vonChristian Ihle 21.12.2009

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Man muss es gleich vorne weg schicken und Franz Beckenbauer paraphrasieren: Die Engländer sind keine Deutschen, das hat man ganz genau gesehen.

Denn dass die gestrige Sensation – oh, hätte man doch nur vor ein paar Wochen Geld bei einem englischen Buchmacher dafür locker gemacht! – stattgefunden hat, ist nur mit der immer noch vorhandenen Faszination der Briten mit Popkultur und Musik im Speziellen zu verstehen.

Zunächst muss man erwähnen, dass in England die Christmas-Number-One geradezu mythischen Rang hat. Seit Jahrzehnten gilt die Nummer-Eins-Platzierung in der Weihnachtswoche als “wichtigster” Platz 1 des Jahres, was sich zumeist auch in den Verkaufszahlen niederschlägt. Das ist bereits seit Jahrzehnten so und hat beileibe nicht immer Songs hervorgebracht, auf die England stolz sein kann – Mr. Blobby, anyone?

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=h37KQu64RY4[/youtube]
(Christmas No. 1, 1993: Mr. Blobby)

In den letzten Jahren wurde das Rennen um die Christmas-No.1 aber immer langweiliger, weil die Fernsehshow “X Factor” die Charts beherrschte. “X Factor” ist das britische Äquivalent zu “Deutschland sucht den Superstar”. Die Originalvorlage namens “Pop Idol” wurde im Zuge eines Rechtestreits vor einigen Jahren in “X Factor” umgewandelt. An “Pop Idol” hielt der Ex-Manager der Spice Girls, Simon Fuller, die Rechte, am neuen Format “X Factor” dagegen Simon Cowell, der so etwas wie die britische Blaupause für Dieter Bohlen ist und der nach dem großen Erfolg von “PopIdol” (in der er Juror war) einfach kurzerhand seine eigene, nahezu identische Show “X Factor” gründete.

“X Factor” hat derart sensationelle Einschaltquoten, dass selbst DSDS davon nur träumen könnte. Marktanteile von 55% und Zuschauerzahlen jenseits der 14-Millionen-Marke sind keine Seltenheit – das schafft hierzulande eigentlich nur die deutsche Fußballnationalmannschaft bei Turnierspielen (und das obwohl Deutschland ja 20 Millionen potentielle Zuschauer mehr hat). Als Folge dieser Penetration sind auch die Singlecharts fest in der Hand von “X Factor”: neben den Singles, die von den Teilnehmern der Sendung aufgenommen werden, ist auch ein Auftritt eines Stars als “Mentor” (im Grunde nichts anderes, als dass der Gute seine neue Single vorstellt…) eine Garantie für eine gute Chartplatzierung. Und nicht zuletzt hat sich in jüngerer Vergangenheit auch noch herauskristallisiert, dass die Originalversionen der Songs, die die Teilnehmer in der Sendung covern ebenfalls in die Charts einsteigen – ein wichtiger Faktor ist der in UK bereits dominante Einfluss der Mp3-Downloads auf die Chartplatzierung. Im Fernsehen gesehen, am Computer bestellt… So ist beispielsweise in dieser Woche ein 27 Jahre alter Song von Journey (!) in die britischen Top Ten eingezogen – nur weil ein “X Factor”-Sieger in den letzten Wochen “Don’t Stop Believin'” gecovert hatte.

Auch das letzte Weihnachten hatte eine kuriose Situation produziert: Alexandra Burkes “X Factor”- Weihnachtssingle war ein Cover von Leonard Cohens “Hallelujah” – natürlich in der bekannteren Version von Jeff Buckley. Genau jenes, eh, “Original” wurde dann ebenfalls in Massen bestellt, so dass die letztjährigen Weihnachtscharts “Hallelujah” von Alexandra Burke auf 1 und “Hallelujah” von Jeff Buckley auf 2 listeten. Posthum der größte Erfolg für Buckley überhaupt – und für Alexandra Burke den europäischen Rekord für die meisten verkauften Singles innerhalb eines Tages.

Doch selbstverständlich gibt es auch genügend Briten, denen die Dominanz von “X Factor” auf die Nerven geht. Als Folge wurden mehrere Initativen gegründet, die als einziges Ziel verfolgen, genügend Mitmenschen zu überreden, eine bestimmte andere Single in der Weihnachtswoche zu kaufen, so dass die Single des “X Factor”-Gewinners nicht Nummer 1 werden würde. Zumeist endet das eher mit Achtungserfolgen (leider ist die Initiative für die Pet Shop Boys mit Platz 40 recht versandet), doch die ursprünglich einmal als Facebook-Gruppe gegründete Initiative, “Killing In The Name Of” von Rage Against The Machine auf Platz 1 zu jagen, hat, zur allgemeinen Überraschung, tatsächlich Früchte getragen.

Und wie! RATM konnten ohne irgendeine zusätzliche Werbung oder gar der Existenz eines physischen Tonträgers 500.000 Einheiten in dieser Woche verkaufen und schlugen den “X Factor” Gewinner Joe McElderry, der 450.000 Stück losschlagen konnte – und damit die erste X Factor – Gewinnersingle wurde, die nicht auf Platz 1 landete! Im Vorübergehen konnten Rage Against The Machine auch noch zwei Allzeitrekorde aufstellen: “Killing In The Name Of” ist die erste download-only Single, die den begehrten Platz an der Sonne an Weihnachten erklimmen konnte, und hat mit seiner halben Millionen Downloads auch gleich noch den Rekord für “meiste Downloads in einer Woche ever” (EVER!) aufgestellt.

Schön an der Geschichte ist natürlich: “das Internet” hat mal wieder seine Macht bewiesen, “X Factor” hat keine Nummer 1 Single an Weihnachten und “Killing In The Name Of” ist sicherlich das beste Lied, das Rage Against The Machine je geschrieben haben.

Die Ironie der Geschichte folgt allerdings auf dem Fuß: die Singles von “X Factor” werden von Sony veröffentlicht – und der weltweite Medienkonzern ist dummerweise auch das Plattenlabel der ewigen Revolutionäre von Rage Against The Machine. In der Sony-Zentrale werden die Sektkorken knallen: nicht nur dass Joe McElderry mit seinen 450.000 Einheiten keineswegs enttäuschte, sondern ebenfalls ein fabelhaftes Ergebnis einfuhr – zum Vergleich: die erfolgreichste Single des Jahres vor dieser Woche war Cheryl Coles “Fight For This Love” (292.000) – nein, man bekam ohne eigenes Zutun noch einmal eine halbe Million zusätzliche Verkäufe dank diesem Ding “Internet” als Sahnehäubchen dazu. Das Business, es gewinnt immer.

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https://blogs.taz.de/popblog/2009/12/21/warum_rage_against_the_machine_mit_einem_17_jahre_alten_lied_nummer_1_in_england_sind/

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