vonHelmut Höge 09.05.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Eine WDR-Redakteurin vermeinte, ich sei  ein Chinarestaurant-Forscher, sie verwechselte das mit meiner Poller-Forschung. Schuld daran war ein taz-Artikel über das Große Chinarestaurant-Sterben in Berlin und drumherum, den wir zuvor in der tazzwei-redaktion diskutiert hatten – im taz-café, wo es an dem Tag gerade etwas Chinesisches zu essen gegeben hatte. Die Küche dort wird auch immer chinesischer, hatten wir  noch gedacht. Obwohl  die taz-köchin Nancy  sie eigentlich  eher lateinamerikanisch prägt. Aber der ganze China-Hype, hat sich in der taz langsam auch kulinarisch durchgesetzt. Im taz-café hatte dann auch noch der Film von Susanne Messmer über die Pekinger Scene und der Film von Fang Yü über vier Taxifahrerinnen in seiner Heimatstadt Premiere. Und dann eröffnete vis à vis von der chinesischen Botschaft das China-Restaurant “Ming-Dynastie”, wo man gut essen kann. Dass ich dann den Artikel über das Chinarestaurant-Sterben schrieb, verdankte ich der wirklichen Chinarestaurant-Forscherin Dorothee Wenner, die den Auftrag an mich weitergab.
In Deutschland gab es nie  “Chinatowns” – wie sonst überall: die Chinesen siedelten sich hierzulande dort an, wo es noch Platz für ein China-Restaurant gab, also stets  mit  maximalem Abstand zu anderen Chinesen. Folgerichtig waren sie, als die Mauer fiel, die ersten Westler, die Ostdeutschland mit ihren Restaurants überzogen – flächendeckend. Und manchmal mit chinesischem Humor: so nannte z.B. der Wirt in Bitterfeld sein Restaurant “Verbotene Stadt”. Bis dahin hatte es bloß ein China-Restaurant in der DDR gegeben: Friedrichstraße Ecke Leipziger, wo man den Tisch ein ganzes Jahr im voraus bestellen mußte.

Die meisten Chinesen im Westen waren  Dissidenten, Hongkong- und Nationalchinesen (aus Taiwan) – letztere zog es vor allem nach Westberlin. In der Frontstadt – die CDU vorneweg – empfand man ähnlich wie die Leute auf Taiwan: “Wir sind eine  kleine Insel in einem  Roten Meer – und leistete deswegen schnelle und unbürokratische Hilfe, wenn es sich um die Brüder und Schwestern aus dem (Fernen) Osten  handelte – auch und gerade bei chinesischen Geschäftsleuten, die man manchmal sogar an allen pingeligen Ausländerbehörden vorbeilotste. Hinzu kamen mit der Zeit auch einige, die hier studierten – und dann blieben. Sie waren zwar “links politisiert”, leisteten aber trotzdem ihrer Community (5500 Chinesen leben allein in Westberlin) gute Dienste – und kümmerten sich u.a. um das in Hamburg herausgegebene Vereinsblatt. Im übrigen machten auch sie irgendwann Geschäfte mit Hongkong und Taiwan oder eröffneten hier ein China-Restaurant.

1990 fing die taz-Autorin Dorothee Wenner an, all diese etwa 800 Restaurants zu photographieren – von außen; ab 1991 auch die neueröffneten in Ostdeutschland, und dann sogar weit darüber hinaus. Eingerichtet waren alle Restaurants durchgehend entweder im überladenen “Palast-Stil” der Mandschu- und Ming-Dynastie oder im schlichteren “Teehaus-Stil” der Sung- und Tang-Dynastie. Beide  kamen dem überwiegend von Kitschfilmen geprägten China-Bild der Deutschen entgegen. Entstanden waren sie jedoch aus dem europäischen “Hotelstil”, der erst amerikanisiert wurde und dann mit den expansionistischen Bestrebungen der USA nach China gelangte – wo man ihn sinisierte. Als solcher kam er dann nach 1949 wieder quasi zurück nach Deutschland – mit eben den  China-Restaurants.

Die Einrichtungsgegenstände (von Pagodentorbögen, Glasschnitzereien und Glas-Jade-Paravents über Holzwandbilder, Plastik-Drachensäulen, -Phönixes, Buddhas  und goldene Löwen vorm Eingang bis zu Reisschalen, Tassen und Eßstäbchen) liefert die Firma “Sino-Deco Berlin” in der Naumannstraße, die von einem deutschen Wirtschaftswissenschaftler und Sinologen zusammen mit  einer chinesischen Ingenieurin gegründet wurde. Sie lassen ihre Waren in Taiwan und Hongkong produzieren. Die Inhaberin des zweistöckigen China-Restaurants am U-Bahnhof Weinmeisterstraße kaufte z.B. für über 800.000 DM Einrichtungs und Außenverkleidungs-Gadgets bei ihnen. Jetzt ist dort aber ein Tex-Mex-Laden drin. Aus dem großen China-Restaurant in der Torstraße machte die Künstlerin Laura Kikauka den  “White Trash”-Club.

