Seltsam, Waffendienst und Landarbeit – beides war den Juden stets verwehrt worden. In Palästina bzw. Israel haben sie jedoch nicht nur das eine mit dem anderen verbunden, sondern in beidem sind sie auch noch Weltspitze geworden. Wenn man heute in einem südostasiatischen Hotel das Glück hat, alle Fernsehprogramme – von Bombay bis Wladdiwostok – empfangen zu können, stößt man Nachmittags laufend auf israelische Agrarlehrfilme. Mal geht es dabei um eine neue Frucht oder Fisch- bzw. Tierzucht, mal um eine neue Ernte- oder Bewässerungstechnik.
Die landwirtschaftlich und militärisch tätig gewordenen „neuen Juden“ unterschieden sich bereits in der zweiten Generation auch physiognomisch erheblich von ihren eingewanderten Eltern, den „Ghetto-Juden“, wie Arthur Koestler nach dem Besuch einiger Kibbuzim 1926 begeistert schrieb. Über keine Landwirtschaft auf der Welt wurden seitdem so viele Bücher veröffentlicht wie über die Kibbuzim, und das, obwohl die Kibbuzniks ihren Kindern immer predigten: „Du darfst nicht extravagant sein, nicht so klug – nicht herausragend,“ wie die in einem Kibbuz bei Haifa aufgewachsene Filmemacherin Tal Sterngast meint. Zu den Kibbuz-Prinzipien gehört die Ablehnung der Arbeitsteilung, die gemeinschaftliche Erziehung der Kinder, Gemeinschaftsküchen, das Rotationsprinzip bei den Arbeitsplätzen, Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, die Ablehnung privater Vermögensbildung und die Trennung von Leistung und Konsum.
Dennoch taten sich die „Pioniere“ lange Zeit schwer, z.B. die Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit, die u.a. der marxistische Erkenntnistheoretiker Alfred Sohn-Rethel als unabdingbar für den Sozialismus begriff, auch zu verwirklichen. Die „Hände“ waren immer wichtiger als Lehrer und Intellektuelle.
Michail Gorbatschow riet den sowjetischen Kolchosen, sich bei ihrer „Umgestaltung“ den israelischen Kibbuz zum Vorbild zu nehmen. Als er dies vorschlug, ging es jedoch bereits mit den israelischen Kibbuzim bergab. Die „Kibbuz-Krise“ begann in den Achtzigerjahren. Bereits im Zweiten Weltkrieg errichteten die Kibbuzniks auf Drängen der Engländer erste Industrieproduktionen. Mit der Zeit geriet dabei die Landwirtschaft als Einnahmequelle immer mehr in den Hintergrund. Man stellte dafür erst orientalische Juden und arabische Hilfsarbeiter ein, später thailändische und rumänische Gastarbeiter, obwohl die Lohnarbeit generell abgelehnt wird. Es wurden Manager, Spezialisten und Berater herangezogen, die nicht einmal im Kibbuz leben mußten und mitunter sogar religiös waren, außerdem mit ihren hohen Gehältern das Kibbuz-Gleichheitsprinzip verletzten. Dann verließen immer mehr Jugendliche den Kibbuz nach ihrer Schulausbildung (jetzt gibt es allerdings einige von ihnen gegründete „Urban Kibbutz“). Und es setzte eine immer umfassendere Privatisierung ein: Strom wurde privat abgerechnet, die Kantinen verpachtet, Privatkonten zugelassen, einige Produktionsbereiche in Aktiengesellschaften umgewandelt usw..
