vonWolfgang Koch 18.06.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Im 15. Jahrhundert leben die Bewohner der Stadt hauptsächlich von den Trauben. Man schafft die Ernte gemeinsam in den vierzig Tagen vor dem Martinifest mit auf hunderten Wagen und tausenden Pferden in die Keller. Man exportiert das Getränk donauaufwärts – aber von jedem Tropfen, der in Wien verkauft wird, gehört der zehnte Pfennig dem Kaiser. Das wirft für die Kammer jährlich 12.000 Gulden ab.

Um 1500 zählt die Stadt zirka 50.000 Einwohner, in den Vorstädten weitere 10.000. Zwei Jahrzehnte später stehen Herrschaft und katholische Kirche gemeinsam im Kampf gegen Andersgläubige: erst gegen die Türken und dann gegen die Protestanten, wobei die Katholiken stark dezimiert werden. 1580 stellen die papsttreuen Christen gerade noch zehn Prozent der EinwohnerInnen.

Wien ist also auch einmal eine protestische Stadt gewesen, eine jüdische war es ohnehin.

Festung, Verteidigungsbezirk und Wehrburg in einem – das ist Wien in der Schwarzen Epoche seiner Geschichte. Das Haus Habsburg verteidigt quasi das ganze Abendland gegen Tschador und Allah, Muezzin-Rufe von haushohen Minaretten, Scharia und Kopftüchern in den Vorlesungen der Universität.

In der ständischen Erhebung nach Maximilians Tod 1522 spielt die Stadt das letzte Mal eine halbwegs selbstständige politische Rolle. Ein neuer Despot namens Ferdinand bricht mit Waffengewalt über Europa herein. Seine Stadtordnung kappt die letzten Bürgerrechte. Der Handwerkerstand wird wieder von der Einflussnahme auf die Geschäfte der dominierende Familie ausgeschlossen.

Die Stadt, gebaute Idee des Gottgnadentums, ist jetzt eine Demonstration der Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der fremden wie der eigenen Kultur. Was wären denn das für Herzöge, wenn sie in die Knie gingen vor den Empörungskollektiven am Graben?

Mehrheiten haben noch nichts zu sagen. Das Leben wird beherrscht von Verwandschaftsbeziehungen; nach aussen hin schotten Wien dicke Mauern ab, nach innen Kleiderordnungen. Jede Kritik wird in eine Beleidigung umgefälscht. Wer nicht kuscht, der lebt gefährlich!

Auf der Gänsewiese im dritten Bezirk übergibt man den Radikalchristen Caspar Tauber dem Flammentod und richtet den Täufer Balthasar Hubmaier als Ketzer hin; bis spät ins 18. Jahrhundert werden hier noch dutzende von Deserteuren exekutiert. Und die »allerhöchste Gnad« des Kaiserhauses besteht bei der Prozedur darin, dass dem Delinquenten die Knochen mit dem Rad nicht »von unten herauf«, sondern »von oben herab«, also vom Kopf abwärts, gebrochen werden.

Erst im 17. Jahrhundert wird die Natur neue Strategien erzwingen. Siechknechte befördern dann die Pestkranken nun mittels nummerierter und verschlossener Tragsesseln hinaus aus der Stadt. Es ist zynisch, dass ausgerechnet jener Bezirk nach Kaiser Leopold I. benannt wird, in dem dieser 1670 die grösste Judenvertriebung anordnet: die Leopoldstadt.

Wie gesagt, die Tage sind bitter! Burgfriede heisst, dass die Häuser und ihre Bewohner innert der Stadtmauer »mitleiden« müssen mit den Projekten der Oberen, dass sie sich an städtischen Steuerleistungen zu beteiligen haben. Ausgenommen sind nur die sogenannte Freihäuser. Das sind keine Bordelle, sondern Gebäude, die sich nicht in bürgerlicher Hand befinden; sie gehören dem Landesfürsten.

Und so ist es europaweit. Überall drückt sich der Versuch zur Durchsetzung des Staates und des Gehorsams gegenüber den Landesfürsten in einer stark gewachsene Repression aus. Der spanische Historiker Josep Fontana sieht sich sogar genötigt, von einem »Zeitalter der Qualen« zu sprechen.

Die Länder des Hauses Österreich stellen Ende des 17. Jahrhunderts zwar noch keine Einheit im staatrechtlichen Sinn dar. Aber keinesfalls ist es richtig, dass die islamische Welt, dass das chinesiche Reich oder die Sultane von Java »despotischer« ausfallen als die habsburgische Monarchie.

© Wolfgang Koch 2007
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