vonHelmut Höge 08.12.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Seltsames tut sich in den parkähnlichen Hinterhöfen der Sozialbauwohnungen aus den Zwanzigerjahren in Steglitz, Wilmersdorf und Friedenau: In diesen sonst wie ausgestorben wirkenden Biotopen mit gepflegten Rasenflächen und inzwischen groß gewordenen Birken, Tannen und Kastanien lärmt es wie blöd: Dort treffen sich zu dieser außergewöhnlich warmen Jahreszeit die Spatzen zu tausenden. Niemand stört sie dort – weder tagsüber noch nachts, eher stören sie die Leute in den ganzen Wohnungen ringsum mit ihrem aufgeregt klingenden Getschirpe.

Wir in der Kreuzberger Kochstraße wundern uns dagegen, dass sich noch immer nicht der riesige Vogelschwarm gezeigt hat, der jedes Jahr mit beginnendem Frost über dem Check Point Charly kreist. Bei ihm beeindrucken weniger seine akustischen als seine fliegerischen Fähigkeiten. Ich muß dazu jedoch auf einen Bericht vom Januar zurückgreifen:

Viele Anwohner zwischen Checkpoint Charlie und der Kreuzung Kochstraße schauen immer mal wieder im “Was fliegt denn da?” nach – um herauszufinden, was denn da seit 1990 über ihren Köpfen fliegt. Mancher fragt auch seine Nachbarn: Es ist ein Schwarm von einigen hundert kleinen, schwarzen Vögeln – augenscheinlich von der Aerodynamik um das IBA-Gebäude an der Ecke angezogen, in dem sich die Kantine des “Mauer-Museums” sowie behindertengerechte Sozialwohnungen befinden. Zum Problem ihrer Benamung meinte einer der dort Wohnenden, der einen Feldstecher besitzt: “All labelling is lethal!” Er wollte damit sagen: Unterhalb der Arten kann man nur noch die Vögel zählen – also kümmer dich nicht um ihre Bezeichnung und Einordnung, sondern kuck hin.

Bei ihren Schwarmformationen scheinen diese Vögel die Ei- bzw. Kugelform zu schätzen, die sie beim Wenden ins Ellipsoide drücken und beim Auf- und Abstürzen ins Doppelspiralige drehen. Das sieht aber vielleicht von unten nur so aus. Einige Hobbyornithologen tippen auf Stare, geben aber selbst zu bedenken, dass die Strichvögel bei diesen Frosttemperaturen eigentlich weiter nach Südwesten ausweichen. Für Krähen sehen die Vögel im Schwarm zu klein aus, auch schwirren sie zu sehr. Für Spatzen sind sie zu diszipliniert.

Überhaupt hat man den Eindruck, dass sie dort am ehemaligen Alliierten-Grenzübergang ihre Flüge im Pulk seit Jahren wenn nicht endlos üben, dann nur noch als Sehenswürdigkeit vorführen – und nicht, um sich für Fernflüge fit zu machen.

Ansonsten wird diese politische Systemsollbruchstelle – unter ihnen – immer mehr zu einer Absurdzone: Erst dieser komische Grenzübergang mit Panzern in der Tiefgarage und dem Mauermuseum vis-à-vis, wo sich zu DDR-Zeiten alle Rechten, Irren, Spione, Wichtigtuer und IMs trafen, wie der Number-One-Fluchthelfer Wolfgang Welsch meint, der selbst dazugehörte. Dann der mit großem US-Tamtam inszenierte Bau des Checkpoint-Charlie-Businesscenters, dem erst das Hochhaus und dann die Westflügel-Bebauung des Platzes gekappt wurde, woraufhin sich dort eine Multikulti-Budenstadt breit machte, die das antisowjetische Souvenir-Elend des Mauermuseums nun zu einer ganzen Meile ausdehnt.

Gleichzeitig wurden sukzessive die einstigen Grenz-Attribute – wie Wachhäuschen und Sandsäcke – wieder hingestellt. Denn auch nach der glücklichen Wiedervereinigung ließen die Berlin-Reisenden aus dem Westen nicht vom Mauertourismus ab. Größter Beliebtheit erfreuen sich – vor allem bei angelsächsischen Reisenden – auch noch die Hinterlassenschaften des größten deutschen Staatsmannes Hitler.

