vonWolfgang Koch 21.05.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Ein seltsamer Abend war gestern in Wien zu erleben. Nicht der »rote Großvater« erzählte aus seinem kampfreichen Leben, sondern der italienische »Autonomisten-Opa«. Drei Veteranen aus den bleiernen Jahren im Nachbarland waren nach Wien gereist, um 33 Jahre nach dem Ereignis von legendären linken Kollektiv Radio Alice und der Bewegung der Marginalisierten in Bologna zu berichten.

Die Jugend- und Studentenrevolte von 1968 ist in Italien bekanntlich mit zehnjähriger Verspätung eingetroffen. Dafür stieß sie dort auf neue Gegner und musste fantasievollere Formen des Protests finden als »Ho-Chi-Minh«-Rufe: Formen kollektiver Poetik, Jazzmusik, Straßentheater, die  Herabwürdigung der Autoritäten, Murales, alternative Clowns, wilde Akte der Selbstaneignung, der Karneval der Besetzungen und das nichtreglementierte Sprechen als Akt der politischen Widerrede.

Das große Buch der Geschichte verzeichnet dies alles unter den schönen Stichworten Umbria-Festival, Autonomia, Indiani metropolitani, A/traverso, Antipsychiatrie, Mao-Dadaismus; und selbst in den akademischen Diskurs der Medientheorie haben die Experimente der unterdrückten Jugend als Beispiel für »strategische Kommunikation der 1970er-Jahre« Eingang gefunden.

Was aber haben die angereisten Protagonisten von einst heute noch zu sagen? Maurizio Torrealta, Franco Berardi »Bifo« und Enrico Palandri versprühten im Wiener depot mühelos den Status realer Erfahrungen.

Maurizio Torrealta ließ sich als als Journalist und Mafia-Kenner vorstellen und erinnerte zunächst an die mittelalterlichen Freiheiten der Emilglia-Romagna. 1976 erwarb er eine kleine Sendeanlage, ein Kriegsrelikt, um als linkes Wohngemeinschaftsprojekt das staatliche Monopol über den Äther zu attackieren. Heute vergleicht Torrealta den wühlerisch offenen Kanal von Radio Alice mit der berühmten Dada-Revolte in Zürich 1916.

Der Philosoph Franco Berardi »Bifo« ist immer noch ein prächtiger Hitzkopf. Seine Diktion hat im Alter das Apodiktische beibehalten und etwas Divenhaftes dazugewonnen. Das auf Ausgewogenheit und politische Korrektheit geschulte Mainstreamdenken ist nie seine Sache geworden. In grauem Anzug und mit roter Schlabber-Krawatte brach der Schizo-Denker für den neoliberalen Slogan der Deregulierung eine Lanze – eigentlich eine grundvernünftige Forderung, meinte er pfiffig, um den Klauen der kapitalistischen Parasiten und ihrer Staatsknechte zu entkommen.

Man müsse nur eben mal Liberalität und Privateigentum entflechten, und das gelinge, wie er schon ’77 gezeigt habe, am besten durch Ironie. »Das Spiel der Ironie besteht darin, die Wirklichkeit aufzuheben, leichter zu machen, Glück in die Welt der Einsamen zu bringen«. Der ironische Gebrauch der Rede, so Bifo, breche den starren Zusammenhang von Sprache und Wort auf und setze den Sinn der Rede neu zusammen. Man müsse sich die Revolution als etwas Episches vorstellen, das auf solche lyrischen Momente der Subversion folge. Auf der Basis ironischer Intenventionen werde einst ein komödianisches Proletariat die Tür zur wahren Autonomie aufstoßen und wieder eine lebendige Verbindung von Arbeit und kollektiver Intelligenz herstellen.

