vonImma Luise Harms 14.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Gegen den Laternen-Wahlkampf ist man machtlos, soviel steht fest. Das hauen die Parteien nur so raus. Und für die Europawahl fließt viel Geld. Da werden die Wahlkampfkosten erstattet. Die Parteien können massenhaft drucken lassen und Leute bezahlen, die das aufhängen. Der Kreistagswahlkampf kann sich da einfach ranhängen.

Aber es gibt auch einen Laternen-Wahlkampf-Kampf. Die Plakate tauchen auf und verschwinden wieder. Die NPD-Plakate hängen besonders hoch, über SPD, AFD usw. Trotzdem werden sie abgehängt. In manchen Dörfern hängen sie niedrig und werden trotzdem nicht angetastet. Das deprimiert mich; ich deute das so, dass es in diesen Dörfern gar nicht nötig ist, die gruseldeutsche Propaganda zu schützen.

Ich bin ja nicht so fürs Abhängen. Mir gefällt es besser zu widersprechen, wenns sein muss, auch heftig. Die aufgesprühten braunen Flecken auf den NPD-Plakaten in Strausberg haben mich gefreut. Ist doch gut, wenn das hängen bleibt. Den starrköpfigen Sprüchen wie “Deutschland zuerst” würde ich am liebsten eins drüberkleben: “wieso eigentlich?”

In Prötzel waren eines Morgens nicht nur die NPD-Plakate sondern alle Laternenpappen weg. Da hat jemand richtig aufgeräumt, auch SPD und Linke und was da sonst noch hing, war weg. Demokratisches Wenn schon, Denn schon? Oder zwanghaftes Reinigungsbedürfnis von jeder politischen Attacke auf die Anwohner? Ich selbst hab ja mal gegen die Aneignung der öffentlichen Aufmerksamkeit polemisiert. Die Erklärung ist trostlos unpolitisch: Die Pappen dürfen nicht an lackierten Laternenpfosten hängen, weil der Kabelbinder die Farbe abscheuern könnte! Da hat also der Gemeindearbeiter von Amts wegen aufgeräumt. Interessant wäre, was er mit den Pappen gemacht hat.

X und Y sind fürs Abhängen. Sie haben sich dafür extra einen Tele-Knipser angeschafft. Nachts geht es los nach Wriezen. 40 Plakate werden problemlos eingesammelt. Rechtfertigung: Abwehr der Straftatbestände Nötigung und Beleidigung sowie Volksverhetzung. Dadurch entstehen neue Straftatbestände: Sachbeschädigung (Durchtrennen der Kabelbinder) und Diebstahl (die Plakate gehören den Parteien), aber nur wenn sie mitgenommen werden. Liegenlassen wollen X und Y die Machwerke nicht, den Parteien zurück erstatten schon gar nicht. Wohin also damit? In die gelben Tonnen? Aber in welche? Wohl nicht in die eigenen. Und anderen die Spuren aufzudrücken, ist auch etwas unfein. So lagern X und Y die bedruckten Hohlkammer-Bögen aus wetterfestem Kunsstoff erstmal am Waldrand zwischen. Und ausgerechnet am Radweg zwischen Reichenow und Ihlow. Das ist ja schon fast in Nachbars Garten.

Am Wochenende kommt W. H., der Bürgermeister, vorbei. Er ist einer der wenigen aus der Wählergruppe, die aktiv Wahlwerbung für unsere Liste machen wollen. Er will sich Flyer und Plakate abholen, um sie an den Gemeindebrettern und anderswo zu platzieren.

Wir trinken ein Bier und reden ein bisschen. “Hat doch einer so Plakatpappen am Wald abgestellt. Von den Rechten, so einen ganzen Packen, richtig viele.” “Ach”, sage ich, “wo denn?” “Ausgerechnet hinter unserer Schutzhütte, am Radweg, wo es nach Ihlow abgeht. Da möcht ich doch wirklich mal wissen, wer sowas macht.” Was meint er? Wer NPD-Plakate abhängt? Oder wer sie dann dem armen Reichenower Bürgermeister ins Revier stellt? Der noch dazu ein Amt bei der Polizei bekleidet. Unsere Blicke durchkreuzen den Raum zwischen uns und hüten sich, dabei aufeinander zu treffen. Natürlich werde ich nicht sagen, dass ich davon weiß. Natürlich wird W. mich das auch nicht direkt fragen.

Interessant wäre, wie er das findet, mal abgesehen von seinen beruflichen und amtlichen Verpflichtungen. Ich taste vorsichtig, “was stand denn drauf?” “Irgend son Dreck. Weiß nicht mehr. Aber richtig groß, die Plakate!”

Wir lassen das Thema dann fallen. Es geht um die Flyer und wo er welche hinbringen könnte. Und die Plakate von mir. Und ob man die irgendwo hinkleben könnte, sie sind ja selbstklebend. Aber das ist dann auch schon wieder Sachbeschädigung, wenn die zum Beispiel an den Wänden von Bushäuschen kleben oder an irgend einer öffentlichen Mauer. Pappen haben wir keine. W. macht ein paar Mal “äh” und sagt dann: “Rückwände hätten wir ja jetzt eigentlich, das sind bestimmt 40, die da hinter der Schutzhütte stehen.” Ich unterdrücke meine glucksende Freude über so viel gesunden Menschenverstand. Aber man muss ihn doch schützen, als Bürgermeister und Beamter! “Geht das denn? Sieht man das nicht? Die sind doch bestimmt größer als unsere Plakate?” “Die mal ick über. Topf Farbe hab ich noch zu stehen.” Ich kanns kaum glauben. Sind das nicht schon wieder Straftatbestande? Na ja, er hat die Pappen in aller Unschuld gefunden, und zwar auf Gemeindegebiet. Unterschlagung einer Fundsache? Muss nach § 965 BGB nur angezeigt werden, wenn die Fundsache mehr als 10 Euro wert ist. Die einzelne Pappe ist das sicher nicht, der ganze Stapel vielleicht doch. Nun ist die Frage, handelt es sich bei den Pappen hinter der Schutzhütte um eine oder um 40 Fundsachen? Und wäre das Vertuschen, sprich: Übermalen der Unterschlagung einer Fundsache eine Ordnungswidrigkeit? Erstmal sehen, obs überhaupt geht.

Am anderen Tag kommt W. mit einer von den Pappen, irgendwas von deutschen Familien steht da drauf. Wir kleben eine von unseren Selbstklebenden drüber. Große Enttäuschung: das leichte, lichte Hohlkammer-Plastikmaterial ist durchscheinend und unser Plakat nicht dick genug, das zu verhindern. Mein Antlitz und unser Slogan von der notwendigen Opposition im Kreistag ist schwarzrotgold unterlegt und die Buchstaben NPD bleiben gut erkennbar. Fatale Synergie.

W. kommt nochmal mit Überstreichen. Aber das ist doch wirklich ein unsinniger Aufwand. Es fällt dann auch nicht schwer, W. die Sache auszureden. Wir suchen im Schuppen nach alten Billy-Rückwänden, die wir zu Plakatpappen zerschneiden. Aber an welche auserwählten, nicht lackierten Laternenpfähle wollen wir unsere handverlesenen Plakate hängen, damit sie optimale Wirkung entfalten? Ich erkunde die Parkplätze von den Supermärkten, da kommen alle aus dem Landkreis zusammen, da müssen alle hin. (wird fortgesetzt)

 

 

 

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