vonHelmut Höge 18.12.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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“Der Zigeuner weiß aufzubrechen, er macht aus dem Aufbruch etwas so Leichtes wie Geborenwerden oder Sterben,” heißt es irgendwo bei einem der seßhaften, aber nomadologisch vorneweg diskutierenden Franzmänner.

Ich besuchte vor einiger Zeit das 2006 eröffnete Romamuseum in Brno:

In ihren für die Europäische Union 2002 zusammengestellten “Kapiteln aus der Geschichte der Roma” läßt die Autorin Dr. Jana Horvathova am Schluß den Schriftsteller Bohumil Hrabal zu Wort kommen. Es handelt sich dabei um  einen Abschnitt aus seinem letzten 1991 geschriebenen Werk “Zigeunerrhapsodie”, das ein Loblied auf die klassische Romamusik enthält. Auch in vielen anderen Werken von Hrabal kommen Zigeuner vor, deren minoritäre Lebensweise ihm so schön die eher kleinbürgerlichen Neigungen der Mehrheit der tschechischen Bevölkerung kontrastierte. Frau Dr. Horvathovas kurze Geschichte der Roma ist nun der erste Katalog eines von ihr gegründeten Roma-Museums in Brno. Ihr Vater, Ing. Holomek, hatte zuvor bereits die inzwischen größte tschechische Roma-Organisation – “Die Gemeinschaft der Roma in Mähren” – gegründet, deren Vorsitzender er noch immer ist.

Trotz dieser Initiativen verschlechtert sich jedoch die Situation der Sinti und Roma in der Tschechoslowakei seit der “samtenen Revolution” 1989 immer mehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man sie zunächst in den ehemals von Sudentendeutschen bewohnten böhmischen und mährischen  Grenzgebieten zwangsangesiedelt. Das betraf Sinti und Roma aus der Slowakei, Rumänien und Ungarn. Zudem wurden Frauen mit vielen Kindern von den Sozialämtern gedrängt,  sich sterilisieren zu lassen (auch aus der Zeit nach 1991 sind noch 31 solcher Fälle bekannt geworden; auf Vorschlag der tschechischen Ombudsstelle für Roma will man sie demnächst entschädigen).

Nachdem sich 1993 die Slowakei von Tschechien abgetrennt hatte, sollten alle Zigeuner, die einen slowakischen Paß besaßen, das Land verlassen, die Slowakei verlangte jedoch, dass Tschechien ihnen einen Teil der davon Betroffenen abnehme. Es kam zu einem üblen Hin und Her, noch dadurch verschärft, dass an den Grenzübergängen nach Bayern und Sachsen immer mehr arbeitslos gewordene Romafrauen und sogar junge -mädchen der Prostitution nachgingen – bis heute.

In der grenznahen westböhmischen Industriestadt Usti nad Labem (Aussig) versuchte man 1999 einige Sozialwohnungen, in denen Roma lebten  mit einer langen 1 Meter 80 hohen Mauer von den besser gestellten Anwohnern der Maticni-Straße abzugrenzen. Noch jetzt sagen viele Bewohner der Stadt: “Es sollte doch nur eine Lärmschutzwand sein. Die Zigeuner arbeiten nicht und feiern die ganze Nacht, während wir jeden Morgen früh raus müssen.” Zuerst demonstrierten die tschechischen Roma dagegen, dann kam es auch zu Protesten im Ausland. Tschechiens  Außenminister Jan Kavan meinte daraufhin: “Diese Mauer ist eine Wand zwischen uns und der Europäischen Union”. Staatspräsident Vaclav Havel setzte schließlich durch, dass sie wieder abgerissen wurde.

Nicht verhindern konnte er, dass es zu immer mehr Brutalitäten der Polizei gegenüber den Zigeunern kam – und kommt. Im slowakischen Trebisov eskalierte die Situation 2004 in einen regelrechten Hungeraufstand der dort in so genannten Elends-“osadi” konzentrierten Roma, nachdem die rechtsnationale Regierung ihnen die Sozialhilfe um die Hälfte gekürzt hatte (115 Euro bekommt dort seitdem eine achtköpfige Familie im Monat) – um die Wohlfahrtsempfänger “zur Arbeitssuche zu motivieren,” wie es offiziell hieß. Im Osten der Slowakei gibt es rund 700 solcher “osadi”, die man ebenfalls gerne  einmauern würde, wäre da nicht die EU mit ihren Menschenrechtsparagraphen sowie die sich organisierenden und wehrenden Roma selbst, die, wie ein Sprecher des tschechischen Romasenders “Rota” meinte, “einen regelrechten Krieg mit der Regierung und dem Staat führen – wie auch umgekehrt”. In dieser Situation kommt dem Museum von Dr. Jana Horvathova eine wichtige Bedeutung zu. Es stützt sich u.a. auf Leihgaben des von Adam Bartosz im polnischen Tarnow gegründeten “Ethnographischen Museums” und der slowakischen Gemer-Malohontske-Sammlung in Rimavska-Sobota.

In der Tschechoslowakei wurde 1958 und in Polen 1964 ein Gesetz zur Seßhaftmachung aller Nomaden verabschiedet. Gleichzeitig bekamen die Roma Arbeitsplätze in der Industrie zugewiesen. Da es sich dabei zumeist um Hilfsarbeiten handelte, gehörten sie nach Auflösung des Sozialismus zu den ersten, die arbeitslos wurden. In der Zwischenzeit waren jedoch auch ihre früheren Handwerke (wie Scherenschleifen, Schmieden und Kesselflicken) überflüssig geworden. Ähnliches galt für ihren alten Handelsobjekte – Pferde und Teppiche z.B.. Nur die Prostitution und die Musik blühte wieder auf. Bei letzterer unterscheidet man heute zwischen traditioneller – “phurikane” – und moderner Musik – “rom-pop” genannt.

Zwar zersetzte sich mit der Wende die Gleichheit unter den Roma – viele verarmten völlig und einige wenige wurden reich, gleichzeitig organisierten sie sich jedoch immer effektiver – nicht nur national, sondern auch international: in der “Romani Union”. Eine solche entstand erstmalig bereits im Zusammenhang des Prager Frühlings 1969. Sie wurde jedoch 1973 verboten. Kurz zuvor fand 1971 in London der 1. Roma-Weltkongreß statt. Nach 1989 gründeten Dr. Emil Scuka und Jan Rusenko die erste politische Romapartei in der Tschechoslowakei: Bürgerinitiative der Roma – ROI – genannt, die im ersten nachkommunistischen Parlament elf Abgeordnete stellte. Außerdem wurden in den darauffolgenden zwei Jahren mehr Romani-Bücher publiziert als in den ganzen 800 Jahren davor – seitdem Roma in der Tschechoslowakei leben. Daneben entstanden eigene Roma-Zeitungen und -Magazine. Aus der ROI ging dann die IRU, die Internationale Romani Union, hervor.

