vonSchröder & Kalender 30.05.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Wir sehen nicht, wie der Bär flattert, wir sind in Mainz.

Das Mainzer LiteraturBüro hat uns eingeladen. Heute werden wir im Haus am Dom aus unserem Text: ›Der Bericht des braven Zöllners Sascha‹ lesen und darüber mit Johannes Ullmaier sprechen.

Deshalb bringen wir eine Passage, die wir heute in Mainz nicht lesen werden:

Ein brenzliger Teil unserer Kontrollpflichten war die Inspektion der Waggondächer. Stand ein Zug auf dem Kontrollgleis, mußten wir zuvor beim Kontrollturm beantragen, daß sie die Oberleitung abschlüsseln. Ein Zöllner lief dann auf den Waggondächern entlang und guckte in die Luken. Mir war immer mulmig, wenn ich diese Arbeit machen mußte, denn ich ging neben der Starkstromleitung her, die lief auf der Höhe meiner Knie. Ich konnte bei diesen Kontrollgängen nie vergessen, daß es mal einen Kollegen erwischt hatte. Aus irgendeinem Grunde war die Oberleitung doch nicht abgestellt gewesen, während er seinen Dienst tat. Der Mann paßte danach in einen Kindersarg.

Ich arbeitete hier mit neuen Hunden, einer hieß Leo, ein kräftiger Rüde, sah gefährlich aus, war aber ein gutmütiger Kerl und sehr verfressen. Ich mochte ihn gern, obwohl er mich einmal in eine peinliche Situation brachte: Eines Sonntags in der Frühe, so um neun Uhr, war ich mit Leo für die Unterbau-Kontrolle eingeteilt. Also ließ ich den Hund von der Leine, er lief wie immer unter dem Zug entlang, ich daneben.

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© Bundesministerium der Finanzen
Plötzlich raste Leo unter zwei Zügen durch, die auf den Nebengleisen standen, und ward nicht mehr gesehen. Ich brüllte wie verrückt, aber er kam nicht. Da mußte ich hinter ihm herrennen und über die Kupplungen der beiden Züge steigen. Erst jetzt sah ich die Bescherung: Drüben auf dem Bahnsteig saß ein Pärchen, sie hatte eine Schnitte ausgepackt, wollte wohl frühstücken, konnte aber nicht. Denn mein Hund hatte beide Vorderpfoten auf ihre Oberschenkel gesetzt, und schnappte nach dem Wurstbrot. Er kam nicht ran, weil die junge Frau es am ausgestreckten Arm hoch über ihren Kopf hielt und dabei schrill schrie: »Weg! Weg! Weg!« Ich rief in meiner Verzweiflung: »Der tut nichts! Der will nur fressen!« Glücklicherweise ist nichts passiert! Ich entschuldigte mich und sagte: »Es steht Ihnen frei, sich zu beschweren.« »Nein, nein«, meinte die junge Frau, »ist schon in Ordnung.« Wenn sie mich angezeigt hätte, wäre es für mich schlecht gewesen. Denn es gilt natürlich die Regel: Nicht der Hund ist schuld, sondern der Hundeführer. Er ist schließlich für sein Tier verantwortlich.

Na gut, wenn ich schon bei peinlichen Begebenheiten bin, berichte ich gleich noch von einer anderen: Während der Nachtschicht war es Usus, damit wir nachts nicht ständig raus- und reinrennen mußten, zwei Züge in einem Durchgang zu kontrollieren. Schließlich war das Kontrollgleis ein ganzes Stück von unserer Zollstation entfernt, und wir hatten nachts keine Lust, mehr als nötig zu laufen. Wenn ein sogenannter »langer Zug« ankam – er hatte offene Waggons für Schüttgut –, brauchte man ja nur bei jedem Waggon oben reinzusehen, mehr war da nicht zu tun, also wartete man damit bis der nächste kam. Das war zwar nicht erlaubt, aber wir machten es alle so. Ich saß mit meinen Kollegen nachts in der warmen Stube, ein langer Zug stand auf dem Kontrollgleis, in fünfzehn Minuten sollte ein »gemischter Zug« kommen. Da mußte man genau kontrollieren, ob die Plomben an den geschlossenen Wagen unversehrt waren.

