vonChristian Ihle 02.11.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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„Sascha Lobo trägt einen lustigen roten Irokesen-Haarschnitt und eine alte Lederjacke. Kathrin Passig trägt den Ingeborg-Bachmann-Preis 2006. Man muss sich die beiden also als die Punks unter den deutschen Sachbuchautoren vorstellen, weswegen sie ihr Buch auch im total verrückten Undercover-Verlag Rowohlt veröffentlicht haben. Um zu zeigen, wie unkonventionell sie sind, geht der Titel auf dem Cover denn auch von biederer Druckschrift in eine krakelige Handschrift über.

Passig und Lobo gehören zu dieser nervigen Berliner Szene, die ihre Wurzeln häufig im ländlichen Süddeutschland hat. Die Autoren wollten einen Ratgeber der ganz anderen Art schreiben, in denen Gleichgesinnten, aber Schuldgeplagten vermittelt wird, wie man ohne Selbstdisziplin und Organisation trotzdem zufrieden seinen Alltag bewältigt.

Praktischerweise ist Lobo das Pseudonym oder Akronym oder sonst ein pfiffiger Hinweis auf den gefeierten „Lifestyle of bad Organisation“ der beiden. Das Buch liefert viel Attitüde und eine Gebrauchsanweisung für Leute, die sich früher Aufkleber wie „Ordnung braucht der Dumme, das Genie beherrscht das Chaos“ oder „Wunder dauern etwas länger, Unmögliches erledigen wir sofort“ ins Büro gepappt haben.
(…)
Passig und Lobo verlieren sich jedoch in Anekdoten über den äußeren Schweinehund, die vergeblichen Mitgliedschaften in Fitness-Studios oder den Schlankheits- und Vorsorge-Wahn. Dass sie mittlerweile ab und zu den Berliner Senat beraten dürfen, unterstreicht ihre Rolle als angestellte Hofnarren.“

(Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung)

Dank an Daniel für den Hinweis!

Programmhinweis:

Am Dienstag, dem 4.11., um 17.00h spielt das Popblog eine Stunde Radio auf www.bytefm.de unter dem Titel „Die deutsche Musik ist tot“.

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https://blogs.taz.de/popblog/2008/11/02/schmaehkritik_127_kathrin_passig_und_sascha_lobo/

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kommentare

  • Bei allem hin und her bleibt allerdings schon, Daniels Punkt zu unterstreichen: woher kommt die Obsession Wahlberlinern ihre süddeutsche Herkunft vorzuhalten (im Text wie in den Kommentaren)?

    Ob Passig in Deggendorf, Zehlendorf oder Elmshorn geboren ist, macht ihre Texte weder besser noch schlechter und auch nicht angreifbarer, kritikwürdiger. Ist das eine „du gehörst nicht zu uns“ – Distinktion? oder ein Neid (warum auch immer?), dass es jemand aus dem Süden in Berlin „geschafft“ hat? Getreu dem Motto von Old Blue Eyes „and if I can make it there, I’ll make it anywhere“? Wo doch gerade Berlin eine größere Durchlässigkeit bietet als viele andere Orte.

  • Über Sascha Lobo weiß ich zu wenig, um Gutes über ihn sagen zu können, aber schon die geltungssüchtige Nähe zu der wohl unverfrorensten Dilettantin im Literaturgeschäft unserer Tage, dem Fräulein Passig aus Deggendorf, stimmt bedenklich!
    Werner Bartens macht den Fehler, den viele glauben, der irrtümlich prämierten Bachmann-Preisträgerin schuldig zu sein: er beachtet sie.
    Dasselbe tat die Jury in Klagenfurt 2006 und erkannte der bis dahin einzigen Veröffentlichung Passigs, einem computer-generierten Text, den wahrscheinlich Herr Lobo ein zweites Mal durch die Maschine jagte, das Prädikat „literarisch“ zu – Ingeborg Bachmann hätte sich im Grabe herumgedreht, wäre sie nicht seinerzeit eingeäschert worden, aber das tut hier nichts zur Sache.
    Wenn die den Berliner Senat betreffende Andeutung allerdings auch nur einen wahren Kern enthält, war schon die Entscheidung gegen Bonn als Bundeshauptstadt ein schwerer Fehler: am Rhein hätten es die Berliner Hofnarren nicht weiter als bis in die nächste Bütt gebracht!

  • Es steht also aktuell 2:2 bei der Wahl, ob ein Passig/Lobo-Diss die Welt schöner macht oder nicht. Etwas unentschieden bin ich bei dem Kollegen, der hier Luhmann in den Ring wirft. Spricht das für oder gegen Lobo/Passig?

  • ich weiss nicht, wolltest du eine gute orientierung?
    ich hätte jetzt ein seminar mit widerstände der systemtheorie, koschorke/vismann, ’99, gemacht.
    die vorträge führen ausgezeichnet in rhethorische und sprachliche probleme der theorie autopoetischer systeme.
    wunderbar plastische ordnung zeichnet sich ab; in luhmanns werk, wie andere theorieansätze.
    verständniswege liessen sich jedoch nur in einer arbeitsgruppe manifestieren, ausdiskutieren.
    vermutlich wäre extkonst noch online – ich bin stinke sauer, und ich werde ziemlich enttäuscht bleiben.

  • Der Autor und seinesgleichen sind schon sonderbar kleingeistige Idioten. Nicht nur, dass es sich bei „Die Dinge…“ ja keine Sekunde um einen ernstzunehmenden Ratgeber handelt (wie kann das überhaupt denken?) und bei Lobo um einen gebürtigen Berliner (überhaupt dieses spießig-xenophobe Herkunftsdenken, wie kindisch und kleinstädtisch). Hofnarren? Herrje, geht es nicht vielmehr um das, was der Engländer „thinking outside the box“ nennt? Weitsicht, jenseits von Hellers- und Wilmersdor und jenseits des Feuilletons, schwerer als gedacht.

  • Es muss für Journalisten die Hölle sein, nach 12 Semestern Germanistik, Lokalzeitungs-Volo und mühsamem Hocharbeiten plötzlich über Leute schreiben zu müssen, die damit angeben, nichts geregelt zu kriegen, und die trotzdem erfolgreicher und bekannter sind als man selbst.

    Wenn man diesen Neid dann wenigstens noch in gewitzte Sprache gießen könnte, wär’s ja okay. Aber „Hofnarren“?! Im Jahr 2008?! Kein Wunder, dass Fische zu stinken beginnen, sobald man sie ein paar Tage in eine Zeitung eingeschlagen hat …

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