Vor einigen Monaten hatten wir erstmals einen Vorabdruck eines Romans im Popblog gefeatured, Felix Scharlaus tollen „Fünfhunderteins“. Scharlaus Intro-Kollege Linus Volkmann ist ja schon seit Jahren ebenfalls Buchautor und hat unter anderem das wundervoll betitelte „Smells like Niederlage“ veröffentlicht.
In seinem neuen Kurzgeschichtenband „Lies die Biber – die 13 schönsten Geschichten der Welt“ schreibt Volkmann die Geschichte von etlichen Figuren fort, die bereits an anderer Stelle im Volkmann’schen Universum auftauchten: die Rückkehr von Super-Lupo gibt es ebenso zu bestaunen wie neue sexuelle Eskapaden von Schinken-Omi (of gleichnamigem Fanzine-Fame!). Unser Favorit ist aber King Cobra: harter Typ, alter Punk, immer gegen das Schweinesystem agitierend – was aber zur Folge hat, dass King Cobra manchmal auch Kreide fressen muss statt Bier trinken darf… wie in der folgenden tragischen Episode, die zu einem Resozialisiserungsaufenthalt im pittoresken Unterfranken führt. Aus der Reihe Linus und wie er die Welt sah heute die Folge:
King Cobra
Der Ponyflüsterer
Aus kleinen gelben Augen sah der Richter King Cobra an. Hob seinen Hammer, um über jenen das Urteil zu fällen. Obwohl er nicht mal wusste, was Cobra eigentlich so für ein Typ war. Privat zum Beispiel. Das war alles egal im Fascho-Paragraphen-Dschungel.
Vermutlich wollte er King, den Canalterror-Hörer und Turbostaat-Fan, der auch in einer Crust-Core-Band spielte, sowieso am liebsten in Ketten sehen. In Ketten, wie er des Richters BMW wusch und wachste. Und danach noch einen tiefen Diener machte.
Der Hammer fiel und der Richter sprach im Namen des Volkes folgendes Urteil: „Es wird gegen den Angeklagten die Ableistung von 160 Stunden Sozialdienst verhängt, weil er sich – ‚auf Bier‘, wie er uns hier glauben machen wollte – der Räumung eines Blockupy-nahen Bauwagenplatzes in Offenbach-Rumpenheim widersetzt hat. In Tateinheit mit dieser Ordnungswidrigkeit steht die erwiesene Beschuldigung, dass er mit seinem Widerstand diversen Polizeikräften auf den Keks gegangen ist. Angeklagter …“, der Richter sortierte bereits seine Unterlagen zusammen, „… Angeklagter, Sie haben das letzte Wort.“
King Cobra: „Öh, also … Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz!“
Ach, verdammt. Das war ja nicht gerade souverän gewesen, sich in dieser muffigen Bezirksgerichtsamtsstube hinreißen zu lassen, diesen extrem doofen und frauenfeindlichen Deutschpunk-Mackerslogan von Slime rauszujammern. Aber okay, in dieser einen Sekunde war dem King halt nichts Geistreicheres von zum Beispiel Ton Steine Scherben eingefallen. Oder wenigstens von Philipp Poisel.
Es war zum Heulen, 160 Sozialstunden und bei den famous last words totalen Mist geredet. Immerhin war dieser Schauprozess vorbei. Alle seine sauberen Autonomen-Freunde waren freigesprochen worden – und hatten offenbar gegen ihn ausgesagt. Sie standen nun draußen und klatschten sich mit ihren Kontaktbeamten ab. Danke, Kronzeugenregelung. Kein Wunder, wenn bei diesem Spirit bald kein Bauwagenplatz mehr zu verteidigen war. Immerhin hüstelten die Kollaborateure verlegen, sahen zu Boden, als King Cobra an ihnen vorbeischritt. Doch nachdem er sie passiert hatte, hörte er gleich wieder: „Hurra, guckt mal, wie viel Kohle die mir für meine Aussage ausgehändigt haben!“
King Cobra, der fertige Betonkrieger, erhielt dagegen nur einen Bescheid, wie das denn jetzt funktionierte mit diesen Sozialstunden. Eine Frau mit großen Zähnen und einer weißen Bluse händigte ihm Dokumente, Flugis und überraschend auch eine Fahrkarte aus.
„Wo soll’s denn hingehen?“, fragte er noch im Spaß, doch der strenge Blick der Dame ließ keinen Platz für solche ohnehin viel zu versöhnlichen Zwischentöne. Es war Krieg – zwischen ihm und denen. Und King Cobra musste anscheinend echt wohin.
Die Unterlagen wussten es genau: Es ging mit dem Herzblatthubschrauber auf eine dreiwöchige Ponyfreizeit – als Betreuer für eine Gruppe Kids nach Unterfranken. Mitten im Nirgendwo, in der bekloppten Natur, auf einem Gehöft. Kaum Anbindung an das nächste skurrile Kaff. Unterfranken? Da gab’s doch sicher nicht mal Ketamin oder einen Späti. „Bitte nicht!“, stöhnte King Cobra und das einzig Gute daran, das mit dem Hubschrauber, hatte er sich ohnehin nur dazu gedacht.
Blieb also bloß die Reise nach Bayern. Um Teenager zu Pferde und in den Ferien zu betreuen. Wie sehr hasste der Staat ihn eigentlich?
Missmutig trat King Cobra wenige Tage später diese scheiß Reise an. Es half ja nichts. Deutschland saß am längeren Hebel.
An seinem Abteilfenster rauschte Landschaft vorbei. Grün und grüner wurde es mit fortschreitender Fahrt. Gute Luft, gleißendes Licht, blumige Gerüche erfüllten den Zug. Die Ortsnamen an den Bahnhöfen klangen immer alberner: Hartenstein, Pommelsbrunn, Ottensoos, Kirchensittenbach, Kummersbruck, Hirschau, Stulln und zuletzt Pfreimd. King Cobra zweifelte ernsthaft, dass in etwas, das Pfreimd hieß, noch in gängigem Sprachdeutsch zu kommunizieren war. Am besten gleich nur mit Handbewegungen und Gesten arbeiten, dachte er und kratzte sich gedankenverloren schon mal den Mittelfinger.
Raus, die nächste musste er raus. Hoffentlich fiel er nicht mit seinem riesigen Armeerucksack nach hinten, blieb auf dem Rücken liegen, käme nicht mehr hoch.
„Knie nieder, Bauer, die Antifa ist da!“, aus hilfloser Schildkrötenperspektive verlautbart … So würde man vor den Dorfnullen wohl kaum Eindruck schinden.
King Cobra öffnete die Tür, verließ den Waggon. Als Einziger. Der Zug setzte seine Fahrt fort. Keine Sonnenbrille dabei. Hätte er aber gebraucht. Eine Biene summte, sonst war es still. Das halte ich niemals durch hier, dachte er und stellte fest, dass er auch seinen Tabak daheim hatte liegen lassen. Jetzt reichte es endgültig. Dafür würde Unterfranken büßen!
Lies die Biber ist im Ventil Verlag erschienen.