vonSchröder & Kalender 02.06.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.

Das Mainzer LiteraturBüro hatte uns eingeladen aus unserem Text: ›Der Bericht des braven Zöllners Sascha‹ zu lesen und darüber mit Johannes Ullmaier zu sprechen.

Deshalb bringen wir eine Passage, die wir natürlich in Mainz nicht gelesen haben:

Ich war zufrieden in Meißen, aber dann kam eine ungewöhnliche Arbeit auf uns zu. Nach der Wende wurden alle Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aufgelöst. Diese LPGs hatten viele Rinder, und keiner wollte sie haben. So lernte ich als ehemaliger DDR-Bürger, wie die Wirtschaft im Westen funktioniert. In der EU gibt es bekanntlich den Butterberg und den Fleischberg. Aber es gab auch Firmen, die diese Überschüsse abbauten, sie an Drittländer verkauften und sich damit eine goldene Nase verdienten. Denn diese Makelei wurde hoch subventioniert, und so eine Firma bekam pro Tonne Lebendgewicht eine bestimmte Summe vom Staat. Um die Subventionen zu erhalten, mußten die Rinder allerdings ein bestimmtes Mindestgewicht haben. Unsere Aufgabe als Zöllner war es zu überprüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt waren.

Die Maklerfirma, mit der wir am meisten zu tun hatten, war die Alexander Moksel AG aus Buchloe im Allgäu. Moksels Agenten reisten über die Dörfer und kauften Rinder zu Spottpreisen. Sie wurden lebend nach Libyen oder in den Jemen ausgeführt und dort geschlachtet. Die Moksel AG verdiente also zweimal an dem Geschäft: Zunächst erhielt sie die Subventionen und dann natürlich die Spanne zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis.

Um das Gewicht pro Rind zu ermitteln, hatten wir ein System entwickelt und den Wiegevorgang vereinfacht: Zuerst wurde der leere Wagen gewogen, dann fuhr der Lkw zu der jeweiligen LPG. Unter unserer Aufsicht wurden die Tiere gezählt und geladen. Danach wog man den vollen Lkw, Bruttogewicht minus Leergewicht, das Ergebnis wurde durch die Anzahl der Tiere geteilt, auf diese Weise ermittelten wir das Durchschnittsgewicht eines Rindes und füllten die Papiere aus. So lief es lange Zeit, bis wir feststellten, daß man uns betrog. Während wir auf dem Weg zum zweiten Wiegen waren, schob der Fahrer Stahlschienen in den Unterbau seines Wagens, um das Gewicht zu erhöhen. Auf diese Weise hatten die Rinder dann das vorgeschriebene Gewicht und waren erstattungsfähig.

Dieser Subventionsbetrug ging durch die Presse, der Moksel AG wurde vorgeworfen, im großen Stil Tiere ausgeführt zu haben, die nicht erstattungsfähig gewesen waren. Unser Ex-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski – der ja auch die besten Beziehungen zu Franz Josef Strauß hatte –, tüftelte mit Alexander Moksel dieses System zum Abschöpfen von Staatsknete aus. Das las ich später im Spiegel und sagte zu meinem Kollegen: »Was sie uns in der DDR über den Sozialismus vorgebetet haben, war gelogen. Aber was sie uns über den Kapitalismus erzählt haben, das stimmt alles!«

Nachdem dieser Betrug aufgeflogen war, mußten wir nun jedes Tier einzeln wiegen. Das war Wahnsinn! Niemand kann sich die grauenhafte Arbeit vorstellen! Bei manchen LPGs wurden 200 Rinder verladen; es ist sehr schwierig, so ein Tier auf die Waage zu lenken und dafür zu sorgen, daß es still steht. Immer wieder kam es vor, daß sich ein Bulle losriß und auf dem Hof umherraste. Schrecklich, ich habe doch Angst vor großen Tieren! Es dauerte dann ewig, bis man den Bullen wieder eingefangen hatte. Wahrhaftig, Tiertransporte sind das Übelste, was ich je erlebt habe. Die Tiere werden brutal geschlagen. Später stehen sie eng in den Lkw, werden nicht gefüttert oder getränkt. Und viele sind schon tot, bevor sie verschifft werden.

(Ende)

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›Schicht! Arbeitsreportagen für die Endzeit‹

Diskussion und Lesung mit Barbara Kalender, Harriet Köhler, Thomas Kapielski, Jörg Schröder und Johannes Ullmaier.

(BK / JS)

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