Es gibt sogar eine spezielle Stadtrundfahrt für sie, auf der Fragen beantwortet werden wie: “Wo lebte Himmlers Friseur?” oder “Gibt es Adolfs Schuster noch?”. Im Gegensatz dazu stehen die vielen Bundeswehr-Berlin-Reisenden. Hierbei wird den Cityguides von den verantwortlichen Offizieren jedesmal eingeschärft: “Bloß nichts Nationalsozialistisches” zu zeigen. Höchstens, dass sie am Rosa-Luxemburg-Platz sagen dürfen, dass es sich dabei um eine furiose Regisseurin aus der Nazizeit handelte, die später sehr umstritten war.

Neuerdings stehen am Checkpoint Charlie auch noch mehrere unglücklich aussehende Arbeitslose mit einer Ich-AG “Topmodel” in den Uniformen der vier Alliierten herum: eine Investition in die Zukunft von der ukrainischen Museumserbin, um die Fotografierkulisse zu perfektionieren. Drumherum gibt es einen italienischen Schnellimbiss, ein argentinisch-aramäisches Steakhaus, das vornehme Architektenrestaurant Sale e Tabacchi im Rudi-Dutschke-Haus, ferner die Deutschlandzentrale des russischen Gaspromkonzerns, ein Altersheim, ein Aldi (der Penny heißt), Ausländerpolizei, Einwohnermeldeamt und Arbeitsamt. Letzteres immer noch mit einem riesigen Reichsadler obendrauf. Und als wäre das nicht schon alles schlimm und bescheuert genug, entsteht drumherum noch eine markante Rahmung:

Während im Nordwesten auf den Ruinen des Gestapo-Hauptquartiers im Schneckentempo ein Antifa-Forschungszentrum errichtet wird, hat sich im Südosten der Springer-Verlag blitzschnell in einen ganzen Antikom-Komplex verwandelt.

Das sind sozusagen die Knackpunkte, zwischen denen der wendige Vogelschwarm seit 13 Jahren die Lufthoheit behauptet. So mancher Developer sieht darin ein gutes Zeichen. Auch die Ornithologen: In Berlin leben inzwischen mehr Vögel pro Quadratmeter als in anderen Großstädten und sogar in Naturschutzgebieten. Es gibt eine regelrechte “Landflucht” unter ihnen: Krähen, Dohlen, Elstern, Stare, Drosseln und Bachstelzen bilden hier allabendlich große Schwärme. Die Schwalben haben ein Nistzentrum am Schiffbauerdamm und die Turmfalken im Märkischen Viertel. “Die Stadt ist warm, schneearm, bietet Abfälle zum Fressen, Kunstlicht in kurzen Wintertagen, sowie Masten, Bäume und Häuser als übersichtliche Sitzplätze”, schreibt ihre Gewerkschaft Nabu.

Am Stadtrand soll es in den ehemaligen Rieselfeldern sogar einen großen Schwarm Wellensittiche geben, behaupten einige Birdwatcher, es handelt sich dabei um alle weggeflogenen Hauswellensittiche, die sich zusammengefunden haben, weil sie sonst gegenüber den Einheimischen Vögeln bis hin zu den Spatzen keine Chance gehabt hätten. Jetzt als Schwarm, der 2001 erstmalig beobachtet wurde, hätten sie sich jedoch Respekt verschafft – und würden aufatmen, d.h. sich vermehren und ihre Population, die laufend Zuwachs von weiteren weggeflogenen Wellensittichen bekäme, stabilieren. Man kann also sagen: oben und unten – zu Lande, zu Wasser und in der Luft – tut sich derzeit annähernd das selbe.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/12/08/voegel-im-aufwind/

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  • Auf dem ehemaligen Gestapogelände singt ab Ende April eine Nachtigall. Ein einziges Pärchen lebt dort und es gibt sie sogar auf CD, 20 Minuten lang: “Die Nachtigall vom Prinz Albecht Gelände singt im privaten Goethe Institut von Reykjavik” (W.Müller; Islandhörspiele, Do-CD)

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