Die Zürcher Soziologin Andrea Vonau kam 2005 zu dem Schluß, „dass sich immer mehr Kibbuzim von einigen der ideellen Grundprinzipien verabschieden und dass die schon existierenden Ungleichheiten im wirtschaftlichen Bereich sich auch negativ auf das Gemeinschaftsgefühl und die Solidarität auswirken“. Zur Kibbuzkrise trugen wesentlich auch die Ablösung der Arbeiterparteien, die mit der Kibbuz-Bewegung eng verbunden waren, durch die Rechtsregierung von Begin sowie die darauffolgenden Wirtschaftsreformen von Peres bei: Während man den Kibbuzim zuvor jederzeit billige Kredite gewährt hatte, mußten diese nun teuer zurückbezahlt werden. Die Banken verhängten eine Kreditsperre. Vielen Kibbuzim drohte daraufhin der Bankrott, den sie u.a. mit Privatisierungen abzuwenden versuchten. 1984 wird allgemein als das Jahr angesehen, in dem die Krise begann. Insgesamt gibt es seitdem „deutliche Bestrebungen, eine Erhöhung der individuellen Freiheit und mehr Marktwirtschaft in den Kibbuzim zuzulassen, sprich: von den kommunitaristischen Grundideen des Kibbuz zugunsten individuellen Leistungsdenkens abzurücken,“ resümiert Andrea Vonau, die allerdings nur einen Autor fand, der das „als uneingeschränkt positiv und absolut ungefährlich für das kibbuzische Leben bezeichnet“. In der Wochenzeitschrift der Kibbuzbewegung Takam heißt es dagegen: „Wir tragen die Kibbuz-Ideologie zu Grabe.“ Inzwischen steckt auch die israelische Armee in einer Krise..
Die ersten vier Auswanderungswellen (Alija) – zwischen 1882 und 1948 – bestanden fast ausschließlich aus russischen Juden, denen die Dorfgemeinschaft, das kollektive Wirtschaften und der Sozialismus gewissermaßen zur Zweiten Natur geworden waren. Erst mit den darauffolgenden Alijas kamen auch Juden aus Westeuropa, Afrika, Asien und Angloamerika ins Land. Für den linken Westberliner Politologen Fritz Vilmar haben die Kibbuzim das Eindringen „kapitalistischer Wirtschaftsregeln“ vor allem den US-amerikanischen Kibbuz-Einwanderern zu verdanken. Verstärkt wurde deren Einfluß natürlich auch durch den „Zusammenbruch des Sozialismus“ sowie durch die schleichende Amerikanisierung aller israelischen Lebensbereiche, die die in Deutschland bei weitem übertrifft, zumal sie einhergeht mit einer weltweiten Renaissance der Religionen. In Israel lesen heute sogar die Ex-Stalinisten, -Trotzkisten, -Anarchisten und Rätekommunisten in den noch existierenden Kibbuzim und Alterheimen die Bibel wie ein Grundbuch (Kataster). Gibt es eine dümmere Bibel-Lektüre?
Teilgenossenschaften (1)
Immer wieder gab es Konzepte und Versuche, Totalgenossenschaften, die Arbeit und Leben umfassten, zu gründen. Die letzten diesbezüglichen Experiment, das waren die israelischen Kibbuzim, einige Hippie- und Landkommunen sowie partiell auch noch die sogenannten Alternativbetriebe. Sie knüpften dabei an die herrschaftsfreien Organisationsformen sogenannter primitiver Völker an, die man auch als „urkommunistisch“ bezeichnet. Der Genossenschaftssoziologe Friedrich Fürstenberg spricht hierbei auch von einem „naturvolklichen Genossenschaftstyp“.
Inzwischen denken auch viele Kibbuzim, die sich marktwirtschaftlich angepaßt haben, darüber nach, ob sie nicht eine Teilgenossenschaft in Form einer Genossenschaft oder einer losen Dorfgemeinschaft (Moschawim) bilden sollen. Ende 1981 fand in Tel Aviv ein „Kommunetreffen“ statt, organisiert und durchgeführt von einigen Kibbuzim. Aus der BRD reiste eine Landkommune aus der Nähe von Kassel und eine Gruppe aus der Frankfurter Arbeitslosenselbsthilfe Krebsmühle“ (ASH) an, sowie die Schriftstellerin Ulrike Kolb. Am Treffen nahmen außerdem noch einige Leute aus der kanadischen Landkommune „Twin Oaks“, vier Longo Mai-Kommunarden, die Mitglieder einer belgischen und einer französischen Kommune, ein Genosse aus Italien und einer aus dem dänischen „Freistaat Christiania“ sowie ein Mitglied einer neuseeländischen Landkommune teil. Und natürlich viele Kibbuzniks, die während der Tagung die Hauptreferate hielten.