Die Blüte der Romakultur währte jedoch nicht lange, denn gleichzeitig organisierten sich auch immer mehr  rechtsradikale Skinheads gegen die Roma: sie töteten etwa 50 von ihnen bis heute, zuletzt starb ein Roma bei der Hungerrevolte in Trebisov – wahrscheinlich durch Polizistenhand. Die zunehmende Gewalt hat bereits viele Roma in die Emigration getrieben: u.a. die Schriftsteller Margita Reiznerova und Frantisek Demeter nach Belgien und Malvina Lolova nach Australien. Derzeit leben etwa 300.000 Roma in Tschechien, das sind 3% der Bevölkerung. Umgekehrt gibt es eine zunehmende Zahl von Roma, die aus der Slowakei, wo rund 400.000 Roma leben,  nach Tschechien emigrieren, weil sie dort anscheinend noch mehr diskriminiert werden und die Arbeitslosenquote unter ihnen über 90% beträgt. Allein 2003 stellten über 1000 slowakische Roma einen Asylantrag in Tschechien, wo man offiziell von inzwischen 14.000 “Übersiedlern” ausgeht.

All dies ist dem Roma-Museum in Brno zu entnehmen, das in der Bratislavska-Straße domiziliert ist, inmitten eines zumeist von Roma bewohnten Stadtviertels – mit der entsprechenden “Ghetto”-Infrastruktur, die vor allem aus Pfandhäusern, Bordellen, Spielhallen, Nachtbars, einem Stützpunkt der Heilsarmee, mehr oder weniger verfallende Sozialwohnungen und einer städtischen Berufsberatung besteht. 2004 hatte Amnesty International kritisiert, dass der tschechische Staat keine Ausbildungsförderung für junge Roma in seinem Etat vorsehe (Romakinder besuchen in der Mehrzahl Sonderschulen).

Nach einem Besuch des Romamuseum in Brno fragte ich Frau Dr. Horvathova, ob ihre Einrichtung mit dem Roma-Museum in Jerusalem kooperiere und was sie von den Roma-Museen in Holland, in der Ukraine und in Wien halte, die demnächst eröffnet werden sollen. Sie teilte mir daraufhin mit, über die Entstehung von Roma-Museen überall auf der Welt informiert zu sein und dass sie diese Entwicklung begrüsse. “Die Reichweite der Arbeit unseres Museums in Brno ist noch nicht so groß, wie wir es uns wünschen, nichtsdestotrotz kann es als Aufklärung wirken, und zwar langfristig. Aber natürlich müssen die Leute zuerst eine Arbeit haben, eine gesicherte Existenz, und erst dann werden sie sich für die Kultur interessieren, das gilt auch für die Roma.”

Frau Dr. Horvathova hatte ihr Museumskonzept bereits im Herbst 2004 auf einem Symposium der EU über “Roma und Sinti im Europäisierungsprozeß” vorgestellt. Diese Veranstaltung mit zig Künstlern und Referenten, die in Berlin stattfand, war die erste nach dem EU-Beitritt der osteuropäischen Länder. Zwar war es begrüßen, dass dabei sogleich das “Zigeunerproblem” im Osten in den Mittelpunkt gerückt wurde, dennoch war das, was dabei dann  herauskam mehr als dürftig – beschämend!

Ende der Siebzigerjahre hatte es schon einmal – in Westeuropa – eine Art  Zigeuner-Solidaritäts-Offensive gegeben – von unten. Damals, im “Deutschen Herbst”, entdeckte die Linke diese “fahrenden Leute” im Zuge ihrer eigenen langsam auslaufenden Bewegung, die sie sich auch nur noch als ganz reales “Nomadisieren”, angetrieben nicht zuletzt vom entsprechenden Sesshaftenhass, vorstellen konnte. Die französischen Marxisten Gilles Deleuze und Félix Guattari hat diese Ausflucht dann sogar zu einer ganzen Post-68er-“Nomadologie” inspiriert.

Das ist jetzt anders: Zum einen handelt es sich – zumindest bei den Roma in Ungarn, Polen, Tschechien, der Slowakei usw. – um eine proletarisierte – zur Sesshaftigkeit gezwungene “Minderheit”, die mit der “Demokratisierung” dieser Länder fast zur Gänze arbeitslos wurde. Und zum anderen beschäftigt man sich jetzt von oben mit “Menschenrechten” und allerlei parlamentarischen Initiativen zur Verbesserung der Lage der Zigeuner, wobei man ihnen primär nur statistisch zu Leibe rückt – mit anderen Worten: gar nicht!

In allen Ländern der Europäischen Union bis hoch nach Finnland betreiben nun blonde, junge Wissenschaftlerinnen Roma-und-Sinti-Forschung – zum Besten ihrer kleinen Privat-Karrieren. Daneben verschaffen sich auch noch hunderte von EU-Politikern mit dem “Zigeunerproblem” Gehör. Unterhalb dieser entsetzlichen Repräsentativ-Existenzen dürfen dann – in den Pausen der dementsprechenden Veranstaltungen – auch die “Betroffenen” selbst zu Wort kommen: mit Gesang und Tanz, in Originalkostümen und für Bargeld. Eine Ausnahme war wie gesagt Dr. Jana  Horvathova – mit einem lichtbildgestützten Vortrag in der Humboldt-Universität. Die Dias schienen jedoch niemanden zu interessieren, am wenigsten die gelangweilten studentischen Hilfskräfte der EU-Veranstaltung, die lieber mit ihren Handys oder Laptops spielten, als zum Beispiel das Licht im Saal auszumachen, damit man überhaupt etwas erkennen konnte.  Auch dass man danach die schlecht und auf Englisch vorgetragenen Referate der blonden Roma-Forscherinnen so gut wie gar nicht verstehen konnte, störte keinen: Wichtig war wahrscheinlich nur ihre Veröffentlichung in einer Wissenschaftszeitung, die ausschließlich von ihren Doktorvätern gelesen wird.
Einzig der Vortrag des ungarischen Roma-Ombudsmanns Dr. Jeno Kaltenbach fiel etwas aus diesem völlig lächerlichen akademischen Rahmen, obwohl auch er mit Zahlen nur so um sich warf – und, selbst als er gebeten wurde, ein konkretes Beispiel für seine interventionistische Arbeit zu nennen, nur wieder ein allgemeines Procedere nachzeichnete. Vielleicht kann man es so sagen: Seit 1989 – der Rückkehr von der Klasse zur Rasse (Ethnie) – werden überall im Geltungsbereich dieser sich erweiternden EU die Rechte der Sinti und Roma festgeschrieben, verbessert, erweitert – aber im Alltag nimmt ihre Diskriminierung zu – und damit ihre Verelendung.  Das “Berliner Festival europäischer Sinti und Roma” hat das noch einmal aufs schönste bestätigt. Diesen traurigen Blödsinn überhaupt “Festival” zu nennen, ist schon eine Unverschämtheit!  Die ganzen Millionen Euro, die dafür sowie auch zur allgemeinen Verbesserung der Lage der Zigeuner ausgegeben werden, kommen wieder bloß irgendwelchen für sich selbst kämpfenden Jungwissenschaftlern und noch “kämpferischeren” EU-Politikern, -Kommissaren sowie -Roma-Experten zugute.

