vonSigrid Deitelhoff 04.05.2018

Prinzenbad-Blog

Freibad-Wetter, gefühlte Wassertemperatur, Gespräche und Gedanken unter der Dusche – der Blog über Deutschlands berühmteste Badeanstalt.

Mehr über diesen Blog

Es ist heiß und ich stehe für meine Frühstücksbestellung in der Cafeteria an. Mir rinnt der Schweiß den Rücken herunter. Vor mir eine große Kinderschar mit Süßigkeitswünschen.

Während ich mich über die lustigen Namen der Süßigkeiten wundere, zählt der rothaarige Knirps vor mir seine Lieblingssorten auf: “Kiss Cola”, “Riesen-Erdbeeren” und für 20 Cent “Super Pommes Sauer”. Das Mädchen neben ihm will lieber “freche Füchse”, “Feurige Flammen” und drei “Trollis”.

Einige der Kinder drücken sich ihre Nasen an der Schreibe mit den Wundertüten platt. Es ist laut und wuselig. Die Cafeteria-Crew – allen voran Dagmar Keuenhof (genannt Daggi) und Matze, der eigentlich Mathias Kutscha heißt – bewahren die Ruhe. Daggi berät die Kids bei ihrer Auswahl, stellt die Wundertüten mit Süßigkeiten zusammen. Matze kassiert und behält den Überblick, wer wann an der Reihe ist.

Eine junge Frau, sichtlich in Eile, versucht sich vorzudrängeln und wird von Daggi streng aufgefordert, das Mädchen in der Reihe vor ihr doch einfach zu fragen, ob sie sie vorläßt. Vordrängeln gibt’s nicht, auch Kinder haben Rechte.

Daggi und Matze, die in dieser Saison seit 10 Jahren die Prinzenbad-Cafeteria führen, haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Aber nicht nur diese Fähigkeit stellen sie seit Jahren unter Beweis. Sie sind auch die Seele des Prinzenbades. Sie sorgen nicht nur für das leibliche Wohl der Badegäste, sondern haben auch immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Gäste. Und das, obwohl jeder Badegast mindestens zwei Macken aufweist (mich eingeschlossen). Daggi und Matze können mit uns PrinzenbadlerInnen geduldig und nachsichtig umgehen. Vielleicht zeichnet gerade diese Fähigkeit einen echten Gastwirt, eine echte Gastwirtin aus. Gastfreundschaft, Verständnis, Geduld und soziales Engagement steht ganz oben auf der Liste ihrer guten Gastgebereigenschaften.

Von den wohlschmeckenden Speisen, die jeden Tag aufs Neue in der Cafeteria angeboten werden, soll dieser Text nicht handeln. Wer den Prinzenbad-Blog regelmäßig liest, weiß, dass Dagmars und Matzes Küche nicht nur bei den Prinzenbad-Gästen, sondern auch bei den NichtschwimmerInnen gut ankommt.

Anläßlich des bevorstehenden 10jährigen Cafeteria-Jubiläums habe ich mich mit Daggi und Matze getroffen, um sie ein bißchen “auszufragen”, z.B. nach ihrem Tagesablauf in der Wintersaison, nach ihren Hobbys und ihren Schwimmfähigkeiten…

Erfahren habe ich zum Beispiel, dass sowohl Daggi als auch Matze gut schwimmen können. Ihnen fehlt jedoch im Sommer die Zeit dazu, was die PrinzenbadlerInnen, die das Arbeitspensum der beiden kennen, nicht überraschen dürfte. Beide haben diverse Schwimmabzeichen. Daggi den Jugendschwimmer und Matze den Rettungsschwimmer. Matze ist seit diesem Jahr sogar “shark diver”, hat also eine Hai-Taucher-Lizens. Wer hätte das gedacht…?

Und wie würden die beiden ihre Freizeit im Sommer verbringen, wenn sie Freizeit hätten? Welche Hobbys pflegen sie im Winter?
Sie lieben Natur-, Tier- und Reise-Dokumentationen und fotografieren gern. Matze kennt sich gut mit Film- und Audiotechnik aus. “Er hat ein hervorragendes Gedächnis für Filme und kann Dir sofort Fragen wie ‘Wer hat wann in welchem Film mitgespielt’ beantworten”, erzählt Daggi.

Darüber hinaus reisen Matze und Daggi gern. Mehr als ein Urlaub im Jahr ist jedoch nicht drin. Eine Reise im Jahr ist ihr einziger Luxus, betonen sie in unserem Gespräch. Und eigentlich reicht der gar nicht aus, um sich von der arbeitsreichen Prinzenbadsaison zu erholen.

