vonHelmut Höge 19.10.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

Mehr über diesen Blog

Aus Anlaß des seit nun schon 20 Jahre anhaltenden Fading-Away der DDR sei hier noch einmal an das Batteriewerk BELFA in Berlin-Niederschöneweide erinnert, das damals Widerstand gegen sein Verschwinden leistete.

Das Photo zeigt vorne einen Stern-Journalisten, der die kämpferische Belegschaft, die damals schon stark von der Treuhand ausgedünnt worden war, photographieren will. Die Restbelegschaft hat sich zu diesem propagandistischen Zweck um einen der Ferien-Wohnwagen ihres Betriebs gescharrt. Diesen hatte sie kurz zuvor zu einem fahrbaren Verkaufsstand für ihre Gerätebatterien, die sie unter dem Label BELFA weiterhin produzierte, umgerüstet.

——————————————————————-

In einer der Produktionshallen, wo entgegen der Treuhandweisung weiterproduziert wurde, ließ sich der Betriebsratsvorsitzende Hanns-Peter Hartmann von einem französischen Fernsehteam über den Verlauf der „Protestproduktion“ seiner Belegschaft, verbunden mit einem kollektiven „Hungerstreik“ interviewen.

——————————————————————–

Um die ebenfalls von Abwicklung bedrohten Belegschaften der Großbetriebe in Oberschöneweide (TRO, KWO, WF, BAE) zur Solidarität mit den Hungerstreikenden bei BELFA zu bewegen, veranstaltete Hartmann eine Informationsdemonstration vor diesen Betrieben, die Drahtzieherin Sylvia hatte sich extra ein Protest-T-Shirt gemacht – mit der Aufschrift: „Eine helfende Hand? Nein – die Treuhand setzt Belfa in den Sand!“

——————————————————————–

Der Lagerarbeiter war DDR-Meister im Gewichtsheben gewesen, er trug gewissermaßen eigenhändig die protestproduzierten BELFA-Batterien geblistert, d.h. in Plastik eingeschweißt, in das Foyer der Treuhand an der Wilhelmstraße.

———————————————————————

Zwei Arbeiter aus der Zinke (Stanze) im Hungerstreik. Die ersten Tage war der Hungerstreik noch lustig. Hinter der Kantine hatte die Belegschaft für die am Hungerstreik Beteiligten einen Raum frei gemacht und Betten aufgestellt. Die Versammlungen fanden abends in der Kantine statt.

———————————————————————-

Einer der Techniker (die Namen füge ich später noch ein). Bei BELFA wurde teilweise mit selbstgebauten Maschinen produziert.

———————————————————————-

Die Telefonistin – in der Telefonzentrale. Im Betriebsratsbüro gab es noch ein – neues – Faxgerät, das nahezu ununterbrochen Solidaritätsfaxe aus anderen Betrieben, auch aus dem Ausland, ausdruckte. Sie wurden zusammen mit den Zeitungsberichten über den BELFA-Streik von der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, „die  Königin“,  photokopiert – und von Hartmann abgeheftet. Er nannte das „meine Briefmarkensammlung“.

———————————————————————-

Der alte Meister.

———————————————————————-

Die Chefsekretärin

———————————————————————-

Produktionsarbeiterin

———————————————————————-

Obwohl Hartmann mithungerte und daneben für Öffentlichkeit sorgte, wie man so sagt, fand er noch die Zeit, sich mit seinem alten Freund Siegfried Mattner zu treffen, um mit ihm das „Wie weiter?“ zu besprechen. Die beiden hatten einst zusammen Agrartechnik studiert. Mattner war dann in die Partei eingetreten und LPG-Vorsitzender geworden, Hartmann blieb dagegen Produktionsleiter in der Milchproduktion. Schließlich ging er zurück nach Berlin und fing im Batteriewerk in der Stanze an, wo er bis zu seiner Wahl zum (freigestellten) Betriebsratsvorsitzenden 1990 blieb. Mattner ist heute Geschäftsführer der äußerst erfolgreichen Agrar-GmbH Schmachtenhagen, daneben kandidiert er noch für die PDS bzw. Die Linke in seinem Kreis.

———————————————————————–

Nachdem zwei Münchner Geschäftführer, die Hartmann aufgetan hatte, BELFA von der Treuhand gekauft und ihn, den an sich unkündbaren Betriebsratsvorsitzenden, daraufhin entlassen hatten, kandidierte auch Hartmann bei der nächsten Bundestagswahl für die PDS – in Oberschöneweide, das zum Bezirk Treptow gehört. Sie kündigten ihm im übrigen mit der Bemerkung „Wir brauchen Sie nicht mehr, Herr Hartmann, der Klassenkampf ist vorbei!“ Diesen Spaß ließ sich die Treuhand einige zigtausend DM kosten, die sich Hartmann freilich vor dem Arbeitsgericht erst erstreiten mußte. Siehe dazu auch: http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/03/

Weitere Photos folgen…

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/10/19/2098/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert