vonChristian Ihle 19.12.2012

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Das Album „Fluidum“ der Stuttgarter Punknoise-Band Die Nerven mag erst kurz vor Jahresschluß veröffentlicht worden sein, aber da wir im Popblog ja entgegen der Gewohnheiten aller anderen Publikationen tatsächlich erst zum Jahresende (und nicht im September) unsere Bestenlisten zusammen stellen, dürfte dieses so großartige Album noch das eine oder andere Mal in den nächsten Tagen hier erwähnt werden. Nicht auf dem Album enthalten, aber ebenfalls empfehlenswert: das Lana Del Rey – Cover von „Summertime Sadness“:

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Deshalb freuen wir uns natürlich besonders, dass Die Nerven ein Tourtagebuch fürs Popblog geführt haben:

Unsere Tour beginnt Donnerstag morgens um vier Uhr. Da Schnee und allerhand andere Beschwerlichkeiten angesagt sind und Max dafür bekannt ist, jede halbe Stunde eine Raucherpause zu machen, wollen wir kein Risiko eingehen – die erste Strecke ist gleichzeitig auch die längste. Uns verschlägt es nach Berlin – wir kommen doch ohne große Probleme viel zu früh an. Kevin ist glücklich darüber, er schwärmt schon seit Tagen von einem Besuch bei einer bekannten Donut-Kette die in Stuttgart nicht vertreten ist. Gegen Abend fahren wir ins Monarch am Kottbusser Tor, wo wir mit der Band Big Eater spielen. Wir können es kaum fassen – es kommen tatsächlich Leute zu unserem Konzert, und sie zahlen sogar Geld dafür! Wir haben bisher nur wenige Konzerte außerhalb unserer ‚Hood‘ gespielt, und selbst dort ist die Zuschauermenge sehr durchwachsen. Unser Konzert ist gut, für uns auf jeden Fall. Wir sehen uns nicht unbedingt als Unterhalter, wir machen eben das, was uns Spaß macht. Wenn wir einige Leute mitreißen können, freut uns das umso mehr.

Unsere T-Shirts mit Lana Del Rey-Motiv und unsere offiziell erst am nächsten Tag erscheinenden Platten gehen weg wie warme Semmeln. Wir hatten eigentlich noch nie wirklich Merchandise, deswegen flasht es uns umso mehr. Da wir tief im Herzen eigentlich eine totale Langweilerband sind, verabschieden wir uns bald und legen uns hernieder.

Am Freitag geht es nach Hamburg. Obwohl wir seit Monaten nur an die heutige Veröffentlichung unseres Albums denken, hat jeder von uns andere Dinge im Kopf und niemand realisiert das wirklich. Die Stadt an der Elbe empfängt uns mit kalten Armen und der Wind pfeift nur so um unsere Köpfe, schön dass wir schnell wieder in der warmen Kombüse verschwinden, da unser erster Termin in Hamburg ein Interview ist. Es ist für uns und unser Gegenüber Frieder das erste Interview. Unbeholfenheit bleibt aber aus, eher sind wir froh darüber uns endlich erklären zu können. Beim Weg zurück zum Molotow sehen wir einen astreinen Luden mit akkuratem Bart – schön! Das ist wohl St.Pauli.
So richtig viel sehen wir aber nicht. Viel sehen wir eher vom wundervollen Molotow Club, bzw. von der Molotow Bar, in der wir spielen werden. Wesley Willis spielte vor 11 Jahren einmal hier, also waren dies die Bretter, die die Welt bedeuten.

Vermutlich irrt Willis‘ Geist immer noch in dieser Lokalität um. Dies würde Julian und Kevins irrationales,aufgedrehtes Verhalten zwischen der Ankunft im Club und Konzertbeginn erklären. Beim Soundcheck improvisieren wir kräftig und verdrücken uns dann zum Abendessen, während unser liebster Tour-Manager Benny den Merch-Stand aufbaut. Wir hätten ihn ja auch mitgenommen, aber er hatte keinen Hunger. Kevin mundet sein zartes Hähnchenfilet sehr, auch die Pommes werden von ihm gelobt, auch den anderen schmeckt es.

