vonImma Luise Harms 23.06.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Das normale blog-Schreiben gelingt mir nicht so recht, also das kontinuierliche Protokollieren dessen, was meine Zeit in Anspruch nimmt, und dann unter dem Gesichtspunkt Dorf.

Ich würde oft gerne davon erzählen, aber das ist etwas anderes. Ich muss die Ereignisse sprachlich zu fassen kriegen, dazu muss ich sie verstehen. Eine Frage von Abstand und Zeit. Die mir zu nehmen steht in Konkurrenz zu dem Bedürfnis, einfach weiterzumachen. Meistens entscheide ich mich fürs Weitermachen.

Hier ein Alltags-blog ohne weitere Reflexion, nur damit mich die taz nicht wegen Unergiebigkeit aus ihrer bloggerInnen-Redaktion rausschmeißt.

Mit der Bandschleifmaschine schmirgele ich den Fußboden in der zukünftigen Werkstatt ab. Auf den Knien schiebe ich das Gerät hin und her, immer über den Absatz zwischen den alten und den ausgetauschten Brettern. Denn die sind ein bisschen höher, und das geht ja nicht. Gegen den Staub habe ich mir eine Wollmütze übergezogen, gegen den Lärm die Ohren mit einem Schutz bedeckt. So abgeschnitten von der Welt ruhe ich ganz in meiner Beschäftigung und merke erst nach einer Weile, dass hinter mir die Tür aufgegangen ist. Thomas und H., der Bürgermeister, stehen im Rahmen und sehen amüsiert auf mich herab. Ich schiebe den Ohrschutz beiseite und höre die letzten Worte von H.: „…sollte man fotografieren“. Ich ziehe die Wollmütze von den nass am Kopf klebenden Haaren; jetzt sieht es wahrscheinlich noch schlimmer aus.

H. wedelt mit einem Brief, den er mir vorbeibringen wollte. Eine Einladung zum Prötzeler Schlossfest, in Schriftbild und Sprache in einem vorgestellten „alten“ Stil gehalten. Der „Dorfschulze“ von Prötzel fordert die Nachbargemeinden zum Wettkampf heraus. Die Disziplinen sind in der Art von Eierlaufen, Sackhüpfen und Wurstschnappen. Wer historisch kostümiert antritt, kriegt Extrapunkte. Letztes Jahr mussten Kartoffeln geschält, ein Tier mit einem langen Spieß vom Brunnen geholt und ein Wettrudern auf dem Schlosssee gewonnen werden. Die polnische Partnergemeinde hat gegen die Prötzeler gewonnen. Sie waren die einzigen Gegner. Auch unser MöHRe-Verein hatte die Herausforderung angenommen, aber im letzten Moment hatte die Vereinsvorsitzende, der die Sache offenbar zu peinlich vorkam, zurückgezogen. Für diese Art von Klamauk muss man sich innerlich entscheiden und dann stur dabei bleiben, dass es lustig ist; sonst kommt man in Verhaltensschwierigkeiten. Thomas und ich standen im Kostüm da – irgendwas zwischen Bauerkriegen und fin de siècle stellten sie dar – und waren abgemeldet.

Mein Humor war plötzlich aufgebraucht. Ich beschwerte mich bei der nächsten Vorstandssitzung: Ignorieren von Beschlüssen, Über-den-Kopf-weg-Entscheidungen, und was man dann noch alles sagt. Jedenfalls hat der Bürgermeister die Einladung für dieses Jahr direkt zu mir gebracht. Ich kann jetzt eine Mann/Frauschaft zusammenstellen, die die geforderten Kulturtechniken beherrscht; welche genau, wird noch bekannt gegeben.

Thomas und ich begleiten H. zu seinem Geländewagen zurück und reden noch über dieses und jenes. „Auf dem Radweg nach Prädikow stehen ja jetzt Verkehrspoller“ fängt Thomas an, um rauszukriegen, ob H. das veranlasst hat. Es sind rot-weiß gestrichene klappbare Vierkant-Rohre, die einrasten, wenn man sie hochstellt, und dann nur mit einem Schlüssel wieder geöffnet werden können. Ob auf dem neuen Radweg auch Autos fahren dürfen, ist ein dörfliches Politikum. Man hat Angst vor Verkehrsunfällen zwischen Touristengruppen und ignoranten Autofahrern. Auf der anderen Seite sind einige von den neuen Wegen attraktive Abkürzungen. Außerdem haben einige der Dorfbewohner Waldstücke oder Felder an den Strecken. H. auch.

Thomas gibt sich als militanter Autogegner – was nicht ganz der Wahrheit entspricht. „Da fahren die Leute doch einfach an der Seite vorbei, über den Randstreifen. Man müsste da Steine hinlegen“. H. winkt ab. Er findet es nicht so schlimm finden, die Poller zu umfahren. „Mach ich auch“, sagt er. Er hat die Poller auch nicht in Auftrag gegeben. Das hat das Amt gemacht. Vielleicht spielt es dabei eine Rolle, dass der Amtsdirektor, der zur Radweg-Eröffnung Ende Mai pressewirksam mit dem Rad angefahren war, selbst von einem Autofahrer behindert wurde. Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, dass angeblich andere Gemeinden schon Fördergelder zurückzahlen mussten, weil sie sich mit dem Radwegegeld billig eine asphaltierte Gemeindestraße beschafft haben.

OK. Tschüß dann. Ich geh weiter schmirgeln.


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