im Rahmen des Podiwil-Theaterfestivals “Reich&Berühmt” noch einmal aufgeführt – unter dem Titel “Königreich Die andere Welt”. Dies bezog sich auf das “Other World Kingdom” (OWK): ein kleines Königreich, das 1996 in einem tschechischen Dorf gegründet wurde und aus einem “Unternehmen in Form einer matriarchalischen Monarchie” besteht, mit dem “dominanten Frauen ein Lebensstil geboten wird, der ihren Veranlagungen gerecht wird. Zu den alljährlich veranstalteten Feierlichkeiten kommen internationale Dominas und ihre Kunden, aber auch nichtprofessionelle Frauen und Männer”.

Esther Röhrborn trat dann auf einer 10-Städte-Tour durch Deutschland, Italien und Spanien auf. Dabei traf sie sich mit Kunden in Hotels, um Ringkämpfe zu machen. Die Verabredungen dazu hatte sie zuvor übers Internet organisiert. Zwei Monate war sie mit dem Auto und einigen Gummimatten im Kofferraum unterwegs: “Es funktionierte – und es hat sich auch rentiert”, so ihr abschließender Kommentar. Sodann wertete sie die dabei entstandenen Fotos und Notizen aus. Am Ende entstand daraus ein neues Kunstprojekt – eine Performance im Podiwil, zusammen mit ihrer Freundin. Diese war schwer krank gewesen. Während Esther ihren Krankheitsbericht vorlas,  trug ihre Freundin Passagen aus Esthers Tagebuch über die Ringertournee vor.
Esther Röhrborn sagt von sich selbst: “Ich bin ein abenteuerliebender Mensch, auch die Phantasien im SM-Studio finde ich spannend, ebenso die im sportlichen Bereich: Man weiß nicht, was passiert. Und das treibt mich an. Dadurch habe ich viele Erfahrungen gesammelt. Früher habe ich Kunst, sexuelle Machtspiele und Sport eher getrennt gesehen – jetzt verbinden sich langsam diese unterschiedlichen Bereiche miteinander”.

Das Boxen hat sie jedoch an den Nagel gehängt. Ich machte mir dagegen weiter Gedanken über diesen  “Sport” – man spielt Fußball oder Schach, aber man spielt nicht Boxen! – und besuchte eine Boxveranstaltung in Spandau.

Um der zunehmenden Militanz gewachsen zu sein, fingen in den Siebzigerjahren immer mehr Linke an, sich fast klandestin in Kampf und Körperbeherrschung zu schulen. Inzwischen gibt es offiziell einige hundert Privatschulen in Berlin, in denen man/frau eine oder mehrere Kampfsportarten trainieren – und es beispielsweise bis zu einem “Capoeira”-Tanzkampfmeister bringen kann, was dem Brasilianer Léo Gonçalves in Treptow bei einem rassistisch motivierten Überfall bereits das Leben rettete, zumindestens die körperliche Unversehrtheit.

Auch immer mehr Türken in Kreuzberg, Neukölln und im Wedding schneiden sich die Haare kurz und betreiben Kampfsport. “Um dem Osten gewachsen zu sein”, wie mir der Kickboxer Suleymann erklärte, der damit jedoch gerade nach Osten abgetrieben ist, denn die fast untergrundmäßigen Kickboxveranstaltungen finden meistens dort statt. Die letzte in einer Marzahner Diskothek, die die Kampfhundebesitzer von nah und fern anzog, weswegen diese Veranstaltungen nun nicht gerade für ihre Ausländerfreundlichkeit berühmt sind.

Auch in den Knästen wird geübt wie verrückt und täglich Eisen gestemmt. Überhaupt scheinen die perspektivlosen Handarbeiter die Aufforderung, Ich-AGs zu bilden, erst mal dahingehend verstanden zu haben, dass sie ihren Ich-Panzer muskulär aufblasen. Und ähnlich wie in Amerika lange Zeit der Sport und der Kriegsdienst den Schwarzen fast die einzigen Aufstiegsmöglichkeiten boten (inzwischen ist noch das Musikgeschäft dazugekommen), sind auch hier jetzt die Kinder der Eingewanderten bzw. “Gastarbeiter” aufgrund des massenhaften Wegfalls von Männer-Arbeitsplätzen gezwungen, aus der Not (zur Selbstverteidigung) eine Tugend (des Bodybuilding) zu machen.

Ein Betriebsrat von Osram in Spandau sagte mir, “früher wurden von zehn Stellen neun mit Türken besetzt, heute ist es genau umgekehrt: Neun bekommen Ostdeutsche, und höchstens einer wird mit einem türkischen Arbeiter besetzt”. Wo bleiben die anderen acht oder neun?

In Berlin gibt es 25 Boxvereine und außerdem noch fünf bis sechs “Profiställe”. In der Spandauer Bruno-Gehrke-Sporthalle fand der Bundesliga-Boxwettkampf zwischen Hertha BSC Berlin und dem BC Eichstätt statt, wobei die Preußen ebenso wie die Bayern, die mit einem ganzen Fanbus angereist waren, ihre neun Kämpfer aus allen Gewichtsklassen in den Vereinen der Umgebung rekrutiert hatten. Im Endeffekt traten die Berliner Boxer Said Ahmed, Faruk Shabani, Serdar Kahraman, Enrico Thormann, Patrick Dinzey und Alpaslah Karaman gegen die Eichstätter Veli Duman, Arayk Sachbazjan, Kazim Tungay, Alfonso Fusco, Ertan Isik und Dojan Vukoicic an. Von 18 Kämpfern trugen ein Preuße und drei Bayern deutsche Namen. In der Bruno-Gehrke-Sporthalle herrschte also das umgekehrte Verhältnis zwischen Eingebürgerten und Alteingesessenen wie in den Siemens-Osram-Werkhallen.

In den Pausen trat außerdem noch – als “besonderer Leckenbissen” annonciert – die Tanzgruppe Swentana auf. Dabei handelt es sich um neun Marzahner Mädchen, die aus Kasachstan kommen. Ihr Tanzlehrer Anatol stammt aus Sibirien. Zur “Einstimmung” sang die “iranische Nicole” Litara zwei feinfühlige Lieder. Beim Einmarsch der Kämpfer klatschte jedoch der ganze Saal: “Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft!”

Die etwa 40 Eichstätter, erkenntlich am gelben Vereinsschal, schwiegen. Sie befürchteten, die Punktrichter würden ihre Boxer hier benachteiligen – zu Recht, denn die ersten drei Kämpfe gingen völlig unverständlich an die Berliner. In ihrer heimischen Arena hatten die Eichstätter zuvor die Berliner mit 16:11 besiegt, hier mussten sie sich am Schluss mit drei Punktsiegen von neun möglichen K.o. begnügen.

Das Berliner Publikum bestand vorwiegend aus dickbäuchigen, kleinen Geschäftsleuten, denen man ansah, dass sie ihr Leben ebenfalls als ein einziges Durchboxen begriffen. Immer noch gut in Form waren dagegen die vielen anwesenden Boxveteranen, die sich jetzt als Manager oder Trainer durchschlagen. Es gab nur einige wenige Blondinen, die am lautesten schrien. “Boxer sind als Liebhaber begehrt, gerade ihre platten Nasen wirken erotisch auf viele Mädchen”, klärte mich die erfahrene Fotografin Mona Filz auf.

Ich selbst, eher spitznäsig, wurde immer wieder mit Schnappi verwechselt: ehedem ein Croupier in den Spielcasinos am Savignyplatz, in der Grolmann- und in der Potsdamer Straße. Er scheint einigermaßen beliebt gewesen zu sein, denn mehrmals spendierten mir gesetzte Herren in Schwarz, aber mit dicken Goldkettchen, ein Bier.

Trotzdem verstimmte mich die ganze Veranstaltung. Ich erinnerte mich an ein frühes Dylan-Lied mit der Zeile “In Cuba – where boxing ain’t allowed no more!” Die Amerikaner hatten viele ihrer besten Boxer unter den Zuckerplantagenarbeitern auf Kuba rekrutiert, wo die Plantagenbesitzer ihnen dergestalt zuarbeiteten, dass sie regelmäßig “Negerkämpfe” veranstalteten – und dann vom Verkauf ihrer besten Fighter profitierten. Nach der Revolution verboten die Kommunisten kurzerhand den Boxsport. Inzwischen mischt Kuba aber wieder beim Boxen international mit.

Hierzulande deutet sich derzeit mit dem Zwang zur Ich-AG-Bildung ein wahrer Boxboom an. Wenn man ferner in Rechnung stellt, dass zur individuellen Durchsetzung der eigenen Interessen und erst recht zur kollektiven Durchsetzung vor allem Aufklärung und Wissen Not tut, bei jedem Boxkampf jedoch andererseits zigmillionen Gehirnzellen zerplatzen, dann ist das Boxen eine einzige antiaufklärerische Veranstaltung. Diese passt allerdings perfekt in das derzeitige weltweite Restaurationsklima.

So muss ich denn auch gestehen, dass mir einige Kämpfer in Spandau ganz gut gefielen. So etwa der bayerische Armenier Sergej Hakobjan, der was von einer Davidmaschine an sich hatte, und der bayerische Ukrainer Dimitri Sartison, der, statt sich mit den Fäusten zu schützen, mit dem Oberkörper auswich, wobei seine Arme locker herunterbaumelten. Das hatte etwas sehr Souveränes. Hinzu kam sein schönes, noch nicht demoliertes Gesicht: Er war erst 22 Jahre alt und hat von bisher 114 Kämpfen 53 gewonnen.


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