Zurück in der Bar begrüßen wir zuerst lokale Prominenz, darunter MitgliederInnen von den Hamburger Szenegrößen Zucker, Trümmer und den Honeyheads und ein paar Freunde, um dann gebannt dem Konzert der supernicen Band „Nicht“ zu lauschen. Die adrett gekleideten Jungs machen schöne Musik, die wütend ist und eröffnen somit sehr passend für uns. So eine Supportband wünscht man sich jeden Tag. Danach unser Konzert, welches in Worten nur schwer zu beschreiben ist. Wir waren davon ausgegangen, dass vielleicht eine Hand voll Leuten zu unseren Shows kommt, aber die kleine Molotow Bar ist voll. Somit der ideale Ort für uns. Es ist wie ein Rausch, intensiv und laut. Anscheinend hat es auch noch nie sowas ähnliches wie einen Moshpit in der Bar gegeben, bei uns schon. Es wurde sogar mitgesungen. Nach unserer Lärmorgie am Ende des Konzertes verdrücken wir uns ins Publikum, es wird uns auf die Schulter geklopft. Das scheint so ein Hamburger Ding zu sein, den Songzeilen unserer Helden können wir doch nicht zustimmen „Ihr habt mir viel zu oft auf die Schultern geklopft“ und „Kein Schulterklopfen Junge, kein Schulterklopfen mehr“, passen einfach nicht dazu, wie Hamburg uns mit seinen warmen Armen empfangen hat.
Dem Soundmann hat unser Konzert nach eigener Aussage „gemundet“, wie Kevin sein Essen und wir feiern darauf erst einmal diesen wunderschönen Tag in Hamburg, um dann später im Bandappartement des Molotows zu nächtigen. Am nächsten Tag stehen schließlich noch zwei Konzerte an.

Nach einem Frühstück im Fünf-Sterne-Restaurant ‚Zu den goldenen Archen‘, machen wir uns heiter und immer noch euphorisch vom gestrigen Abend auf den Weg nach Münster. Das erste von zwei Konzerten an diesem Tag dürfen wir nachmittags im Plattenladen/Lagerhaus unseres Labelchefs Chris geben. Nachdem wir uns mit tollen Schallplatten, Glühwein (Kinderpunsch für Kevin) und Salzstangen eingedeckt haben, geht es pünktlich um 16 Uhr los. Publikumsreaktionen sind wohlwollend, jedoch verhalten. Einem raschen Abbau folgt noch eine Foto-Session mit dem This Charming Man – Hausphotographen. In den Fotos sieht man uns den Tourstress nur bedingt an.

Schnurstracks geht es dann nach Köln. Kaum dort angekommen gibt Kevin ein Interview für einen Onlineblog, in dem er im großen Stil sein Lieblingsalbum vorstellen darf („Unmasked“, der Discorock-Alptraum von Kiss). Dass er dann die eigens hierfür erworbene Vinylplatte behalten darf versetzt ihn in derartige Extase, dass er mitten in ein angeregtes Gespräch zwischen dem Rest der Band und Filmemacher Oliver Schwabe (u.a. ‚Fraktus‘), in dem ein eventuelles gemeinsames Filmprojekt besprochen wurde, hineinplatzt um ein Jedermann an seinem schäumenden Enthusiasmus teilhaben zu lassen. Herr Schwabe ist von der Situation sehr angetan (behauptet Kevin jedenfalls später). Max‘ Erkältung, die sich bereits auf der Hinfahrt nach Berlin bemerkbar gemacht hatte, erreicht an diesem Abend ihren Höhepunkt und schlägt ihm stark auf die Stimme. Noch einen Fencheltee bevor es auf die Bühne geht und alles ist einigermaßen im Lot. Das letzte Konzert der Tour findet in einem übergroßen Wohnzimmer vor 140 zahlenden Gästen statt, was wohl größtenteils auf die Lokalmatadoren, mit denen wir uns die Bühne teilen, zurückzuführen ist. Musikalisch sind wir im Topform, wenn auch nicht ganz physisch. Julian kollabiert gegen Ende des Sets fast und spielt einige Minuten lang im Liegen und Max krächzt gerade so die letzten Geräusche heraus, schlägt sich jedoch wacker. Genau genommen so wacker, dass er nach Feierabend gleich das Bett aufsucht, während der fröhliche Rest noch das Kölner Nightlife auskundschaftet.

Um 11 Uhr am darauffolgenden Morgen stehen wir mehr oder weniger munter wieder auf der Matte und begeben uns auf eine weitestgehend ereignislose Fahrt in Richtung Heimat, mit den Köpfen voller Gänsehaut induzierender Erinnerungen. (Text: Die Nerven)

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