Kurz zuvor hatte der in Soweto (Johannesburg) lebende Fotograf Santu Mofokeng auf eigene Rechnung die “Hundeesser von Svinia”, die ärmsten unter den verarmten slowakischen Roma, besucht. Er wurde, weil von dunkler Hautfarbe, sofort von ihnen als “Brother” aufgenommen – und war erschüttert von ihrer Siedlung: Dagegen wären die südafrikanischen Schwarzenghettos die reinsten Luxussiedlungen, meinte er.

Einige Wochen nach dem pompösen EU-“Festival” fand im kirchlichen “Hendrik-Kraemer-Haus” in Berlin-Kreuzberg eine kleine Tagung über “Roma im Neuen Europa – Zwischen Diskriminierung und Selbstvertretung” statt. Hier wurde dann vor allem von eingeladenen Betroffenen ihre Situation in den neuen EU-Ländern diskutiert. Dabei entstand der Eindruck, dass die Roma und Sinti vielleicht schon bald von einer bedrängten und unterprivilegierten Minderheit zur Avantgarde der EU-Bürger aufrücken könnten – weil sie die nun  von allen Seiten  geforderten postmodernen Tugenden des homo oeconomicus schon seit langem verkörpern. Als da sind: 1. ihre “Mobilität”, der man sich mühsam mit Wagenburgen,   Trailorsiedlungen, Montage- und Vertreterjobs sowie den immer prekärer werdenden Beschäftigungsverhältnissen annähert, die immer häufiger Wohnortswechsel erzwingen. 2. ihre “Entertainment”-Fähigkeiten – als Tänzer, Teufelsgeiger, Sänger etc. -, die sich im Medienzeitalter immer mehr junge Leute wünschen – und antrainieren. 3. ihre “Flexibilität”: heute Hilfsarbeiter, morgen Erntehelfer, übermorgen Politiker oder Ramschhändler  – bis hin zu einem permanenten “Projektdenken”, von dem “unsere” ganzen entsetzten Handwerker und Friseusinnen vorerst nur träumen können (in ihren verzweifelten “Ich-AGs” und immer neuen Umschulungen). 4. ihr “Sicherheitsdenken”, das sich u.a. im Goldankauf äußert – und somit bereits eine Low-Tech-Variante von “Home-Banking” darstellt. 5. ihr “Betteln” – von dem der Richter am Bundesverwaltungsgericht Uwe Berlit behauptet, dass es mit dem neuen “Hartz IV”-Gesetz nun allgemein wird, denn damit  “ist zukünftig nahezu alles eine Ermessenentscheidung der neuen ‘Fallmanager’ der Arbeitsagenturen, von deren Wohlwollen die Gewährung minimalster Rechte abhängt, da sie nicht mehr als rechtsverbindliche Ansprüche existieren, somit auch vor Gerichten nicht einklagbar sind”: Die tendenziell also jetzt alle als parasitär eingeschätzten Bedürftigen dürfen und können bei den Ämtern  nur noch um ein Almosen bitten. 6. die “Prostitution”, die ebenfalls in der auf Appeal und Appearance erpichten Medien- und Informationsgesellschaft allgemein wird – und sogar geschlechterübergreifend, was sie bei den Roma und Sinti noch nicht war. Georg Seeßlen vermutet, dass die uns allen drohende neue “pornographische Sexualität” die auch den Krieg und die Folter “genußvoll” mit einschließt, auf folgende Ethik hinausläuft: “Dein Körper gehört dir, nicht wie ein geistiges oder historisches Eigentum, sondern wie ein Auto oder ein Bankkonto. Er gehört dir wie Waren im Kreislauf, du kannst ihn verkaufen, vermieten, drauf sitzenbleiben, ihm Mehrwert abtrotzen oder ihn verspekulieren. Je neosexueller du bist, desto weniger kannst du Heimat in ihm haben, aber desto mehr Profit kannst du ihm entnehmen.” . Ferner 7. der  ausgeprägte “Familien- und Sippensinn” der Roma und Sinti – dem man sich in Form einer von oben bereits durch die rotgrüne Regierung  verordneten Refamilialisierung bzw. Subsidiarisierung der ganzen Gesellschaft, dazu noch mit möglichst vielen Kindern, annähern will. Schließlich 8.  ihre vielgerühmte “Widerstandsfähigkeit”, d.h. sich nicht unterkriegen zu lassen, von der die immer mehr atomisierten Scheinseßhaften nur lernen können. Und damit zusammenhängend ihr “Living Internet”, d.h. ihr länderübergreifendes Netzwerk von Beziehungen, Assoziationen und Solidargemeinschaften, das schon bald dem der langsam sich zersetzenden Gewerkschaften überlegen sein dürfte. Darüberhinaus ist ihr Konzept der “Identität” als Rollenspiel zukunftsweisend:  Gemeint ist damit, dass Roma und Sinti kein Einheits-“Gen” haben, keine “Rasse” oder “Ethnie” sind, sondern immer wieder andere, Seßhafte und Ausgestoßene, in ihre Kultur, Sprache und Lebensweise  integrieren (die Jenischen z.B.), wie sie andersherum auch immer wieder als Einzelne aus der Gemeinschaft bzw. Großfamilie ausbrechen und sich in die sie umzingelnde Großgesellschaft integrieren – wobei sie dann als “Zigeuner” verschwinden. Dies übrigens ein Grund, warum Romaväter sich gelegentlich gegen die Ausbildung ihrer Kinder sträuben: Weil diese dabei  als Familienmiternährer früher oder später auszufallen drohen. Gleichzeitig führen die Sinti und Roma aber als Kollektiv wie oben erwähnt “einen Krieg mit der Regierung und dem Staat”. Zu diesem schier ewigen Kampf gehören auch “nichtformelle Einkünfte” – also Schwarzarbeit, Diebstahl (“Überfälle sind unsere Landwirtschaft”) und generell die Wahrnehmung von günstigen Gelegenheiten – alles Tätigkeiten bzw. intellektuelle Errungeschaften, die nun auch für den scheinseßhaften Teil der Bevölkerung interessant geworden sind, sonst würde der Staat nicht immer wieder zu einer großen Schwarzarbeiterhatz blasen und ständig die Grenzkontrollen ausbauen und vertiefen. (Noch 2003 erhielt die Slowakei bei ihrem EU-Beitritt die “strikte Anweisung” aus Brüssel, “dafür Sorge zu tragen, dass das slowakische Romaproblem nicht zu dem werde, was es immer war, nämlich zu einer europäischen Angelegenheit. Der freie Verkehr von Waren und Personen, der einer der wichtigsten Gründe war, dass sich die EU überhaupt formierte, sollte denen erschwert werden, die diesen Verkehr in Europa seit Jahrhunderten praktizierten,”  schreibt der Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß.)

