vonChristian Ihle 30.12.2009

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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10. The Exploding Girl (USA, Regie: Bradley Rust Gray)explodinggirl

Ich gebe es gerne zu: ich war spät dran. Erst in diesem Jahr habe ich mich erstmals mit dem so wundervoll betitelten „Mumblecore“-Genre befasst, das sich durch die Absenz jeglicher plottreibender Einflüsse auszeichnet, kaum mit Kamerabewegungen, Close-Ups oder gar Montage arbeitet, die Improvisation bevorzugt und so ein direktes, “unverfälschtes” Bild vom “Leben” zeichnen will. Und so bemüht das klingen mag: in The Exploding Girl funktioniert es derart gut, dass man geneigt ist, „Mumblecore“ als die einzige artgerechte filmische Ausdrucksweise für Coming-Of-Age-Geschichten im Nerdfeld zu betrachten. kinda zauberhaft.

9. Antichrist (Dänemark, Regie: Lars von Trier)

Oh, was war das für ein Rauschen im Feuilleton, als Lars von Trier seinen „Antichrist“ in Cannes erstmals der Weltöffentlichkeit präsentierte! Vom verstörendsten, härtesten Arthouse-Film aller Zeiten wurde geschrieben – und die Erwartungen in eine völlig falsche Richtung gedreht. Denn im Grunde ist Lars von Trier ein albtraumhaftes Zweipersonenstück über Verlust, Depression und die Unmöglichkeit der Liebe gelungen. Nach dem brillanten, so wirklich noch nie gesehenen zehnminütigen Prolog entwickelt von Trier leise und schleichend ein Gefühl der Entfremdung, Trennung, Einsamkeit, von innerem Terror. Die kleinen Anzeichen, die eine Geistesverwirrtheit bei einer der beiden Hauptpersonen anzeigt, treffen umso härter. Härter als alle Genitalverstümmelungen im Folgenden – hat übrigens nie jemand der sensationsheischenden Kritiker Kim Ki-Duk gesehen?

8. Bronson (UK, Regie: Nicolas Winding Refn)

„Bronson“ ist ein seltsames Biest. Die Biographie des härtesten Gefängnisinsassen der Insel schwankt zwischen heftigen Gewalteruptionen und einer Stilisierung im Geiste der berühmten „Singing In The Rain“ – Vergewaltigungsszene aus „A Clockwork Orange“. Der unbedingte Wille zum Pop, zum Bilderrausch ist ständig zu spüren. Ein Film über Attitude, nicht über Message.

7. The Watchmen (USA, Regie: Zach Snyder)

Im Nachhinein muss man also doch noch für „300“ dankbar sein. So schlecht jener Film gewesen sein mag, so groß war sein Erfolg und damit die carte blanche für Regisseur Zach Snyder bei seiner nächsten Comicverfilmung. Und Snyder nutzt die freie Hand, um eine beinah sklavisch treue Adaption der sagenumwobenen graphic novel auf die Leinwand zu bringen. Das mag man als einfallslos kritisieren, aber dass Snyder ein fast dreistündiges Comic-Movie als polit-philosophische Dauerdiskussion anlegt und sogar der Verlockung widersteht, die Comichelden in zeitgemäße fancy outfits zu stecken, beeindruckt. Und am Ende des Tages ist „The Watchmen“ nicht nur wunderschön gefilmt und hat die besten opening credits des Jahres, sondern stellt die klassische Jack-Bauer-Frage: was alles darf man tun, wenn man Gutes will? Schön, dass Hollywood mal Utilitarismus durchdiskutiert!

6. Milk (USA, Regie: Gus Van Sant)

Im Grunde ist „Milk“ ein klassisches Hollywood-Biopic: vom Tellerwäscher zum Millionär. Nur dass der Tellerwäscher schwul ist und Mayor statt Millionär werden will. Die Geschichte der Schwulenbewegung Kaliforniens erzählt Van Sant im Vorbeigehen gleich mit und dank einer durchgehend guten Besetzung sowie der dann doch arthousesensibilisierten Zurückhaltung im Pathos ist „Milk“ bewegend ohne peinlich zu werden.

5. The House Of The Devil (USA, Regie: Ti West)

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Der beste Horrorfilm des Jahres. Und warum? Weil er sich dem Terror verweigert und die frühen 80er eben nicht nur in Stil und Ausstattung, sondern auch in Dramaturgie und Konzeption aufleben lässt. Ein Paradebeispiel für den Hitchcocksatz: eine Bombe unter einem Tisch, die explodiert, ist Action, aber eine Bombe, von der wir Kenntnis haben, aber nicht wissen, ob und wann sie hochgeht, ist Suspense. Dabei ist die Story ein einziges Klischee – junge Studentin nimmt während einer Mondfinsternis einen Babysitterjob bei einer seltsamen Familie (“they are not weird, they are mental!” wie ihre Freundin einmal ganz zutreffend feststellt) in einem Haus im Wald an und entdeckt dann, dass es überhaupt kein Baby zum Aufpassen gibt in diesem Haus im Wald bei Mondfinsternis… fast eine Stunde passiert – bis auf eine Ausnahme – absolut gar nichts. Mädel, Haus, allein. Reicht. Dann 15 Minuten lang wilder Teufelsirrsinn und ein gleich doppelt fantastisches Ende, das kurz, gemein und raffiniert zugleich ist.