Ihr Tagesablauf im Sommer ist mehr als stressig. Morgens um 4 Uhr geht es los. Da werden Speisen für den Tag vorbereitet: Geschnippelt, gekocht, gebraten, Kuchen gebacken, Brötchen belegt. Matze geht schon um 7 Uhr einkaufen und macht vorher auf der Terrasse “klar Schiff”. Das bedeutet: Putzen, Fegen, Stühle und Tische abwischen. Um 7 Uhr öffnet die Cafeteria und dann heißt es: Gäste bedienen. Vormittags wird das Mittagessen vorbereitet. Bis zur Schließung der Cafeteria am Abend geht es munter weiter mit Speisen zubereiten und Gäste bedienen. Zwischendurch müssen Bestellungen aufgegeben, Telefonate getätigt und Bestands-Listen geführt werden und noch vieles mehr. Nach der Schließung des Cafes ist für Daggi und Matze die Arbeit immer noch nicht beendet. An heißen Tagen arbeiten sie bis ca 21.30 Uhr. Die Terrasse muss “entkeimt”, die Friteusen-Öle gewechselt und das Cafe geputzt, die Pflanzen gegossen und die Betriebskleidung gewaschen werden. Wenn es spät wird, bedeutet das für die beiden bis 23 bzw. 23.30 Uhr zu arbeiten.

Daggi und Matze arbeiten in der Prinzenbad-Saison bis zum Umfallen. Viel Schlaf bekommen sie während der Sommermonate nicht. Da ist es nur logisch, dass ihre liebste Beschäftigung ausserhalb der Saison der Winterschlaf ist.
“Im Winter muss man mich aus meiner Wohnung herausmeißeln. Ich bekomme schon eine Krise, wenn ich weiß, dass ich kein Brot mehr habe und zum Einkaufen aus dem Haus muss”, erzählt mir Daggi. “Ich lese gern und langweile mich nicht. Ich bin mir auch selbst genug. Ich kann den ganzen Tag allein sein und genieße das. Wahrscheinlich weil ich den ganzen Sommer über mit Menschen zu tun habe”, erläutert sie noch.

Und Matze? “Schlaf ist das Schönste, was es gibt”, sagt er. Und er ergänzt: “Winterschlaf ist wichtig. Unbedingt in Fötusstellung, also eingekugelt”. Aber er holt im Winter auch nach, was er im Sommer nicht machen kann. Erste Priorität hat seine große Familie mit vielen Neffen und Nichten. “Onkel Matze ist ihr Held”, sagt Daggi über Matze und grinst.

Im Winter versuchen die beiden ihren gesamten sozialen Jahresverpflichtungen nachzukommen. Das ist gar nicht so einfach, da sie im Sommer leider keine Zeit für ihre Feundschaften haben. Ausserdem ist der Winter eigentlich gar nicht so lang, weil die Nach- und Vorbereitung der Sommersaison insgesamt schon ca. 2 Monate dauert, erklärt mir Daggi.

Spannend und auch überraschend ist der berufliche Lebensweg der beiden.
Daggi kommt ursprünglich aus Bremen. Dort hat sie in verschiedenen Berufen gearbeitet. Zum Beispiel in einer Boutique und einer chemischen Reinigung. Gelernt hat sie ursprünglich den Beruf der Frisörin. 1983 zog sie nach Berlin und hatte mit ihrem damaligen Mann einen Laden für Waschmschinen und Kühlschränke. Danach arbeitete sie auf dem Bau: Fenster abschleifen und streichen, tapezieren, Kachelöfen abreißen und ihre Lieblingsbeschäftigung war “Putz abschlagen”. Ja, ihr habt richtig gelesen: “Putz abschlagen”! Wenn diese Arbeiten anstanden, holten die Maurer Daggi.

1999 fing sie in der Prinzenbad-Cafeteria an. Davor arbeitete sie 10 Jahre im “Ku’dorf”. Alle “50 plus-Badegäste” unter uns kennen das Lokal noch am Kudamm – zumindest vom Hörensagen.
“Das war eine tolle Zeit, weil ich dort Kontakt zu den unterschiedlichsten Menschen aus verschiedenen Ländern hatte. Das war spannend”, erzählt mir Daggi.

Und damit ist auch schon klar, was sie am Prinzenbad so fasziniert. “Das Prinzenbad ist so etwas wie das ‘Ku’dorf’, nur ohne Sauferei”, erklärt sie. Seit fast 20 Jahren hat sie auch hier im Prinzenbad mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun. Eine bunte Mischung.
“Ich weiß auch nicht, was das Prinzenbad hat, aber es hat etwas Besonderes. Manche Dinge kann man gar nicht an irgendetwas festmachen, nicht in Worte fassen. Manche Dinge sind einfach so. Das gibt es nicht woanders, das gibt es nur hier”, fügt sie erklärend hinzu.

Auch die Arbeit mit den jungen KollegInnen ist für sie etwas besonderes. “Wir haben Schüler und Studenten als Aushilfen. Ich mag gern junge Menschen um mich haben”.