In Summa: Bald sind wir nun alle durch den stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse im Neonomadismus angekommen – Roma und Sinti genauso wie Nichtzigeuner, und um sich darin zu behaupten, müssen letztere von den ersteren lernen. “Glaube daran, dass das Produktive nicht seßhaft, sondern nomadisch ist,” so sagte es Michel Foucault.

“Wir dürfen also von einer gegenwärtig hereinbrechenden Katastrophe sprechen, die  die Welt unbewohnbar macht, uns aus der Wohnung herausreisst und in Gefahren stürzt. Dasselbe lässt sich auch optimistischer sagen: Wir haben zehntausend Jahre lang gesessen, aber jetzt haben wir die Strafe abgesessen und werden ins Freie entlassen. Das ist die Katastrophe: dass wir jetzt frei sein müssen. Und das ist auch die Erklärung für das aufkommende Interesse am Nomadentum…,”  meinte Vilém Flusser. Dieses Interesse haben zuerst die  Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrer  “Nomadologie” ausformuliert, die dann der polnische Künstler  Krzysztof Wodiczko zuspitzte: “Der Künstler muß als nomadischer Sophist in einer migranten Polis aufzutreten lernen,” schrieb er, denn die Arbeitsmigranten nehmen immer mehr zu. Für diese “Überflüssigen” (Zygmunt Baumann) gibt es keine “freien” Länder mehr – zum Auswandern, und in ihren Heimatländern nur immer prekärer werdende  Jobs. “Die Flüchtlinge, Gastarbeiter, Asylsucher und Obdachlosen” sind  deswegen laut Neal Ascherson zu Subjekten der Geschichte geworden, d.h. “die Fackel der Befreiung” ist  von den seßhaften Kulturen an “unbehauste, dezentrierte, exilische Energien” weitergereicht worden, “deren Inkarnation der Migrant” ist – so der Exilpalästinenser Edward Said. Die Plätze, Märkte, Parks und Bahnhofshallen der großen Städte werden durch sie zu neuen “Agoren” (Versammlungsplätze in der griechischen Polis), ansonsten sind sie jedoch “unfaßbar” (Aperoi), wie Herodot die (skythischen) Nomaden nannte. In der besonders von Abwicklung betroffenen Industriestadt Berlin gibt es auch besonders viele Aperoi – und auf sie orientierte Künstlerinitiativen: Neben den Wagenburgen  der Rollheimer u.a. das “Institut für Nomadologie” der Weißenseer Kunststudenten. 2005 gab es am Haus der Kulturen der Welt ein “Nomad Plaza” von koreanischen Schamanenkünstlern, in der Humboldt-Universität den ersten Roma-und-Sinti-Kongreß der EU sowie mehrere “No Border”-Aktionen – unter Beteiligung des “Bundesverbands Schleppen & Schleusen”. Nirgendwo sonst gibt es so viel “Fluchthilfe-Know-How” wie in Berlin, meinte der Jesuit Christian auf dem “1. Fluchthelfer- Kongreß” in Kreuzberg. Vom berühmtesten Fluchthelfer, Oskar Huth, veröffentlichte der Merve-Verlag einen “Überlebenslauf” und das “Schlepperbanden-Museum” am CheckPoint Charly ist die bestbesuchteste Dauerausstellung der Stadt. Hier erfand die Dramaturgin Hannah Hurtzig auch 2003 die “Mobile Akademie”, in der kürzlich ein Tanzkongreß 2006 eröffnet wurde. Und Ende Mai erschien anläßlich des 800jährigen Jubiläums des größen Nomaden-Heerführers  Dschingis Khan die erste mongolische Zeitung auf Deutsch: “Super-Nomad” – initiiert von Dondog Batjargal, der in Ulaanbaatar die Jugendzeitung “Super” herausgibt, an der diese deutsche Nomadenzeitung angebunden ist. Die zweite Ausgabe erscheint in dieser Woche!

Umgekehrt gibt es seit 2003 in Ulaanbaatar ein Restaurant namens “Modern Nomads” – für die Mongolei studierenden  Westeuropäer. Im selben Jahr stellte ein Berliner Architekt am “Tacheles” ein Super-Containerensemble auf – als Wohnmodell für nomadische Gutverdiener. Für die Schlechtverdiener ist jetzt dagegen die Zeit, sich ihre alten Lastwagen, Zirkuswagen und LKW-Anhänger zu “Mobile Homes” auszubauen. Sie gehen auf die mongolisch-tatarischen Planwagen zurück, aus denen später die erstmalig mit Pistolen ausgerüsteten Hussiten bäuerliche Kampfwagen machten. Die partisanischen Kosaken rüsteten ihre “Tatschankas” im Aufstandsfall mit leichten Kanonen und Maschinengewehren aus. Nach dem Angriff wandelten diese “Unfaßbaren” sie wieder in harmlose Bauernwagen um. Die Siedlertrecks in Amerika und Südafrika taten es ihnen später nach. Heute haben sich in den diversen Rebellenarmeen die “Pick-Up-Trucks” durchgesetzt, wie der HUB-Kriegsforscher Herfried Münkler beobachtete. Kein Wunder, dass sich beim Berliner Mop (den Mobile People) gerade die NVA-Laster großer Beliebtheit erfreuen.

Aus diesem Kreis interviewte ich einmal zwei Frauen:

“Das Wort ‘Wohnwagen’ scheint sagen zu wollen, daß die Dialektik des unglücklichen Bewußtseins dabei ist, überholt zu werden, und daß wir dabei sind, glücklich zu werden.,” schrieb Vilem Flusser einmal. Trotz massenhaft leerstehender Häuser und Wohnungen entwickelte sich in Westberlin in den Siebzigerjahren unter den jungen Leuten ein starker Hang zu Wohnwagen, die sie sich ausbauten, um Leben und Mobilität miteinander zu verbinden. Gleichzeitig wurden jedoch auch die leerstehenden Immobilien immer attraktiver, zumal wenn deren Besetzung auf eine senatsgeförderte Objektsanierung hinauslief. So rückten die Bauwagen der Handwerker in den Kiez ein, von wo aus sie bei Demonstrationen regelmäßig zu brennenden Barrikaden umfunktioniert wurden. Damit war das “Massenmedium Bauwagen” geboren, was den von der Öko-Gentryfication Betroffenen erst recht die “Rollheimer”-Siedlungen attraktiv machte. Auf den innerstädtischen Brachflächen entstand eine “Wagenburg” nach der anderen. Nach der Wende wurden die meisten geräumt bzw. an den Stadtrand verfrachtet, gleichzeitig gab es jedoch ein großes Angebot an NVA-Lastwagen und DDR-Bauwagen. Eine Rollheimer-Siedlung, neben dem Georg-von-Rauch-Haus am Mariannenplatz, gibt es bis heute. Dort wohnen u.a. Mandy und Lia. Erstere erzählte mir einmal: “Lia, meine Freundin nebenan, ist viel unterwegs, ohne ihren Wohnwagen, aber meist zieht sie von Wagenburg zu Wagenburg, auch im Ausland. Sie ist noch als Studentin versichert, verdient ihr Geld aber im Puff in der Adalbertstrasse. Ich geh da auch manchmal hin zum Anschaffen, wenn ich nichts mehr zu beißen habe. Das mach ich auch in anderen Orten so: Da wohn ich meist in einer Wohnwagensiedlung und kuck mich dann nach einem Bordell in der Nähe um.

Das scheußlichste Erlebnis, das Lia und ich bisher hatten, war die gewaltsame Räumung der Wagenburg am Engelbecken. Aber dabei lernten wir Christian kennen, einen Jesuitenpriester, der in einer Wohngemeinschaft von ehemals Obdachlosen in der Naunynstrasse lebt und als Schweißer bei Siemens arbeitet. Sein Freund, ebenfalls ein Jesuit, arbeitet in einem Taxikollektiv. Die beiden organisierten den Widerstand gegen die Räumung mit. Das war wiederum eine sehr schöne Erfahrung. Obwohl ich später fand, dass die beiden schon fast zu vorbildlich leben und arbeiten. Auf dem darauffolgenden Autonomen-Kongreß im Mathematikinstitut der TU schälten sie zum Beispiel für alle Teilnehmer Kartoffeln, damit die zwischendurch eine warme Mahlzeit bekamen. Die asketische Einstellung der beiden Jesuiten, hat man mir mal erzählt, hat etwas damit zu tun, dass sie ihre ganze, ungeteilte Liebe den Sakramenten widmen sollen. Das finde ich aber auch übertrieben – männlich, ich weiß nicht…”

Nach der Räumung fuhr Mandy mit ihrem Wohnwagen erst einmal ins Allgäu. “Dort fand gerade in der Nähe das ‘Kornhausseminar’ statt, wo unter anderem der Philosoph Vilèm Flusser einen Vortrag hielt – über die Küche der Zukunft. Am letzten Tag half ich ihm und seiner Frau noch stundenlang, ihren weggelaufenen Hund im Wald wieder zu finden – vergeblich. Abends kam er dann jedoch von selbst wieder zurück. Flusser hatte sich schon fast mit dem Tod seines Hundes abgefunden und tapfer jeden Anflug von “Sentimentalität”, wie er das nannte, niedergekämpft. Als ich wieder nach Berlin zurückfuhr, begleitete mich ein Wagenburgler von der Eastside-Gallery, die inzwischen auch schon lange geräumt ist. Seine Mutter arbeite in der taz, erzählte er mir. “Cool,” meinte ich, “überhaupt nicht,” antwortete er. Die hätten dort beispielsweise eine italienisch geführte Kantine und wenn ihn seine Mutter zum Essen mitnehme, würde die Bedienung sich weigern, ihm einen Teller hinzustellen – weil er zu schmuddlig aussehe. Seine Mutter würde sich daraufhin zwar jedesmal beschweren, aber irgendwie sei sie doch der selben Meinung wie die Kellner.”

Mandys Eltern leben in Kaiserslautern, einmal besuchte ihre Mutter sie in der Wagenburg am Mariannenplatz. Sie war erschüttert, wie ihre Tochter dort lebte: “Schlimmer als die Zigeuner!” Dabei war sie selbst aus ihrer Wohnung geflüchtet, weil sie es mit ihrem Mann, Mandys Vater, nicht mehr ausgehalten hatte. Aber auch Mandy ging es nicht gut: Sie fühlte sich von einigen Freiern regelrecht verfolgt: “Während der ganzen Zeit war mein Wagen eine Hochburg der Paranoia, die sogar Lia erfaßte. Darauf folgte bei mir eine längere Phase der Euphorie – über die ansonsten nichts weiter zu sagen ist. Und dann überfiel mich eine Depression, die leider noch immer anhält und über die ich deswegen nichts erzählen will, um sie nicht noch realer zu machen als sie ohnehin schon ist.  Aber jedesmal hat sich der Zustand meines Wohnwagens verändert: Erst stand er schief, so dass einem ständig der Tee aus den Tassen schwappte; dann schloss die Tür nicht mehr richtig, so dass ich mich ständig beobachtet oder belauscht fühlte, und nun tropft es durchs Dach. Ich wette, bei meinem nächsten seelischen Zustand verziehen sich die Bodenbretter oder der Ofen rußt  oder was weiß ich. Jedenfalls reagiert so ein Wohnwagen viel sensibler auf seine Bewohner als das beim sozialen Wohnungsbau jemals der Fall sein könnte.”

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/12/18/bewegungs-avantgarde/

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kommentare

  • Ende 2007 veröffentlichte Gabriele Goettle zum “65.Jahrestag des Auschwitz-Erlasses” einen langen Text über den “ewigen Antiziganismus”:

    Ein Neugeborenes im Stall, gebettet auf Heu und auf Stroh, und ein bitterarmes Elternpaar an seiner Seite, das ist das Sinnbild christlicher Weihnacht … Wenn es einer rumänischen Zigeunerin in Rom passiert, dann stehen draußen vor der Tür keine Heiligen Drei Könige mit ihren Gaben, sondern bewaffnete Karabinieri in schwarzer Kampfuniform oder Neonazi-Schlägertrupps mit Knüppeln.

