vonHelmut Höge 31.08.2012

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Einige Eckdaten der Glühbirnenforschung

 

Vermutlich im Winter 1783 notiert Johann Wolfgang von Goethe: „Wüßte nicht, was sie Bessere erfinden könnten / Als wenn die Lichter ohne Putzen brennten.“

1848 soll der technische Gerätehersteller Heinrich Göbel wegen seiner Teilnahme am „Sturm auf das Springer Rathaus“ belangt werden. Er wandert mit seiner Familie nach Amerika aus, wo er 1854 die ersten Glühbirnen konstruiert. Sie halten zirka 400 Stunden. Eine bringt er nachts auf dem Dach seines Hauses zum Erleuchten, woraufhin seine Nachbarn die Polizei alarmieren, die Göbel den „Unfug“ verbietet.

1867 widmet Karl Marx seinen holländischen Vettern August und Benjamin Philips ein Exemplar des „Kapital“. Die beiden Vettern gründen 1891 in Eindhoven die N. V. Philips Gloeilampenfabrieken.

1879 gelingt Thomas Alva Edison die Herstellung einer Kohlefadenlampe, die er 1881 auf der Pariser Weltausstellung präsentiert. Schon vorab hat die Nachricht in London die Gas-Aktien sinken lassen.

1882 erwirbt Emil Rathenau die Glühbirnenlizenz und gründet die „Deutsche-Edison-Gesellschaft“, an der sich Werner Siemens beteiligt.

1884 bewirken Rathenau und sein Mitarbeiter Oscar von Miller eine „echte Sensation“ in Berlin – als sie das „Café Bauer“ Unter den Linden mit Glühbirnen illuminieren.

1893 wird in einem Patentprozeß zwischen zwei großen amerikanischen Elektrizitätswerken gerichtlich festgestellt, daß Heinrich Göbel und nicht Thomas Alva Edison der Erfinder der sogenannten „Kohlefadenlampe“ war. Göbel stirbt einige Monate später.

Seit 1901 brennt die laut Guinness Buch der Rekorde „älteste Glühbirne der Welt“. Sie hängt in der Feuerwache von Livermore, South Almeda County (Kalifornien). Im Juni 1992 widmet ihr die Bild- Zeitung zum 91. Geburtstag eine Überschrift. Bereits 1973 hat der amerikanische Autor Thomas Pynchon dieser „unsterblichen Glühbirne“, die er Byron nannte, ein Kapitel seines Romans „Die Enden der Parabel“ gewidmet. Seitdem ist sie eine Touristenattraktion, und es liegt ein Gästebuch in der Feuerwache aus.

1914 formuliert Filippo Tommaso Marinetti sein futuristisches Credo: „Ich bete jeden Abend zu meiner Glühbirne, denn in ihr haust eine ungeheure Geschwindigkeit.“

1919, im Jahr der Ermordung Rosa Luxemburgs, läßt die Deutsche Gasglühlicht Auer-Gesellschaft zusammen mit der AEG und der Siemens & Halske AG die Osram Kommanditgesellschaft eintragen, welche 1925 an der Warschauer Straße ihr damals vielbewundertes „Lichthaus“ einweiht.

Im November 1920 eröffnet Lenin in Kaschino, einem Dorf des Kreises Wolokolamsk, ein regionales Kleinkraftwerk. In seiner Rede sagt er: „Wir müssen es jetzt dahin bringen, daß jedes Kraftwerk, das wir bauen, wirklich zu einem Stützpunkt der Aufklärung wird.“ (Das Photo, das zeigt, wie ein Bauer den Lichtschalter betätigt, während seine Frau gebannt auf die Glühbirne an der Decke starrt, findet sich später in DDR-Schulbüchern, ebenso das alte Komsomolzen-Lied: „Lenin sprach: Elektrokraft / Mit am Sozialismus schafft / In der Sowjetunion, / Volksverdummung ist gewesen / Heute lernt der Bauer lesen / In der Sowjetunion.“ Der Refrain lautet: „Ja, die Komsomolzen / Was sind sie doch für Kerle / Knorke, knorke – knorke alle Mann!“)

Am 11. Mai 1921 gründet sich die Internationale Glühlampenvereinigung e.V.: das erste – noch rein europäische – Elektrokartell.

Im Frühjahr 1925 entsteht das Weltkartell General Patent and Development Agreement, als dessen Verwaltungsorgan die Phoebus S.A. in Genf fungiert. Dieser exklusive Club, der sich die Weltmärkte aufteilt, nennt sich später International Electrical Association und nimmt seinen Sitz in Pully bei Lausanne. „Phoebus wurde im wesentlichen von International General Electric, Osram und den Associated Electrical Industries of Britain kontrolliert, welche sich ihrerseits, in gleicher Reihenfolge, zu 100, 29 und 46 Prozent im Besitz der General Electric Company von Amerika befanden. Phoebus machte die Preise und bestimmte die Lebensdauer jeder Glühbirne auf der Welt“, schreibt Thomas Pynchon in seinem Roman „Die Enden der Parabel“.

Am 24. Dezember 1925 – „ausgerechnet zum Fest des Lichts“, so der Kasseler Devianzforscher Rolf Schwendter – beschließt das Glühlampenkartell, die Lebensdauer aller Birnen von 5000 Stunden auf 2000 zu verringern. (In China brennen heute die „Normallampen“ wieder 5000 Stunden, wie der Erkenntnistheoretiker Alfred Sohn-Rethel nach seinem Besuch einiger chinesischer Glühbirnenfabriken 1978 berichtet.)

1926 wird im Auftrag der Osram GmbH Kommanditgesellschaft ein Buch von Artur Fürst mit dem Titel „Das elektrische Licht“ veröffentlicht. An einer Stelle heißt es darin: „Die Glühlampe gehört zu den edelsten Apparaten, die Menschenhand hervorgebracht hat. Keine andere Vorrichtung, die praktische Dienste leistet, weckt so sehr die Empfindung: ‚Hier ist etwas Vollkommenes.‘“

Am 21. Oktober 1931 wird Edison beerdigt. Auf Vorschlag des US-Präsidenten Hoover schalten Millionen Amerikaner um 22 Uhr für ein paar Minuten das Licht aus.

Am 27. April 1933 wird in der Zeitschrift Nationalistische Erziehung der Begriff „Gleichschaltung“ erklärt: „Die Gleichschaltung kennen wir aus der Elektrotechnik und wissen, das durch sie beispielsweise eine Anzahl Beleuchtungskörper jeder für sich direkt an die Leitung angeschlossen ist und infolgedessen alle mit derselben Helligkeit brennen, ganz gleich, wie weit einzelne voneinander entfernt sind, weil sie alle vom gleichen Strom durchflössen werden … Dieses Bild wird unserem Reichskanzler, Adolf Hitler, vorgeschwebt haben, als er seinem unvergleichlichen Werk den Namen Gleichschaltung’ gab.“

1935 hält Ernst Bloch dafür: „Die Glühbirne hat die Anfechtungen des Nachtgrauens weit gründlicher geheilt als etwa Voltaire; denn sie hat das Grauen aus den Schlupfwinkeln der äußeren Dunkelheit selbst vertrieben und nicht nur aus der des Kopfes.“

1937 schmückt Osram das „Deutsche Haus“ auf der Pariser Weltausstellung mit einem riesigen Hakenkreuz aus Lampen.

Mitte 1940 ordnet ein „Runderlaß“ des Ministers für Erziehung und Wissenschaft „an die Herren Statthalter in der Ostmark“ an, künftig nur noch Glühbirnen von Osram beziehungsweise von durch Osram arisierten Firmen zu beziehen. Dazu gehört auch die holländische Philips AG, die ein Osram-Direktor nach dem Einmarsch der Deutschen treuhänderisch verwaltet. Seine besten Facharbeiter werden zu seinem Bedauern jedoch laufend nach Berlin, in die Stadt des Lichts, „abgesauckelt“.

Ende 1940 sagt Oskar Maria Graf in New York in seiner Rede „Die Juden stehen nicht allein“: „Die Glühbirne hat das Leben des einzelnen Menschen mehr verändert als etwa – ich will das durchaus nicht spöttisch verstanden wissen – die Gründung des deutschen Reiches durch Bismarck.“

Im Herbst 1944 gibt der Reichsverteidigungskommissar und Generalbevollmächtigte für den totalen Krieg, Joseph Goebbels, eine Anordnung heraus, wonach keine Glühbirnen mehr an die Zivilbevölkerung abgegeben werden dürfen.

Am 8. Februar 1949 wird das Osram-Werk D an der Warschauer Straße auf Beschluß der sowjetischen Militärverwaltung im Grundbuch des Amtsgerichts Berlin-Mitte als VEB Berliner Glühlampenwerk eingetragen. Die Produktion ist schon ein paar Jahre zuvor wieder in Gang gebracht worden.

Bereits im Oktober 1949 übergibt eine Abordnung der Belegschaft des Berliner Glühlampenwerks dem ersten Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, die zehnmillionste Allgebrauchslampe.

Von 1953 an hat der KGB-Spion beim Bundesnachrichtendienst, Felfe, während des Sonntagsdienstes stets eine wattstarke Glühbirne bei sich. Im geeigneten Moment schraubt er diese in seine Schreibtischlampe und photographiert wichtige Geheimdokumente.

1954 wird in New York zur Erinnerung an die 75. Wiederkehr der Edison-Erfindung die „größte Glühbirne der Welt“ zum Erleuchten gebracht.

Ebenfalls 1954 – hundert Jahre nach Göbels Glühbirnenerfindung – ehrt die Stadt Springe am Deister ihren berühmtesten Sohn mit einer Lichtfeier, auf der unter anderem ein „Festspiel“ von Karl Waentig uraufgeführt wurde, das mit einem Chor und dem Refrain endet: „Wo auf Erden Lichter glühen / Ist des Dankes Flamme hell entbrannt / Da ist er / Heinrich Göbel lebe / hoch! Hoch! Hoch!“

1964 wird das Berliner Glühlampenwerk Stammsitz des aus vierzehn Betrieben bestehenden „Kombinats Narva“. Der legendäre Kombinatsgründer, Rudi Rubbel, verunglückt sieben Jahre später bei einem Autounfall. Weitere neun Jahre später benennt man – im Zeichen der Ost-West-Entspannung – eine Lotterielos-Sorte in West-Berlin nach ihm.

1965 wird der Sänger Bob Dylan gefragt: „What is your main message?“ Er antwortet: „My main message? Think for yourself and always carry a light bulb.“

In dem 1974 veröffentlichten Roman von Ken Kesey „Manchmal ein großes Verlangen“ benutzt eine der Hauptfiguren, Viv, ausgebrannte Glühbirnen als Stopfpilze beim Strümpfestopfen. Konrad Adenauer erfand 1938, während er politisch zur Untätigkeit gezwungen war, eine innenbeleuchtete Stopfhilfe in Birnenform, für die er – als „Einrichtung zur Ausbesserung von Geweben“ – Gebrauchsmusterschutz beantragte. Das Reichspatentamt verwies ihn auf eine ähnliche Erfindung von 1920, woraufhin Adenauer seine Anmeldung zurückzog.

1976 wird mit der im Drahtwerk bei Narva tätigen Meisterin Erika Steinführer die Bewegung „Jeder liefert jedem Qualität“ initiiert. Ihre „Vorschläge“ stoßen schon wenig später „auf große Resonanz in den Betrieben der Hauptstadt“, bericht das Neue Deutschland. In der Folgezeit steigt in den Betrieben der gesamten DDR die Produktion von Erzeugnissen, denen das Gütezeichen „Q“ verliehen wird, „sprunghaft“ an. Erika Steinführer wird daraufhin als „Heldin der Arbeit“ geehrt und das Kombinat Narva mit dem Ehrennamen „Rosa Luxemburg“ (Lux = Licht) ausgezeichnet. 1985 portraitiert der Maler und „Banner der Arbeit Stufe 1 “-Träger Walter Wommacka die Drahtwerkerin – erstmalig in einem Collage-Stil, den man als Soz-Pop bezeichnen könnte. Der ganze „Gütezeichen-Q-Klimbim“ wird während der Wende bei Narva wieder abgeschafft. 1991 am Werktor um ein Interview gebeten, sagt Erika Steinführer nur: „Ich bin zehn Jahre durch die Medienmühle gedreht worden, mir reichts.“

1979 hat der bei Narva gedrehte Defa-Spielfilm „Alle meine Mädchen“ Premiere: „Ein Mann, ein Regisseur, lernt darin, daß die Macht der Kamera zwar groß ist, aber die Frauen im Glühlampenwerk ihm eine Sicht der Dinge beibringen, die ihm vorher mit dem Blick durchs Objektiv nie gelungen wäre“, schreiben zwei Westberliner Filmkritikerinnen nach der Wende.

1980 notiert der französische Philosoph Jean-François Lyotard während eines Amerika-Besuchs: „Das Weiß der Frau-Haut ist das Licht!“ Etwa zur selben Zeit meint auf einer Tübinger Konkursbuch-Party die Philosophin Gerburg Treusch-Dieter: „Die Glühbirne ist – erkennbar an ihrer Uterusform – eindeutig weiblich!“ Zwei Jahre später wird Marianne Koch auf die 15. Frage des FAZ-Fragebogens für Prominente („Wer oder was hätten Sie sein mögen?“) antworten: „Die Erfinderin der Glühbirne.“

1981 entdecken einige oberhessische Glühbirnenforscher Unterlagen über die 1888 von Ludwig Wilhelm Schöffer nach Gelnhausen verlegte Elektriciteits Maatschappij systeem de Khotinsky – eine Fabrik zur Herstellung von Glühbirnen. Sie brannte 1910 ab. Einige Jahre später erinnerte sich einer der Arbeiter, daß sie für die Wendel eine Zeitlang Platin verarbeitet hatten. Schon bald setzte ein regelrechter Platinrausch in Oberhessen ein: Ganze Hundertschaften Arbeitsloser pilgerten nach Gelnhausen und durchwühlten das Fabrikgelände. Am erfolgreichsten war jedoch einer der Platinaufkäufer – „Schwals-Willi“, der sich später am Untermarkt der Stadt ein gutgehendes Geschäft kaufte. Die Enkelin des Glühbirnenfabrikanten, Cilly Schöffer, starb 1982. Sie besaß noch die alten Pläne für die Konstruktion einer „Dunkelbirne“: eine normal aussehende Glühbirne, die allerdings beim Anknipsen den (hellen) Raum verdunkelte. Die Glühbirnenforscher berichten darüber in der Frankfurter Rundschau – und bekommen prompt Ärger mit der Münchner Sektion der deutschen Donaldisten, die für Daniel Düsentrieb die Patentpriorität beanspruchen, obwohl dieser die Dunkelbirne nachweislich erst 1954 entwickelt hatte – sie war ihm zudem wenig später vom US-Patentamt abgelehnt worden. 1986 rezensiert der Gießener Mathematiker François Fricker in der ZEIT das „Journal der unwiederholbaren Experimente“ und darin speziell die Erfindung einer Dunkelbirne. Dies führt – auf der Leserbriefseite – erneut zu einem Prioritätenstreit, der dort mit dem Hinweis auf die „Korfsche Tagnachtlampe“ (1910 von Christian Morgenstern beschrieben) beendet wird.

Im Sommer 1981 beginnt bei Tungsram Budapest die Produktion sogenannter Resista-Lampen, die wenig später als „Langlebensdauerglühlampen“ auch von Narva in Berlin hergestellt werden. Sie halten aufgrund einer veränderten Wendel-Geometrie 2500 statt der heute weltweit üblichen 1000 Stunden. Als Narva sie erstmalig auf der Hannover-Messe vorstellt, meint ein Osram-Direktor: „Ihr wollt euch wohl alle arbeitslos machen!“ – „Im Gegenteil“, erwidert der Leiter der Narva-Entwicklungsabteilung.

1982 stellt der Dipl. Ing. Walter Garn auf der Frankfurter Buchmesse das Modell einer überdimensionierten Glühbirne vor, das er nach Darstellungen auf einem Relief im Hathor Tempel von Dendera in Ägypten gebaut hat. Er will damit beweisen, daß bereits die alten Ägypter die Glühbirne erfunden hatten. Die europäischen Lichttechniker finden dies lächerlich. Den Ägyptern ist es dagegen nichts Neues: Dort hatte man bereits um die Jahrhundertwende Edisons Glühbirnenpatent nicht anerkannt – mit der Begründung, „daß etwas Ähnliches bereits 2000 Jahre vor Christus in Ägypten benutzt worden war“, wie Edison selbst 1913 in seinem Buch „Meine 40 Jahre Prozessiererei“ schrieb.

Im Frühjahr 1983 schreibt Ulrich Greiner in der Zeit über einen Besuch bei Hans Magnus Enzensberger: „Enzensberger steht aus seinem Sessel auf, um Licht zu machen. Eine der beiden Tischlampen seitwärts des Sofas gibt ein klickendes Geräusch von sich und bleibt dunkel. Enzensberger verschwindet kurz im Flur und kehrt mit einer neuen Glühbirne zurück, die er einschraubt.“ Erich Fried meint dazu: „Unmöglich, das muß der Greiner sich ausgedacht haben. Enzensberger ist technisch so unbegabt, daß er nicht einmal eine Glühbirne selber einschrauben kann.“ Erich Fried, nach eigenen Worten „Dichter und Bastler, Verbesserer eigentlich“, sagt zur unsterblichen Glühbirne, daß sie zwar machbar, aber nicht erwünscht sei: „Leider nicht mal im Sozialismus“. Und das sei „das Komische“.

In dem 1985 veröffentlichten Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ heißt es auf Seite 414: „Bei seiner Vernehmung sagte Volker Speitel: es seien (in den Hohlräumen der anwaltlichen Handakten, d. Red.) auch Glühbirnen in die Anstalt gelangt.“ Der Autor, Stefan Aust, merkt dazu an: „Nicht einmal bei einer in der dünnen Akte versteckten Glühbirne soll den Beamten ein Licht aufgegangen sein.“

1985 läßt der Weddinger Unternehmer und Elektronik-Entwickler Dieter Binninger ein „Verfahren zur Verlängerung der Lebensdauer von Allgebrauchslampen“ patentieren. Zunächst stellt er seine „Langlebensdauerglühlampen“ in einer kleinen Kreuzberger Fabrik her. Sie brennen bis zu 150 000 Stunden, das sind vierzig Jahre, so lange hielt die DDR. Nach der Wende werden sie bei Narva weiterproduziert.

