vonErnst Volland 21.07.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Über eine studentische Agentur wurden

Tages und Stundenjobs vermittelt. Ich suchte einen

längeren Job, nicht nur für ein paar Stunden einen Keller leer

räumen oder alle Teppiche einer Wohnung klopfen. Man kann

damit manchmal Glück haben und einen guten Stundenlohn erzielen,

muss aber auch Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, wie

das völlige Verschmutzen der Kleidung, oder sehr üble Gerüche

inhallieren.

Unangenehm war einmal das Aufräumen einer

Wohnung in Anwesenheit einer alten Dame,

die anschließend verreisen wollte und daher ihren Kühlschrank

gereinigt und leer wünschte. Sie versuchte mich zu überzeugen,

dass es auch zu meinem Job gehöre, von ihr angefangene Joghurtbecher erst

aufzuessen und dann in den Müll zu werfen. Sie nötigte mich jeden Obst und

Gemüserest zu vertilgen, auch wenn der Frucht schon jeder

Geschmack entwichen war. Als das Beharren auf den Jobpflichten

mich nicht überzeugte, kam sie mit der moralischen Tour

und bezichtigte mich als „Memme“ oder lamentierte über

die allgemeine Not in der Welt. So in die Enge getrieben, und vor

die Alternative gestellt, ganz ohne Bezahlung in die nächste

Kneipe zu gehen, verdrückte ich den einen oder anderen

angefangenen Becher und machte mich über das Dörrobst.

Durch Zufall entdeckte ich einen Aushang beim Deutschen Roten Kreuz.

Dort wurde ein außergewöhnlicher Job angeboten, mit kurzer regelmäßiger

Arbeitszeit und überdurchschnittlichem Stundenlohn. Garantiert 50 DM in

einer Stunde war das Zauberwort und es handelte sich hier um sehr viel Geld.

Es stellte sich heraus, dass es sich bei diesem Job um eine

Art Test und eine spezielle Übung handelte.

Eine bekannte Hautcremefirma hatte sich mit dem Roten Kreuz

zusammengetan und in einem Babywickelkurs

die Konsistenz einer neuen Babycreme testen wollen und gleichzeitig

einen kostenlosen Wickelkurs angeboten, in dem die Creme zum ersten

Mal getestet werden sollte. Da man hierfür weder Plastikbabys

noch lebende Babys nehmen konnte, war die Firma auf

die Idee gekommen, junge Studenten anstelle der Babys auf

den Wickeltisch zu legen und  angehenden jungen Müttern

und Vätern fast gleichen Alters das behutsame  und vorsichtige Wickeln

beizubringen, mit Einreiben der Creme so wie  es bei

kleinen Babys üblich ist. Das seriöse Rote Kreuz wurde als Partner

gefunden und man war auf der Suche nach zarten Studenten.

Ich kam in die engere Auswahl und hatte jetzt meine erste

Wickelstunde  mit einer hochschwangeren jungen Mutter und einem

nervösen Vater vor mir. Ich zog den Bademantel aus und legte mich

mit dem Rücken auf den bereitgestellten Tisch, der kurze Beine

hatte und auf dem eine stabile Plastikfolie lag.

Eine Dame in weißer Bluse und blauem Rock erklärte an einer

Tafel mit Positionszeichnungen den Wickelvorgang in einzelnen

Phasen. Die Creme befand sich in einer Dose mit Übergrösse.

Auf dem Prototyp stand der Name des neuen Produktes:

Babybig.

Die Dame forderte den jungen angehenden Vater auf,

kräftig in die Masse zu greifen und mit dem Einreiben zu beginnen..

Im Raum saßen noch sieben weitere Pärchen.

Die Creme fühlte sich auf meiner Haut sehr kalt an.

Am Anstrengendsten war, immer in der Käferhaltung zu verharren

und die Beine in die Höhe zu halten.

Die Windel wurde umgebunden, ich musste aufstehen und

deren Festigkeit demonstrieren, danach wurde sie wieder abgenommen,

und ein Reiniger, eine weiteres neues Produkt der Hautfirma aufgetragen,

und die Prozedur ging mit einem anderen Pärchen von neuem los.

Als alle sieben Paare die Phasen des Wickelvorganges durchgeführt hatten,

konnte ich mich wieder in meinen Bademantel schlüpfen.

Dann wurde ich in einem separaten Raum einem Arzt vorgeführt, der mit

einer Lupe meine Hautpartien betrachtete und sich Notizen machte.

Ich bekam anschließend 100 DM. Zu Hause duschte ich mich eine Stunde.

Dann rief ich einen Bekannten an und erzählte ihm, beim Deutschen

Roten Kreuz sei ein Job frei, gab ihm die Telefonnummer und ging

ein Bier trinken. Später gab ich eine Runde aus.


 

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