    In Italien, ist man sich von rechts bis links einig darin, einer aus Rumänien stammenden Zigeunerplage mit Notstandsmaßnahmen entgegentreten zu müssen. Nachdem ein rumänischer Bürger, ein Roma, eine römische Bürgerin überfallen, vergewaltigt und ermordet hat, werden überall in Italien Siedlungen, Wohnwagen und illegale Hütten rumänischer Zigeuner durchsucht und geräumt. Im Kielwasser dieser Bluttat ließen Behörden und Politiker ihren Ressentiments freien Lauf.

    Es ist wirklich erstaunlich, wie umstandslos in solchen Momenten jede Political Correctness beiseite gelassen und als leeres Gerede kenntlich gemacht wird. Jetzt werden offene Worte gesprochen, der Auftakt zur Pogromstimmung gegen jedwede Zigeuner, seien sie nun italienische Staatsbürger oder aus Osteuropa. Das Kabinett in Rom beschloss in einer Sondersitzung ein sofort wirksames Gesetzesdekret, das die umstandslose Ausweisung nicht nur krimineller EU-Bürger erlaubt, sondern auch die Ausweisung solcher EU-Bürger, in denen die Behörden eine “Gefahr für die öffentliche Sicherheit” vermuten. Es ist belanglos, ob sie sich etwas zu Schulden kommen ließen oder nicht. Der Bürgermeister von Rom: “Europa kann nicht bedeuten, dass Rumänien einfach die Schleusen öffnet.”

    Die Ereignisse in Italien fallen fast mit dem 65. Jahrestag des sogenannten Auschwitz-Erlasses zusammen.

    Auf Befehl des Reichsführers SS vom 16. 12. 1942 – Tgb. Nr. 12652/42 Ad/RF/V – sind Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen.

    Das bedeutete Verhaftung und Internierung aller europäischen Zigeuner in Sammellagern, Schaffung eines “Zigeuner-Familienlagers” in Auschwitz, weitere Deportationen in dieses Lager, einem eigenen Komplex innerhalb des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.

    Die “Regelung der Zigeunerfrage” war den Nazis von Beginn an wichtig, ihre rassehygienischen Untersuchungen und Forschungen hatten ein einziges Ziel: Erfassung, Absonderung und Ausschluss “artfremden Blutes” aus der sogenannten Volksgemeinschaft und letzten Endes Vernichtung. Zigeuner wurden ebenso wie die “Erbkranken” Opfer von Zwangssterilisationen. Ebenso wie die Juden fielen sie unter die Nürnberger Gesetze, ebenso wie die Juden trafen sie harte Einschränkungen und Berufsverbote und auch solche Absurditäten wie der Zwang zur Entrichtung der “Rassensondersteuer” bei der Lohnsteuer. Ab 1938 gab es Einweisungen in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald und später auch Mauthausen. Am 16. 10. 1939 wird vom “Sicherheitsdienst-Donau” mitgeteilt, dass an den ersten, am 20. Oktober 1939 von Wien abgehenden “Judentransport” auch noch drei bis vier Waggons Zigeuner angehängt werden können.

    Die systematische Ermordung von Zigeunern begann im Sommer 1941, beim Überfall auf die Sowjetunion. Zu Tausenden fielen sie den Massenerschießungen der SS-Sondereinsatztruppen – unterstützt durch Wehrmachtseinheiten – zum Opfer. Zigeuner wurden ebenso wie die Juden interniert bis zum Weitertransport nach Auschwitz. Im Ghetto Lódz wurde 1941 ein streng abgeriegeltes Zigeunerlager eingerichtet und unter schlechtesten Bedingungen belegt. 1942 wurden die 5.000 Überlebenden im Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) in stationären Vergasungswagen ermordet.

    Danach wurden die Zigeuner in Massen nach Auschwitz-Birkenau gebracht, wo sie durch Arbeit, Hunger und Krankheiten systematisch vernichtet wurden. Im Februar 1943 treffen die ersten Familien aus dem Reichsgebiet ein, 828 Personen, Männer, Frauen, Kinder, sie werden mit der Häftlingsnummernserie “Z-” tätowiert. Die Zigeuner werden Selektionen unterworfen und insbesondere auch den medizinischen Menschenversuchen des Dr. Mengele. Das Zigeunerlager hat die höchste Todesrate in Auschwitz. Am 2. August 1944 wird das Lager aufgelöst. Von den noch lebenden Menschen werden 1.408 in andere Lager gebraucht. Nach dem Abendappell, so steht es im “Gedenkbuch der Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau” verzeichnet, wird im Zigeunerlager Lagersperre angeordnet. Am selben Abend werden die noch im Zigeunerlager verbliebenen 2.897 Menschen mit Lkws zu den Gaskammern des Krematoriums V gebracht und dort vergast. Ihre Leichen wurden in den Gruben beim Krematorium verbrannt.

    Die Zahl der in Europa bis zum Kriegsende in Konzentrationslagern und durch die Einsatzgruppen der SS ermordeten Zigeuner wird auf eine halbe Million geschätzt. Die Überlebenden waren auch nach dem Krieg von elenden Lebensbedingungen und den eingefleischten Vorurteilen betroffen. Der Völkermord an den Zigeunern drang erst durch die Initiativen von Roma-Organisationen allmählich ins deutsche Bewusstsein. Das hat sich aber nicht in großzügigen Regelungen zur “Wiedergutmachungszahlung” für die Überlebenden niedergeschlagen, sondern in einer zähen Verschleppung.

    Unvergesslich ist mir die kochende Volksseele in Rostock gegen die wegen Überfüllung der Aufnahmestellen im Freien campierenden rumänischen Zigeunerfamilien. Das war Pogromstimmung im wiedervereinigten Deutschland. Gerade die rumänischen Zigeuner sind in besonderer Weise geplagt worden. Der rumänische Schriftsteller Mircea Cartarescu schrieb im November in der Neuen Zürcher Zeitung:

    “Vielleicht sollte man sich von Zeit zu Zeit die historischen Wurzeln des Problems vergegenwärtigen. Die Rumänen in der Walachei und der Moldau machten sich – als Einzige in Europa – Zigeuner zu Sklaven, mit fester Bindung an den Boden. So wurden die Zigeuner – herausgerissen aus ihrem natürlichen Nomadendasein – auf den Gütern ihrer Besitzer zwangsweise sesshaft. Aus Menschen im Stand der Freiheit wurden auch hier wie im Falle der schwarzen Sklaven Amerikas sprachbegabte Arbeitstiere.