Mit den China-Restaurants geht es zu Ende! Das ist die Folge der großen Imagekorrektur, die China gerade durchmacht – und zu der diese Restaurants nicht mehr recht passen. Wir, die Gäste, haben uns auch noch nicht daran gewöhnt, dass China bald den Ton angibt. Die Wirtschaftsstudenten an den Fachhochschulen scheinen es aber schon geschnallt zu haben: immer mehr studieren nebenbei Chinesisch. Und auch die “Multiplikatoren” Georg Blume (taz) mit seiner japanischen Frau und Mark Siemons (faz) mit seiner Hongkongerin sind nicht aus Langeweile nach Peking gezogen, von wo aus sie nun die Heimat regelmäßig mit “Peking-Enten” versorgen, wie ihre Kolumnen hier genannt werden. Auch Christoph Dieckmann, der mit einer Taiwanesin verheiratet ist, überlegt sich diesen “Ausweg” angeblich. Und viele Nichtjournalisten ebenfalls: Neulich bekam ich bei einem Stehimbiß in der Konrad-Adenauer-Stiftung mit, wie ein rechter Historiker einen exmaoistischen Reifenhändler fragte: “Sie sind schon wieder auf dem Langen Marsch, hörte ich…?” “Ja,” bestätigte der, “nach Shanghai haben wir jetzt auch noch in Kanton eine Filiale eröffnet.” So reden heute die Westberliner. Udo Waltz ist da in Peking schon fast die Nachhut! Das Riesenreich lockt daneben aber auch zigtausend Kanalisationsdeckeldealer hervor, in fast allen Ländern: China zahlt Traumpreise für Altmetalle – Sero war der reinste  Finderlohndrücker dagegen! Ein Moabiter Schrotthändler verlangte neulich schon fast verzweifelt auf einem Transparent an seinem Zaun: “Gullydeckel für China!” Im Wedding und in Reinickendorf gibt es bereits Dutzende von Hartz-IV-Empfänger, die auf ihren langen Atem vertrauen und keine Pfandflaschen mehr zurückbringen – mit der Begründung: “Warts ab, in ein paar Jahren zahlt der Chineser mir dafür ein Vermögen.” Einen wirklichen Reibach machen unterdes  die Eisenhüttenstädter Stahlwerker, die für Arcor das Roheisen aus dem Feuer holen, während die Luxemburger Konzernspitze sich gegen eine feindliche Übernahme nach der anderen wehren muß. “Ich sage nur Kina, Kina, Kina,” meinte der Eisenhüttenstädter Werksleiter kürzlich. Für die Stadt fällt dabei eine hochdotierte Stahlstiftung nach der anderen ab. Für die China-Restaurants ist das aber alles nur schädlich! Die Chinesen sind jetzt auch die ersten, die ihre Fabriken auf Billiglohnschiffe gepackt haben: Ihre Frachter, die Tropenhölzer aus Brasilien rausholen – verarbeiten diese bereits während der Fahrt an Bord. Auf dem Festland sind derweil zigtausend chinesische Holzfäller dabei, die sibirischen Wälder zu Eßstäbchen zu verarbeiten, wie der Spiegel schreibt.

Wir haben diese Sinisierung noch gar nicht richtig begriffen. Als die Chinesen neulich verkündeten, sie würden nun selbst Magnetschwebebahnen bauen – und das “Transrapid-Konsortium” (u.a.Siemens) damit aus dem Geschäft warf, maulte die Boulevardpresse: “Sie haben uns das  gute deutsche Know-How geklaut.” Umgekehrt wird ein Schuh draus: Als das Reich der Mitte schon die ersten Boulevardzeitungen verbot (unter Konfuzius – vor über 2500 Jahren), hockte man hier noch auf Bäumen – und dachte nicht einmal in den kühnsten Träumen daran, den deutschen Wald zu Papier zu zerschreddern. Der Nationale Volkskongreß der KP Chinas hat das kürzlich in seinem Abschlußcommuniqué noch einmal deutlich herausgestellt: “Kein Rundauge oder Longnose wird  es jemals wieder wagen, einen Chinesen auch nur scheel anzukucken… Wenn wir auf Kurs bleiben.” Und die Botschaft scheint langsam hier verstanden zu werden. Leider müssen die China-Restaurants das ausbaden.

