vonSchröder & Kalender 29.05.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

Das Mainzer LiteraturBüro hat uns eingeladen. Am Freitag, den 30. Mai, werden wir im Haus am Dom aus unserem Text: ›Der Bericht des braven Zöllners Sascha‹ lesen und darüber mit Johannes Ullmaier sprechen.

Deshalb bringen wir heute eine Passage, die wir natürlich in Mainz nicht lesen werden:

Rausschmisse gab es nicht nur aus politischen Gründen. An der Westgrenze wurde mal eine ganze Schicht abgelöst, weil die Zöllner im größeren Stil Waren für sich abgezweigt hatten. Im kleinen Stil machten wird das manchmal auch. Wenn in der Nachtschicht keine Zigaretten mehr da waren – damals hat man ja noch geraucht –, fragten wir den nächsten Lkw-Fahrer: »Hast du mal eine Schachtel Zigaretten?« Aber selbst da mußte man sehr vorsichtig sein, sonst geriet man schnell in eine Abhängigkeit. Zum Beispiel hatte ein Kollege von einem Fahrer zu Weihnachten eine Flasche Metaxa angenommen. Beim nächsten Mal, als er seine normale Kontrolle machte und etwas konfiszieren mußte, meinte dieser Fahrer: »Mein Freund, wenn du das beschlagnahmst, komme ich gleich mit und erzähle deinem Vorgesetzten, was du letztens von mir gekriegt hast. Das hast du garantiert nicht abgegeben.« Der Fahrer wußte Bescheid: Wir waren verpflichtet, Geschenke beim Dienststellenleiter abzugeben. Dazu mußte man ein Formular ausfüllen und einen Bericht schreiben. So wurde man automatisch zur »Kontaktperson« und war von vorneherein verdächtig. Wie überhaupt jeder verdächtig war, der auffiel. Also nahm man besser gar nichts an.

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© Bundesministerium der Finanzen

Die oberste Regel lautete: Nur nicht auffallen. Das galt bei uns sogar für Provokationen von Leuten aus dem Westen. Manche von denen dachten: Ich komme aus dem Westen, ich bin der Größte. Jetzt tanzt ihr kommunistischen Flaschen mal nach meiner Pfeife! Am schlimmsten waren die Leute, denen das Geld aus allen Löchern quoll. Ich hatte mal in der Grundausbildung einen westdeutschen Reaktionär, der kam in einem silberfarbenen Mercedes SE, wollte nach Tschechien, er nannte es »Sudetendeutschland«. Als ich nach seinem Paß fragte, empörte er sich: »Was macht ihr hier überhaupt?! Ihr seid wohl noch nie an der niederländischen Grenze gewesen? Da kann man auf der Autobahn einfach durchfahren!« Nein, solche Typen hatten keinen Respekt vor uns!

Natürlich hätte ich das der Grenztruppe melden können: »Dieser Westberliner hat mich provoziert und eine kommunistische Flasche genannt.« Sie hätten ihn verhört, er hätte alles abgestritten, und es wäre ihm nichts passiert. Wir Zöllner hatten auch deshalb eine gewisse Scheu vor solchen Provokateuren, weil die im Westen den Fall öffentlich machen konnten. Man wollte keine Presse, das war abträglich für den Ruf unseres Staates. Wenn wir in einer konfiszierten Westzeitung einen Hetzartikel entdeckten, kam dieser mit Genehmigung der Zollverwaltung ans Schwarze Brett, damit wir die DDR in Zukunft würdiger vertreten. Die Bild-Zeitung schrieb ja regelmäßig über die deutsch-deutsche-Grenze, sogar über unser harmloses Zinnwald. Ich erinnere mich noch an einen Satz: »Schwer lag der ostdeutsche Nebel über Zinnwald. Kleine Gestalten in langen grauen Röcken huschten über die Straße …« Du liebe Güte, es hatte geregnet, vielleicht sogar geschneit, dann trugen wir eben lange graue Regenmäntel. Und daraus machte dieser Bild-Reporter ein Schauermärchen!

(Fortsetzung folgt)

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›Schicht! Arbeitsreportagen für die Endzeit‹

Diskussion und Lesung mit Barbara Kalender, Harriet Köhler, Thomas Kapielski, Jörg Schröder und Johannes Ullmaier.

Wir würden uns über Euer Kommen am Freitag, den 30. Mai, 20.00 Uhr freuen. Ort der Veranstaltung: Haus am Dom, Liebfrauenplatz 8, Mainz.
Eintritt: 8 € / erm. 6 €

(BK / JS)

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