Ein immer wiederkehrender Punkt der Auseinandersetzung war die Betonung der Wichtigkeit der ökologischen Betrachtungsweise seitens der ausländischen Gäste und der von ihnen kritisierte allzu lässige Umgang der Kibbuzim mit Pestiziden, Herbiziden, etc. sowie Kunstdünger. Die Gäste kamen fast alle aus antistaatlichen Projekten, während sich die Kibbuzim bewußt als Keimzellen des israelischen Staates verstehen. Von den Kibbutzniks wurde immer wieder die Frage der Ökonomie angeschnitten. Dabei stießen insbesondere die Longo-Mai-Leute auf Kritik, die sich weigerten, die finanziellen Quellen ihres 30 Millionen Mark-Projekts aufzudecken (es handelte sich dabei um Leute aus einem österreichischen Longo-Mai-Pionier- Holzfällerlager-Projekt, das dazumal von der ältesten Tochter des marxistischen Erkenntnistheoretikers Alfred Sohn-Rethel initiiert und geleitet worden war, sie hatte vorher lange in einem israelischen Kibbuz gelebt und gearbeitet.)
Es kamen aber auch noch andere Probleme zur Sprache in Tel Aviv: Neue Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die Kindererziehung und die Organisation der Arbeit, ferner das so genannte Generationsproblem (30 bis 50% der im Kibbuz Geborenen verlassen diesen irgendwann). Zu den erregtesten Debatten kam es in Tel Aviv auf dem Kommunetreffen, als der Genosse aus Christinia darüber berichtete, daß und wie sie dort mit Fixern, Kiffern, Punkern, Rumhängern, Dropouts, Pennern, etc. zusammenleben würden, zusammenleben müßten in gewisser Weise. Die meisten Kibbuzniks hatten für die Tolerierung derartiger „Laster“ wenig oder gar kein Verständnis. Es hat lange gedauert, bis sie in diesen Pionier- und Wehrsiedlungen überhaupt Künstler akzeptierten.
Ein von der Landarbeit freigestellter Künstler, der in einem Kibbuz bei Tel Aviv lebt und aus Mexiko stammt („dort war ich immer der Jude, hier bin ich für den Rest meines Lebens der Mexikaner“) erzählte, dass die Kibbuzniks zwar einen hart arbeitenden Künstler, wenn er mit Hammer und Meißel auf riesige Steine losgeht, durchaus anerkennen, aber wenn er zu leise arbeitet oder gar bloß nachdenkt, dann werden sie sofort mißtrauisch: „Der macht sich auf unsere Kosten einen faulen Lenz“. Dabei sollte eigentlich die Trennung von Leistung und Bedürfnis in den Kibbuzim selbstverständlich sein.
Teilgenossenschaften (2)
Die letzten Teilgenossenschaften, die ich näher kennenlernte, waren die Viehzüchter-Genossenschaften in der Wüste Gobi. Sie waren von der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit initiiert worden, zuvor hatte bereits der ostdeutsche Mongolist und Feuerwehrmann Fred Forkert im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung in eine ähnliche Richtung dort gearbeitet. Viele einst von den Sowjets erbaute Brunnen waren nach der Wende zerstört worden oder verfallen, weil nicht mehr tief genug; einige Seen waren ausgetrocknet – und ganze Saxaul-Wälder abgefressen. Diese in großem Abstand voneinander wachsenden Sträucher, die immer wieder aus dem Sand, den der Wind um sie anhäufelt, herauswachsen, werden von den Viehzüchtern auch zum Heizen verwendet. Die Arbeit der GTZ besteht u.a. darin, sie zu überreden, statt des Saxaulholzes Briketts aus Viehdung zu verwenden. Ihnen wurden dafür spezielle Öfen für die Jurten zur Verfügung gestellt, die von den Schmieden heute nachgebaut werden. Die Viehzüchterfamilien mußten nicht lange agitiert werden: Sie stehen inzwischen selbst an vorderster Front des Naturschutzes im Nationalpark Gurvansaikhan, der 5,4 Millionen Hektar umfaßt.