Aber auch Dorothee Wenner hat das zu spüren bekommen: Sie wollte einer Kunstgalerie in Taipeh eine Ausstellung mit Dias von deutschen China-Restaurants nahelegen. Zu diesem Zweck schickte die Berliner Taiwanese Agency sie sogar auf Staatskosten in ein Fünfsternehotel der Kuonmintang-Hauptstadt: Seit die Nationalchinesen auf Druck von  Rotchina fast nirgendwo mehr Botschafter haben  dürfen, meinen sie nämlich, mehr als alle anderen auf gutwillige ausländische   Journalisten angewiesen zu sein. Allein, die Taipeh-Galeristen sahen in den China-Restaurant-Dias bloß noch  Nostalgie aufscheinen. Für sie ist jetzt Shanghai maßgebend! Es nützte nichts, dass Dorothee versprach, jedem Bild noch einen einfühlsamen Text über den Restaurantbesitzer beizufügen. Dazu hatte sie zuvor bereits mit einer befreundeten Dolmetscherin etliche Westberliner Restaurants besucht. Lange mit dem kantonesischen Germanisten und Rotgardisten Fang Yü diskutiert, der nach der Wende als erster Westberliner ein China-Restaurant im  Osten, in Prenzlauer Berg, eröffnete. Dieses jedoch nicht mehr von Sino-Deco einrichten ließ, sondern von einer jungen Künstlerin aus Shanghai. Ohne es zu wollen, läutete er das Ende der übrigen deutschen China-Restaurants ein – mit seinem Lokal, das er prophetisch “Ostwind” genannt hatte, denn in China sagt man über einen, der andere Mitbewerber alt aussehen läßt: “Der Ostwind bläht ihm die Segel”. Auch Dorothee Wenner war zu dem Zeitpunkt noch ahnunglos – und hatte deswegen auch noch ein Interview mit dem Chef von Sino-Deco geführt. In Taipeh hatte sie außerdem die Keramik- und Möbelfabriken besichtigt, die seine Restauranteinrichtungen produzieren. Deutschland war einmal der größte Markt auf der Welt für diese China-Restaurant-Einrichtungswerkstätten. Ja, man kann sagen, all diese derart  ausgestatteten China-Restaurants von Sylt bis Oberbayern und ab 1990 von Suhl bis Rügen sind typisch deutsch. Das sehen auch die in der Hinsicht weitaus sensibler als Kulturanalysten reagierenden “Nationalstolzen” (W.Schäuble) so, denen sie schon lange als Traditionslokale dienen, wobei ihr Stammplatz in der Regel die Drachenecke ist – von ihnen liebevoll  “Siegfried-Lounge” genannt. Deswegen waren sie von der Gastseite aus auch die ersten, die den langsamen Untergang der China-Restaurants in Deutschland mitbekamen, indem z.B. plötzlich nur noch junge spanische Touristen an den leeren Tischen Platz nahmen, Chop Suey bestellten und dabei die ganze Einrichtung mit ihren Handys abphotographierten. Das war ein deutliches Zeichen: Ihr Traditionslokal wurde zu einem Folkloremuseum.

Und in der deutschen Gastronomie begannen sich die Vietnamesen durchzusetzen. Allen voran Monsieur Vuong mit seiner gleichnamigen Suppenkultküche in Berlin Mitte. Eine zeitlang versuchten die hiesigen Inder und Araber noch mit “Singapur” und Fusionfood gegenzusteuern, aber das war bloß ein   halbherziges Shanghaien. Während die Vietnamesen quasi aus dem hohlen Bauch heraus schöpften. Das verstand und versteht jeder! Zur gleichen Zeit wurden übrigens die italienischen Wirte von der türkischen und libanesischen Gastronomie aus den unteren Preisklassen verdrängt. Und in den oberen bekamen sie Konkurrenz von den Clubscene-Lokalen, deren Stärke weniger im Kochen als im  Formulieren von Speisekarten liegt. Fang Yü wollte da nicht mitmischen und verkaufte seinen “Ostwind” – mit Gewinn, um sich dem Theater zu widmen. Während Dorothee Wenner auf ihren Dias sitzen blieb, obwohl die Zeit für eine abschließende Würdigung des deutschen China-Restaurant-Phänomens mehr als reif war.  Mehr Glück hatte etwa zur selben Zeit der austrochinesische Künstler Jun Yang, dessen Eltern ein China-Restaurant in Wien betreiben. Er besorgte sich alle Hollywoodfilme, in denen China-Restaurants vorkommen. Diese Sequenzen filmte er ab. Schon wenig später konnte er das Video in der mit Roten Laternen drapierten Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst  vorführen. Zwischendurch erzählte er Kindheitserinnerungen aus dem China-Restaurant seiner Eltern. Seine Installation hieß “Coming Home”.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/05/09/das-grosse-chinarestaurant-sterben/

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