Matze ist ein waschechter Berliner. Er ist kommunikativ, mag Trubel und ist gern mit Menschen zusammen. Ursprünglich wollte er beruflich etwas ganz anderes machen. Er mußte jedoch nach 2,5 Jahren aus gesundheitlichen Gründen seine Ausbildung bei der Polizei abbrechen. Polizist wäre sein Traumberuf gewesen.
Nach dem Ausbildungsabbruch absolvierte Matze das Oberstufenzentrum für Recht, Wirtschaft und Verwaltung. Danach jobbt er viel. Teilweise hatte er drei Jobs gleichzeitig, z.B. beim Wachschutz, auf dem Bau und als Barkeeper in angesagten Kneipen wie dem “Klo” und dem “Pflaumenbaum”. Während er in der Prinzenbad-Cafeteria arbeitet, macht er zeitgleich eine Ausbildung zum KFZ-Mechaniker. Seit 2002 arbeitet Matze nun in der Cafeteria.

Nachdem der vorhergehende Besitzer im Jahr 2008 – kurz nach Saisonbeginn! – die Cafeteria aufgab, bot sich Daggi spontan als neue Pächterin an. Allein wollte sie den Laden jedoch nicht führen. In der bisherigen Zusammenarbeit mit Matze hatten sie beide festgestellt, dass sich ihre Ansichten und Arbeitsweisen ähnelten, also gute Voraussetzungen für eine gemeinsame Übernahme der Cafeteria. Matze, sehr auf Sicherheit bedacht, hatte zuerst Bedenken. “Ich hatte damals noch nicht einmal einen Handy-Vertrag”, erzählt er mir. Letztendlich konnte Daggi ihn aber überzeugen. Die Übernahme mitten in der Saison war damals natürlich eine stressige Angelegenheit, erzählen mir die beiden.  Unter anderem mussten Behördengänge getätigt, Konzepte entwickelt werden und das alles während des laufenden Saisonbetriebes.

Und welche Wünsche haben die beiden an das Prinzenbad im Allgemeinen und/oder im Besonderen? Die beiden sind sich da einig: Es müßten wieder mehr Kinder und Senioren ins Prinzenbad bzw. grundsätzlich in die Schwimmbäder gehen. Warum werden die Bäder weniger frequentiert, möchte ich von den beiden wissen? Wo sehen sie die Gründe?
“Schwimmbäder scheinen einer aussterbenden Kultur anzugehören. Kinder pflegen keine Schwimmbad-Kultur mehr. Sicherlich hat das auch mit der Digitalisierung des Alltags zu tun. Kinder haben Handys und “whatsappen” mit ihren Feunden, statt sich mit ihnen im Schwimmbad zu treffen”, meint Daggi.

Einem jungen Mitarbeiter, der ihr erzählte, er hätte schon 147 Freunde auf Facebook, hat sie gefragt, von welchen seiner Freunde er die Augenfarbe kennt. Daraufhin erzählte der junge Kollege am nächsten Tag, dass er inzwischen die Hälfte seiner Freunde auf Facebook gelöscht hätte…

Und das liebe Geld? Ja, es ist schwer zu überleben mit der Cafeteria, gestehen mir Matze und Daggi. Sie sind ebenso wie die Bäderbetriebe und eigentlich sogar noch mehr als diese von einem guten Sommer abhängig. Wenn die Sommermonate verregnet und/oder kalt sind, kommen keine Gäste. Insbesondere die letzte Sommersaison mit ihren kalten Regentagen stellte für die beiden eine finanzielle Herausforderung dar. “Es geht durchaus um die Existenz der Cafeteria. Wir wissen nicht, wie lange wir das durchhalten können”, erzählt Matze.
Und Daggi ergänzt: “Die Preise haben wir trotzdem nur minimal erhöht und die Pommes-Preise sind so geblieben. Für Kinder gehört eine Portion Pommes zu einem Schwimmbad-Besuch dazu. Da können wir doch nicht die Pommes teurer machen. Das geht nicht. Da sind Matze und ich uns einig.”

Während ich den beiden zuhöre, fallen mir plötzlich einige Sprüche von Badegästen über die angeblich überteuerten Cafeteria-Speisen ein. Voll krass finde ich in diesem Zusammenhang, dass genau diese Badegäste ganz locker bereit sind, in den sogenannten “hippen” Kreuzberger Restaurants für eine schlechtere Qualität das Drei- bis Vierfache zu bezahlen.

Liebe Daggi, lieber Matze, Ihr habt während des gesamten Gesprächs immer wieder die guten Eigenschaften von uns PrinzenbadlerInnen hervorgehoben und erwähnt wie gern ihr in der Cafeteria arbeitet und sie leitet. Herzlichen Dank dafür von uns PrinzenbadlerInnen!

Und das Wichtigste zum Schluss: Herzliche Glückwünsche zu Eurem 10jährigen Jubiläum! Bitte macht weiter so! 10 Jahre sind noch lange nicht genug!

Fotos: ©Sigrid Deitelhoff, Mathias Kutscha, Dagmar Keuenhof

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/prinzenbad/2018/05/04/daggi-und-matze/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert