vonDetlef Berentzen 09.07.2014

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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SCHLUND. Ich nenne ihn schon lange so. Seit wann genau weiß ich nicht mehr. Sagen wir, es war an einem Dienstag: „Schlund“, sagte ich. „Hör bloß auf!“, antwortete er. Da war er schon Brillenträger. Er trug Brillen mit rosafarbenen, aber auch solche mit schwarzen, blauen, grünen, braunen Gläsern. Runde Brillen, meistens. Manchmal trug er auch gar keine, weil er sie verlegt hatte und sich gerade keine Ersatzbrille leisten konnte. Ich glaube aber, er hatte schon eine Brille auf der Nase, als von Fielmann noch gar keine Rede war,…obwohl das heute kaum vorstellbar scheint.

Ob mit oder ohne Brille, er spielt für mich die Schwester, manchmal. Dann fehlt ihm nur noch der Lippenstift. Macht aber nichts, solange er mir nicht die Mutter macht. Dafür macht er mir oft genug den Vater, den Bruder, auch den Sohn. Oder ich ihm. All das.
Wie das so ist bei bedürftigen Vollwaisen.
Oder er ist, da mag ich ihn besonders, mein SchwarzMaler im finsteren Rollkragenpullover. Mit verschränkten Armen steht er dann vor der Staffelei und macht einen auf wichtig. Steht inmitten seiner Aquarellfarben und schaut bitter ernst. Natürlich nur für die Kamera, das Foto könnte schließlich in die Zeitung kommen, erhalten bleiben für die Welt nach ihm und manchmal grübelt er ja auch schon über seinem enormen Nachlaß, will Ordnung schaffen, mit allem ein Ende machen, doch dann kommt ihm wieder ein Sonnenstrahl in die Quere und er lacht, ach, was heißt schon lachen, nein, er wiehert, wenn es ihm kommt, mächtig vom Zwerchfell hoch, bis zwischen die Backen, die werden aufgeblasen und dann explodiert der ganze alte Mann in seinem Rollstuhl, der ein Maler war, ist, sein wird, immer wieder sein möchte und doch mehr ist als das. Manchmal auch weniger.

Außerdem ist er ohne Fernseher aufgewachsen, was sicherlich kein Unglück ist. Er war in einer Zeit Kind, als Kienzle deutschen Klang für deutsche Uhren produzierte und im Volksempfänger mit schwülstigen Sprüchen für die Liebe zur deutschen Heimat warb. Da war er ein deutsches Kind.
Und ist im Grunde immer noch Kind. Heute erst recht. Weil es eben bei all dem Heil! und mit gestrecktem Arm so verdammt schwer war, Kind zu sein. Und überhaupt, weil man zum Kinde doch erst reifen muß. Schon als Kind hätte er lieber gemalt. Auch heute noch würde er lieber malen. Denn meistens ist da all das Andere. Das stellt sich ihm den Weg: Das Leben. Das Überleben. Trotzdem, seine ganze kleine Wohnung ist vollgestellt mit Leinwänden, auf die Tische, Stühle, Spielzeuge, Dreifaltigkeiten, Blätter, Kreuze, Frauen, Roller, Hosen, Schuhe gemalt sind. Eben alles, was man so braucht.

Vielleicht ist er manchmal ein gebrauchter Maler, auf alle Fälle aber ist er ein vielfach gebrauchter Freund – er hat viele Freunde, die ihm durch die Jahre halfen. Und er ihnen. Und er ist ein gebrauchter Vater und Ehemann. Immer, wenn sie das wie einen Stich tief im Herzen spürt, nimmt seine viel zu große Frau, nennen wir sie Hiltrud, den Kleinen, er ist wirklich kurz geraten, in die starken Arme und sagt liebevoll „Altes Schwein!“ zu ihm. Zumindest würde er das gern hören, weil er die Verse des alten Erich Fried immer noch mitten im Herzen trägt. Mit ihm hat er farbige Zeichen und Bleistift-Texte komponiert, damals in London. Als der Fried noch lebte (und Teesiebe aus Nylonstrümpfen bastelte!) und der Schlund noch rauchte. Heutzutage rauchen Schlunds nicht mehr, nie mehr, kippen sich lieber eine Flasche Sauerstoff hinter die Binde. Schlunds gehören zu einer Spezies, an der das wilde Leben hängt und nie mehr losläßt – hoffe ich jedenfalls.

Einer wie Joern braucht Bilder, die atmen. Malt Bilder, um zu atmen. Ich habe versucht, ihm all die Jahre zuzuhören, in Kneipen, Zugabteilen, Theaterfoyers, Kirchen, Schulen, Krankenhäusern, Männerpissoirs, in das immer älter werdende Gesicht dieses genialen Kindes geschaut, von einem Leben erfahren, in dem einer suchte, sucht und manchmal auch fand, immer noch findet. Auch Farben. Auch.

Keine der dekorierten Größen aus den sauerstoffarmen Höhenlagen der Feuilletonkritik ist er, kein ständiger Talk of the town, sondern einer, der durch dunkle Täler schreitet, lichte Höhen erklimmt, der fällt und wieder aufsteht, ein Macher, der sich aufbläst, dann wieder Luft abläßt, ein kleingeratener alter Wilder. Einer, zu dem wir Du sagen könnten. Auch heute, an seinem 80. Geburtstag. Ich gratuliere, mein Alter!


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