Ausgerechnet in dieser Nacht wollte unser Dienststellenleiter einen Test machen, ob unsere Diensthunde reagieren und die eingebaute Person finden. Wir saßen wieder in der warmen Stube, tranken Kaffee und warteten auf den zweiten Zug. Da knisterte es in der Sprechanlage, und eine Stimme fragte: »Wollt ihr nicht mal den langen Zug machen?« Meine Kollegin Marina antwortete frech: »Nö! Wir warten auf den anderen.« Keiner von uns hatte wegen der schlechten Tonqualität der Sprechanlage mitbekommen, daß es die Stimme des Dienststellenleiters gewesen war.

Na, das gab ein Theater! Wir hatten eine Dienstvorschrift übertreten, der Dienststellenleiter wollte wohl ein Exempel statuieren: »Sie haben aus Nachlässigkeit dem Klassenfeind in die Hände gearbeitet!«, schrie er uns an, »mit diesem Zug hätte eine ganze Fußballmannschaft ausreisen können!« Danach mußten wir drei vor allen Kollegen und vor einem Parteigremium Selbstkritik üben. Alle im Staatsdienst mußten nämlich in der Partei sein, da gab es keine Ausnahmen. Als auch die Genossen von der Partei den Blödsinn mit der Fußballmannschaft wiederholten, drehte ich durch und brüllte sie an: »Wißt ihr überhaupt, wie das bei uns läuft? Wir kontrollieren die Züge, dann bringt die Bahn sie nach Krippen. Dort steht der Zug unbewacht drei Tage auf einem Abstellgleis. Erst danach fährt die Lok die Waggons in die Tschechei. Die Fußballmannschaft hätte drei Tage Zeit, in aller Ruhe aufzusteigen und zu flüchten. Sie bräuchte sich nicht einmal zu verstecken, denn diese Züge werden ja nicht noch einmal kontrolliert. Das ist reine Schizophrenie! Wißt ihr was, Genossen? Macht mit mir, was ihr wollt!« Dann bin ich aus dem Verhandlungszimmer rausgerannt. Es war mir alles egal, auch wenn sie mich unehrenhaft entlassen hätten. Aber manchmal geschehen Zeichen und Wunder, irgendwie sah die Kommission ein, daß sie schief lag, und sie brummten meinen Kollegen und mir nur eine symbolische Parteistrafe auf, zehn Stunden Ehrendienst. Den machten wir ja ohnehin dauernd.

Auch diese Aufregung war irgendwann vergessen, bald ging alles wieder seinen sozialistischen Gang. Ab und zu bekamen wir neue Tiere, eine Hündin hieß Kundrie. Sie trug ihren Namen zu Recht, denn sie war ein hinterhältiges Tier. Eben noch hatte ich sie gestreichelt, sie scharwenzelte und war ein lieber Hund. Kaum drehte ich mich aber um, kam sie hinter mir her und schnappte nach meinem Bein. Deshalb legte ich ihr immer einen Maulkorb an und machte lieber mit anderen Hunden Schicht. Eines Nachts, es schneite dicht, kam ich mit den beiden Kollegen von einer Kontrolle und ging voran. Gerade wollte ich das Durchfahrtsgleis passieren, auf dem nachts die Züge mit 120 km/h durchbrettern, die Hündin lief vor mir, da drängte Kundrie auf einmal zurück, klemmte sich zwischen meine Beine, ich wäre fast hingefallen. »Du blödes Vieh!«, schimpfe ich, in dem Moment raste ein Zug ganz nah an meiner Nase vorbei. Wenn der Hund nicht gewesen wäre, hätte mich die Lok erwischt. Ich hatte den Zug wegen des Schneetreibens weder gehört, noch gesehen. Vielleicht hatte der Lokführer auch vergessen, bei der Durchfahrt zu hupen? An diesem Abend bekam Kundrie eine Extraportion zu fressen. Diese giftige Hündin rettete mir das Leben!

(Fortsetzung folgt)

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›Schicht! Arbeitsreportagen für die Endzeit‹
Diskussion und Lesung mit Barbara Kalender, Harriet Köhler, Thomas Kapielski, Jörg Schröder und Johannes Ullmaier.

Wir würden uns über Euer Kommen am Freitag, den 30. Mai, 20.00 Uhr freuen.
Ort der Veranstaltung: Haus am Dom, Liebfrauenplatz 8, Mainz.
Eintritt: 8 € / erm. 6 €

(BK / JS)

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