vonSchröder & Kalender 02.01.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.
Im Silvester-Magazin brachte die TAZ drei Seiten über den Spiegel, der vor sechzig Jahren erstmals erschien. Tom Schimmeck, der vor Jahren selbst als Spiegel Redakteur arbeitete, schrieb übr Rudolf Augstein und seinen Nachfolger Stefan Aust, einen sorgfältig recherchierten Artikel – mit einer gravierenden Ausname: Schimmeck behauptet, daß kein Redakteur sich jemals traute, in den zwölften Stock – die Herausgeberetage – zu fahren und zu sagen: »Rudolf, das ist doch Mist!«

Stimmt nicht! Es gab nicht viele, die es wagten, aber von zwei solchen mutigen Leuten – nämlich Hermann L. Gremliza und Christian Schultz-Gerstein – haben wir in unserer Folge ›Schröder erzählt: Erste Sezession‹ berichtet. Hier ist der Text:

Ein munteres Abendessen, bei dem auch Rudolf wieder mit seinem gepuderten Schwanz anwesend war. Was mir egal sein könnte, wenn Augstein nicht der Chef meines Freundes Schultz-Gerstein gewesen wäre und Christian sich 1987 nicht nach der »Das-Kind-gehört-mir«-Affäre das Leben genommen hätte. Vorher veröffentlichte er aber noch in der Hamburger Stadtzeitung ›Szene‹ seine Abrechnung mit dem »Menschenbesitzer Augstein«, in der er Rudolfs Kasinomanieren geißelt, ihn einen »Herrenmenschen« nannte, der seine Untertanen verachtet, sie aber braucht, um eben ein Herrenmensch zu sein. Er entlarvt Augstein als einen, der den Betrug mit der Wahrheit praktiziert, weil er genau das Ekel ist, das er ständig vorgibt zu sein. Er berichtet von einem Chef, der nicht nur die Arbeitskraft seiner Angestellten in Anspruch nimmt, sondern auch deren Geschlechtsleben, und vom Zyniker Augstein, der, auf den ›Spiegel‹ als Massenverdummungsmittel angesprochen, antwortet: »Das kapitalistische Pressesystem beruht auf dem unveräußerlichen Grundrecht jedes Kaufmanns, dumme Käufer aufzusuchen und noch dümmer zu machen …« Schultz-Gersteins Schmährede mündet in der Anklage: »… um identifizierbare Positionen, derentwegen Dein ›Spiegel‹ attackiert und haut und sticht, darum geht es nicht.« Christian Schultz-Gerstein war ein aufrechter Mann – cum grano salis –, so wie auch Hermann L. Gremliza einer ist, doch deren identifizierbare Positionen haben wenig in der Republik bewegt. Schultz-Gerstein wollte den Alt- und Kryptofaschisten an den Kragen – inzwischen haben sie fast schon gewonnen –, Gremliza wollte das auch und außerdem Anfang der Siebziger die Mitbestimmung im ›Spiegel‹. Die Redakteure aber stimmten mit der Brieftasche ab, wählten die satte Mitbeteiligung. Identifizierbare Positionen lassen sich eben entweder so verwirklichen, wie Augstein das tat – zynisch, brachial und letztendlich doch mit ganz anständigem Ergebnis –, oder du mußt sie sub rosa im Abseitigen bewahren.

Wenn ich also jetzt Christians Polemik Revue passieren lasse, dann sage ich, die Frage muß anders gestellt werden: Was ging denn ohne Augstein und seinen ›Spiegel‹? Hier wurde der Daumen gesenkt oder gehoben, entsprechend lief die politische, soziale, kulturelle Entwicklung der Republik, ob es uns nun paßt oder nicht. Das aber ist eine sehr identifizierbare Position. Denn jene Epoche der deutschen Geschichte, angefangen vom »Abjrund von Landesverrat« 1962 bis zu Schultz-Gersteins »Menschenbesitzer Augstein«-Vorwurf fünfundzwanzig Jahre später, stellt sich ja inzwischen recht übersichtlich dar. Es ist im großen und ganzen die Geschichte der Positionen, die Rudolf Augstein vertrat. Danach kommt nur Dämmer – ›Spiegel‹-Posthistoire. Jedenfalls war dieser kleine geile Mann die überlebensgroße Figur der alten Bundesrepublik, und das ist der Grund, weshalb ich mich zuweilen en gros und en détail mit ihm beschäftige. Merkwürdigerweise gibt es bisher keine ordentliche Biographie über ihn, vielleicht wird sie geschrieben, wenn er mal tot ist. Aber vermutlich wird statt dessen zum neunundneunzigsten Male das Phänomen ›Spiegel‹ untersucht, anstatt den Hexenmeister zu beschreiben, der uns tausenddreihundert Montage lang von der Arbeit abhielt und dabei liberalistisch indoktrinierte.

Dieser Text stammt aus der 26. Folge von ›Schröder erzählt: Erste Sezession‹, die 1996 erschien. Rudolf Augstein lebte noch. Nach seinem Tode im Jahr 2002 sind einige Biographien erschienen. Alle diese Biographien klammern aber die Schultz-Gerstein-Geschichte aus. Sonderbarerweise erinnert sich auch Tom Schimmeck in der TAZ nicht daran, obwohl Christian Schultz-Gerstein sich 1987 das Leben nahm und Tom Schimmeck von 1987 bis 1989 im Spiegel arbeitete. Was wir darüber wissen, steht ebenfalls in ›Schröder erzählt‹. Die Fortsetzung folgt morgen.

(BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/01/02/augstein-und-schultz-gerstein-1/

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