Im August 1986 tanzt Nacht für Nacht eine kreolische Stripteasetänzerin namens Vera in der „Apollo-Bar“ in Berlin, wo sie auf dem Höhepunkt ihrer Darbietung eine Glühbirne in ihrer Vagina zum Erleuchten bringt.

Im September 1986 äußert sich Erich Fried in Hannover über die Praktiken des Elektrokartells. Er hatte mit sechzehn in der kleinen jüdischen Wiener Glühlampenfabrik Orbis gearbeitet und sogar mal ein Patent, die „Sockelfestigkeit“ von Glühbirnen betreffend, besessen – bis Osram die Firma arisierte. „1937 war Osram maßgebend im Kartell – es stand unter deutscher Hegemonie. Überhaupt war die Kartellpolitik damals sehr merkwürdig: Beispielsweise kämpfte es gegen schon bestehende Herstellungsverfahren bei kleineren Firmen, indem es Patentprozesse anstrengte, von denen es wußte, daß sie nicht zu gewinnen waren. Aber es konnte diese Prozesse aus der ‚Kriegskasse‘ bezahlen, jahrelang, und damit die betroffenen Firmen lähmen oder sogar ruinieren.“

Im Juni 1988 erklärt ein Osram-Betriebsleiter anläßlich einer Kreuzberger Ausstellung über kaputte Glühbirnen, daß immer noch jede vierte deutsche Glühbirne aus Berlin komme. Er meint natürlich Westdeutschland und West-Berlin, wobei hinzugefügt werden muß, daß auch Narva No-Name-Glühlampen für westdeutsche Handelsketten herstellt und mitunter sogar unter Osram-Label.

Im Januar 1990 meldet sich ein ehemaliger Osram-Mitarbeiter namens Kafka, der es seit dem Mauerbau bei Narva bis zum Sicherheitsinspektor gebracht hat, bei Osram in Spandau zurück – und wird dort wieder eingestellt: ebenfalls als Sicherheitsinspektor.

Ebenfalls im Januar 1990 findet im Kultursaal des Berliner Glühlampenwerks das letzte Fest statt. Dazu hatten sämtliche Narva-Kulturzirkel unter der Leitung von Frau Gothow eine große Revue inszeniert: „Bei Licht besehen – heiter!“ Die Narva-Kapelle, die Tanztruppe des Narva-Carnevalsclubs, das Cabarett und das Narva-Arbeitertheater stellen die Entwicklung von Göbel bis zur Energiesparlampe szenisch dar. Ein Energiesparlampen-Diebstahl während der Proben wird ebenso in das Stück eingebaut wie ein „Slap“ von Kurt Bartsch – mit dem Refrain: „Wir waren ein Kollektiv / Doch plötzlich lief irgendwas schief.“ Erstmalig hat man auch Osram-Arbeiter eingeladen. Während sie vor allem von den ganzen „kulturellen Errungenschaften“ bei Narva beeindruckt sind, fällt den Narva-Arbeitern besonders die Sauberkeit und das hohe technische Produktionsniveau bei Osram auf.

Im Februar 1990 bekommt Narva von Osram eine Produktionsanlage für Energiesparlampen geliefert. Dazu meint der neue Westberliner Aufsichtsratsvorsitzende von Narva, Dr. Abshagen: 1988 habe Osram dafür von der KoKo-Firma Gerlach 6 Millionen D-Mark verlangt. Gerlach-Geschäftsführer Michael Wischnewski habe daraufhin von der Außenhandelsstelle 12 Millionen gefordert, und bei Narva sei die Rechnung schließlich mit 21 Millionen angekommen. Ein Jahr später bietet das bei der Treuhandanstalt als Käufer von Narva aufgetretene Westberliner Klingbeil-Konsortium, zu dem unter anderen der Schwager Michael Wischnewskis, Heinz Pietzsch, gehört, brieflich Osram die Energiesparlampen-Anlage zum Rückkauf an – und das, obwohl sie noch gar nicht den Zuschlag bekommen, wohl aber „Arbeitsplätze im Licht“ zu erhalten versprochen haben und gerade diese Produktionsstrecke die einzig profitable seit der Wende war und ist, weil es einzig bei den Energiesparlampen noch Marktnischen für Narva gibt. Desungeachtet sind diese ganzen überteuerten, zudem quecksilberhaltigen Energiesparlampen eigentlich ein Öko-Blödsinn, weil man in den privaten Haushalten sowieso nur noch acht Prozent des Stroms für Licht verbraucht und dabei kaum noch was einsparen kann.

Im Januar 1991 tobt der Golfkrieg, in dem es auch um Licht und Dunkel geht. Im Koran steht: „Allah ist das Licht des Himmels und der Erde. Sein Licht gleicht einer Nische, in der sich eine Lampe befindet; die Lampe ist in einem Glase, und das Glas gleicht einem flammenden Stern. Es wird angezündet von einem gesegneten Baum, einem Ölbaum, weder vom Osten noch vom Westen, dessen Öl fast leuchtete, auch wenn es kein Feuer berührte – Licht über Licht.“ In Wolfgang Schivelbuschs „Geschichte der künstlichen Helligkeit – Lichtblicke“ heißt es an einer Stelle ganz ähnlich: „Der Glaszylinder, in dem die Flamme eingeschlossen war, präludierte den Glasmantel der Glühbirne; der Dochtmechanismus den Lichtschalter; die Flamme, die durch die erhöhte Sauerstoffzufuhr so sehr in ihrer Lichtintensität gesteigert war, den Glühfaden.“ Für Schivelbusch ist die Glühbirnenerfindung ein zwingendes Resultat europäischer Aufklärung. Ähnlich sieht das auch der reaktionäre holländische Schriftsteller Harry Mulisch. Während des Golfkriegs schreibt er – in seinem Aufsatz „Das Licht“: „Nicht nur die Quantenmechanik, auch die klassische Mechanik liegt nicht im östlichen Erbgut begründet. Wenn sie irgendwo begründet liegt, dann stammt sie aus dem philosophisch-theologischen Erbgut derjenigen, die die klassische und die moderne Physik tatsächlich aufgestellt haben – und das sind wir, aus der westlichen Welt.“

Im Januar 1991 bekommt man in einigen Bukarester Hotels zusammen mit dem Zimmerschlüssel eine Glühbirne ausgehändigt, die man bei der Abreise wieder abgeben muß.

Anfang Februar 1991 teilt die im Auftrag der Treuhand Narva international anbietende Unternehmensberatungsfirma Price Waterhouse mit, daß Osram überall auf der Welt habe verlauten lassen, man werde das Berliner Glühlampenwerk kaufen – dabei hatte Osram gar keine Offerte abgegeben. Zuvor hätten die Siemens-Manager in der Treuhand alles getan, um das Werk auf die Abwicklungsliste zu setzen. Ein entsprechender Beschluß sei dann aber durch den Treuhandchef Rohwedder rückgängig gemacht worden.

Am 27. Februar 1991, einen Tag vor Auslauf der Angebotsfrist, gibt der Weddinger Erfinder Dieter Binninger zusammen mit der Berliner Commerzbank eine Kaufofferte für Narva bei der Treuhand ab.

Am 5. März 1991 stürzt Dieter Binninger zusammen mit seinem Sohn und einem angestellten Ex-NVA-Piloten mit dem eigenen Flugzeug im Todesstreifen bei Helmstedt ab. Die Ursache kann nicht geklärt werden.

Am 23. April 1991 enthüllt die Bild- Zeitung „Fürchterliches: So starb Rohwedder wirklich! Der Tathergang ist jetzt minutiös geklärt: Der Treuhandchef war bereits im Schlafzimmer. Dort fiel ihm ein, daß er im Arbeitszimmer eine kaputte Glühbirne auswechseln wollte. Frau Rohwedder holte die Birne aus dem Erdgeschoß. Als Karsten Rohwedder sie in die Fassung schraubte und die Birne das Zimmer erleuchtete – traf ihn der tödliche Schuß.“

Mitte 1991 wird die bundesdeutsche Stromspannung von 220 Volt auf 230 erhöht, was zur Folge hat, daß die Glühbirnen fortan nur noch zirka 700 statt 1000 Stunden brennen. Bereits Mitte des darauffolgenden Jahres haben Osram und Philips sechs Millionen Birnen mehr verkauft. Narva hat dagegen schon bald seine Wendeln an die neue Norm angepaßt, so daß die Brenndauer ihrer Birnen in etwa wieder bei 1000 Stunden liegt.

Im Herbst 1991 muß die Treuhand aufgrund der öffentlichen Proteste den Narva-Verkauf an das Klingbeil-Konsortium wieder rückgängig machen. Aber weder kommen neue Verkaufsverhandlungen in Gang, noch geben Osram/Philips Ruhe: Jetzt überziehen sie die Binninger-Erben, die neuerdings chinesische Energiesparlampen verkaufen, mit Klagen.

Am 11. November 1991 teilt das internationale Glühbirnenkartell in Pully auf eine schriftliche Anfrage hin mit: „Please note that the International Electrical Association was wound-up and entered into liquidation on the 13. September 1989.“ Der brasilianische Kartellexperte Rudolf Mirow, der diese neuerliche Selbstauflösung des Kartells für mehr als unwahrscheinlich hält, schreibt wenig später der neuen Treuhandchefin Birgit Breuel einen Brief, in dem es unter anderem heißt: „Es besteht der Verdacht, daß dieses Kartell sich jetzt den Markt der Neuen Deutschen Bundesländer untereinander aufgeteilt hat… Und daß Mitglieder der IEA erneut mit ,combat-‘, auch fighting proceedings‘ genannt, gegen sogenannte ‚non-members‘ vorgehen… Es wäre bedauerlich, wenn auf Grund der Unkenntnis der Organisationsformen der Elektroindustrie jetzt möglicherweise maschinell veraltete, aber doch sanierungsfähige Betriebe geschlossen würden, die Mitgliedern der IEA einmal Paroli und Wettbewerb bieten könnten. Da alle Untersuchungen zeigen, daß es in der Elektroindustrie nie eine Marktwirtschaft gegeben hat, werden sich die Probleme der ostdeutschen Unternehmen vorerst nicht mit reinen marktwirtschaftlichen Instrumenten lösen lassen.“

Anfang 1992 setzen Osram und Philips dem neuen Narva-Interessenten, der japanischen Phoenix Electric, mit „Patent-Problemen“ derart zu, daß der Verkauf im letzten Moment platzt. Übrig bleibt der Immobilienentwickler und jetzige Narva-Besitzer Erhard Härtl aus München. Auch er ist jedoch gezwungen, die Produktion von Energiesparlampen wegen der verschärften Patentlage demnächst auslaufen zu lassen.

Gleichzeitig liefern frühere Narva-Maschinenbauer, die jetzt unter dem Namen „Prolux“ firmieren und versucht haben, eine Birne um das Philips-Osram-Patent-Agreement herumzuentwickeln, eine erste neue Energiesparlampen-Produktionsanlage nach China. Und Härtl stellt für die völlige Umstrukturierung der Narva-Produktion unter Beibehaltung von 1100 Arbeitsplätzen einen äußerst engagierten Geschäftsführer mit dem Vornamen Jesus ein – auf Wunsch der Betriebsrates.

Bereits 1993 verläßt der Geschäftsführer Jesus Comesana das nun in ,, Priamos“ umfirmierte Glühlampenwerk jedoch: Immer wieder hatte er sich darüber beklagt, die Narva-Leute hätten keine ,,Cochones“, womit er mangelndes geschäftliches Durchsetzungsvermögen meinte. Außerdem hatte er sich geradezu in die Umschulungsfinanzierung der 1100 Mitarbeiter durch das Arbeitsamt verbissen, was jedoch wegen der dreijährigen Arbeitsplatzgarantie nie genehmigt wurde. Auch die meisten anderen Ideen seines Übernahmekonzepts scheitern nach und nach: Bei der Ansiedlung von Drittfirmen auf einem Ausweichgelände in Johannisthal, die dann umgeschulte Narva-Mitarbeiter einstellen sollen, zieht sich die Baugenehmigung so lange hin, bis es keine Narva-Priamos-Beschäftigten mehr gibt. Das noble Narva-Cafe namens „Priamos“ in der Karl-Marx-Allee, wo man ein „Rockefeller-Frühstück“ bestellen konnte, muß Ende 1994 mangels Umsätzen wieder geschlossen werden, selbst die ausgegründete Baufirma „Cubus“ geht in Konkurs, ebenso ein Büromöbelvertrieb und ein Kurierdienst (dessen spanische PKWs zuletzt der vom Narva-Betriebsrat initiierte Sozialbetrieb „Brücke“ übernimmt).

Auch bei der Ausgründung der 1000 Maschinenbauer unter dem Firmennamen ,, Prolux“ müssen mehrmals Entlassungen vorgenommen werden. Sie werden schließlich völlig „auseinanderdividiert“, wie sich die Narva-Justitiarin Frau Dr. Müller ausdrückt. Im Endeffekt bleibt dort nur eine „kleine Truppe“ übrig, die Geräte zum Recyceln von Leuchtstoffröhren sowie nebenbei noch Kompakt-Leuchtstofflampen herstellt. Aus den Resten der einstigen Drahtzieherei, die sich auf die Herstellung von Folien umstellte, und dem Produktionsbereich „Hochdrucklampe“ gründet sich die „Gesellschaft für lichttechnische Erzeugnisse“ (GLE) aus, mit 70 Beschäftigten, zu denen dann auch die Justitiarin gehört. „Genealogisch wäre die GLE somit wohl das einzige, was vom Berliner Glühlampenwerk und seinen einst 5 000 Beschäftigten übriggeblieben ist,“ meint sie.

40 Narva-Mitarbeiter finden darüberhinaus eine Anstellung bei einer bayrischen Firma, die unter den Namen „Fleißige Lieschen“ und „Armit“ Gebäudereinigungs- und Wachschutz-Aufträge übernimmt. Da die Ausgründungen fast alle pleite gehen und mehr Geld als anfänglich kalkuliert verschlingen, setzen die Betriebsräte und der Investor Erhard Härtl bereits Mitte 1994 die „Beschäftigungsgarantie“ aus und halbieren die Mitarbeiterzahl. Schließlich bleiben nur noch 250 von ihnen in der „Priamos“ übrig, als die Garantie am 1.9.1995 endgültig erlöscht und auch sie in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Der Betriebsratsvorsitzende Michael Müller ist der letzte Beschäftigte – er übernimmt es, die ,,Priamos“ zu liquidieren. „Wenn das erledigt ist, haben wir von dem unglücklichen Ding aber auch die Nase voll,“ meint sein Kollege Mruck, der dann – auf ABM-Basis – im Sozialbetrieb „Brücke“ unterkommt. (10)

Erhard Härtl hat sich unterdes immer mehr bei seiner Bank, der bayrischen Hypo, verschuldet. Sie übergibt das Ende 1995 auch von der GLE verlassene Narva-Gelände zur weiteren Entkernung der denkmalgeschützten Gebäude und ihrer Umwandlung in ein Dienstleistungs- und Gewerbezentrum an die Roland -Ernst-Projektentwicklungsgesellschaft, die es dann ,,Narva-City“ nennt und eine Marketing-Firma damit beauftragt, diesen Namen auf seinen positiven Klang hin zu „überprüfen“. Man entscheidet sich schließlich für den Namen „Oberbaum-City“. Der erste und letzte Betriebsratsvorsitzende, Michael Müller, kommt dort als Hausmeister unter, auf Narva möchte er nicht mehr angesprochen werden. Die Kombinats-Jusitiarin ist schon vorher zu dem Schluß gekommen: „Letztlich war es eine Spiegelfechterei!“

Ebenfalls Ende 1995 veröffentlicht Günter Grass seinen Treuhand-Roman „Ein weites Feld“, in dem ein befristet eingestellter Hausmeister namens „Fonty“ die Hauptrolle spielt: „Als letzten Treuhand-Auftrag soll er sich ein neues Wort für ‚abwickeln‘ ausdenken…danach schrieb er die Geschichte des VEB Glühlampenwerks als mögliche Bilderbogengeschichte: ‚Man könnte im Neuruppiner Stil mit Goebel/Edison, den Erfindern der Glühbirne, beginnen und dann die ewig vom Kurzschluß bedrohte Erleuchtung der Welt von Station zu Station steigern, bis es bei der volkseigenen Narva und auch sonst zappenduster wird‘.“

Die Osram Glühlampenproduktion wird 2001 von Westberlin in den Elsaß und die Wendelherstellung nach Tschechien verlegt. Schon Jahre zuvor mußten sich die Spandauer „Arbeiter im Licht“ ständig von den Geschäftsführern anhören, dass die Produktion dort nur noch wegen ihrer Arbeitsplätze aufrechterhalten werde, verdienen würde man mit den Glühbirnen nichts mehr.

2007 gelingt Osram und Philips diesbezüglich der Durchbruch: Zusammen mit Greenpeace schaffen sie es bei der EU, wo sie als „Experten“ im sogenannten Komitologie-Ausschuß für Beleuchtung saßen, am Parlament vorbei (!) ein allgemeines Glühbirnenverbot durchzusetzen – zugunsten ihrer überteuerten und hochgiftigen, umweltschädigenden, weil quecksilberhaltigen „Energiesparlampen“, die außerdem noch – ähnlich wie die Leuchtdioden – ein viel schlechteres Licht als die Glühlampen abgeben. Diese sind  mit einem Farbwiedergabeindex von 100 besser – gesünder – als alle anderen Leuchtkörper: eine Sonne im Kleinen quasi.

Um das totale Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Glühbirnen – d.h. ihre Ersetzung durch Energiesparlampen – ab dem 1.September 2012 durchzusetzen, verlangte der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger flächendeckende Kontrollen, um auch seine vollständige Einhaltung zu erreichen. Die Bundesländer schaffen daraufhin 50 neue Stellen für Kontrolleure (7 allein in der einstigen „Stadt des Lichts“), die quasi ab sofort – ähnlich wie zuvor beim Rauchverbot – durch die Läden ziehen und jeden Verstoß unbarmherzig ahnden.

Statt zum aktiven Widerstand gegen das Glühbirnenverbot überzugehen – wie u.a. die „Partei der Vernunft“ von Igor Ryvkin aus Dortmund (s.u.) – gibt die Ruhr-Lippische Sparkasse und nicht nur sie Tipps, wie man seine  Unterwerfung noch tiefer ausgestalten kann: „Besonders umweltschonend wird Ihr Haushalt, wenn Sie zusätzlich zu Energiesparlampen Energie aus 100 Prozent regenerativen Quellen beziehen.“

 

 

Rückblick auf die ostdeutsche Betriebsräteinitiative, die bei Narva ihren Anfang nahm:

Nachdem die Treuhandanstalt ihre Privatisierungsarbeit begonnen hatte, waren die 1990 frischgewählten Betriebsräte in den DDR-Betrieben vor allem damit beschäftigt, die immer wieder neu von oben verfügten Entlassungsquoten „sozial verträglich“ abzufedern, d.h. neu zu selektieren. Dabei konnten sie es höchstens schaffen, daß dieser oder jener Mitarbeiter nicht – dafür aber ein anderer entlassen wurde, der dann in der Regel in einer Beschäftigungsgesellschaft landete.

Der Widerstand der Betriebsräte gegen diese von der Treuhand verfügten und von ihr so genannten „Großflugtage“ begann im Berliner Glühlampenwerk Narva, wo man – nachdem von 5000 Leuten 4000 entlassen worden waren, befürchtete, bald überhaupt nicht mehr produzieren zu können. Der parteilose Einrichter in der Abteilung Allgebrauchslampe, Michael Müller, hatte zuvor – im Herbst 1989 – den Schriftsteller Stefan Heym eingeladen und gebeten, vor der Belegschaft eine Rede zu halten, in der er ihnen aufzeigen sollte, worauf es nun ankäme. Heym legte ihnen dann die Notwendigkeit einer innerbetrieblichen Interessensvertretung nahe, die eine Reorganisation und damit Rettung des Betriebes entscheidend mitzutragen hätte. Bei der einige Zeit später stattfindenden  Wahl eines Betriebsrates wurde Michael Müller zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Und das blieb er auch – bis zum Schluß.

Als erstes mußte der neugewählte zwölfköpfige Betriebsrat gegen die komplette Stillegung des Werkes angehen – zusammen mit der Betriebsleitung. In der Treuhand hatte die von Siemensmanagern dominierte Betriebsbewertungsgruppe Narva auf ihre Abwicklungsliste gesetzt. Nach Protesten stufte der Treuhandchef Detlef Rohwedder den Berliner Renommierbetrieb wieder als „sanierungsfähig“ ein. Nach seinem Tod wurde in der Treuhand jedoch erneut eine „reine Immobilienlösung“ für Narva gesucht – und gefunden: in Form dreier übelst beleumdeter Westberliner Investoren, die sich aber schon bald derart in Lügen und Tricks verwickelten, daß der Betriebsrat nahezu die gesamte Berliner Presse gegen sie mobilisieren konnte. Um die Belegschaft über den Stand der Auseinandersetzungen zu informieren, gab der Betriebsrat die zuvor von der Treuhand eingestellte Betriebszeitung „Lichtquelle“ neu heraus. Der Verkauf an die drei Immobilienspekulanten mußte  schließlich von der Treuhand wieder rückgängig gemacht werden. Unterdes war aus dem Narva-Betriebsrat und einigen mit ihm solidarischen Betriebsräten aus anderen Großbetrieben eine „Berliner Betriebsräteinitiative“ entstanden, die sich bald mit einer ähnlichen Gruppe in Rostock zur „ostdeutschen Betriebsräteinitiative“ verband. Sie gab in unregelmäßigen Abständen das Info  „Ostwind“ heraus, das der taz beigelegt wurde. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen mit der Treuhand versammelte ihr „Arbeitsausschuß“  allwöchentlich 40 Betriebsräte aus  DDR-Großbetrieben und diskutierte Widerstandsformen gegen die flächendeckende Abwicklung der ostdeutschen Industrie.

Wiewohl die meisten Westgewerkschaften diese branchenübergreifende  Initiative von unten bekämpfte, tagte sie stets in Räumen des DGB. Publizistisch begleitet wurde sie primär vom „Neuen Deutschland“. Um der PDS dieses Feld nicht allein zu überlassen, gründete auch Walter Momper noch schnell eine Betriebsräteinitiative, die im SPD-Haus tagte. Sie war jedoch nur eine Verdopplung der ersten Initiative – und auf Berlin beschränkt. Hier holte sich dann u.a. Rolf Hochhuth Informationen für sein Wendestück „Wessis in Weimar“ (während Günter Grass seine Narva-Geschichte aus der „Zeit“ holte, wo die obigen Eckdaten meiner Glühbirnenforschung zuerst abgedruckt wurden).

Nach dem gescheiterten Arbeitskampf der Kalibergarbeiter in Bischofferode zerfiel die Betriebsräteinitiative 1993 langsam. Danach rekrutierte die PDS etliche Betriebsräte und Aktivisten aus der Initiative als Bundestags-Abgeordnete: Gerhard Jütemann vom Kaliwerk Bischofferode, Hanns-Peter Hartmann vom Batteriewerk BAE/Belfa in Oberschöneweide (als Nachrücker für Stefan Heym), ferner Pastor Willibald Jacob von der Gossner-Mission und den Westberliner Vorsitzenden der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Manfred Müller.

Das Logo und die Losung auf zwei Transparenten der Betriebsräteinitiative malte der Chefdekorateur der DDR-Staatsoper. Der Kontakt zu ihm kam über Konstanze Lindemann zustande: Die Berliner Vorsitzende der IG Medien versuchte später – Anfang 1994 – auch die Reste der Initiative im Rahmen ihrer Gewerkschaft noch eine Zeitlang zusammenzuhalten. Zuvor beteiligte sie sich aktiv am Arbeitskampf der Bischofferöder, weswegen diese umgekehrt der Betriebsräteinitiative Ende 1993 14 000 DM aus ihrem Solidaritätsfonds zukommen ließen.

Motor der ostdeutschen Betriebsräteinitiative war der maoistische Münchner Historiker Martin Clemens, der mit einer japanischen Gynäkologin verheiratet ist, die unsere Ausschußsitzungen stets mit kleinen handgeschnitzten Gemüse- und Obst-Stücken sowie Reisbällchen versorgte, beim Belfa-Hungerstreik leistete sie medizinischen Beistand. Mit Überschreiten des Höhepunkts der Betriebsräte-Mobilisierung gegen die Treuhand-Polltik gerieten Martin Clemens‘ Aktivitäten jedoch zunehmend zur Revolutionsmechanik, d.h. sie wurden derart unpersönlich, daß die Betriebsräte ihn sowie ein paar andere „intellektuelle Sympathisanten“ schließlich ausschlossen.Sie gründeten daraufhin eine zweite Betriebsräteinitiative im Weddinger DGB-Jugendhaus, wo sie dann ihrerseits Jakob Moneta und mich, die wir von der ersten Initiative dorthingeschickt worden waren, ausschlossen. Jakob Moneta meinte, mich auf dem Flur anschließend trösten zu müssen: „Nimm es nicht so schwer, ich bin schon aus meinem Kibbuz, aus der IG Metall und aus der SPD ausgeschlossen wordn!“ Mittlerweile ist der alte trotzkistische Diamantenschleifer auch aus dem PDS-Vorstand wieder ausgetreten.

Die Betriebsräteinitiative führte etliche Demonstrationen (u. a. eine nach Bonn) durch, sowie drei große Konferenzen (sie wurden von Martin Clemens alle fein säuberlich, mit Pressespiegel usw., dokumentiert). Auf der 2. Konferenz 1992, die im ehemaligen WF-Kulturhaus in Oberschöneweide stattfand, das inzwischen ein kurdisches Kulturzentrum geworden war, sprach Jakob Moneta über das bisher Erreichte, wobei er von einer Gewerkschaftstags-Rede des IGMetall-Vorsitzenden Steinkühler ausging, in der dieser die ostdeutsche Betriebsräteinititive kritisiert hatte:

„Nachdem Steinkühler uns erst einmal eine ganze Reihe von Komplimenten gemacht hatte, meinte er, daß er es durchaus versteht, wie unsere Lage ist, daß er versteht, daß man sich wehrt und sich zusammenschließt, aber er meinte, das könne man doch alles auch unter dem Dach der Gewerkschaft tun. Unter dem Dach der IG Metall. Da liegt meiner Ansicht nach der Hauptfehler, zu glauben, daß man in einer einzelnen Gewerkschaft das leisten kann, was wir eben im Ansatz geleistet haben. Daß wir praktisch Schluß gemacht haben damit, daß jeder Betrieb und jede Branche für sich allein stirbt, und daß wir stattdessen versuchen, gemeinsam dagegen anzukämpfen. Nun möchte ich aber doch noch einmal zurückkommen auf die Frage, was ist dabei bisher herausgekommen? Darauf haben wir keine klare Antwort gegeben. Ich meine, das Entscheidende dabei war das gewachsene Selbstbewußtsein der Menschen, die selber für ihre Sache einstehen. Das ist nicht nur Theorie. Ich will aus dem Bericht, den der Spiegel gebracht hat, von unserer Bonn-Fahrt und dem Besuch bei der  dortCDU, folgendes vortragen: Dort gab es ja den Herrn Grünewald, den Staatssekretär in Waigels Finanzministerium, der begann die Treuhand zu verteidigen. Er sagte: ‚Wo gehobelt wird, da fallen Späne‘, und behauptete schließlich, daß kein einziger Betrieb in der ehemaligen DDR plattgemacht worden sei, solange Aussicht auf Sanierung bestanden hat. Und da brach ein Tumult los. Es war eine CDU-Betriebsrätin, die ins Saalmikrophon rief: ‚Ich bin nicht bereit, mir weiter diese Unverschämtheiten anzuhören!‘ Daraufhin erhielt sie donnernden Applaus. Ein anderer, der sich ebenfalls als CDU-Betriebsrat vorstellte, sagte: ‚Herr Staatssekretär, ich möchte Sie herzlich bitten, uns nicht weiter zu provozieren!‘ Und ein dritter sagte: ‚Die Revolution vom Herbst 89 ist unblutig verlaufen, das kann jetzt noch anders werden‘.“

Das Selbstbewußtsein der bis Ende 89 zumeist „apolitische“ Arbeiter bzw. Ingenieure gewesenen Betriebsräte in der Initiative speiste sich vor allem aus ihrer gewählten Funktion – als verantwortungsbewußte Sprecher ihrer Belegschaft, aber auch als die eigentlich und einzig legitimierten Geschäftsführer ihrer Betriebe. Sprachmächtigkeit gewannen sie bei ihren vielen öffentlichen Auftritten, sowie aus dem Erfahrungsaustausch auf den wöchentlich stattfindenden Initiativ-Diskussionen, denen Schilderungen über den Stand der Dinge in den Betrieben (meist die Privatisierung und die Sozialauswahl beim Arbeitsplatzabbau betreffend) vorausgingen. Oft wurden dazu Gewerkschafter und Arbeitsrechtler eingeladen, die z.B. über ein regionales Wirtschaftskonzept (in und um Finsterwalde etwa) oder über die „Durchgriffshaftung“ bei Konzernen referierten, aber auch konkrete Informationen beschafften: z. B. über den für Treuhand und IG Metall zugleich tätig gewordenen schwäbischen Anwalt Jörg Stein, der fast alle in Ostdeutschland an den Treuhand-Großflugtagen Entlassenen in seinen Beschäftigungsgesellschaften „zwischenparkte“: allein in Sachsen über 20.000. Später übernahm Jörg Stein auch noch den größten Teil der Bremer Vulkan-Belegschaft in eine extra dafür gegründete Parkraumbewirtschaftungs-Firma „MyPegasus“. Sein Job-Beschaffungsprogramm funktionierte nach Art eines „Piloten-Spiels“.

Der für viele Betriebsräte neue Einstieg in wirtschaftliche Details und Probleme unter dem Gesichtspunkt ihrer Mitbeeinflussung gewann jedoch – bedingt durch die notwendige ständige Abwehr von Treuhand-Initiativen in ihren Betrieben – keine Systematik. Das verhinderten nicht zuletzt auch die permanent auf  „Kampf“-Aktionen drängenden intellektuellen Sympathisanten, für die ein Betrieb erst dann interessant wurde, wenn seine Belegschaft sich so gut wie im Ausstand befand. Martin Clemens entfaltete in solchen Fällen stets eine derart beeindruckend-umsichtige Aktivität, daß ihn z.B. die Belegschaft des Batteriewerks Belfa mehrmals bat, Durchhaltereden in der Kantine zu halten, als sie einen Hungerstreik gegen ihre endgültige Treuhand-Abwicklung organisierte. Auch wir anderen aus der Betriebsräteinitiative unterstützten Belfa: beim Transparente-Malen und -Aufhängen und bei ihrer Pressearbeit etwa, aber nur Martin Clemens‘ zündende Wort („Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ etwa) verwischten den Gegensatz von „wir“ (die Unterstützer und „sie“ (die im Betrieb Beschäftigten, die im Falle einer Niederlage ihre Entlassung riskierten). Die Initiative machte danach einfach weiter – und unterstützte z.B. die nächste Belegshaft in ihrem Kampf.

Das war dann in Bischofferode, wo die Kalil-Kumpel ebenfalls einen Hungerstreik begonnen hatten, nachdem der Kali-Kartellexperte der Bremer Universität Peter Arnold ein Flugblatt über die bevorstehende Schließung ihrer Grube und die nichtmarktwirtschaftlichen Gründe dafür am Werkstor verteilt hatte. Dort waren dann große Teile der Betriebsräteinitiative so engagiert, daß es schon fast einen regelrechten PKW-Shuttle von Berlin aus gab. Einige beteiligten sich sogar am Hungel sweise. Der in der Zwischenzeit entlassene Belfa-Betriebsratsvorsitzende Hanns-Peter Hartmann hielt auf dem Bischofferöder „Aktionstag“  eine Rede, in der er einige Lehren aus „seinem“ Hungerstreik zog, der nach einer Spaltung seiner Belegschaft nur noch halb gewonnen werden konnte. (14) Durch Martin Clemens‘ Engagement im Kaliwerk und sein Einwirken auf den Betriebsrat kam es zu einem Konflikt dort. Der später zurückgetretene Betriebsratsvorsitzende Heiner Brodhun hängte am 27. August 1993 eine Erklärung an das Schwarze Brett, in der er seine zuvor öffentlich geäußerte Distanzierung von „Hobbyterroristen“ noch einmal präzisierte:

„Gemeint waren damit Leute, die unseren Arbeitskampf für ihre parteipolitischen Zweck mißbrauchen wollen: Rechtsextreme haben versucht, Bischofferode zu ihrem Tummelplatz zu machen, Marxisten-Leninisten haben ihren privaten Krieg gegen die PDS geführt, und als mir ein Vertreter der ostdeutschen Betriebsratsinitiative in einer Sitzung ‚Verrat an den Kollegen‘ vorgeworfen hatte, da ist mir der Geduldsfaden gerissen.“  In einem ZDF-Interview hatte Heiner Brodhun dazu bereits ausgeführt: „Eindeutig wurde hier versucht, innerhalb des Betriebsrates einen Keil reinzutreiben.  ZDF: Kann es sein, daß diese Leute aus irgendeinem Kartell kommen?  Brodhun: Das bezweifle ich.  ZDF: In welchem Niemandsland sind diese Leute denn vorzufinden?  Brodhun: Niemandsland insoweit, wie ich auch gesagt habe, die woanders eine Revolution verloren haben und hier versuchen, diese fortzuführen.  ZDF: Wo haben sie denn eine Revolution verloren?  Brodhun: Oder ihre Revolution nicht gewonnen haben, zum Beispiel in anderen Betrieben, wo sie aufgetreten sind und nicht zum Ziel gekommen sind. Denn, bevor man solche Äußerungen macht, erkundigt man sich. Und das habe ich auch getan.  (Anmerkung von Martin Clemens: Mit den „anderen Betrieben“ meint Heiner Brodhun wohl Belfa.)

Durch Vermittlung von Konstanze Lindemann und dem Betriebsratsvorsitzenden der Deutschen Seereederei, Eberhard Wagner, gelang es dann, den Bischofferöder Betriebsrat wieder mit der Berliner Initiative zu versöhnen, nachdem auch der „Sprecherrat“ (der Hungerstreikenden), von dem der Verratsvorwurf zuerst gekommen war, den Betriebsratsvorsitzenden dazu gedrängt hatte, seine halbe  „Kapitulationserklärung“ gegenüber der Geschäftsleitung zurückzunehmen. Heiner Brodhun verfaßte dann sogar zusammen mit Martin Clemens einen gemeinsamen Text: „Nach einem offenen und freundschaftlichen Gespräch teilen wir mit, daß die Vorwürfe (Hobbyterrorist u.dgl.) vom Tisch sind. Die Sache ist vorbei. jetzt gilt es nach vorne zu schauen, damit der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze in Bischofferode und anderswo gewonnen wird.“

Damit aber genau das nicht passierte, bekamen z. B. gleich im Anschluß an die Bischofferöder Arbeitskämpfe etliche West-68er, die Anstellungen in ostdeutschen Universitäten gefunden hatten, üppige  „Drittmittel“ aus Westdeutschland für ihre „Transformationsforschung“, in der sie „ohne Hemmungen sogar konkrete Handlungsanleitungen für die Politik“ – in Form von „Aufruhrpräventions-Konzepten bei Betriebsschließungen“ – lieferten. Dies berichtete der Leipziger Philosoph Peer Pasternak, der seine Doktorarbeit über diese „Transformationsforscher“ geschrieben hatte, auf einer Veranstaltung des Berliner ABM-Netzwerks Wissens.

Als die Bischofferöder vor der Treuhand in Berlin demonstrierten, wurde mit allen politischen und polizeilichen Mitteln, u.a. mit Agents Provocateurs, versucht, die damals schnell anwachsende Organisation des Widerstands gegen die Abwicklung von DDR-Betrieben zu zerschlagen. Der für die Bergbaubetriebe zuständige Treuhandmanager Klaus Schucht erklärte dazu im Spiegel: „Wenn man den Widerstand in Bischofferode nicht bricht, wie will man dann überhaupt noch Veränderungen in der Arbeitswelt durchsetzen?“

Auch weite Teile der Westpresse, bis hin zur taz, hatten nur Verachtung für die dumpf-proletarischen Giftdünger-Produzenten im Eichsfeld übrig. Gleichzeitig pilgerten jedoch immer mehr Bergarbeiter von Rhein und Ruhr, arbeitslos oder krankgeschrieben, mit Solidaritätsspenden nach Bischofferode. Am Ende erwarben die Kalikumpel von dem Geld die ehemalige Poliklinik inklusive Sauna, um zum einen die Bergwerks-Tradition dort weiter zu pflegen und zum anderen den Zusammenhalt der Kalikumpel auch nach der vollständigen Zerstreuung von Belegschaft und Betriebsrat aufrechterhalten.

Der Betriebsratsvorsitzende Gert Jütemann gab 2008 seinen PDS-Abgeordnetensitz im Bundestag auf – und kehrte nach Bischofferode zurück, wo er nun Tauben züchtet.

Dem Betriebsratsvorsitzenden des Batteriewerks Belfa in Schöneweide wurde – sofort nach der Privatisierung seiner Firma durch zwei Münchner Jungmanager – gekündigt, mit der Begründung: „Wir brauchen Sie nicht mehr, Herr Hartmann, der Klassenkampf ist beendet!“ (17) Inzwischen ist auch sein Werk dicht. Als Nachrücker von Stefan Heym gab Hartmann daraufhin ein kurzes PDS-Gastspiel im Bundestag – und wurde dann arbeitslos. Heute lebt er auf einem kleinen Bauernhof in Westpolen.

Der Betriebsratsvorsitzende von Krupp Stahlbau Karl Köckenberger schaffte sich ein zweites Standbein an – indem er vier Kinderzirkusse namen „Cabuwazi“  gründete – wofür er dann das Bundesverdienstkreuz am Band bekam. In Ostberlin wurde erst die Firma „B-Stahl“ abgewickelt und dann auch im Westen Krupp Stahlbau: Kurz vor Fertigstellung des letzten Großauftrags rückte um Mitternacht die Geschäftsführung mit Lkws an, um heimlich alle Teile und Maschinen nach Hannover schaffen zu lassen. Der Belegschaft und Köckenberger gelang es zwar noch, den Abtransport mit einer Menschenkette zu verhindern, „aber danach war trotzdem Schluss!“

Ähnlich kriminell ging es auch bei der Elpro AG in Marzahn zu, einst eines der DDR-Vorzeigeunternehmen. Beim Versuch, sich gegen den Plattmachwunsch von Siemens zu wehren, landeten am Ende einige Geschäftsführer vor Gericht und einer im Knast. Und die Elpro AG wurde immer kleiner, irgendwann war sie so gut wie verschwunden – ihr Betriebsrat Jürgen Lindemann wurde arbeitslos. Zudem hatte er sich wie auch Hanns-Peter Hartmann von seinetriebsrats-Abfindung eine Eigentumswohnung in Kassel zugelegt, die unvermietbar war, so daß er bald auch noch einen Haufen Schulden hatte. Heute ist er in der Initiative Berliner Bankenskandal aktiv.

Zwei seiner früheren Kollegen – vom Kabelwerk (Aslid) und vom Transformatorenwerk  (Tro) versuchten der Abwicklung ihrer Werke mit kleinen Ausgründungen zuvor zu kommen: beide scheiterten. Der eine verschwand spurlos, der andere wurde depressiv.

Unauffindbar ist auch der ehemalige Betriebsratsvorsitzende von Orwo, Hartmut Sonnenschein, der aus Wolfen wegzog, sowie der Betriebsratsvorsitzende der DDR-Reederei DSR, Eberhard Wagner: Angeblich soll er jetzt in Bremerhaven für eines der dortigen Forschungsschiffe verantwortlich sein.

Die Betriebsrätin Angelika Schneider und ihre Kollegin vom Werk für Mikroelektronik in Frankfurt/Oder fanden zunächst Jobs in einem Sozialbetrieb. Der Betriebsratsvorsitzende des Werks für Fernsehelektronik in Oberschöneweide pflegte nach der Übernahme des WF durch Samsung zu sagen: „Wer es schafft, bei Samsung reinzukommen, der verlässt den Betrieb als Rentner“. Aber dann machte der koreanische Konzern das Werk doch plötzlich dicht.

Einer der nie so optimistisch war, aber dennoch immer noch als Betriebsrat wirkt, ist Gerhard Lux. Er arbeitet in einem AEG-Werk in Marienfelde. Auch die AEG wurde inzwischen abgewickelt, aber sein Betriebsteil übernahm ein französischer Konzern: „Wie lange das noch gut geht, weiß ich allerdings nicht,“ meinte er auf der letzten 1. Mai-Demo der Gewerkschaften…

(Siehe auch:  „Die Treuhand – der Widerstand in Betrieben der DDR – die Gewerkschaften (1990 – 1994): Tagung vom 2. April 2011 in Berlin – Beiträge und Dokumente von Ulla Plener)

 

Aufhebung des Glühbirnenverbots 

Von: Igor Ryvkin (Partei der Vernunft) aus Dortmund

An: Deutscher Bundestag Petitionsausschuss in Deutschland

Der deutsche Bundestag möge sich für die Aufhebung des Verbots der Produktion und des Vertriebs von Glühbirnen einsetzen.  Begründung: Das Verbot der Glühbirne basiert auf keinem sachlichen Umweltbedenken und verletzt die bürgerlichen Freiheitsrechte und das Recht auf Selbstbestimmung in eklatanter Weise.  Durch das Verbot von Glühlampen hat sich die Kompaktleuchtstofflampe (auch Energiesparlampe genannt) auf dem Markt durchgesetzt, die erhebliche Probleme mit sich bringt. Sie enthält unter anderem folgende hochgiftige Stoffe: Quecksilber, Phenol, Tetrahydrofuran, verschiedene Alkylbenzole. Diese Stoffe sind stark krebserregend und extrem schädlich für das Nervensystem, das Gehirn, die Leber, die Nieren, Drüsen etc. Vor allem das Quecksilber ist eines der giftigsten uns bekannten Stoffe. Diese Stoffe treten als Gase permanent aus den Lampen aus und richten irreparable gesundheitliche Schäden an. Zudem vermindert dieser Giftcocktail erwiesenermaßen die Intelligenz. Sollte eine solche Lampe im Wohnraum zerbrechen, treten die Giftstoffe massiv aus und gefährden akut die Gesundheit der Bewohner. Hinzu kommt, dass die Elektrosmogwerte um ein vielfaches höher sind als z.B. bei Computerarbeitsplätzen.

Um diese Lampen überhaupt zulassungsfähig zu machen und damit deren Hersteller zu fördern, wurde extra eine rechtliche Ausnahmeregelung für den bisher verbotenen Einsatz von Quecksilber geschaffen.  Nur 10-20% dieser Lampen werden sachgerecht entsorgt. Das Quecksilber darf per Gesetz nicht aus der EU raus. Dieses Gift wird im Moment in verschiedenen Zwischenstationen gelagert. Ein Endlager fehlt immer noch. Die restlichen 80-90% landet im konventionellen Müll und verseucht nachhaltig den Boden und das Grundwasser.  Konventionelle Glühlampen enthalten keine Giftstoffe. Sie sind in der Herstellung und vor allem in der Entsorgung erheblich günstiger und somit energieschonender. Die von der Lampenindustrie vor vielen Jahrzehnten verabredete durchschnittliche Höchstbrenndauer von 1.000 Stunden kann durch kleine technische Änderungen vervielfacht werden (zum Teil bis zu 150.000 Stunden). Damit haben sie eine längere Leuchtzeit als die behauptete Lebensdauer der giftigen Kompaktleuchtstofflampen. Zudem sind die Lichtfrequenzen für das menschliche Auge angenehmer und wahrscheinlich gesünder für die Psyche.  Wir wollen nicht mehr bevormundet und vergiftet werden!

Im Namen aller Unterzeichner.  Dortmund, 20.08.2012

 

Nachtrag 1

Thomas Pynchon vor Bruno Latour: „Was für’n Leben, diese Glühbirne – wenn sie nur sprechen könnte und davon erzählen…Tja, wenn’s sonst nichts ist: Sie spricht. (…)“

So beginnt Thomas Pynchons Geschichte über die  unsterbliche Glühbirne „Byron“, die den Häschern des Elektrokartells „Phoebus S.A.“ entkommen konnte – und nun den Aufstand der Glühbirnen gegen ihre 1926 vom Kartell auf 1000 Stunden begrenzte Lebensdauer plant. „Ausgerechnet zum Fest des Lichts,“ wie der Zukunftsforscher Rolf Schwendter empört schrieb, hatte das Kartell die Lebensdauer aller Glühbirnen von 2000 auf 1000 Stunden verkürzt. Alle  Kartellmitglieder mußten fortan eine Strafe (in Franken) zahlen – für jede verkaufte Glühbirne, die 50, 100 oder sogar 200 Stunden länger brannte als die vereinbarten 1000 Stunden. Bis zu 200 Stunden Brenndauer weniger waren dagegen straffrei. Der Arm des Glühbirnenkartells reichte weit, aber heute liegen die „Geheim“-Akten der Phoebus S.A. im Berliner Landesarchiv. In einem ihrer „Beschlüsse“ heißt es z.B.: „Tokio Electric Company darf Lampen nach China exportieren, aber nur solche, die 1000 Stunden halten.“ Erst nach dem Sieg des Kommunismus stellten die chinesischen Fabriken Glühbirnen her, die 5000 Stunden brannten. Das Glühbirnenkartell faßte 1929 zwei „Beschlüsse“ – seine  Werbung betreffend: „Die Propaganda soll dahin gehen, dass der Eindruck entsteht, es gäbe eine Konkurrenz zwischen den Lampen-Fabriken.“ Bei der „Propaganda zur richtigen Anwendung von mehr Licht bleibt die Wahl der Mittel jedem Mitglied vorbehalten, da es wünschenswert erscheint, dass keine Einheitlichkeit nach aussen besteht.“

Noch vor der Gründung des Elektrokartells war dies ein Streitpunkt gewesen, an dem die 1919 von Rathenau und Siemens gemeinsam gegründete Aktiengesellschaft Osram erst einmal scheiterte. Emil Rathenau hatte 1883 das „Glühbirnenpatent“ von Edison erwoben, sein Sohn Walther Rathenau wollte dann auf amerikanische Art mit Werbung das „Bedürfnis“ nach der neuen elektrischen Beleuchtung wecken. Dazu illuminierte er z.B. in München eine Theateraufführung und in Berlin das Café Bauer. Werner von Siemens wollte dagegen die Elektrifizierung von oben durchsetzen – durch Einflußnahme auf den Staat. Rathenau zog sich daraufhin aus Osram zurück, mit der AEG war er jedoch weiter im Glühbirnenkartell vertreten. Als Außenminister gelang es ihm, mit dem Vertrag von Rapallo auch im kommunistisch gewordenen Russland wieder Geschäfte zu machen, u.a. fungierte dabei sein  AEG-Konzern als „Milchbruder“ der  Moskauer Fabrik „Elektrosawod“. Die Glühbirne als Symbol für Aufklärung, Fortschritt und Erfindungsgeist wurde mit der „Elektrifizierung der Sowjetunion“ auch zu einem Symbol für Sozialismus. Wo dieser an Boden gewann, wurde es hell! Ernst Bloch schrieb: „Die Glühbirne im schattenarm gewordenen Zimmer hat die Anfechtungen des Nachtgrauens weit gründlicher geheilt als Voltaire.“ Der italienische Futurist Marinetti gestand: „Ich bete jede Nacht zu meiner Glühbirne.“

Glühbirnen haben eine „Seele“ – so nennt man ihre glühende Wolframwendel – seitdem der russische Forscher Alexander Gurwitsch herausfand, dass jede lebende Zelle Photonen emittiert – und der Zelltod, das Erlischen allen Lebens, dem  Ausknipsen einer Glühbirne ähnelt. Die  Birne ist zudem weiblich – erkennbar  an ihrer  „Uterusform“, wie die Professorin Gerburg Treusch-Dieter meinte. Und man sieht auch: „Sie ist perfekt“, wie 1929 der Elektroingenieur und Autor populärer Technikbücher Artur Fürst in seiner  Osram-Auftragsarbeit über die Glühbirne schrieb. Noch 2006 bezeichnete der leitende Osram-Diplomingenieur Alfred Wacker die Glühbirne als „einfach genial, das ganze Netz ist für sie gemacht“.

Desungeachtet soll sie nun verboten werden. „Tut uns leid, Mister Edison,“ hatte  Osram bereits 1989, als sich das Elektrokartell angeblich auflöste, verkündet. Und zwar in seiner Werbung für „Energiesparlampen“: ein Wort, das Osram „überhaupt erst“ zu diesem Zweck (dem Verkauf der umgebogenen Leuchtstoffröhren zu weit überhöhten Preisen) erfand, wie Alfred Wacker aus der Münchner Osramzentrale hervorhob, als die Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) 2008 meinte, Osram dürfe seine „Halogen-ES“-Birnen nicht „Energiesparlampen“ nennen.

Ich habe vorweggegriffen. Die eingangs erwähnte Geschichte von Byron, der unsterblichen Glühbirne, ist ein Kapitel in Thomas Pynchons Roman „Die Enden der Parabel. Alles darin klingt phantastisch – erweist sich jedoch bei genauerer Recherche als nur allzu wahr. So auch das Glühbirnenkartell Phoebus S.A., das sich später umbenannte in „International Electrical Association“ (IEA) und sich in  Pully bei Lausanne niederließ. Von dort teilte es mir 1992 brieflich mit, dass sich das IEA-Kartell im Herbst 1989 aufgelöst habe. „Wer’s glaubt, wird selig, meinte dazu der brasilianische Kartellforscher Rudolf Mirow. Er besuchte damals gerade das Kartellamt in Berlin. Anschließend schimpfte er: „Das sind keine Kartellverhinderer sondern -hüter.“ Auch bei der Treuhandchefin fand er dann kein Gehör, als er sie davor warnte, das Lampenkombinat Narva abzuwickeln, das geeignet wäre, dem Elektrokartell einmal „Paroli zu bieten“. Bis auf das Narva-Leuchtstoffröhrenwerk in Brand-Erbisdorf, das sich quasi selbst privatisierte, wurden im Osten so gut wie alle „Arbeitsplätze im Licht“ vernichtet (in Brand-Erbisdorf werden heute Energiesparlampen und Solarienstrahler hergestellt, aber auch Glühbirnen, die 6000 Stunden halten). Günter Grass schreibt in seinem 1995 veröffentlichten Treuhand-Roman „Ein weites Feld“, in dem ein befristet eingestellter Aushilfshausmeister namens „Fonty“ die Hauptrolle spielt: „Als letzten Treuhand-Auftrag soll er sich ein neues Wort für ‚abwickeln‘ ausdenken…danach schrieb er die Geschichte des VEB Glühlampenwerks als mögliche Bilderbogengeschichte: ‚Man könnte im Neuruppiner Stil mit Goebel/Edison, den Erfindern der Glühbirne, beginnen und dann die ewig vom Kurzschluß bedrohte Erleuchtung der Welt von Station zu Station steigern, bis es bei der volkseigenen Narva und auch sonst zappenduster wird‘.“

Die taz, dieses linksalternative Aufklärungsblatt, hatte ihm diesen Romanschluß gewissermaßen abverlangt. Und das kam so: 1982 saßen der taz-Kulturredakteur Mathias Broeckers und der taz-Vogelsberg-Korrespondent (ich) in einem Nachtzug von Berlin nach Fulda. Wir redeten über Glühbirnen, ausgehend von Pynchons unsterblicher, die er real übrigens in der Feuerwehrwache von Livermore/Kalifornien entdeckt hatte, wo sie seit 1901 brannte – und immer noch brennt. Dabei kamen wir auf eine ganz andere „Glühbirnenverschwörung“ als die der Phoebus/IEA zu sprechen, denn überall hatten wir seit der Pynchon-Lektüre Glühbirnen entdeckt: in allen möglichen Texten, Kunstwerken, Werbeplakaten ja selbst auf Stellenanzeigen. Byron lebte – und wie! In der taz-Buchmessenausgabe berichteten wir darüber – und dann auch in dem US-Journal „Pynchon-Notes“. In den darauffolgenden Jahren entstand daraus eine ganze taz-Glühbirnenforschung, der sich der Germanist Helmut Salzinger, der Kartellkritiker Kurt Rudolf Mirow, der Dichter Erich Fried, der Weddinger Erfinder Dieter Binninger und der Lampendesigner Stiletto anschlossen.

Richtig los ging es damit jedoch erst, als die Siemensmanager nach der Wende in der Treuhand-„Betriebsbewertungsgruppe“ Narva auf die Abwicklungsliste setzten und der Treuhandchef Detlef Rohwedder erschossen wurde (laut Bildzeitung „beim Auswechseln einer kaputten Glühbirne.“) – nachdem er die geplante Narva-Abwicklung ausgesetzt hatte. Das Werk war dann von Rohwedders Nachfolgerin an drei üble Westberliner Immobilienentwickler verkauft worden. Nach Protesten mußte die Treuhand auch diese klammheimliche Abwicklung wieder rückgängig machen. Ein weiterer Investor, Mister Kobayashi von „Phoenix-Lamps“, wurde mit „Patentproblemen“ weggebissen. Sodann trat Dieter Binninger als Narva-Käufer auf den Plan. Er hatte eine Glühbirne entwickelt, die 150.000 Stunden hielt (42 Jahre – so lange wie die DDR), die er in einer Fabrik mit nur einem Arbeiter, Herr Weinstock aus Poznan, produzierte.

Nachdem er seine Narva-Kaufofferte abgegeben hatte, stürzte Binninger mit dem Flugzeug bei Helmstedt ab. Das war zu viel! Ab da berichtete die taz fast täglich und ganzseitig über Narva, und ich gab mit dem Betriebsrat die Narva-Hauszeitung „Lichtblicke“, die die Treuhand eingestellt hatte, wieder heraus. Es nützte alles nichts: am Ende waren doch alle „Arbeitsplätze im Licht“ weg. Auch im Westberliner Osram-Werk wurden dann die Glühbirnenfließstrecken ausgelagert – in ein Werk im Elsaß. Damit war die Birnenproduktion in der ehemaligen „Stadt des Lichts“ an ihr  Ende gekommen. Stattdessen nahm die Werbung für Energiesparlampen immer mehr zu. Gleichzeitig konzentrierte sich Osram auf Leuchtdioden, die fast unsterblich waren. Auch wenn der Konzern sie immer heller und billiger macht, so dass sie nun doch wieder nur eine begrenzte Lebensdauer haben. Sie werden inzwischen als der letzte Schrei der Beleuchtungstechnik gepriesen. Die taz beschränkt sich jedoch einstweilen auf die Propaganda für „Energiesparlampen“.

Siehe dazu auch: „Das Glühbirnenbuch“, hrsg. von Peter Berz, Helmut Höge und Markus Krajewski, Wien 2001

Nachtrag 2

Manchmal kommt, fast ohne daß man sich groß ins Zeug legen muß, trotzdem alles politisch und ökonomisch aufs Schönste zusammen. 1981 oder so begann – mit Thomas Pynchons Buch „Die Enden der Parabel“ – unsere oberhessische Glühbirnenforschung. Helmut Salzinger veröffentlichte den ersten  Zwischenbericht. Sie endete quasi 1993 mit der Abwicklung der „Lichtproduktion“ beim Kombinat Narva.

Der ehemalige Einrichter in der Abteilung Allgebrauchslampe Michael Müller hatte sich während der Wende zunächst an Stefan Heym gewandt und ihn in sein Glühlampenwerk eingeladen. Heym hielt daraufhin eine Rede vor der Belegschaft, in der er sie aufforderte – ähnlich wie kurz zuvor Heiner Müller auf dem Alexanderplatz in seiner Rede, die ihm die Gruppe „Kritischer Gewerkschafter“ geschrieben hatte – : Sich jetzt im heranrückenden Kapitalismus ganz besonders um das Schicksal ihres Betriebes zu kümmern – sonst wären sie 1, 2, 3 ihre Arbeitsplätze los. Dies mit grußlosem Blick zur Kombinatsleitung hin. Den dann vom Betriebsrat angeführten Kampf gegen die Treuhand – um den wenigstens teilweisen Erhalt der Lampenproduktion, begleitete Heym mit Durchhalte-Telegrammen.   Umgekehrt wurde dafür z.B. der Nürnberger Robert Kurz mit Informationen über den Stand der Auseinandersetzungen und den Einfluß  des Elektrokartells in der Treuhand versorgt. Er arbeitete die Infos später in ein Abwicklungs-Epos ein, wobei ihm der Osram-Narva-Patentstreit um die Energiesparlampe zentral war. Daran stimmte zwar einiges nicht, aber der Richtigkeit seiner Analyse tat das merkwürdigerweise keinen Abbruch.  Als Nächster kam – über Walter Momper und die ostdeutsche Betriebsräteinitiative – Rolf Hochhuth ins Spiel. Der Dramatiker ließ sich Zeit bei der Recherche und packte dann die innere Kolonisations-„Problematik“ in einen Dialog, den er in der real existierenden Kneipe „Zur Glühlampe“ vis a vis von Narva stattfinden ließ. Sogar der Treuhandchef Detlef Rohwedder, der das Narva-Kombinat wieder von der Abwicklungsliste strich, schimpfte: Viele Westmanager benehmen sich drüben „schlimmer als Kolonialoffiziere“.  Günter Grass ließ schließlich seinen – in der Treuhandzentrale hilfsarbeitenden – Helden „Fonty“ als letzten Auftrag eine Geschichte der Aufklärung verfassen, die von Edison bis zur Abwicklung Narvas reichen, also das gesamte Hell-Dunkel-Spektrum der Ausklärung abdecken sollte. Danach wurde der Autor laut Günter Grass von der Treuhandchefin schnöde selbst entlassen.  Zuletzt sei noch Kurt Rudolf Mirow genannt, ein brasilianischer Unternehmer, den die Ruinierung der einheimischen Elektroindustrie durch das Elektrokartell politisiert hatte. Als Unternehmensberater publizierte er mit Freimut Duve mehrere Texte über das marktaushebelnde Treiben der G 7, wie die Elektrokonzerne des von Thomas Pynchon so genannten „Glühbirnenkartells“ in Pully bei Lausanne sich nannten. Später wies Mirow nach, dass die Zeit dieser Großkonzerne zu Ende gehe, weil sie immer unbeweglicher würden. Die Zukunft gehöre den wendigen „Start-ups“. Nachdem er die Narva-Unterlagen bekommen hatte, schrieb Mirow einen Brief an Birgit Breuel, in dem er sie darüber aufklärte, dass es in der Elektroindustrie noch nie eine Marktwirtschaft gegeben habe; deswegen sei der Erhalt von Narva wichtig – um dem Kartell „einmal Paroli bieten zu können“. Vergeblich. Oder fast vergeblich, denn Narva überlebte nur als Immobilie, wenngleich auch der Betriebsratsvorsitzende Michael Müller noch eine großzügige Übergangsfrist für die letzten 1100 Mitarbeiter aushandeln konnte.

Als unsere Glühbirnen-Forschungsgruppe „Bild kämpft für Narva“ langsam erlahmte, begann zur gleichen Zeit der Londoner Filmemacher Andrew Hood mit seiner Recherche über den bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Weddinger Glühbirnenerfinder Dieter Binninger, der Narva übernehmen wollte. Hoods Film „Binningers Birne“, der vom abgewiesenen Narva-Kaufinteressenten Gerhard Fuchs-Kittowski „gesponsort“ wurde, gefiel uns allen sehr, obwohl er darin quasi von einer Selbstverschuldung ausging. Dafür wurde aber Binningers Erfindung wunderbar geehrt. Schon kurze Zeit später erstellte einer unserer Mitglühbirnenforscher, Volker Ruhf, ein Gutachten über Binningers „Langlebensdauerglühlampen“ – für die Öko-Organisation Greenpeace, die seine Birnen weiterproduzieren wollten: als Öko-Widerstandssymbol gegen die ressourcenverschwenden Konzernpolitiken, was bei den im Elektrokartell organisierten dazu führte, u.a die „Lebensdauer aller Glühbirnen auf der Welt sukzessive von 5000 auf 3000, dann 2000 und nunmehr 1000 Stunden zu reduzieren. Weil im Greenpeace-Gutachten jedoch betriebs- und nicht volkswirtschaftlich argumentiert wurde, kam es nicht bis zur Wiederaufnahme der Produktion von Binninger-Birnen.

Zuletzt hatte sie ein polnischer Facharbeiter, Herr Weinstock, in einer kleinen Kreuzberger Fabrik namens „Vilum“ hergestellt. Auch der rechte aber renommierte Westberliner Erfinder Wolfgang Bogen, der diese Birnen, die bis zu 150.000 Stunden halten (das sind 42 Jahre, also so lange wie die DDR) dann noch einmal bei den Gesamtberliner Verkehrsampeln, deren Birnenauswechseln der Stadt jährlich 40 Mio DM kostet, ins Spiel bringen wollte, hatte kein Glück. „Die Rassereinheit muß erhalten bleiben,“ beschied ihm ein Sprecher von Siemens/Osram via Morgenpost barsch.  Nun gibt es jedoch im Internet wenigstens eine anonyme Fortschreibung der Aufklärung des Flugzeugabsturzes von Binninger – unter „www.lefthandcorner.wtal.de“. Ironischerweise präsentiert sich zur gleichen Zeit der avantgardistische Westberliner Lampen-Designer Stiletto, bei dem Frau Binninger zuletzt arbeitete, mit einer vollverspiegelten (!) Dunkelbirne namens „Mehr Nacht“ – in seinen neuen Verkaufsräumen in der Auguststraße 2 in Mitte. Gleichzeitig richteten Hannah Hurtzig und Jürgen Kuttner im Volksbühnen-Glasbüro von Schlingensieff eine „Dokumentationsstelle Glühbirnenforschung“ ein, die sich – im Hinblick auf seine Darstellbarkeit in einer Art „Rollenden-Road-Schau“ – mit dem Konflikt um Narva-Arbeiter, Binninger und das Glühbirnenkartell IEA in Pully bei Lausanne befaßte – und zwar öffentlich, jeden Donnerstag ab 17Uhr. Auch der Designer Stiletto, der sich als Unternehmer bereits der 1 Mio DM-Umsatzmarke nähert, hatte darin nebenbeibemerkt einen kurzen Werbe-Auftritt.

All diese Glühbirnen-Aktivitäten haben uns westdeutsche Alt-Glühbirnenforscher natürlich aufs Neue elektrisiert. Das führte bereits zu einem ersten „Glühbirnenbuch“, welches von der Wiener Edition Selene herausgehauen wurde. Als Herausgeber fungierten u.a. der Humboldt-Kulturwissenschaftler Peter Berz, der eine Doktorarbeit über die Standardisierung (am Beispiel von Maschinengewehr und Glühbirnenfassung) schrieb, sowie der Kulturwissenschaftler Markus Krajewski, der eine Diplomarbeit über den (Kartell-) „Krieg des Lichts“ verfaßte. Auch Osram war nicht untätig. Es geht das Gerücht: Sie sollen sogar unser Wiener Glühbirnenbuch „gesponsort“ haben. Anders wäre der plötzliche „Ruck“ im Verlag Selene gar nicht zu erklären! Aus dem Licht-Monopolisten selbst war nur zu hören: Zwar wurde das Wolfram-Werk von Osram im spanischen Wolfram vor einiger Zeit geschlossen und das Wendel-Werk im Wedding wird demnächst nach Tschechien verlegt, dafür werden aber über 20 Mio DM in Spandau investiert – für neue Produkte „im Licht“. Die Belegschaft dort will man bis 2003 dennoch von 1800 auf 1600 reduzieren. Nebendran im Glaswerk arbeiten weitere 300 Mitarbeiter – ihr Arbeitsplatz ist nicht gefährdet. Es wurden sehr viele Narva-Leute in den letzten Jahren eingestellt – ganze Abteilungen. Im ehemaligen Osram-Werk an der Warschauer Brücke gab es mal einen Arbeiter, der nach 1945 erst von Narva dortselbst übernommen wurde, wo er es bis zum Sicherheitsinspektor brachte. Und dann – nach 1989 – stellte ihn wieder Osram in Spandau ein – ebenfalls als Sicherheitsinspektor. Er heißt Kafka – und wurde gerade vorzeitig pensioniert… Sollte uns das nicht alles zu denken geben? Ich denke, Nein!

Nachtrag 3

Parmenides stellte sich die wissenschaftlichen Begriffe als ein Geschenk der Göttin Dike vor – in Form von Lichtstrahlen. Noch lange danach begriff man das Wissen und später die „Aufklärung“ als Licht, das in die finsteren  Schädel der Zeitgenossen geworfen wird. So daß es dann im Sozialismus nur noch ein kleiner Schritt war bis zur Leninschen Formel: „Kommunismus gleich Elektrifizierung des ganzen Landes plus Sowjets“. Wobei die Elektrifizierung auf dem Edison-System basierte, d.h. auf dem von Thomas Alfa Edison entwickelten Stromerzeugungs- und Leitungssystem, das bis zur Glühbirne geht, die von Heinrich Göbel erfunden wurde. In der Sowjetunion sorgte dafür eine Kooperation mit der AEG von Rathenau, der die Rechte am  Edison-Patent gekauft hatte. Fürderhin ging es zwischen ihm und den anderen Patent-Inhabern im Westen aber darum, das System zu verbessern und vor allem überall in Anwendung zu bringen, wobei man sich nicht scheute, neuen Elektrounternehmern in „non-producing countries“ etwa  das Leben schwer zu machen, d.h. sie vom Markt zu fegen.

Gleichzeitig wurde die Lebensdauer der Glühlampen weltweit auf 1000 Stunden reduziert, zuletzt nach der Wende in Europa sogar einige Jahre auf 700, nachdem man dort die Stromspannung von 220 auf 230 Volt erhöht hatte. In der Zwischenzeit machten jedoch die nationalen Elektrokonzerne sich selbst Konkurrenz, indem sie neben der Glühlampe auch noch andere Lichtquellen entwickelten. Genannt seien die vor allem im Osten als  Straßenbeleuchtung gebräuchlich gewesenen Natrium- bzw. Quecksilber-Hochdrucklampen. Davor gab es aber noch die Entwicklung der Neonröhre, die von den Westkonzernen als Reaktion auf die Umweltschutzbewegung vor allem als „Energiesparlampe“ vermarktet wurde. Diese bloß umgebogene kleine Neonröhre wurde sogar als Überwindung der energieverschleißenden Glühbirne angepriesen. Dabei ist sie hochgiftig (quecksilberhaltig), gibt ein Scheißlicht, springt draußen bei großer Kälte oft nicht an und kostet viel zu viel. In Privathaushalten ist sie sowieso dummes Zeug, denn dort gibt man nur noch maximal 7% der Stromkosten für die Beleuchtung aus: Was will man da noch einsparen?

Auch die daneben aufgekommenen Induktions- und Halogenlampen waren keine große Neuerung: im Prinzip bloß statt mit Vakuum mit Edelgas (z.B. Xenon) gefüllte Glühbirnen. Sie kamen vor allem als „Niedervoltlampen“ in Kneipen in Mode. Mit Gasfüllungen hatte in den Siebzigerjahren bereits der Weddinger Erfinder Dieter Binninger experimentiert, dessen ganz normale „Langlebensdauerglühlampen“ (den Namen borgte ihm Narva) dann bis zu 150.000 Stunden hielten. Sie waren besonders geeignet für Orte, wo man nicht gut rankommt (etwa auf Flughafenlichttürmen in Bergwerken etc.) Der Clou von Binningers Birnen bestand neben einer verbesserten Wendel-Geometrie in einer kleinen Diode im Fuß, die kurz gesagt so ähnlich wie ein Dimmer wirkte. Bewag-Tests ergaben: Die Binninger-Birne war tendenziell „unsterblich“. Jetzt sind diese ganzen „Unsterblichkeits“-Diskussionen um die Glühbirne aber insofern entschärft als es die Leuchtdioden gibt: LEDs, die immer mehr leisten als Lichtquelle und vor allem immer billiger werden. Sie halten theoretisch 100.000 Stunden und haben keine Emissionen. Zwar sind sie sehr klein, aber man kann beliebig viele hintereinander schalten, man spricht dann von einer „LED-Matrix“ – und diese kann eine ganze Leuchtwand bilden, auch eine Hauswand als riesiger Leuchtkörper ist damit denkbar.

Die kanadisch-litauische Künstlerin Laura Kikauka arbeitet schon seit Jahrzehnten damit, zuletzt zahlte sie in New York 1 Dollar für eine Leuchtdiode, die sie für ihre Kitschinstallationen verwendet – erst im „Schmalzwald“-Club, neuerdings im „Chinarestaurant“ in der Torstraße. Allerdings haben die LEDs kein so schönes Licht wie Glühbirnen, deren Spektrum dem Sonnenlicht am nächsten kommt. Genaugenommen sind Glühbirnen auch kleine Sonnen, d.h. am glühenden  Wolframdraht passiert im Kleinen so etwas Ähnliches wie auf der Sonnenoberfläche. Insofern war der erste Philosoph Parmenides bereits auf der richtigen Spur.

Nachtrag 4

Die Entwicklung der Lichttechnik bewegt sich stets zwischen den drei Polen „Ethik, Energie und Ästhetik“. Hierzu befragte ich den Oberingenieur Felix Serick von der TU Berlin – Fachgebiet Lichttechnik, und den Diplomingenieur Alfred Wacker vom Geschäftsbereich Hochdruckentladungslampen bei Osram in München, der übrigens nach wie vor „ein Faible für Glühlampen“ hat, weil sie „genial einfach“ konstruiert sind, ebenso ihr Betrieb und weil das Stromnetz für sie erfunden wurde.

In der Lichttechnik beschäftigt man sich nur mit den Strahlen im sichtbaren Bereich, d.h. alles wird laut Felix Serick „grundsätzlich von der Augenempfindlichkeit aus bewertet“.

Am Pol Ästhetik geht es dabei u.a. um die „Farbqualität“, wobei die Glühlampe (mit einem Farbwiedergabeindex von 100) nach wie vor besser abschneidet als Entladungslampen, die immer „Löcher im Farbspektrum“ aufweisen, wie Alfred Wacker das nennt. Ähnliches gilt auch für Leuchtstoffröhren: Wenn man z.B. die Glühlampe über dem Eßtisch durch eine Energiesparlampe ersetzt, sieht plötzlich der Brotaufstrich längst nicht mehr so appetitlich aus. Vorbild für die Lichttechniker ist stets das „kontinuierliche Spektrum der Sonne“, die tagsüber mit 6000 Kelvin abstrahlt und abends auf 1800 absinkt. „Wir müßten uns vielleicht auch mit adaptiven Lichtquellen beschäftigen, die gegen Abend matt werden,“ gibt Herr Wacker deswegen zu bedenken. Bei der Glühlampe kann man das bereits mit einem Dimmer erreichen. Auf kompensatorische Weise tun das die Leuchtstoffröhrenkäufer, indem sie z.B. in Norwegen welche mit warmem Licht bevorzugen und in Sizilien solche mit kälterem Licht.

Am Pol „Energie“ schneiden dagegen die Entladungslampen besser als die Glühlampen ab, weil sie einen bis zu 8 mal höheren Wirkungsgrad haben. Letztere  konnten jedoch bei ihren Halogen-Varianten aufholen, indem es gelang, durch Mehrfachbeschichtung des Glaskolbens die nutzlose Infrarotabstrahlung wieder zurück auf die Wendel zu spiegeln. Mit diesem „Wärme-Recycling“ wird die Lichtausbeute um 30% gesteigert.

Am Pol „Ethik“ haben wir es u.a. mit dem Widerspruch zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft zu tun, der durch die Kartellisierung  der Elektroindustrie in der Vergangenheit noch verschärft wurde. Erst am 13. September 1989 löste sich das internationale Elektrokartell IEA angeblich auf, wie mir die Liquidatoren 1991 brieflich aus Pully bei Lausanne mitteilten. Der Begriff des Kartells stammt aus dem Duellwesen – bei der Lampenproduktion drehte sich der Kampf vorwiegend um die „Lebensdauer“, um Dumpingpreise und um „producing and non-producing countries“ sowie um Patentprioritäten. So haben z.B. die Ägypter das Edison-Patent  nie anerkannt – mit der Begründung, daß sie schon 2000 Jahre vor Christus eine Art Glühlampe erfunden hätten, wie Edison selbst in seinem Buch „Meine 40jährige  Prozessiererei“ schrieb. In Summa kann man vielleicht sagen, dass ein Fortschritt auf dem einen Pol immer auch einen Rückschritt auf einem anderen bedeutet. Oder umgekehrt: So hat z.B. die „Energiekrise“ in den Siebzigerjahren sofort die Entwicklung neuer Lichtquellen forciert. Die Elektrokonzerne, es gibt nur etwa ein halbes Dutzend weltweit, müssen dazwischen sozusagen einen ständigen Eiertanz vollführen. Aus Berlin, der einstigen „Stadt des Lichts“, wurde in diesem Zusammenhang jüngst die letzte Allgebrauchslampenfertigung ins Elsaß verlegt. Das Werk  bleibt zwar erhalten – man wird sich hier aber zukünftig auf „anspruchsvollere Lampen“  (konkret auf Plasma-Lichtquellen – vor allem  Hochdrucklampen) konzentrieren.

Das Problem ist bei allen elektrischen Lichtquellen das gleiche – mit den Worten von Felix Serick: „Die natürliche Wiedergabe von Körperfarben, wie sie mit Hilfe des kontinuierlichen Sonnenspektrums erfolgt, erfordert eine annähernd gleichmäßige spektrale Ausfüllung des gesamten sichtbaren Wellenlängenbereichs von 380…780 Nannometern (nm). Die Augenempfindlichkeit erreicht ihr Maximum bei 555 nm (gelb-grün) und fällt annähernd symmetrisch um dieses Spektrum soweit ab, dass sie bereits bei 473 nm (blau) bzw. 652 nm (rot) die 10%-Grenze – bezogen auf den Maximalwert – unterschreitet. Eine gleichmäßige Füllung des gesamten sichtbaren Bereichs (verbunden mit exzellenter Farbwiedergabe) steht also (immer) im Gegensatz zu hohen Lampenwirkungsgraden“ – bisher jedenfalls noch. Und das Verfahren bei den Glühwürmchen – auch wenn sie den Leuchtdioden täuschend ähnlich sehen – hilft uns dabei nicht weiter, denn ihre  Energiequelle besteht nicht aus Elektrizität, sondern aus einer Lumineszenz zwischen zwei chemischen Stoffen, d.h. organischen Molekülen, bei deren Vermischung eine Photonen-Emission auftritt. Es ist nicht einfach, diese beiden Stoffe – Luziferin und Luziferase genannt – industriell herzustellen, deswegen ist ihr Licht gegenüber der elektrischen Beleuchtung nicht konkurrenzfähig.

1991 – 1994 bildete sich eine Recherchegruppe, die versuchte mit Fakten und Verstimmungen  die Abwicklung des Berliner Glühlampenwerks Narva rückgängig zu machen. Es ging dabei um Siemens bzw. um das einst von Edison, Rathenau und Siemens gegründete Elektrokartell, das sich zuletzt – 1991 – International Electrical Association (IEA) nannte und in Pully bei Lausanne domiziliert war bzw. immer noch ist. Dieses im Geheimen wirkende Kartell, das die Preise und Produktionsstandorte weltweit bestimmt,  war zuvor bereits in der Fiktion „Die Enden der Parabel“ von Thomas Pynchon aufgetaucht, wobei es primär um ihre Zentrale zur Senkung der Lebensdauer von Glühbirnen ging. Und diese Zentrale befand sich ausgerechnet im Narva-Lichtturm an der Warschauer Brücke – bis die Kommunisten kamen natürlich nur. Die Beschäftigung mit der Lebensdauer und dem dahinterstehenden IEA-Vorläufer „Phoebus“ begann im Feuilleton der taz bereits 1983 – kurz nach Erscheinen des US-Romans auf Deutsch, den u.a. Elfriede Jellinek übersetzte. Dabei wurde aus der Pynchon-Fiktion eine reale Organisation – so wie fast alles in seinem Werk von Realgeschichte durchkreuzt war, wie wir dann nach und nach entdeckten.

Zum Kreis der „Glühbirnenforscher“ gehörten außerhalb der taz Erich Fried – als kommunistischer Dichter und gegen das Elektrokartell kämpfender  Glühbirnenpatentinhaber, der Weddinger Glühbirnenverbesserer und Hersteller von „Langlebensdauerglühlampen“, die 150.000 Stunden hielten – Dieter Binninger. Der brasilianische Elektrounternehmer und geharnischte Kartellkritiker Rudolf Mirow. Der marxistische Erkenntnistheoretiker Alfred Sohn-Rethel, der die notwendige Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit u.a. am Beispiel einiger chinesischer Glühbirnenfabriken während der Kulturrevolution studierte. Der brasilianische Philosoph Vilèm Flusser, der für eine von uns/taz geplante „Glühbirnenausstellung“ die notwendigen „Gedanken“ beisteuerte – unter dem Titel „Mehr Licht!“ . Und schließlich noch der  Schriftsteller Helmut Salzinger, der die erste Zusammenfassung unserer „Glühbirnenforschung“ veröffentlichte.

Diese „Forscher“ über das verbrecherische Wirken des Elektrokartells IEA eint, dass sie inzwischen alle tot sind. Auch die „Glühbirnenforschung“ kam langsam zum Erliegen – nachdem das Narva-Werk erst privatisiert und dann doch abgewickelt wurde, weil der einzige Investor, der „Arbeitsplätze im Licht“ erhalten wollte – der japanische Lampenhersteller Kobayaschi/Phoenix – von Osram/Siemens mit einem „Patentrechtsproblem“ ausmanövriert wurde. Kam noch hinzu, dass es so schien, als ob die Glühbirnen sowieso langsam durch Leuchtdioden ersetzt wurden und werden – womit sich der „Kampf um die Lebensdauer“ quasi von selbst erledigte. Einmal bat mich der Dichter Sascha Anderson, in einer Kneipe im Prenzlauer Berg einen Dia-Vortrag über Glühbirnen zu halten – aber das interessierte dort kein Schwein, auch Anderson nicht.

Ich erwähne es hier nur, weil die „Glühbirnenforschung“ lange nach diesem kläglichen Ende jetzt plötzlich wieder interessant wird. Wegen der vielen Prozesse gegen den Siemens-Konzern, den man inzwischen fast weltweit der Zahlung von Schmiergeldern bezichtigt – der  gleichzeitig jedoch im Förderverein von „Transparency International“ saß, wo er nun aber rausgeflogen ist. Erneut „vernetzen“ sich – nach hier und nach dort – die  „Glühbirnenforscher“. Es gibt ja inzwischen so viele – in den USA haben sie sich um die Zeitung „Pynchon Notes“ gescharrt. Diesmal sind es jedoch komischerweise hauptsächlich Frauen. Wie ja überhaupt die „Kriegsforschung“ sukzessive zu einer reinen Frauendomäne geworden ist. Und es nun auch zumeist Frauen sind, die dabei umkommen. Womit ich nicht sagen will, dass die o.e. Männer alle bei der Glühbirnenforschung ihr Leben verloren. Obwohl diese Häufung schon eine höhere Merkwürdigkeit hat, so wie ja auch Detlef Rohwedder laut BILD just beim Auswechseln einer kaputten Glühbirne in seiner Wohnung erschossen wurde. Danach nannte sich die „Künstlergruppe“ bei den  Glühbirnenforschern, die sich an der Auseinandersetzung zwischen Narva und der Treuhand/Siemens – via taz – beteiligte, prompt: „BILD kämpft für Narva“.

Nun, da Australien und Deutschland den Anfang machen wollen – mit einem flächendeckenden Glühbirnenverbot – soll man da jetzt noch mal kämpfen – für diese Lampen? die genau umgekehrt wie Glühwürmchen funktionieren, bei denen 93% der Energie in Licht umgewandelt wird. Natürlich sind Energiesparlampen, die stattdessen empfohlen werden, teuer, giftig und von begrenzter Lebensdauer, sie verbreiten schlechtes Licht und sehen außerdem scheiße aus, aber ersetzt werden die Glühbirnen  sowieso eher von Leuchtdioden (LETs) in Clustern, wenn nicht gar ganzen Wänden. Das Verrückte an diesen neuen Politikkampagne ist die Klimakatstrophenhysterie daran, die wieder einmal nur dazu führt, dass der kleine Endverbraucher verarscht wird: Ausgerechnet er, der nur noch 5-7% des Stroms für Licht in seinem Haushalt verbraucht, soll dabei Energiesparen! Und das soll sich auch noch klimaschonend auswirken. Während die Konzerne und die Städte, die Werbung und die Sicherheitspolitik immer wahnwitzigere und teurere Illuminationen nächtens veranstalten.

Der Verdacht liegt nahe, dass es die Elektroindustrie selbst ist, die das „Glühbirnenverbot“ verlangte: Es lohnt sich nicht mehr, sie zu produzieren, deswegen müssen teurere Produkte sie ersetzen.

Nachtrag 5

Neulich ging ich in das Institut für Lichttechnik der TU, weil ich dort Näheres über die Entwicklung der elektrischen Beleuchtung von den Glühbirnen bis zur  Leuchtdiode zu erfahren hoffte. Der dortige Oberingenieur bot mir eine Tasse Kaffee an – und begann… Als ich nach zwei Stunden wieder ins Freie trat, fühlte ich mich so frisch – wie nach einer kühlen abendlichen Dusche an einem langen heißen Tag. Es war ein optimistisch-technischer und strahlungsphysikalisch untermauerter Vortrag gewesen. Und das auch noch konkret von Osram ausgehend und dort entwicklungsgeschichtlich auch aufhörend: bei dem von Siemens und Osram gegründeten Tochterunternehmen in Regensburg, wo LEDs produziert und wo zum ersten Mal auch wieder seit Jahrzehnten in  einem deutschen Werk der Elektroindustrie eine nennenswerte Zahl Patente angemeldet wird. Der Vortrag des Oberingenieurs war durchaus als konservativ zu bezeichnen, was war also das Erfrischende daran? – Wenn man mal von der Person des Vortragenden absah, er war  stellvertretender Leiter des Instituts für  Lichttechnik und vor seiner Tür stand großes ein Siemens-Denkmal… Es war gerade die – auch noch für mich, dem Laien – besonders schlicht gehaltene Art, die aus einem soliden Grundvertrauen in den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt zu resultieren schien. Während mich die Glühbirne jahrelang nur unter dem Aspekt einer Verschwörung des Elektrokartells gegenüber dem Sozialismus (Narva) und der Lebensdauer von Lampen interessiert hatte.

Bis in die verzweigtesten Hinweise hatten wir uns dabei – in unserer Vereinigung unabhängiger  Glühbirnenforscher – verstiegen, um zuletzt bei Parmenides und der Geopolitik der Erdölkonzerne sowie bei den Eurasiern zu landen. Jedenfalls, die Luft war immer dünner geworden – so wie bei der Evakuierung der Glühbirnen selbst. Allerdings kam auch der Oberingenieur kurz auf das Elektrokartell zu sprechen: Es gibt ja bloß noch drei Konzerne – General Electric, Siemens und Philips, und dann noch die Japaner. Und sie haben nach 89 auch den Osten unter sich nahezu aufgeteilt. Aber in der Lichttechnik hat man es, anders als in der Strahlenphysik, zu der die Lichttechnik ja gehört, nur mit Strahlen im sichtbaren Bereich zu tun: alles wird grundsätzlich von der Augenempfindlichkeit aus bewertet (in Lumen). Für diesen Bereich gibt es Formeln, Verteilungskurven des Lichtsprektrums und – im angewandten Bereich – enorme Anstrengungen, das außerhalb des Sichtbaren quasi nutzlos verpulverte Licht (seine ultravioletten und infraroten Anteile), im Glaskolben auf die Lichtquelle zu ihrer erneuten Speisung wiederspiegeln zu lassen oder sie mit Leuchtstoffen ins Sichtbare – d.h. zu unserer Erhellung bzw. zur Erhellung der  nächsten Umgebung – zu verschieben. Das aber ändert sich mit dem Übergang von den Elektroden (die sich immer abnützen) zu den Elektronen (die zwischen Halbleiterplatten Photonen freisetzen – weswegen die Leuchtdioden tendentiell ewig halten).

Jetzt gibt es schon 3-4 Watt starke LEDs, die wegen der darin erzeugten  Wärme aber wieder eine begrenzte Lebensdauer haben. Jedenfalls, es findet hier bei den Lichtquellen ein ähnlich technischer, wirtschaftlicher und epistemologischer Bruch statt wie seinerzeit bei der Ersetzung der Röhren durch Transistoren. Und natürlich lassen sich diese kleinen noch lichtschwachen Leuchtdioden zu „Clustern“ bündeln – zu beliebig großen und dementsprechend hellen Leuchtkörpern. In Japan haben sie bereits die Glühbirnen in den Verkehrsampeln ersetzt.

Zum Schluß fragte ich den Oberingenieur, ob die LEDs sich zu den Glühbirnen, die zu 93% Wärme erzeugen, ähnlich wie diese zu den Glühwürmchen verhalten, welche genau umgekehrt 93% der Energie in Licht umwandeln. Nein, wurde mir geantwortet, das sind ganz unterschiedliche Verfahren – bei den LEDs und den Glühbirnen besteht die Energie aus Elektrizität, beim Glühwürmchen aus einer Chemolumineszenz zwischen zwei chemischen Stoffen, organische Moleküle in diesem Fall, bei deren  Vermischung eine Photonen-Emission auftritt. Es ist nicht einfach, diese beiden Stoffe – Luziferin und Luziferase genannt  – industriell herzustellen. Ihr  Licht ist deswegen gegenüber der elektrischen Beleuchtung nicht konkurrenzfähig. Diese letzte Erklärung stellte unsere alte, kritisch-paranoide These vom lebenslangen Kampf – das Gute (Elektrisch Helle) gegen das Böse (Luziferisch-Dunkle) – quasi auf ein betriebswirtschaftlich-naturwissenschaftliches Fundament. Vielleicht war es das: Ich war gründlich mit harten Fakten niedergerungen, in meiner dialektischen Weltsicht jedoch letztlich bestätigt worden. Bei nachlassendem Augenlicht übrigens.

Nachtrag 6

In Europa gehen die Lichter aus – mindestens die Glühbirnen, das wünscht sich der Bundesumweltminister. Und prompt wurde im Feuilleton landauf, landab das Ende der Glühbirne – als weltweit gültiges Symbol für Fortschritt, Erfindungsgeist, Ideen und Sozialismus – gefeiert. Der Umweltminister Sigmar Gabriel will es mit seinem „Glühbirnenverbot“ Australien nachtun, wo sein Kollege im dort besonders aussichtslosen Kampf gegen das Ozonloch und den Klimawandel alle Glühbirnen des Kontinents bis 2010 durch so genannte Energiesparlampen ersetzen will.  Die Glühbirne aber ist unsterblich. Obwohl oder weil sie eine Energieeffizienz hat, die umgekehrt proportional zu der des Glühwürmchens ist. Das infolge der Klimaerwärmung sich langsam bis Skandinavien ausbreitende Leuchtinsekt wandelt 93 Prozent der Energie in Licht und nur 7 Prozent in Wärme um, während die Glühbirne eher ein Heizgerät ist. Durch das Glühen ihrer Wolframwendel – „Seele“ genannt – im Inneren des gebärmutterförmigen Glaskolbens – entsteht eine Sonne en miniature. Das macht ihr Licht so angenehm. Im Gegensatz zu dem der Energiesparlampe, die nur eine umgebogene Leuchtstoffröhre ist, zudem giftstoffhaltig, was sie beim Zerbrechen gefährlich und ihre Entsorgung teuer macht. Und sie ist sauhässlich, ebenso ihr Licht. Außerdem hat man ihr, wie der Glühbirne, einen „geplanten Verschleiß“ eingebaut – im Sockel: Sie lässt sich nicht beliebig oft an- und ausschalten und bei Frost springt sie manchmal nicht an.

All das ließe sich marktwirtschaftlich „regeln“. Von dort kommt jedoch der größte Einwand gegen den „Energiesparlampenschwindel“: Privathaushalte verbrauchen heute nur noch etwa 7 Prozent der Elektrizität für Licht, der Rest wird für immer mehr Elektrogeräte und Elektronik benötigt.  Als die Glühbirne sich mit dem Edison-Patent – das ein ganzes System vom Wechselstromgenerator über das Leitungsnetz und den Schalter bis zur Wendelgeometrie der Birne umfasst – langsam durchzusetzen begann, gab es in den G[Glühbirnen]-7- Ländern, heute sind es 8 (mit dem exsozialistischen Russland, das eine eigene ruhmreichere Glühbirnengeschichte hat), nur Monopolbetriebe im Westen. In Deutschland war das die von Werner von Siemens und Emil Rathenau gegründete Firma Osram. Die beiden Elektropioniere zerstritten sich an der Frage der Glühbirnen-Vermarktung. Gaslicht war billiger, und noch Anfang der Dreißigerjahre konnte sich ein Arbeiterhaushalt höchstens eine 15-Watt-Birne leisten, die nur wenige Stunden am Tag brennen durfte.  Der jüdisch-protestantische Rathenau wollte das Bedürfnis nach dem neuen Licht auf gut amerikanische Art mit Reklame „wecken“. Zu diesem Zweck illuminierte er z. B. kostenlos ein Theater in München und in Berlin das Café Bauer Unter den Linden, wo er selbst im Keller den Generator mit Wasser kühlte, als der sich überhitzte. Siemens setzte dagegen preußisch-militaristisch auf Beeinflussungsstrategien – gegenüber Staaten und Verwaltungen. Rathenau zog sich bald aus dem Osram-Abenteuer zurück. Die Firma gehört bis heute zu Siemens, im Zuge der Nazieroberungen verleibte der Elektrokonzern sich vorübergehend auch noch Philips und Tungsram ein.

In der einstigen „Stadt des Lichts“ werden seit der Wende keine Glühbirnen mehr hergestellt: 1994 wurden im alten Osram-Glühlampenwerk an der Warschauer Brücke, das zu DDR-Zeiten „Narva“ hieß, sämtliche „Arbeitsplätze im Licht“, wie man dort sagte, abgewickelt, und 2004 verlegte man die Glühbirnenproduktion im Spandauer Osramwerk in das Elsass: „Wir sind jetzt ein High-Tech-Betrieb!“, meinte die Telefonistin kichernd. Es werden dort jetzt Hochdrucklampen, u. a. für Straßenlaternen, hergestellt. Der wahre Osram-High-Tech findet im Regensburger Werk statt – in der Leuchtdioden-Entwicklung (die Fertigung befindet sich in Malaysia). Bei den so genannten LEDs meldet Siemens (Deutschland) seit langem mal wieder laufend Patente an. Und sie werden wohl bald auch – zu ganzen „Lichtwänden“ geclustert und in lebensverkürzender Weise hochgetrimmt – die Glühbirnen ersetzen.  Ironischerweise ging der von Rathenau einst gegründete AEG-Konzern nicht an einem Mangel an Patenten pleite, sondern an der schlechten Vermarktung seiner Produkte. Schon Rathenau war mit seiner AEG dem Konkurrenten Siemens entgegengekommen: Erst gründeten sie zusammen mit Edison (General Electric) u. a. ein europäisches und dann ein internationales Elektrokartell: die IEA (International Electrical Association), mit Sitz in Pully bei Lausanne. Kartellexperten gehen davon aus, dass dieses Syndikat, das weltweit die Preise festlegte, Konkurrenten mit Dumpingpreisen und Patentrechtsprozessen niederkämpfte und gemeinsam festlegte, welches Land was produzieren durfte, sich erst 1999 auflöste. Mir selbst schrieb die IEA, sie hätte sich bereits 1989 aufgelöst. Dies wurde jedoch allgemein als zu schön, um wahr zu sein, bezeichnet. Wahr ist jedoch, dass General Electric Anfang der Achtzigerjahre unter Jack Welch aus der IEA austrat – und er den ganzen Konzern umkrempelte.

Ende der Neunzigerjahre versuchte der Siemens-Chef von Pierer sich an einem ähnlichen „Konzernumbau“, „10-Punkte-Programm“ von ihm genannt, das dann von seinem Nachfolger Kleinfeld fortgeführt wurde – und wird: 2005 ließ er die Handysparte erst für 350 Millionen Euro bei dem taiwanesischen Konzern BenQ zwischenlagern und dann mit noch einmal 30 Millionen Euro abwickeln. Und nun wird der Communication-Bereich in ein Joint Venture mit Nokia ausgelagert, wobei Siemens wegen des unklaren Ausgangs der ganzen Korruptionsermittlungen und -prozesse gegen den Konzern noch einmal 300 Mio Euro drauflegte. Der Chefredakteur von Europolitan, Marc Sondermann, nannte diese „Verschlankung“: „eine der schwerwiegendsten strategischen Weichenstellungen in der 160 Jahre langen Konzerngeschichte“, dazu noch im Hauruckverfahren durchgezogen, so dass der nunmehrige Aufsichtsratschef von Pierer seinem Nachfolger Kleinfeld über die Presse mitteilen ließ, solche „,Parforceritte‘ wie mit der Com-Sparte künftig gefälligst ausbleiben“ zu lassen.

Deutlich werde dabei, so Marc Sondermann, „dass Kleinfeld aus der Erkenntnis, seinem Hause lägen konsumentennahe, von Marktinnovationen getriebene Technologiesprünge nicht, die radikalste aller Konsequenzen geschlossen hat: vollständiger und totaler Abschied aus dem Konsumentenmarkt“. (Die Hausgeräte werden bereits im Joint Venture mit Bosch produziert und das PC-Geschäft zusammen mit Fujitsu betrieben).  Dieser ganze Konzernumbau hat zum Ziel, Anschluss an die neuen Kapitalströme zu finden. Vorher war Siemens eine Aktiengesellschaft, deren Aktionäre an „langfristigen Gewinnen durch Dividenden“ interessiert sein mussten, denn von einer „Performance der Siemens-Aktie“ konnte genau genommen keine Rede sein – sie ähnelte einer Staatsanleihe. Und der multinationale Konzern war ja auch noch eng mit „seinem“ Nationalstaat verknüpft. Nach seinem „Umbau“ wurde der Konzern auch für „Investoren“ interessant, die nur auf „kurzfristige Gewinne aus Aktienmärkten“ spekulieren. Die Aktionäre profitieren sogar davon, wenn Siemens sich weltweit mittels Schmiergeldern Aufträge verschafft, die er dann mit erhöhten Preisen wieder reinholt: So kosten z. B. medizintechnische Geräte von Siemens in Russland doppelt so viel wie in Deutschland.

Und hier wiederum hält sich der Konzern am Finanzamt schadlos, wie die Spiegel-Journalisten H. R. Martin und H. Schumann in ihrem Buch „Die Globalisierungsfalle“ meinen: „So verlegte z. B. Siemens seinen Konzernsitz steuerrechtlich ins Ausland. Von den 2,1 Milliarden Mark Gewinn des Geschäftsjahres 1994/95 bekam der deutsche Fiskus nicht einmal mehr 100 Millionen, im Jahr 1996 zahlte Siemens gar nichts mehr.“ Auch anderswo nicht: „Das Imperium Siemens führte noch 1991 fast die Hälfte des Gewinns an die 180 Staaten ab, in denen es Filialen unterhält. Binnen vier Jahren schrumpfte diese Quote auf nur noch 20 Prozent.“ Gleichzeitig vermehrten sich bei der Bank aller Banken „Clearstream“ in Luxemburg die „unveröffentlichten Konten“ von Siemens, über die wahrscheinlich ein Großteil seiner Schmiergeldzahlungen abgewickelt wurde: „Die Aufnahme von Siemens sorgte für Wirbel“ in dieser den Banken vorbehaltenen Metabank, erinnert sich der ehemalige „Clearstream“-Manager Ernest Backes. Daneben hat sich Siemens auch in andere Richtung vorgearbeitet – und dabei stets die dicksten deutschen Forschungsgelder, Dritte-Welt-Entwicklungsprojekte und – nach der Wende – die meisten DDR-Betriebe abgegriffen. Daneben versuchte der Konzern erst das DDR-Glühlampenkombinat Narva auf die Abwicklungsliste der Treuhand zu setzen.

Als der Betrieb dennoch neu ausgeschrieben wurde, teilten sie allen Interessenten mit, sie bräuchten sich nicht zu bewerben, denn sie würden das Werk selbst übernehmen – dabei hatten sie gar keine Kaufofferte abgegeben. Als dann General Electric den DDR-Vorzeigekonzern Elpro privatisieren wollte, überredete Siemens einen Tag vor Vertragsunterzeichnung die GE-Manager in Belgien, vom Kauf zurückzutreten, dafür wollten sie ihnen helfen, wieder im Iran ins Geschäft zu kommen. Als Samsung den Ökokühlschrankhersteller Foron übernehmen wollte, schrieben die Siemensianer den Koreanern in alter Elektrokartellführermanier, sie würden das als einen unfreundlichen Akt ansehen. Samsung zog daraufhin seine Kaufofferte sofort zurück. Und als die Stromspannung wegen der EU von 220 auf 230 Volt erhöht wurde, verkürzte sich auch noch die Lebensdauer der Glühbirnen von 1.000 auf 800 Stunden.

Der Interims-Siemens-Chef Kleinfeld schwor während der Siemens-Skandal sich ausweitete beim Bundeskartellamt, Siemens werde den Anfechtungen der Korruption schon bald gewachsen sein: „Die Leute sollen in fünf Jahren sagen können, wie Siemens das gehandhabt hat, ist ein Maßstab, wie man es machen sollte.“ Bulbshit!

Das Lichtkartell

Mit „Kartell“ bezeichnete man einst die Kampfregeln im Duell- und Kriegswesen. Bei einem Kartell von Wirtschaftsunternehmen richtet sich der Krieg zum einen gegen außenstehende Konkurrenten und zum anderen gegen die Kunden/Endverbraucher. Deswegen verschärfte man im marktwirtschaftsgläubigen Amerika seit 1890 ständig die Antikartellgesetze, während die Zahl der Kartelle in Deutschland bis 1930 nahezu ungehindert auf 2000 steigen konnte. Die „Deutsche Kartellverordnung“ von 1925 änderte daran nichts: Die Kartelle verlegten ihre Geschäftssitze einfach ins Ausland. Die Kalikonzerne z.B nach Wien und die Elektrokonzerne in die Schweiz. Letztere domizilierten  ihre „S. A. Phoebus, Compagnie industrielle pour le développement de l’éclairage“ am 24.12.  1924 in Genf. Die einflußreichsten Kartellmitglieder waren: aus Deutschland (Osram), den USA (General Electric – GE), Holland (Philips), Frankreich (Compagnie des Lampes), England (Associated Electrical Industries), Ungarn (Tungsram), daneben noch Firmen aus Skandinavien, Italien und Japan. Nach 1945 verboten die Alliierten jegliche Kartellbildung, die BRD übernahm mit der Gründung seines „Kartellamtes“ wenig später dieses Verbot. 2003 tönte ihr Präsident Ulf Böge: „Die Kartellbekämpfung ist griffiger und effizienter geworden.“  Seine „Kartellwächter“ hatten gerade der Kabel- und der Zementindustrie wegen Preisabsprachen saftige Geldbußen aufgebrummt.

Rudolf Mirow, der brasilianische Kritiker des Elektrokartells, das sich in „International Electrical Association“ (IEA) umbenannt  und nach Pully bei Lausanne gezogen war, meinte jedoch nach einem Gespräch im Kartellamt: „Die sind da eher Kartellschützer!“  Er hatte dem Kartellamt jede Menge Dokumente vorgelegt, die bewiesen, dass das IEA die Welt in „producing“ und „non-producing countries“ aufteilte, dass sie „Heimatschutzabkommen“ treffen (so gab es hier z.B. bis in die Neunzigerjahre keine GE-Produkte zu kaufen), dass sie mit Dumpingpreisen, die sie aus ihrer „Kriegskasse“ bezahlen, ganze aufstrebende  Branchen (z.B. die brasilianische Elektroindustrie) ruinieren, dass sie unliebsame Konkurrenten mit absurden  Patentrechtsprozessen überziehen (Erich Fried hat dies am Beispiel von  Wiener Lampenfirmen dargestellt), dass sie unliebsame Firmen aufkaufen, um sie still zu legen  usw.. Die „Kartellwächter“ meinten demgegenüber vorsichtig, das Mirow „wohl ein bißchen paranoid“ sei.

Noch seltsamer war dann mein Besuch beim „Transparency International“-Gründer – dem Weltbankmanager Peter Eigen: Ihn interessierten keine Kartelle, und von der IEA hatte er angeblich noch nie etwas gehört!  Dabei hatte z.B. Siemens/Osram es erst geschafft, dass der Ost-Konkurrent „Narva“ auf die Treuhand-Abwicklungsliste kam, aber als Teuhandchef Rohwedder das Werk dennoch privatisieren wollte, teilten sie allen potentiellen Interessenten weltweit mit: Sie bräuchten sich nicht zu bemühen, da Osram das Werk sowieso (wieder) übernehmen werde. Dabei hatten sie sich laut den Privatisierungsmanagern von Price-Waterhouse überhaupt nicht darum  beworben.

Als wenig später GE das DDR-Renommierwerk „Elpro“ von der Treuhand kaufen wollte, trafen sich einen Tag vor Vertragsunterzeichnung einige Siemens-Manager mit GE-Managern in Belgien: Sie einigten sich, GE trat von seiner Kaufabsicht zurück, dafür half Siemens GE, wieder im Iran ins Geschäft zu kommen. Die Elpro AG wurde daraufhin abgewickelt.  Ähnliches  geschah beim DDR-Kühlschrankhersteller Foron (dkk Scharfenstein): Als dieser Betrieb mit dem weltweit ersten Öko-Kühlschrank auf den Markt kam, versuchte u.a. Siemens ihm das Geschäft zu vermasseln: mit Briefen an alle Händler, in denen  vor dem Öko-Kühlschrank gewarnt wurde. Als dann Samsung Foron zu übernehmen beabsichtigte, schrieb Siemens dem koreanischen Konzern, dass es diese Übernahme als einen unfreundlichen Akt ansehen würde.  Samsung trat daraufhin vom Kauf zurück. Als das Elektrokartell mir aus Pully schrieb, dass sich die IEA Ende 1989 aufgelöst habe, meinte Mirow: „Wer’s glaubt wird seelig.“

Beide, sowohl das Kartellamt als auch „Transparency International“ sitzen in Berlin – und die Akten des Elektrokartells, d.h. des IEA-Vorläufers „Phoebus“, liegen im Berliner Landesarchiv. Als ich das letzte Mal dort war, stieß ich in einer der „Geheim“-Dokumentenmappen aus dem Jahr 1926  auf eine Übersichtsliste, mit der festgelegt worden war, wieviel Franken Strafe ein Kartellmitglied pro 1000 verkaufte Glühbirnen zahlen mußte, wenn seine Birnen 50, 100, 200, usw. Stunden länger als die festgelegten 1000 Stunden brannten; bis zu 200 Stunden Brenndauer weniger waren dagegen straffrei. Ursprünglich hatten die auf dem Edisonpatent fußenden Glühbirnen eine „Lebensdauer“ von 5000 Stunden gehabt, diese wurden dann sukzessive im Kartell auf bis heute gültige 1000 Stunden heruntergesetzt, wobei die Elektroingenieure ebenfalls bis heute behaupten: Diese Brenndauer sei in jeder Hinsicht optimal. In Wirklichkeit ging es jedoch nur um eine Absatz-Steigerung, der die Ingenieure dann „technisch gerecht“ werden mußten. In China wurden nach der Revolution Glühbirnen mit einer Brenndauer von 5000 Stunden hergestellt (wahrscheinlich bis heute) und im so genannten Ostblock waren von Tungsram/Budapest entwickelte „Langelebensdauerglühlampen“ im Handel, die 2500 Stunden hielten. Als Narva-Ingenieure sie 1981 erstmalig auf der Hannovermesse vorstellten, meinten ihre Osram-Kollegen: „Ihr wollt euch wohl alle arbeitslos machen!“ „Im Gegenteil,“ antworteten die Narva-Ingenieure. Neben der Kartell-Bußgeldliste für Lebensdauer-Überschreitungen schrieb ich mir aus den Phoebus-Dokumenten 1925-29 noch  einige kleine Anekdoten raus:

1. „Beschluß: Die Propaganda soll dahin gehen, dass der Eindruck entsteht, es gäbe eine Konkurrenz zwischen den Lampen-Fabriken“.

2. „Propaganda zur richtigen Anwendung von mehr Licht: Die Wahl der Mittel bleibt jedem Mitglied vorbehalten, da es wünschenswert erscheint, dass keine Einheitlichkeit nach aussen besteht.“

3. „Es wird dem General Board vorgeschlagen, China eine spezielle zeitweilige Ausnahme für den Verkauf von Lampen mit Kerzenbezeichnung zu gestatten.“

4. „Tokio Electric Company darf Lampen nach China exportieren, aber nur solche, die 1000 Stunden halten.“

5. „Beschluß: Lampen für den Allgebrauch mit mehr als einer Wendel werden als unerwünscht eingestuft.“ (Weil sie damit länger halten.)

All diese Lebensdauer-Reduzierungen des Elektrokartells zur Absatzsteigerung sind  jedoch bald Schnee von gestern, dachte ich, weil die wichtigsten Kartellmitglieder vor allem an der Weiterentwicklung von Leuchtdioden (LEDs) arbeiten, die bald – zu Clustern gebündelt – die Glühbirne ersetzen werden. Und diese LEDs halten mindestens 15 Jahre (wenn die IEA-Firmen keine lebensdauerverkürzenden Tricks dabei anwenden). Dann wurde jedoch plötzlich die Energiesparlampe überall ins Gespräch gebracht (die taz bietet sie neuerdings sogar als Abogeschenk an). Und nun soll diese hochgiftige Lampe (eine umgebogene Leuchtstoffröhre), die zudem sauteuer ist und ein Scheißlicht verbreitet, auch noch gänzlich die billige und dem Sonnenlicht am nächsten kommende Glühbirne ersetzen, die man nämlich ab 2009 in der EU sukzessive verbieten will, zusammen mit verschiedenen Halogenleuchten. Das Verbot soll erst einmal nur für Privathaushalte gelten! Aber gerade dort macht der Anteil der Stromkosten, die man für Licht ausgibt,  nur noch rund 7% aus. Wo kann man da noch was sparen?

Das EU-Verbot haben wir denn auch nicht irgendwelchen Klimaschützern zu verdanken, sondern dem Ende 1989 angeblich aufgelösten Elektrokartell: Die Produktion von Glühbirnen rentiert sich nicht mehr! Schon ab 2001 mußten sich z.B. die im Spandauer Osram-Glühlampenwerk Arbeitenden ständig von den Geschäftsführern anhören, dass man dort eigentlich nur noch produziere, damit sie ihren Arbeitsplatz behalten:  Verdienen würde man mit ihren Birnen nur noch „Pfennigbeträge“. 2006 wurde  die Glühbirnenfertigung dann auch nach Molsheim ins Elsaß verlegt, was wahrscheinlich mit einer dicken Wirtschaftsförderung der Region verbunden war. Der Berliner Tagesspiegel freute sich 2007: „Glühbirnen verbieten? Kein Problem, kein einziger der knapp 2000 Berliner Arbeitsplätze wäre gefährdet,“ in Spandau stellt man jetzt nämlich u.a. die „vielfach bewunderte Kinoprojektionslampe XBO“ her. „Der weltweit aktive Branchenriese findet ein Glühlampenverbot sogar sinnvoll:  ‚Wir machen heute schon mehr Geld mit Energiesparlampen‘, meint Reglindis Pfeiffer aus der Münchner Konzernzentrale.“

Wegen des Quecksilbergehalts der Energiesparlampen haben Osram und Philips schon mal Recycling-Organisationen gegründet: Sie heißen „Olav“ und „Lars“. Diese sollen die kaputten Birnen dann entsorgen – auf der Grundlage einer „Rücknahme-Verordnung“ aus dem Jahr 2006. Zahlen wird das der Endverbraucher: Denn die in den letzten Jahren gesunkenen Preise für Energiesparlampen (ESL), die das Elektrokartell zum großen Teil in China fertigen läßt (80% aller ESL kommen bereits aus Asien), werden nach dem Glühbirnenverbot wieder um rund 30% steigen. Außerdem wird das Energiesparlampen-Rücknahmesystem so wenig funktionieren wie das für Gerätebatterien, Getränkedosen und Verpackungsmaterial (das „Duale System“) – mit dem Unterschied, das bei jeder „wild entsorgten“ oder schon im Haushalt zerbrechenden Energiesparlampe hochgiftiges Quecksilbergas frei wird.  „Wir haben uns da auch ein bißchen von den Herstellern irreführen lassen,“ gab der für Lampen zuständige Mitarbeiter der „Stiftung Warentest“ zu, als ich mit ihm über die allzu positive  Beurteilung einiger Energiesparlampen durch seine Stiftung diskutierte. Und am 18.März 2008 meinte eine Mitarbeiterin der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) auf einer Konferenz in Berlin über das anstehende  Glühbirnenverbot zum Osram-Ingenieur Alfred Wacker, dass sein Konzern die neuen „Halogen-Energesparlampen“ wegen Irreführung der Verbraucher nicht „Energiesparlampe“ nennen dürfe. Wacker verteidigte sich mit dem Argument „Wir haben doch den Begriff Energiesparlampe vor 25 Jahren überhaupt erst erfunden.“

Mit dem Glühbirnen-Verbot werden nicht nur die Privathaushalte belastet (für die allein das Verbot vorerst gelten soll), es gibt dabei auch noch ein Privatisierungsproblem: Bisher mußten allein in Berlin 140 orangene Siemens-Mitarbeiter tagaus tagein die maximal 1200 Stunden brennenden  Osram-„Signallampen“ in den etwa 2000 Ampeln austauschen, was der Stadt jährlich 14 Millionen Euro kostete. Anfang der Achtzigerjahre hatte der Weddinger Erfinder Dieter Binninger u.a. dafür eine Glühbirne erfunden, die 140.000 Stunden brannte (und 5 DM kostete), er ließ sie in Kreuzberg in einer kleinen Fabrik produzieren. Die Bewag fing 1981 an, sie in einigen ihrer Straßenlampen zu testen: Sie brannten Jahrzehnte  – und sahen danach immer noch wie neu aus. Als Binninger sie ab 1991 bei Narva produzieren lassen wollte – und dazu gemeinsam mit der Commerzbank eine Kaufofferte für einen Teil des Narva-Werkes an der Warschauer Brücke abgab, stürzte er einige Tage vor Vertragsunterzeichnung mit dem Flugzeug ab. Daraufhin versuchte es 2003 der ehemalige Vorsitzende des deutschen Erfinderverbandes, Wolfgang Bogen, noch einmal: Er besaß inzwischen das Patent für Binningers „Langlebensdauerglühlampe“: Es basiert – nach Art eines Dimmers – auf einer veränderten Wendelgeometrie, einer Gasfüllung des Kolbens statt Vakuum sowie einer Diode im Sockel. Auf diese Weise erhitzt sich die Wendel weniger, das Wolfram verdampft so gut wie gar nicht (und schlägt sich dementsprechend auch nicht an der Kolbeninnenseite nieder) – und damit bleibt die Wendel bei normalem Betrieb rund 42 Jahre intakt. Wolfgang Bogen wollte mit der „Binninger-Birne“ die Berliner Ampeln ausrüsten – und wandte sich mit seiner Idee an die Öffentlichkeit. Über die Springerpresse beschied ihm daraufhin der Siemens-Direktor Peter Schwerg, das ginge nicht: „Wenn die Berliner Ampeltechnik weiter federführend sein soll, muß die Reinrassigkeit erhalten bleiben.“

Der Berliner Senat stimmte diesem idiotischen Ampel-Rassentheoretiker sofort zu. Und nicht nur das: Er gründete dann, 2005, auch noch eine „Ampel-Koalition“, die er völlig verlogen „Public-Private-Partnership“ nannte, d.h. er privatisierte einfach alle 2000 Ampeln! Sie werden jetzt von der „Stadtlicht GmbH“ betreut, d.h. gewartet, erneuert und sukzessive auf Leuchtdioden umgerüstet (bisher stecken in den Westampeln noch  Glühbirnen und in den Ostampeln Halogenlampen). Die Firma ist eine Siemens-Gründung. Der Berliner Senat hat mit dem Konzern einen Zehnjahresvertrag geschlossen – und zahlt dessen „Stadtlicht GmbH“ dafür insgesamt über 100 Millionen Euro, genauer gesagt: 810.000 Euro monatlich. „Das bedeutet, dass die Abgeordneten künftig keinen Einfluß mehr auf den Ampelbau haben werden,“ schreibt die Berliner Morgenpost, die das für einen großen „Vorteil“ hält.

Hinzu kommt nun aber noch, dass die Siemensfirma demnächst auch noch die gesamte „ÖPNV-Beschleunigung“ übernehmen soll. Bei diesem schnellen Bindestrichwort aus München (sic) handelt es sich um eine „ganze Reihe von Maßnahmen“, die den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (also die BVG) „attraktiver“ machen sollen: Neue Wartehäuschen, behindertenfreundlichere Haltestellen, Busspuren, Lichtzeichenanlagen, separate Tram-Gleisspuren, die Anschaffung von moderneren Fahrzeugen, kürzere Fahrzeiten usw. All dies läuft darauf hinaus, dass „Stadtlicht/Siemens“ bald das gesamte öffentliche Nahverkehrsnetz gehört, die BVG verwaltet dann nur noch das leidige  Restpersonal.

Nachtrag 7

Kürzlich hatte in Österreich der Film „Bulb Fiction“ (die Glühbirnenlüge) Premiere, zuvor war bereits europaweit der spanische Film „The Light Bulb Conspiracy“ (die Glühbirnenverschwörung) gezeigt worden. Beide Dokumentationen beweisen in außerordentlich gründlicher Recherche rund um den Globus, was für eine lebensfeindliche Schweinebande diese Elektrokonzerne – Osram, Philips, General Electric etc.  in Wahrheit waren und sind.

Man sollte die beiden Filme zusammen zeigen: Den österreichischen von Christoph Mayr und Moritz Gieselmann zuerst – er zeigt: Das Glühbirnenverbot war keine umweltpolitische Maßnahme, sondern eine rein profitorientierte der Elektroindustrie. Und die EU-Politiker sowie Greenpeace waren ihre verlogenen Erfüllungsgehilfen: Die Ersetzung der Glühbirne durch Energiesparlampen hat fatale gesundheitliche Konsequenzen für die Bevölkerung: Diese umgebogenen  Leuchtstoffröhren verursachen Quecksilbervergiftung, kontaminieren die Umwelt, haben ein schlechtes Lichtspektrum und stören mit ihrem Flackern neurologische Prozesse. Der Film zeigt „die kartellartigen Machenschaften der großen Lampenhersteller,“ heißt es in einer Rezension.

Diesen „Machenschaften“ ist  Cosima Dannoritzer in „The Light Bulb Conspiracy“ genealogisch nachgegangen: Mit der Glühbirne begann das, was man „planned obsolescence“ (geplanten Verschleiß) nennt, indem ihre „Lebensdauer“ sukzessive reduziert wurde, um mehr davon zu verkaufen. Es folgten Nylonstrümpfe, Textilien usw. – bis hin zu Druckern von Epson und IPhones von Apple. Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 wollte man in den USA sogar – analog zum weltweiten Elektrokartell (Phoebus) –  jeden Unternehmer, dessen Waren  zu lange halten, von Staats wegen mit einem Bußgeld bestrafen. Man begnügte sich dann jedoch mit immer kürzeren Produktzyklen – bis heute. Der Elektroschrott – vom Computer bis zur Energiesparlampe, der dabei anfällt, landet seit Jahren in Ghana als „Second Hand“-Ware – und vergiftet dort ganze Landstriche. Auch das zeigt der Film von Cosima Dannoritzer, den Arte „Kaufen für die Müllhalde“ nannte und der nun auf Festivals in aller Welt gezeigt wird.

Man könnte ihn als eine Kulturkritik der „Obsoleszenz“ bezeichnen – und den Film von Mayr/Gieselmann – „Bulb Fiction“ – als eine technikkritische Lichtanalyse. Dabei wird zudem exemplarisch vorgeführt, wie die Moral durch die Technik ersetzt wird (Polizisten durch Poller z.B.) – und diese sich dann zunehmend anheischig macht, Lösungen für soziale Probleme zu finden – das reicht von der Wehr- bis zur Gentechnik. Völlig unterentwickelt bleibt demgegenüber auf einem theoretisch entgegengesetzten Pol die Suche nach sozialen Lösungen für technische Probleme. Es gab einmal eine Zeit, da veröffentlichte der „Guardian“ regelmäßig die neuesten „sozialen Erfindungen“. Schon damals, in den Siebzigerjahren, hat man sich gewundert, wie wenig es gibt. Dafür wurden die wenigen jedoch bald immer schneller und weiträumiger kopiert. Zuletzt u.a. der tunesische Aufstand und die „Occupy“-Zelter. Obwohl man sagen muß: „Das Leben ist keine Demo!“ und dass die „sozialen Netzwerke“ der Aktivisten auf Technik basieren, könnte man ihre Anstrengungen insgesamt als „Life Science“ im weitesten Sinne bezeichnen.

Ein Rapper-Duo aus Wien  singt: „Fuck se Energiesparlampe“.

 

Nachtrag 8

Der erste Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith war sich bereits sicher: „Geschäftsleute des gleichen Gewerbes kommen selten zusammen, ohne dass das Gespräch in einer Verschwörung gegen die Öffentlichkeit endet…“ Diese Verschwörung, so sich sich organisiert, nennt man „Kartell“ – ein Begriff aus dem Duellwesen. 1924 gründete eine Handvoll  Elektrokonzerne ein internationales Kartell namens „Phoebus“, in dem sie u.a. ihre Preise absprachen, mit einer „Kriegskasse“ die Konkurrenz bekämpften, die  Weltmärkte unter sich aufteilten, und die Brenndauer von Glühbirnen auf 1000 Stunden reduzierten. Kartellmitglieder, die  langlebigere produzierten, mußten Strafgebühren zahlen. Im Hinblick auf die Werbung fasste das Kartell 1929 folgenden Beschluss: „Die Propaganda soll dahin gehen, dass der Eindruck entsteht, es gäbe eine Konkurrenz zwischen den Lampen-Fabriken.“ Und „Die Wahl der Mittel bleibt jedem Mitglied vorbehalten, da es wünschenswert erscheint, dass keine Einheitlichkeit nach außen besteht.“

Noch vor der Gründung des Elektrokartells war dies ein Streitpunkt gewesen, an dem die 1919 von Rathenau und Siemens gemeinsam gegründete Aktiengesellschaft Osram erst einmal scheiterte. Emil Rathenau hatte 1883 das Glühbirnenpatent von Thomas Alva Edison erworben, sein Sohn Walther Rathenau wollte dann auf amerikanische Art mit Werbung das „Bedürfnis“ nach der neuen elektrischen Beleuchtung wecken Dazu illuminierte er z.B. eine Theateraufführung in München und das   Café Bauer in Berlin. Der „Geheime Regierungsrat“ Werner von Siemens wollte hingegen die Elektrifizierung eher von oben durchsetzen –  durch Einflussnahme auf den Staat, mit dem sich sein Konzern von Beginn an korruptiv verband, später noch mit so manchen anderen Staaten, auch mit Diktaturen wie Burma und sozialistischen Ländern – gegen einen gehörigen Aufpreis.

So bestellte z.B. das DDR-Elektrokombinat Narva bei Osram für 6 Millionen DM eine Energiesparlampen-Fertigungsstrecke. Als sie endlich geliefert wurde, kostete sie 21 Millionen, denn es handelte sich dabei um ein Embargo-Gut, dessen Erwerb Agenten – im Osten (die KoKo-Firma F.C.Gerlach), wie im Westen (Heinz Pietsch) – erforderte. Ähnlich horrend überteuert lieferte Siemens in den Neunzigerjahren Medizingeräte nach Moskau, wobei der Konzern dazwischen mehrere Agenten, u.a. vom russischen Geheimdienst, „vermitteln“ ließ. In Deutschland konnte man bis in die Siebzigerjahre Bestechungsgelder von der Steuer absetzen und das Wirtschaftsamt lieferte Exporteuren sogar Informationen, mit wieviel Schmiergeldern sie in welchem Land rechnen sollten.

Das Glühbirnenkartell Phoebus S.A., das sich später umbenannte in International Electrical Association (IEA) und sich in Pully bei Lausanne niedergelassen hatte, teilte mir 1992 schriftlich mit, dass sich das Kartell im Herbst 1989 aufgelöst habe. „Wer’s glaubt, wird selig“, meinte dazu der brasilianische Kartellforscher Rudolf Mirow. Er besuchte damalsgerade  das Kartellamt in Berlin und schimpfte anschließend „“Das sind keine Kartellverhinderer, sondern Kartellhüter“ Der Siemens-Konzern hatte bis dahin bereits an die 100 DDR-Betriebe „zu „Schnäppchenpreisen übernommen“ – und über seine von der Treuhand übernommenen Manager die für den Konzern unwichtigen „abwickeln“ lassen. Mirow schrieb der Treuhandpräsidentin Birgit Breuel: „Es besteht der Verdacht, daß dieses Kartell sich jetzt den Markt der Neuen Deutschen Bundesländer aufgeteilt hat…und daß Mitglieder der IEA erneut mit ‚combat-‚ auch ‚fighting proceedings‘ genannt, gegen sogenannte ’non- members‘ vorgehen…Es wäre bedauerlich, wenn auf Grund der Unkenntnis der Organisationsformen der Elektroindustrie jetzt möglicherweise veraltete, aber doch sanierungsfähige Betriebe geschlossen würden, die Mitgliedern der IEA einmal Paroli und Wettbewerb bieten könnten. Da alle Untersuchungen zeigen, daß es in der Elektroindustrie nie eine Marktwirtschaft gegeben hat, werden sich die Probleme der ostdeutschen Unternehmen, und also auch die von Narva, vorerst nicht mit reinen marktwirtschaftlichen Instrumenten lösen lassen.“

Sein Brief  nützte nichts: Narva wurde abgewickelt.  Als wenig später eneral GlectricE das DDR-Renommierwer „Eektrolprjekt“ (Elpro AG)o von der Treuhand erwerben wollte, trafen sich einen Tag vor Vertragsunterzeichnung einige Siemens-Manager mit GE-Managern in Belgien: Sie einigten sich, GE trat von seiner Kaufabsicht zurück, dafür half Siemens GEr im Iran wieder ins Geschäft zu kommen. Die Elpro AG wurde daraufhin abgewickelt. Ähnliches geschah beim DDR-Kühlschrankhersteller Foron (dkk Scharfenstein). Aln Samsung den Betrieb zu übernehmen beabsichtigte, schrieb Siemens dem koreanischen Konzern, dass es diese Übernahme als einen unfreundlichen Akt ansehen würde. Samsung trat daraufhin vom Kauf zurück

Als ich dieserhalb bei der Antikorruptionsinitiative „Transparency International“ des Weltbankmanagers Peter Eigen vorsprach, tat dieser erstaunt: Er hatte vom IEA-Kartell noch nie etwas gehört. Kein Wunder, war  doch der Siemenskonzern sogar „Mitglied“ in  seiner  TI. Diese Kooperation wurde erst mit dem „Siemens-Skandal“ beendet, d.h. als nach und nach herauskam, dass der Elektrokonzern aus seinen „schwarzen Kassen“ über formal freie Mitarbeiter (Berater) Schmiergelder an Regierungsmitglieder in zig Staaten gezahlt hatte, um an Aufträge heranzukommen. Als  Transferstelle fungierte u.a. die „Bank der Banken: ‚Clearstream'“ in Luxemburg – mindestens bis dieses „Siemens-System“ 2006 aufflog.

Der größte Coup sollte jedoch erst noch kommen: Im Jahr darauf gelang es Siemens/Osram und Philips, bei der EU in deren sogenannten Komitologie-Ausschuß für Beleuchtung am Parlament vorbei (!) ein allgemeines Glühbirnenverbot durchzusetzen – zugunsten ihrer hochgiftigen und umweltschädigenden zudem völlig überteuerten „Energiesparlampen“. Da die beiden Elektrokonzerne in diesem EU-Ausschuß „Greenpeace“ auf ihrer Seite hatten, muß man sich fragen, ob und wenn ja was die internationale  Umweltschutzorganisation dafür bekam. Nachdem zwei Dokumentarfilme – „Bulb Fiction“ und „The Light Bulb Conspiracy“ – sie darüber aufgeklärt hatten, sprachen einige deutsche EU-Parlamentarier von einer „extrem gelungenen Lobbyarbeit“.

(Dieser Text findet sich leicht verändert auch in dem neuen taz-Reader „Schluss mit dem Lobbyismus“, der gerade im Westend-Verlag, Frankfurt, erschienen ist)

 

Nachtrag 9

Im Zuge des Siemens-Skandals kam auch ans Tageslicht, dass der Konzern eine gelbe Gewerkschaft finanziell und personell ins Leben gerufen hatte. Nun findet man auf der Webseite einer US-Gewerkschaftsinitiative – http://www.labourstartcampaigns.net/show_campaign.cgi?c=1552 – folgenden Bericht:

Siemens, einer der globalen Giganten der Maschinenbauindustrie, behauptet gern von sich, ein sozial verantwortliches Unternehmen zu sein. Der Konzern hat sogar erst vor kurzem ein Abkommen mit Gewerkschaften unterzeichnet, in dem er sich verpflichtet, Beschäftigtenrechte weltweit einzuhalten. Und was macht Siemens wenige Tage nach der Unterzeichnung? Das Unternehmen hat eine bösartige Kampagne zur Verhinderung gewerkschaftlicher Organisierung gestartet. In Maryland, USA, hat Siemens einen der teuersten Anti-Gewerkschafts-Berater angeheuert; die Beschäftigten sind Einschüchterungen, Überwachung, Drohungen bis hin zur Kündigung und zum Verbot, über die Gewerkschaft überhaupt zu sprechen, ausgesetzt. Aber die Beschäftigten bei Siemens in Maryland wehren sich. Sie sind dabei, sich bei den United Steelworkers zu organisieren, und haben Gewerkschaften weltweit um Unterstützung gebeten.

 

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2012/08/31/zum-vorubergehenden-gluhbirnenverbot/

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