vonHelmut Höge 05.12.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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“Ich fühle nichts als eine gewisse Schwierigkeit zu existieren” (der Philosoph Fontenelle auf seinem Totenbett)
Komisch, um mich herum wird immer öfter über “das Altern” geredet – nachgedacht. Vor einiger Zeit traf ich mich sogar einmal – im “Blauen Affen” am Hermannplatz – mit zwei älteren Immortalisten. Sie machen da weiter, wo ihre russischen Vordenker einst aufhören mussten. In der Regierungszeitung Iswestija hatten sie noch 1922 erklärt: “Wir stellen fest, dass die Frage der Verwirklichung persönlicher Unsterblichkeit jetzt in vollem Umfang auf die Tagesordnung gehört.” Und da ist sie auch noch heute. Wobei das vor allem für die Reichen gilt, die ein großes Vermögen angehäuft haben – und nun möglichst lange was davon haben wollen.

Die Armen sind dagegen wahrscheinlich eher froh, wenn ihr Lebenskampf sich nicht ewig hinzieht. Für beide gilt jedoch das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate – insofern alle Organismen zwar dazu neigen, mit “Zinseszinsen” zu wachsen, weil das, was durch Wachstum gebildet wird, selbst zu weiterem Wachstum fähig ist, aber der “Zinssatz” fällt -, weil der Organismus mit einem von Jahr zu Jahr niedrigeren Zinssatz akkumuliert.

Irgendwann wollte ich von den beiden Neuköllnern wissen, warum die Nazis uralt werden, die Linken dagegen wie die Fliegen umfallen. “In einer Welt, die nur die Jugend achtet, sind die Menschen nach und nach aufgezehrt”, meinte der eine, Hans, wobei er sich auf Houellebecq bezog. Das erinnerte den anderen, Dirk, an die Kamtschadalen. Bei denen dienten früher die Alten zuletzt noch einmal dem Gemeinwohl, indem sie sich von den Jungen aufessen ließen.

“Nein, aber im Ernst: Wahrscheinlich leben die Nazis hier einfach in einem optimalen Milieu.” Biologisch treffe jedoch für alle gleichermaßen zu, dass ihre Körperzellen – so wie auch die Einzeller, die sich durch Teilung reproduzieren – potenziell unsterblich sind. “Es kann also nur an ihrer nachlassenden Kommunikation und Koordination untereinander liegen”, fügte Hans hinzu, wobei er unsere Körperzellen meinte, und nicht die Nazis beziehungsweise die Linken.

Dirk fiel dazu ein: “Fische altern nicht, sie werden nur größer.” Im Übrigen gäbe es in der Natur eigentlich sowieso nicht das, was wir einen “natürlichen Tod” nennen. Dieser sei quasi ein Haustierphänomen. “Senilität ist ein Kunsterzeugnis der Zähmung. Wie übrigens auch das Gegenteil: der kindliche Gesichtsausdruck bis ins hohe Alter. Die wilden Tiere werden dagegen früher oder später fast alle gefressen, wobei diese Gefahr mit wachsendem Alter steigt, obwohl sie zugleich aber auch schlauer werden. Der mittlere Lebensabschnitt ist jedoch auch für uns Menschen der beste …”

“Das sehen die Lebensversicherungsgesellschaften bestimmt genauso”, unterbrach ich ihn. Hans wollte daraufhin wissen, ob die Versicherungen auch prämienmäßig berücksichtigen, dass es entgegen unserer Vorstellung, erst eine Periode der Entwicklung und dann eine des Verfalls durchmachen zu müssen, in Wirklichkeit so sei, dass wir “unser Leben mit einer Periode extrem schnellen Verfalls beginnen und es mit einem sehr langsamen und sehr geringen Verfall beenden”.

Darauf wusste ich keine Antwort. Wegen dieses “geringen Verfalls” seien sie, die Immortalisten, ja gerade so optimistisch – was die Fortschritte der Zellforschung und der Ersatzteil- beziehungsweise Organimplantation betrifft, fügte er hinzu. “Vilém Flusser hat das einmal so gesagt: Das Zeitalter der wahren Kunst beginnt erst mit der Herstellung selbstreproduktiver Werke. Und dort beginnt auch die Freiheit, wenn man Houellebecq glauben darf. Zumindest kann man bei geklonten Lebewesen, genauso wie bei eineiigen Zwillingen, problemlos jedes Gewebe transplantieren. Kein Tod ist ,natürlich’, niemand stirbt lediglich an der Last der Jahre.”

Aber diese “wachsende Last”, wagte ich einzuwenden, sei doch “natürlich”. Wo könne man das besser als in Neukölln beobachten?! Diese Bemerkung wurde von meinen Gesprächspartnern als der Sache “nicht besonders dienlich” abgetan – es war ihnen sehr ernst damit. Deswegen verkniff ich es mir auch, sie abschließend mit Matthäus zu fragen: “Wer aber unter Euch vermag dem Maß seines Lebens auch nur eine Elle hinzuzufügen?” Ihr Ernst selbst schien mir bereits etwas Lebensverlängerndes zu beinhalten.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/12/05/unter-immortalisten/

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kommentare

  • Beim Recherchieren fand ich eben http://www.mde-net.de/Homesite/Themen/Texte/DieTS.htm Siehe dort im Abschnitt 5.

    Abseits jeglicher Diskussionen oder gar Bemühungen scheint mir die Beschäftigung mit Leben Menschen aller Arten fröhlicher zu stimmen als eine Fixierung auf Tod und Verlust, vergleichbar mit den Sichtweisen von Optimisten und Pessimisten, die weit weniger tabuisiert sind als die Begriffe Leben und Tod.

    Warum nur muß sich ein Mensch hinter Humor oder Kunst verstecken, wenn er leben will? Er sollte es einfach tun und im Zweifelsfall einfach die Klappe halten.

    Hans Kolpak
    Biß der Woche

  • Vielleicht hat für andere mehr Dein Bloggen über ihren Ernst etwas Lebensverlängerndes.
    Ich spaziere jedenfalls übermorgen erst mal zum Herzkatheder nebst Weitung der Herzkranzgefäße.
    ciao

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