vonImma Luise Harms 14.08.2010

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Nachdem ich die Küchentür repariert und gestrichen habe, baue ich einen baumelnden Mückenschutz ein. Man muss die Tür ja mal auflassen können, auch am Abend, wenn das Licht brennt und das Haus zum Leuchtturm wird, der den Mücken den Weg zum Blute zeigt.
Ich habe die Großaufnahme einer saugenden Mücke gesehen. Wie sie über der angestochenen Haut kniet, ihren meterlangen Rüssel ins Bohrloch einführt, immer tiefer und tiefer versenkt, ekliges Gift einspritzt und dann mit der ganzen Kraft ihres zähen, elastischen Körpers das Blut hochpumpt. Mein Blut.
Auch im Schlafzimmerfenster habe ich ein Netz in den Fensterrahmen gespannt. Unterm Moskitonetz zu schlafen, ist lästig. Bücher oder Getränke vom Nachttisch muss man irgendwie drunter durchfummeln. Nachts muss man sich zum Klogang raustüddeln. Dann ist man nicht sicher, ob es wieder richtig zu ist. Die Mücke summt am Kopf. Ist sie diesseits oder jenseits vom Stoff? Besser nachgucken. Licht an. Dazu die Hand unterm Vorhang durchfummeln, usw. Also ein Netz im Fensterrahmen ist entlastend.
Die Ecken des Fensterrahmens sind voller Spinnweben. Ich guck sonst nicht so genau hin. Die Spinnweben sind eigentlich überall. Als feine graue Linien ziehen sie sich über Decken, Wände und durch die Ecken. Das müsste man jetzt doch mal wegmachen. Ich hole den Staubwedel aus feinstem Ziegenhaar, von mir mit Teleskop-Stiel ausgestattet, weil ich das Problem ja kenne. Ich streiche durch Nischen und Ecken, über Wände und Decken. Erschrocken fahren die Spinnen auf. Sie hangeln sich an plötzlich aus ihnen herausfallenden Luftgespinsten in ein sicheres Abseits, verschwinden hinter Schränken. Ich rede mit ihnen, erkläre ihnen meine Maßnahme.
Eigentlich habe ich nichts gegen Spinnen. Wenn es sich ergibt, fange ich sie und trage sie zwischen meinen Händen nach draußen und empfehle ihnen die natürliche Umgebung. Sie dürften auch in den Zimmerecken wohnen, wenn sie etwas mehr Odrnung halten würden. Spinnen leben von den kleinen Insekten, von Fliegen und Mücken. Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Schön wären auch ein paar Spinnennetze an ausgewählten Stellen im Zimmer, in denen morgens die Tautropfen schimmern. Stattdessen hinterlassen die Spinnen auf allen ihren Kontroll- und Pirschgängen klebrige Fäden, in denen sich Staub und fettige oder rußige Ablagerungen sammeln. Das ist in Deckenhöhe auch nicht unbedingt ein Problem, aber wird doch leicht als Zeichen der Verwahrlosung gedeutet. Außerdem, baumelnde, klebrige Fäden sind genau das, was meine städtischen Freunde und Freundinnen an ihre tiefsitzende Spinnenphobie erinnert.
Ur-Angst, Kinderangst – so richtig verstehe ich sie nicht. Die Mücke ist der Feind im Hause. Sie will unser Blut. Ihre Stiche quälen uns bis in den Schlaf. Und schon das drohende Summen lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Wenn die Spinnen Mücken fangen, sollten sie doch willkommen sein.
Meine Gäste beschweren sich eher über das eine Oktave tiefere Brummen der Fliegen. Große Fliegen, kleine Fliegen, Fruchtfliegen, Stubenfliegen. Sie sind mir eigentlich egal. Sie nützen mir nichts, sie bedrohen mich nicht. Und das Brummen: ich bin der Meinung, dass die Fliegen ihre Flügel zusammen legen, wenn ich das Licht ausmache. Nicht sofort, aber dann bald. Ich sage noch: Schlaf jetzt endlich! und dann höre ich sie nicht mehr. Kann sein, dass ich ihr Geräusch aus meinem akustischen Weichbild ausblende, weil ich mich nicht gemeint fühle.
Auch tagsüber gehört das Fliegengebrumm zum Hintergrund-Rauschen der ländlichen Wohnung. Sie gehen ihren rätselhaften Beschäftigungen nach, wollen erst unbedingt rein und dann unbedingt wieder raus. Fliegen gegen die Scheiben, prallen ab, fliegen erneut dagegen, ohne Erkenntnisgewinn. Sollen sie, mir egal, die kann ich nicht auch noch retten. Auf den Fensterbrettern, auf dem Fußboden unter den Glastüren sammeln sich die Leichen der ebenso unbelehrbaren wie unbeirrbaren Fliegen.
Das muss jetzt auch mal weg. Die Fliegenleiber sind merkwürdig grau. Von der Sonne ausgebleicht. Und irgendwie auch untypisch in der Form. Eine tote Fliege liegt normalerweise auf dem Rücken und streckt die sechs erstarrten Beinchen in die Luft. Diese hier sind nur noch Torsi. Nein, es sind verschnürte Pakete! Verschnürte Pakete von ausgelutschen Leibern. Mein Blick geht nach oben. Dorthin, wo noch vorhin die grauen Klebegebilde waren. Das ist sind die abgenagten Knochen der Spinnenmahlzeiten! Und alles Fliegen; keine sieht aus wie der zarte langgestreckte Leib einer Mücke.
Wie niederträchtig. Die Fliegen, die ihrem stumpfen Freiheitswillen folgen, werden abgefangen, eingespeichelt und ausgesogen. Die Mücken sitzen unbehelligt an der Wand und warten, dass der Tresen geöffnet wird. Oder sie verdauen ihre Blutmahlzeit. Dann sind sie träge und langsam. Hah! sage ich und schlage drauf. Aus Rachsucht, denn ich weiß, wenn ich sie erwische, dann deswegen, weil sie schon getrunken hat und eigentlich nicht mehr gefährlich ist. Der kleine schwarze Körper fällt runter. Der rote Fleck bleibt an der Wand. Ich habe des Fraßfeindes Blut vergossen. Mein Blut.

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