Nach der „demokratischen Revolution“ 1989 wurden alle Kolchosen im Land aufgelöst und jeder Mongole bekam 100 Stück Vieh – egal, ob er als Friseur, Fahrer oder Buchhalter gearbeitet hatte. Viele dieser „Ich-AGs“ gaben bald auf – besonders nach den zwei harten Wintern 1999 und 2000, da Millionen Tiere verhungerten. Die übriggebliebenen Viehzüchter wurden von der GTZ motiviert, sich zu Kollektiven – „Communities“ – zusammen zu schließen. Wenn von der GTZ hier die Rede ist, sind damit deutsche und mongolische Förster, Dolmetscher, Biologen und Geographen gemeint – hauptsächlich Frauen. Und bei den Nomaden sind es sogar fast auschließlich die Frauen gewesen, die Schulungen in ressourcenschonender Weidewirtschaft besuchten und die (geringen) finanziellen Hilfen in Anspruch nahmen, um z.B. holländische Spinnräder oder Milchverarbeitungsgeräte anzuschaffen.
Über 80 Viehzüchter-Kooperativen gibt es inzwischen in der Südgobi – mit einer eigenen Zeitung, den „Community News“, die von der GTZ in Ulan Bator gedruckt wird. Die Viehzüchter-Communities in der Gobi benutzen teilweise schon für ihre Umzüge Jeeps bzw. Motorräder mit Anhänger. „Die nomadische Wirtschaftsweise ist eine ökologische Notwendigkeit,“ erklärte uns der GTZ-Projektleiter, „d.h. sie sollen ziehen und nicht auf der Stelle treten, um Überweidung zu vermeiden.“ Wo das noch nicht in ausreichendem Maß geschieht, sprechen Mongolenforscher wie der FU-Professor Janzen von „Neuen Nomaden“ – so wie anderswo von „Neuen Russen“ oder „Neuen Tschechen“ die Rede ist – seit 1990. Das häufigste neue Delikt ist seitdem der Viehdiebstahl, erfahren wir von einem Juristen in Dalanzadgad. Hinzu kam anfänglich noch die „Armuts-Wilderei“, die jetzt jedoch – in der Gobi zumindest – von der „Neureichen-Wilderei“ übertroffen wird. Die Ärmeren haben sich dagegen auf das halblegale Goldschürfen verlegt, was besonders wegen der dabei verwendeten giftigen Chemikalien ein Problem ist. Diese „Ninjas“ will man jedoch nicht bestrafen, sondern wie z.B. in Indonesien ebenfalls in Communities und Genossenschaften organisieren.
Während die deutsche und holländische Entwicklungshilfe bei den Ärmsten unter den Viehzüchtern ansetzte, pickt sich die amerikanische die wenigen Reichen heraus, um sie gemäß des neoliberalen „Trickle-Down-Effekts“ derart zu unterstützen, dass sie seßhafte Viehbarone werden, deren Herden von lohnabhängigen „Cowboys“ umgetrieben werden. Eine der Genossenschaftsvorsitzenden erklärte uns: „Nach 1990 war jede Familie auf sich selbst gestellt, und sie wanderte so gut wie gar nicht. Das konnte nur durch die Communities gelöst werden. Das sind Kollektive wie im Sozialismus, aber diesmal bestimmen wir selbst, was zu tun ist. Etwas 2000 Viehzüchter haben sich bisher hier zusammengeschlossen. Schon im ersten Jahr 1999 haben wir das Positive daran gemerkt. Nach sieben Jahren können wir nun sagen, dass es richtig war. Wir haben uns kundig gemacht, wie die negative Entwicklung zustande kam. Außerdem haben wir jetzt bessere Möglichkeiten, unsere Produkte zu vermarkten. Wir bekommen bessere Preise für Kaschmirwolle und Leder, die Schafwolle verarbeiten wir selbst. Die Wilderei hat völlig aufgehört und keine Familie sammelt mehr Feuerholz. Wir wissen heute, wie die Natur zu verbessern ist. Außerdem waren wir drei Mal im Ausland, haben viel gesehen und sind auf neue Ideen gekommen.
