vonHelmut Höge 31.07.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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“Streit um StreikbilanZ2, titelt die Junge Welt heute. Es geht um zwei Broschüren, die den Arbeitskampf im Berliner Bosch-Siemens-Hausgerätewerk (BSH) vom Herbst 2006 auswerten – und zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen kommen. Dazu schreibt JW-Autor Daniel Behruzi:

Der wochenlange Arbeitskampf im Berliner Bosch-Siemens-Hausgerätewerk (BSH) vom Herbst 2006 war in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Das gilt auch für seine Dokumentation. Gleich zwei aktuelle Broschüren beschäftigen sich mit den Lehren dieses Kampfes: Eine von der IG-Metall-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg-Sachsen und eine, die vom BSH-Vertrauenskörperleiter Hüseyin Akyurt gemeinsam mit linken Gewerkschaftsaktiven herausgegeben wurde.

Einig sind sich die Autoren darin, daß die Belegschaft mit ihrer Entschlossenheit einiges geleistet hat: Der Beschluß der Konzernspitze, die traditionsreiche Waschmaschinenfabrik in Berlin-Spandau dicht zu machen und rund 600 Arbeitsplätze zu vernichten, wurde nicht kampflos hingenommen und zum Teil sogar verhindert. In einer dreiwöchigen Betriebsversammlung informierten sich die Betroffenen und diskutierten ausführlich über Alternativen und Widerstandsformen. Erst dort wurde einem Teil der Beschäftigten klar, welch dramatische Folgen die Hartz-Gesetze im Falle der Arbeitslosigkeit nach sich ziehen. Am 19.September dann das eindeutige Votum: 94,97 Prozent der Metaller im Betrieb stimmten für einen unbefristeten Streik, in dem es formal zwar um einen »Sozialtarifvertrag«, faktisch aber um den Erhalt des Werks ging. Bereits ab dem 15. September hatten die Beschäftigten die Tore des Betriebsgeländes besetzt. Die Blockade wurde bis zum Ende der Auseinandersetzung beibehalten.

»Marsch der Solidarität«

Eine zentrale Rolle spielte auch der »Marsch der Solidarität«, mit dem die BSHler die bundesweite Öffentlichkeit auf ihren Kampf aufmerksam machten. VK-Leiter Akyurt erklärt im Interview: »Diese Öffentlichkeitsarbeit, wie wir sie mit dem ›Marsch der Solidarität‹ betrieben haben, zielte darauf ab, den Berliner BSH-Streik als konzernübergreifende Aktion auszuweiten. (…) Wenn wir (…) den Erhalt der Arbeitsplätze an einem Standort zu der Angelegenheit aller Standorte machen, verzehnfachen wir unsere Kräfte. Warum sollen nicht in allen BSH-Werken in ganz Deutschland gleichzeitig Betriebsversammlungen einberufen werden und so die Produktion zum Erliegen gebracht werden?« Schon diese in der »offiziellen« IG-Metall-Broschüre geäußerten Sätze enthalten eine Kritik an der Gewerkschaftsspitze, die sich nicht ernsthaft für die Ausweitung des Kampfes eingesetzt hat. Die Broschüre der linken Kritiker merkt an, daß sowohl die wochenlange Betriebsversammlung als auch die Torbesetzung und der »Marsch der Solidarität« nicht auf dem Mist der Gewerkschaftsoberen gewachsen ist: »Bemerkenswert an all diesen Initiativen: Keine stammte von den IG-Metall-Offiziellen. Alle kamen von unten und wurden von der betrieblichen Führung um den Vertrauenskörperleiter des Betriebs Hüseyin Akyurt und den Betriebsratsvorsitzenden Güngör Demirci wohlwollend aufgegriffen, popularisiert und organisiert.« An anderer Stelle wird zudem argumentiert, daß sich die Gewerkschaftsspitze die politische Ziele des Solidaritätsmarsches keineswegs zu eigen gemacht, sondern diesen lediglich als »rein taktisches Mittel im Tarifpoker« angesehen habe. Nach Auffassung der Kritiker wurde der Marsch »in der praktischen Umsetzung hintertrieben, um möglichst rasch den Arbeitskampf beenden zu können«.

Streikabbruch

Die entscheidenden Differenzen zeigen die beiden Dokumentationen aber in der Bewertung des Ergebnisses – und vor allem von dessen Zustandekommen. Für Olivier Höbel, den Bezirksleiter der IG Metall, ist die Sache klar: »Das Ergebnis ist ein Erfolg. Wir haben ein ganz wichtiges Ziel, den Erhalt von Industriearbeitsplätzen in Berlin, erreicht.« 400 Jobs wurden durch die Vereinbarung bis Ende Juli 2010 gesichert, 216 Beschäftigten mußten gehen – »abgefedert« mit Abfindungen und über eine »Beschäftigungsgesellschaft«. Für die Verbleibenden wurden die Arbeitszeit unbezahlt verlängert und Einkommensbestandteile gestrichen. Dennoch hält auch die Broschüre der Kritiker fest: »Diese Belegschaft schaffte es erstmals, daß als Ergebnis einer Auseinandersetzung um einen Tarifsozialplan am Ende nicht allein Schließung, Massenentlassungen und höhere Abfindungen standen.« Aber sie schreiben auch: »Was einen wohl am unzufriedensten macht, ist die Gewißheit, daß mehr drin gewesen wäre. Die Entscheidungsträger der IG Metall haben gegen unseren Willen den Streik und den Marsch abgebrochen.«

VK-Leiter Akyurt dazu: »Ich habe gewarnt: Das werden die Kollegen so nicht akzeptieren. Ihr betrügt die Kollegen. Darauf wurde immer wieder geantwortet: Die 50 Prozent Zustimmung, die kratzen wir zusammen.« Letztlich stimmten zwar nur 35,62 Prozent für die Vereinbarung, der Streik wurde aber dennoch beendet – entsprechend der IG-Metall-Satzung, wie die Verantwortlichen betonen. Als Schlußfolgerung aus dieser Erfahrung treten die Autoren der »inoffiziellen« Broschüre dafür ein, das zum Streik­abbruch notwendige Quorum von 25 Prozent Zustimmung heraufzusetzen. Ein entsprechender Antrag sei auf der Delegiertenversammlung der Berliner IG Metall jedoch »gnadenlos zerpflückt« worden.

  • Streikdokumentation der IG-Metall-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg-Sachsen: »Menschenwürde contra Konzernwillkür«. Bezug: igmetall-bbs.de
  • Dokumentation von Hüseyin ­Akyurt u. a.: »Es geht nicht nur um unsere Haut«. Bezug: utopiarossa@nickname.berlin.de

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