vonWolfgang Koch 15.03.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wir schreiben den 4. November 1993. Das Büro des Bezirksvorstehers lädt zu einer Diskussion in die Schule. Dort beschliesst eine vierzigköpfige Versammlung empörter Fasanviertler die Auflösung der zwölf Jahre zuvor eingericheten Wohnstrasse. Fortan wird der Durchzugsverkehr wieder durch die verkehrsberuhigte Zone der Kleistgasse geführt.

Mit den Wohnstrassen ist es wie mit den öffentlichen Pissoirs hundert Jahre davor: Zwar sind alle von ihrer prinzipiellen Notwendigkeit überzeugt, doch sobald es um den konkreten Platz für die Errichtung geht, erwacht sogleich der Widerstand der Anrainer.

Was die Ursache der Aufregung in der Kleistgasse betrifft, steigt in den Sommermonaten tatsächlich der Lärm an durch spielende Kinder. Die »Kleist« ist zweifellos lebendiger als Strassen in anderen Grätzeln. Jugendliche amüsieren sich in kleinen Gruppen manchmal bis spät in die Nacht am Trottoir. Aber ist es nicht vollkommen natürlich, dass in einer so spielplatzarmen Gegend wie dieser eine Wohnstrasse wie ein Magnet auf die Heranwachsenden aus den umliegenden Strassen wirken muss?

Für mich persönlich stellt das Treiben unter dem Fenster keine wirkliche Belästigung dar. Ja, im Vergleich zum Verkehrslärm und der vollkommen ungeschützt durch das dichtbesiedelte Gebiet rasenden Schnellbahn erscheinen mir die Klagen anderer über den Spiellärm aufgesetzt.

Dennoch: Zwei Dutzend Anrainer fühlen sich gestört! Die einzige richtige Schlussfolgerung, die der gesunde Menschenverstand aus diesem Dilemma ziehen kann, wäre: Wir brauchen mehr Spielflächen und mehr Sportstätten, damit sich die Freizeitaktivitäten der Kinder besser verteilen! Notfalls sogar mehr Wohnstrassen!

Auf der Bürgerversammlung erntet dieser Vorschläg nur höhnisches Gelächter. Um diese Ignoranz zu verstehen, muss man wissen, dass sich hinter der Fragestellung »Autokrach versus Kinderlärm« noch ein anderer Konflikt verbirgt. Drei Viertel der spielenden Kinder und Halbwüchsigen stammen nämlich aus Zuwanderer- und Ausländerfamilien – »lauter Südländer«, wie die Eingesessenen die Chocolates des Fasanviertels abfällig nennen.

Auch auf der Bürgerversammlung unter den Auspizien des Bezirkschefs? Auch da. Hinter dem scheinbar gesitteten Protest gegen Kindergeschrei verbirgt sich ein massiver und in seiner Aggressivität durchaus gewalttätiger Fremdenhass.

© Wolfgang Koch 2007
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