    Über einige Jahrhunderte hinweg konnten sie gekauft und verkauft werden, Familien wurden auseinandergerissen, die Kinder von den Müttern, die Frauen von ihren Männern getrennt, die jungen Frauen in aller Regel von den Besitzern vergewaltigt […]

    Der Gnadenstoß, den wir dieser uralten Bevölkerung gaben, war paradoxerweise die Befreiung der Zigeuner von ihrem Sklaventum im Zuge des 1848er Enthusiasmus, von dem die neue, prowestliche rumänische Elite des 19. Jahrhunderts erfasst war. Es geschah nicht zum ersten Mal, dass Menschenfreundlichkeit in schreckliche Katastrophen führte. Man rief die Zigeunersklaven vor die Gutshäuser hunderter aufgeklärter Bojaren, um ihnen kundzutun: ,Brüder, ab nun seid ihr frei! Geht, wohin euch die Schritte tragen.’ […] Hunderttausende Zigeuner waren plötzlich frei, Hungers zu sterben.”

    Ganz ähnlich erging es ihnen nach dem Niedergang des Kommunismus. Denn wie 1956 in der UdSSR der Oberste Sowjet ein “Verbot der Nomadenlebensweise” erlassen hat, gab es auch in den anderen sozialistischen Ländern Direktiven zur Assimilierung und Sesshaftmachung der Zigeuner, gab es Zwangsum- und -ansiedlungen in den Industriegebieten, Sanktionen und Repressalien und Arbeitspflicht als Hilfsarbeiter mit meist körperlich schwerer Arbeit. Der Kommunismus nahm den Zigeunern die Geige und gab ihnen Hammer und Sichel in die Hand, sagt ein Spruch. Heraus kam ein entwurzeltes Arbeitsleben. Die Chance war vertan, ihnen eine Art Nationalitätenstatus zuzuerkennen, nicht nur Schulpflicht und Ausbildung anzuordnen, sondern ihnen auch die Pflege ihrer kulturellen und familiären Traditionen, ihrer Handwerke, Sprachen, Musik, Sitten und Familien zuzubilligen. “ZIGEUNER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH!” lautete 1926 ein Aufruf der Moskauer Allrussischen Zigeunerunion. Aber es war nur Rhetorik (E. E. Kisch hat in einer seiner Reportagen “Zaren, Popen, Bolschewiken” davon erzählt – sie wurde übrigens nicht in die sechsbändige Kisch-Ausgabe aufgenommen, die der Aufbau-Verlag 1954 herausgab). Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der Entindustrialisierung, Entkollektivierung, dem massenhaften Verschwinden von städtischen und landwirtschaftlichen Betrieben, waren die Zigeuner quasi frei und Herren ihres Schicksals, sie durften als Nichtsesshafte wieder ihrer Wege gehen, geradewegs ins Verderben. Viel hatten sie nicht mehr in den Händen, Geige und Improvisationstalent mussten erst wieder erlernt werden. Und auch das Fortwandern nach dem Öffnen der Grenzen, das Bettelngehen ganzer Familien in der Fremde.

    Eigentlich unterscheidet sich die Zigeunerpolitik der sozialistischen Länder kaum von der in den kapitalistischen Ländern. Es soll immer herumerzogen werden wie an unmündigen Kindern. Pädagogik und Zwang, Ordnung und Sauberkeit, Disziplin und Unterordnung, erst wenn das sitzt, gibt es Anerkennung. In der DDR gab es seit 1950 eine Regelung für die Anerkennung als “Verfolgte des Faschismus”, berücksichtigt wurden nur solche Zigeuner, die nachweisen konnten, dass sie aus rassischen Gründen im KZ waren und nicht wegen “Arbeitsscheu” und asozialem Lebenswandel. Zudem wurde eine Entschädigungszahlung abhängig gemacht von dem Nachweis, dass der Antragsteller seit 1945 beim Arbeitsamt registriert war. Reimar Gilsenbach, ein DDR-Schriftsteller, hat verdienstvollerweise viel Material zusammengetragen über die Lage der Zigeuner in der DDR (leider ist er mitten in seinem großen Projekt “Weltchronik der Zigeuner” gestorben, nur ein Teil konnte noch erscheinen).

    Die Abgebildeten sind Zigeuner aus Rumänien. Wir lernten sie Anfang der 90er-Jahre kennen. Sie bildeten so eine Art avantgardistische Vorhut, denn sie hatten ihre Alten in einem entlegenen Dorf zurückgelassen und mit ihren Frauen und Kindern den Weg bis nach Szczecin (Stettin) geschafft. Weit außerhalb der Stadt hatten sie sich am Rande einer riesigen Müllkippe provisorische Unterkünfte gebaut. Aus Angst vor Vertreibung und Diebstahl trugen sie ihre sämtliche Habe in große Tücher geknüpft stets bei sich. Tagsüber arbeiteten sie als damals noch stillschweigend von Geschäftsleuten und Polizisten geduldete Bettler. Nachmittags machten sie sich hoch bepackt auf den weiten Rückweg. Nahrung und ausreichende Mengen Trinkwasser mussten sie auch noch mit sich führen. Abends bereiteten sie sich ihr Essen auf einem wunderbaren selbst erfundenen Ofen zu, einer Waschmaschinentrommel. Sie erlaubten uns, ein kleines Weilchen bei ihnen zu bleiben. Sie waren überaus freundlich und liebenswürdig. Sie waren sehr liebevoll zu den Kindern, streichelten und berührten sie oft, sie rauchten viel und gerne und waren eigentlich guter Hoffnung, dass sich ihre Lage mehr und mehr bessern würde. Der Bulibascha schrieb uns zum Abschied seine Adresse auf und lud uns ein in sein Heimatdorf. Aber wir kamen nie bis zu den Karpaten, leider.

    Seit der Osterweiterung der EU sind die Zigeuner mit etwa zwölf Millionen die größte Minorität in Europa. Zugleich sind sie die am meisten von Diskriminierung, Verfolgung und Benachteiligung betroffene Gruppe. Ihr Einfluss ist äußerst gering, besonders in Osteuropa, wo sie ausgegrenzt und ihre Kinder in Sonderschulen deponiert werden, in der Regel. Zwar ist Romanes, die Sprache der Zigeuner, von EU und OSZE als offizielle Amtssprache anerkannt, das ist aber nicht mehr als eine symbolische Geste.

