1. Warm Graves
Das wirklich ziemlich gute Debütalbum der Leipziger Band Warm Graves ist letztes Jahr auf dem verlässlichen Hitlieferanten This Charming Man Records erschienen – aber lässt noch nicht einmal erahnen, welche Klasse diese Songs in ihrer Liveumsetzung entwickeln. Denn das Shoegazing, Skygazing, Woauchimmerhinstieren der Warm Graves mag auf Platte bei nicht genügend Höreraufmerksamkeit vielleicht etwas same-y klingen, doch live prügelt einen das Schlagzeug immer im rechten Moment ins Hier und Jetzt zurück. Ein phänomenaler Auftritt!
2. Karies
Wir hatten die Stuttgarter Punkband Karies (ebenfalls This Charming Man Records, übrigens) bereits in unserer Vorankündigung als heißen Tipp empfohlen und auch wenn sie in einem kurzen Set kaum alle ihre besten Songs spielen konnten, hat sich diese Vermutung bestätigt. Karies haben nicht nur persönliche Verbindungen zu den Nerven (beide teilen sich den gleichen Drummer), sondern denken Punk auch aus einer verwandten Idee: es ist und bleibt harte, rauhe Musik, die aber sowohl bei den Nerven aus auch bei Karies um eine andere, ungewöhnliche Ebene erweitert wird, was nicht zuletzt an ihrem irre guten Drummer Kevin Kuhn liegt, der sich in diese Strukturen einfühlt wie man das selten von einem Schlagzeuger in diesem Kontext zu hören bekommt.
Karies wechseln dabei ihre Lärmausbrüche nicht einfach mit leiseren Parts ab wie im Quiet/Loud-Blueprint der Grungezeit, sondern spielen sich so exakt in diese leisen Labyrinthe hinein, dass der Postrock schon an der Tür klopft. Erfinden wir ein neues Genre: Deutschpunk-Postrock und denken dabei an Godspeed You Black Emperor.
3. Isolation Berlin
Die armen Buben von Isolation Berlin mussten tatsächlich bei ihrem ersten von zwei Auftritten am Samstag in einem noch im Verkaufsbetrieb befindlichen Klamottenladen (aka St. Pauli „Fanshop“) bei tagheller Beleuchtung und zwischen Kleiderständern auftreten. Es mag ja sein, dass die Theorie hier sich vielleicht ein disruptives Element eines Verkaufsprozesses herbeidenken will – aber am Ende ist es einfach nur unverschämt einer Band gegenüber, denn es stört ja nicht den kommerziellen Betrieb, sondern verkommt zu seiner Hintergrundbeschallung, auch wenn Isolation Berlins brillanter Konzertopener „Produkt“ mit seinem „ich bin ein Produkt / ich will dass man mich schluckt / dass man mich konsumiert“ natürlich gerade in diesem Kontext schon noch einmal eigenen Witz entwickelt.
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=l05Oi_fWUpI[/youtube]
(to state the obvious: das Video ist natürlich an anderer Stelle aufgenommen – SO sehen Klamottenläden an der Reeperbahn dann eben doch nicht aus)
Dennoch: Als Band hat man es wirklich nicht leicht. Umso überraschender, was den Berlinern für ein fantastischer Auftritt in diesem absurden Ambiente gelang – und ein positives Element kann man tatsächlich aus dieser Begegnung ziehen, war doch im Gegensatz zu sonstigen Reeperbahngigs hier normale Laufkundschaft mit den Isos konfrontiert und es ist schon eine große Freude zu sehen, wie die Texte von Sänger Tobias Bamborschke diese unvorbereiteten Mitt50er im Laufpublikum so unvermittelt treffen, dass sie stehen bleiben, sich das Konzert geben und über Textstellen lächeln – oder irritiert sind.
[…] habe Euch live unter anderem auf dem Reeperbahnfestival gesehen, als ihr in einem Fanshop vom FC St.Pauli zwischen lauter Klamotten auftreten musstet, während an der Kasse noch die T-Shirts abkassiert […]