4. Der Knochenmann (Österreich, Regie: Wolfgang Murnberger)

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Die Brenner-Verfilmungen waren dank der Buchvorlagen von Wolf Haas und Hauptdarsteller Josef Hader schon immer lustig. Bei „Der Knochenmann“ gelingt es aber erstmals, auch einen Krimiplot aufzubauen, der das Tatort-Niveau überschreitet und sich in seiner zwingenden Logik ganz dem Vorbild der Coen-Brothers nähert: die Protagonisten versuchen unentwegt eine schlimme Sache durch eine noch schlimmere beseitigen, aber während wir ihnen dabei zusehen, verstehen wir warum. Die innere Logik der Katastrophe ist immer schlüssig. Und lustig? Aber wie! Nie lag Österreich näher an „Fargo“.

3. Das weiße Band (Deutschland / Österreich, Regie: Michael Haneke)

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Vielleicht ist es Altersweisheit, denn wo Haneke früher bei aller Klasse auch immer anstrengend den Finger hob, um zu predigen statt durch Bilder zu überzeugen (von „Bennys Video“ zu „Funny Games“), hat er nun – wie schon in „Caché“ – zu einem beinah kontemplativen Minimalismus gefunden, der immer nur andeutet und so doch viel stärker wirkt. Visuell vielleicht sein bester Film, setzt er in „Das weiße Band“ noch stärker als in „Caché“ auf die Politik der kleinen Nadelstiche. Es sind die kleinen Holprigkeiten, die Ungereimtheiten, die der Geschichte ständig das Gefühl eines über allem schwebenden Unheils verleihen. Die Konsequenz mit der Haneke diese Idee bis zum Ende durchhält, sie muss applaudiert werden.

2. The Wrestler (USA, Regie: Darren Aronofsky)

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Der berührendste Film des Jahres und untrennbar mit der tragischen Figur des Hauptdarstellers Mickey Rourke verbunden. So schwer es auch fällt, in dem titelgebenden Wrestler nicht Rourke, sondern eine Kunstfigur zu sehen und wie fantastisch, ungekünstelt, echt und rauh die Leistung von Rourke auch sein mag: Aronofsky ist darüber hinaus ein ungewöhnlich guter Film gelungen, der dank seiner Nähe und seiner Grobkörnigkeit, die sich jeder Rocky-esquen Hochglanzstilisierung verweigert, ein derart wuchtiges Bild eines gefallenen Mannes zeichnet, wie man das letztmals in den besten Momenten der dänischen Dogma-Bewegung so sehen konnte.

1. Inglorious Basterds (USA, Regie: Quentin Tarantino)

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Das Tarantino-Werk hatte mich schon von Beginn an fasziniert und ich bin immer noch der Meinung, dass QT bisher keinen schlechten Film gedreht hätte (nein, nicht mal „Death Proof“ und „Kill Bill 2“), aber dafür schon eine handvoll Großartige („Pulp Fiction“, „Kill Bill 1“, „Reservoir Dogs“) – dennoch war ich auf den neuen QT so wenig gespannt wie noch nie. Ein Kriegsfilm? Ein Naziploitationmovie? „Death Proof“ hinter feindlichen Linien? Brad Pitt? Til Schweiger???
Doch dann genügten die ersten zehn Minuten, um mich komplett einzufangen, weil Tarantino es wieder schafft – wie in den besten Momenten von „Pulp Fiction“ und „Reservoir Dogs“ – aus einem Nichts an Plot und einem klein wenig an Story derart brillante Dialogzeilen zu drechseln, seine Schauspieler perfekt auswählt und sie zu Karrierehöchstleistungen bringt, dass diese zehnminütige Konversation zwischen dem sagenhaft guten Christoph Waltz als SS-Mann und dem judenversteckenden französischen Bauern eine Spannung auf die Leinwand zaubert, die bis zum Ende des Films anhalten sollte. Tarantino dreht noch Filme des klassischen Kinos, es sind die Hitchcock-Prämissen (hier eben: Juden statt Bomben unter dem Tisch…), es sind lange, ruhige Einstellungen und Möglichkeiten en masse für seine Schauspieler zu glänzen. Noch nie habe ich einen kurzweiligeren Zweieinhalbstundenfilm gesehen.

Ebenfalls empfehlenswert:

11. Soul Kitchen (Fatih Akin)
12. Defamation (Yoav Shamir / Dokumentation)
13. Synecdoche, New York (Charlie Kaufman)
14. Man On Wire (James Marsh / Dokumentation)
15. Gran Torino (Clint Eastwood)

16. District 9 (Neill Blomkamp)
17. The International (Tom Tykwer)
18. Frost / Nixon (Ron Howard)
19. Paranormal Activity (Oren Peli)
20. Looking For Eric (Ken Loach)

21. Elektrokohle / Von Wegen (Uli M. Schüppel / Dokumentation)
22. A Film With Me In It (Ian Fitzgibbon)
23. Der fremde Sohn (Clint Eastwood)
24. The Tournament (Scott Mann)
25. My Dear Enemy (Yoon-ki Lee)
26. Achterbahn (Peter Dörfler / Dokumentation)
27. The Hurt Locker (Kathryn Bigelow)

Und 2008?

1. No Country For Old Men
2. I’m Not There
3. Juno
4. REC
5. Waltz With Bashir
6. There Will Be Blood
7. Tödliche Entscheidung
8. So finster die Nacht
9. Inside
10. Happy Go Lucky

mit Text? hier

Und 2007?

1. Ex Drummer
2. The Tracey Fragments
3. Reprise
4. Death Proof
5. Lady Vengeance
6. Zodiac
7. Sunshine
8. Joe Strummer – The Future Is Unwritten
9. Persepolis
10. Motel

mit Text? hier

Und 2006?

1. MatchPoint
2. Brick
3. Syriana
4. Little Miss Sunshine
5. Das Leben der Anderen
6. Jarhead
7. Domino
8. 13 (Tzameti)
9. Good Night, And Good Luck
10.Thumbsucker

mit Text? hier

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