    Was ich noch anmerken möchte:

    Ich verwende die Bezeichnung Zigeuner, wie unschwer zu erkennen ist, nicht pejorativ. Dass politisch korrekte Menschen Sinti und Roma sagen und weihevoll hinzufügen, “Rom” bedeute Mensch, ist bekannt. Dass aber “Rom” in Romanes oder Romani chib nicht Mensch bedeutet, sondern Mann, den Gatten, den Zigeuner meint, ist vielleicht weniger bekannt. Mensch und Zigeuner heißt in Romanes “Manusch”, die weibliche Form ist “Manuschni”. Das nur für die pädagogisch Beseelten, die immer zugleich auch wissen, was gut und richtig ist für die Zigeuner, was sie zu Unseresgleichen macht, damit wir sie nicht mehr so fürchten, verfolgen und verachten müssen.

    Was ich noch unbedingt fragen möchte:

    Weshalb eigentlich werden Zigeuner derart missachtet?

    Zigeuner haben in ihrer mehr als sechshundertjährigen Anwesenheit in Europa nie ein Land erobert, nie einen Krieg geführt, nie einen Staat gegründet.

    Selbst ein alle Verschiedenheiten übergreifendes Selbstverständnis als Volk oder Nation ist den meisten nicht so besonders wichtig.

    Sie beuten weder die Rohstoffe noch die Fischgründe unserer Erde aus.

    Sie emittieren nicht all die Schadstoffe, die pro Kopf anfallen.

    Sie fliehen vor dem Militärdienst. Sie verachten die Lohnarbeit.

    Die Mehrzahl der Zigeuner lebt jenseits von Börsen, Bilanzen und Renditen.

    Sie scheinen es nie zu lernen, immer nur nach dem Mehrwert zu schielen.

    Ist es das?

  • Der Verdacht erhärtet sich.Tschechiens Minderheiten(Roma und
    Sinti)werden rationalisiert, indem man die Kinder den Eltern
    wegnimmt, in Kinderheime steckt und arisch(tschechisch)
    erzieht. Die Mehrheit der Säuglinge, Babys und Kleinkinder
    stammen von Zigeunern ab, die die tschechischen Kinderheime
    bewohnen.
    Mit dieser unmoralischen Kindesentführung, das das tschech-
    ische Gesetz unterstützt, wird die Fortverpflanzung und Kultur der Romas und Sintis vermindert und mit der Zeitvernichtet. In naher Zukunft wird es keine Roma und Sinti in
    Tschechien geben, die kommende Generation wird tschechisch gedrillt und erzogen.
    Die Tochter meines tschechischen Romafreundes Zdenek Cureja,
    wurde am 25.08.2006 mit der Begründung, er kann keinen festen
    Wohnsitz nachweisen, ins Kinderheim “entführt”, das weit weg
    von seinem Wohnort Vimperk ist, damit er seine Tochter Franziska, heute 37 Monate alt, nicht regelmäßig besuchen kann. Seine Eltern und Schwester hätten Franziska eine Unter-
    kunft geben können, bis Zdenek eine Unterkunft gefunden hätte,doch das Jugendamt wollte dies nicht.
    Nicht Sozialamt,nicht Jugendamt hilft ihm finanziell oder mit
    Wohnung, es wurden nur Auflagen gemacht.
    Aufgrund seiner Abstammung und dunkleren Hautfarbe hat er
    Probleme, eine Arbeit und Wohnung zu finden.Ich als weißer
    Deutscher habe miterleben müssen, wie mein Romafreund von tschechischen Bürgern diskriminiert und behandelt wurde.
    Seit dem 01.09.2006 kann mein Freund Zdenek Cureja eine feste
    Unterkunft nachweisen, für Miete und Verpflegung komme ich auf. Das Jugendamt interessiert die erfüllten Auflagen nicht,
    sie haben erreicht was sie wollten, das Kind von einem Roma
    ist entwurzelt, wird nach den tschechischen Regeln und
    Kulturen erzogen.
    Von Regierungsseite wird nicht ausreichend geholfen. Tschechien hat sich dem westeuropäischen Preisverhältnis
    angepasst. Um als Zigeuner in Tschechien zu überleben, ist man gezwungen, sich Nahrung anderweitig zu besorgen. Dies
    kommt der tschechischen Regierung sehr zu Gute, man hat einen Grund, die Minerheiten, vor allem Zigeuner, wegzusperren und die Städte und Straßen frei von dem “Abschaum” zu machen,
    damit mehr Touristen und Geschäftsleute nach Tschechien
    mit Devisen kommen.
    Vieles kann ich nur erraten und mit Ungewissheit vermuten, die Beweise fehlen mir, doch der ganze Ablauf deutet darauf-
    hin, dass mein Verdacht, die Endlösung der tschechischen
    Minderheiten von Romas und Sintis hat begonnen.

    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die das Selbe Schicksal
    miterleben.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die mitfühlen, da ihnen
    auch was Liebes genommen wurde.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die die Worte Gottes in
    aller Welt weitergeben und nicht an Seinen Nächsten denken.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die Nächstenliebe nur an
    Weihnachten fühlen.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, auch der Papst Benedikt VXI im Vatikan, der auf Briefe nicht antwortet, obwohl es um
    ein Kind Gottes handelt, aber nur in der Bibel und nicht in
    der Gesellschaft.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die vom Bürger gewählt
    wurden.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die Minderheiten verachten und verurteilen.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die sich vereidigen lassen.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die das Volk vertreten.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die in der Regierung sitzen, vor allem der tschechische Präsident Vaclav Klaus, der an vielem mitschuldig ist.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die die Macht haben, gegen das Vorhaben der Minderheitszerstörung.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die wieder gewählt werden möchten.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die für Gerechtigkeit
    sind.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die mit mir fühlen,
    denken und meiner Meinung sind.
    Dieses Schreiben sollen alle lesen, die solidarisch mit Roma
    und Sinti sind.

    Die Töchter und Söhne gehören nicht ins Kinderheim, sie
    gehören in die Obhut ihrer liebenden Väter und Mütter.

    Gesetz die erlauben, dass eine Kultur und Liebe die
    Zerstörung einer Familie erlaubt, ist kein Land, das
    Respekt in Europa verdient.

    Zu diesem Schreiben stehe ich und werde es in die Welt
    rufen, wenn es von mir verlangt wird.

    Würde mich freuen, wenn Sie meinen Kommentar veröffentlichen
    und die tschechische Regierung die “entführten Kinder”
    ihren Eltern zurück geben.
    Würde mich freuen, wenn die Roma und Sinti, sowie die
    tschechische Bevölkerung der Regierung meinen Verdacht
    nachweisen können und alle Kinder aus dem Kinderheim
    nach Hause entlassen werden, die Jugend- und Sozialämter
    besser kontrolliert werden, damit Familien
    nicht dies mitmachen müssen, was Zdenek und ich seit
    11 Monaten mitmachen.

    Ich bedanke mich und verbleibe

    Mit freundlichen Grüßen
    Helmut Schleeweiß

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