Es gibt eine starke Landflucht in der Mongolei, aber bei uns nicht, da sich unser Lebensniveau verbessert hat. Auch die Qualität unserer Herden. Es gibt wieder eine Veterinärbetreuung für die Tiere, das machen die Japaner. Die Community-Unterstützung durch die deutsche GTZ wird demnächst von den Neu-Seeländern fortgeführt. Auch wir sind international geworden, so arbeitet z.B. eine Frau in der ‚World Alliance of Mobile Indigenous People‘ mit.“
Eine GTZ-Mitarbeiterin ergänzte dies aus ihrer Sicht: „Man darf nicht als Experte auftreten und muß hier vor allem immer buchstäblich von der ‚Graswurzel‘ aus denken. Das Problem am Anfang war, dass die Frauen nicht zu den Gemeindeversammlungen in die Bag-Zentren gingen, sondern bei den Jurten blieben. Die GTZ hat deswegen Info-Jurten aufgestellt, wo sie sich treffen konnten. Inzwischen sind schon 80% der Community-Leader Frauen.“
Ein Viehzüchter meinte: „Früher wurde alles von oben organisiert, dann kam plötzlich die Marktwirtschaft. Wir sind die ersten in der Mongolei, die aus dem Dunkeln rausgekommen sind. Unser Beispiel macht inzwischen Schule. Früher hockte jede Familie auf einer Stelle, jetzt ziehen wir in der Regel vier mal im Jahr um.“
Eine Viehzüchterin erzählte: „Es gibt auch große Veränderungen im Verhältnis zwischen Mann und Frau. Die Frauen waren vorher immer nur zu Hause mit Kindern, haben wenig untereinander geredet. Und die Männer waren nicht gut genug ausgebildet, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können, sie haben viel gegessen und getrunken. Bereits das erste Meeting mit dem Naturschutzprojekt, wo die Idee des Zusammenschließens begründet wurde, hat uns die Augen geöffnet. Seitdem hat es viele Veränderungen in unserem Leben gegeben. Ich bin selbst ein Beispiel dafür: Obwohl eine einfache Viehzüchterin habe ich mich in den letzten Jahren sehr verändert und mein Leben verbessert. Wir sind 35 Familien, 144 Menschen und haben 7000 Tiere. 1999 ging es nur sechs Familien gut, der Rest war arm. Wir hatte keinen Zugang zu Informationen und waren zerstreut.“
Eine andere Viehzüchterin erinnert sich: „Den Anfang haben fünf Frauen gemacht – sie sind raus aus den Gers [das mongolische Wort für Jurten]. Dann kamen mehr dazu. Wir haben Einfluß auf die Männer genommen. Und mit ganz kleinen Sachen angefangen, uns gegenseitig zu helfen. Das war ein langsamer Prozeß. Wir haben z.B. Zäune gemeinsam repariert, die Weiden von Tierkadavern gesäubert, mit Behörden verhandelt, Kurse im Gemüseanbau für uns organisiert…Dann haben wir im Bag-Center für Geld gearbeitet und den Armen dafür Vieh gekauft. Unser Fähigkeit zu kooperieren hat sich immer mehr verbessert.. Gleichzeitig mußten wir die Balance zwischen Familie und Kollektiv finden.“
Ein älterer Viehzüchter erklärt uns abschließend: „Die Frauen haben die Ideen, die Männer setzen sie um.“
Zu den Nomaden-Genossenschaften in der Mongolei seit noch ein Satz aus den „Bewässerungsromanen“ des ansonsten von mir sehr geschätzten Odessaer Schriftstellers Konstantin Paustowski nachgetragen. Er stammt aus „Kara-Bugas“ oder „Die Wolga fließt ins Kaspische Meer“:
„Nomaden!“, schrieb er darin, „brecht eure Zelte ab. Stoppt eure Wanderungen durch die tote Wüste und werdet endlich Arbeiter!“
Selten hat jemand so viel Scheiß in einem Satz geschrieben:
1. ist die Wüste nicht tot („Die Wüste lebt“ hieß schon ein wunderbarer Disney-Naturfilm)
2. Wenn die Nomaden ihre Wanderungen stoppen, dann erst wird die lebendige Wüste tot.
3. Arbeiter zu werden – um wohlmöglich Waren zu produzieren, am laufenden Band, das ist ja wohl die beschissendste Perspektive, die man jemandem anbieten kann. Schlimm genug, dass der Kapitalismus im Westen Millionen und Abermillionen von Bauern und Nomaden durch Enteignungen zwang, Arbeiter zu werden, Paustowski will im Schwung der nachholenden Kapitalisierung/Modernisierung der Sowjetunion auch noch, dass die Nomaden dabei mithelfen – und freiwillig ihre bisherige Lebensweise aufgeben, um Arbeiter zu werden, also dass sie sich selbst verblöden und verelenden. Was für ein Staats-Idiot!