Skeptischer gab sich ein Autor im Strickpollunder: Enrico Palandri schrieb sich zugute, dass er und Genossen dem damaligen Italien das Prinzip einer aktiven Staatsbürgerlichkeit eingehaucht hätten. Doch die Stimmung unter den Studenten und arbeitlosen Jugendlichen habe oft an die Religionskonflikte des 17. Jahrhunderts erinnert: Viele seien knapp daran gewesen, für ihre Ideale militant zu kämpfen. Das ausgerufene Drogen-Fest der Stadtindianer sei außer Kontrolle geraten. Es sei leider nicht gelungen, die Masse der isolierten und einsamen Menschen mit tumultartigen Späßen zum Systemsturz zu überreden. So sei seine Generation schließlich besiegt worden: von der Polizei, der PCI und dem Mafia-Staat. Er, Palandri, sehe sich als Opfer einer Niederlage.

So wabberten also eine Weile Nostalgiefetzen durch den Raum. Die rhizomatische Linke, die einst ein Minoritär-werden auf die Fahne geschrieben hatte, meldete sich noch einmal zu Wort, um neue Invektiven zu verstreuen und sich heroisch zu gebärden. Dafür, dass es eigentlich nie wieder um Marxismus und Ökonomiekritik gehen sollte, sondern um Fragen des Begehrens sowie um Macht- und Diskurs-Analyse, war in Wien recht viel von der Kälte des Neoliberalismus die Rede. Nach eineinhalb Stunden waren die Bolognisten dann bei der Kritik ihrer Kinder angekommen, die als Halbwüchsige nur mehr blöde vor Bildschirmen sitzen.

Kritische Fragen kannten die Überlebenden der semiotischen Guerilla leider keine. – Ist denn der berühmte italienische Aufstand nur männlich gewesen? Warum hat die Abgrenzung der gewaltfreien Autonomisten zur Sympathisantenszene der bewaffneten Zellen nie wirklich funktioniert? Hat die subversive Kreativität auch nur ein einziges bedeutendes Kunstwerk hervorgebracht? Und haben die glorreichen Experimente der Controinformazione nicht dem Ausverkauf der Seelen im Unterhaltungsregime Berlusconis die Tür & Tor geöffnet?

Man müsste endlich einmal darüber diskutieren, wie die gewaltförmigen Nivellierungen der Massendemokratie durch muntere kulturelle Avantgarden ins Rollen gebracht werden. Haben nicht die Hippies dem internationalen Massentourismus taxfrei die schönsten Plätze der Welt erschlossen? Und hat nicht die Kommunikationsguerilla der heutigen öffentlichen Wehleidigkeit und dem Voyeurismus im Reality-TV glänzend Vorschub geleistet?

Aber nein, die Ex-Avantgardisten speisten das Wiener Publikum lieber mit Billigstdistinktionen ab. Die Regierung Italiens werde heute von einem Irren geführt; Isolation und Einsamkeit der Menschen würden durch das Internet zunehmen, u. ä. m. – Da war es also wieder, die wahre Signatur der Siebzigerjahre: das große Zittern vor dem Ursprünglichen aller Verhältnisse.

Das Resultat der Diskussion war letztlich dürftig. Es glich einer Verniedlichung der eigenen radikalen Lebensformen. Die ergrauten Männer erinnerten sich schenkelklopfend an die massenhafte Fälschung von Bahnfahrscheinen, an erpresste Kinobesitzer und an die Lektüre philosophische Überwältigungstexte.

Wenigstens pochte niemand auf Exklusivität! – Selbst Radio Alice, darin waren sich die Herren einig, sei ein eher unbedeutendes Kommunikationsinstrument der gruppenöffentlichen Bewegung gewesen. Dass der im Mai 1977 von der Polizei zerstörte Küchentisch-Sender heute im Ausland zur Freiheitsikone taugt, darüber konnten die drei Italiener nur den Kopf schütteln.

Zur Lektüre empfohlen sei die Neuausgabe von Klemens Grubers Studienband Die zerstreute Avantgarde, ein Fachbuch aus dem Bereich der Medienwissenschaften, das bereits 1989 eine Historisierung der fröhlichen Revolte versucht hat. Der Ansatz, das italienische ’68 als Medienschelte zu lesen, mag überholt sein, doch Gruber, mittlerweile Professor für Intermedialität am Wiener Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften, hat hier eine Fülle von wunderbaren Materialien dokumentiert.

In nur wenigen deutschsprachigen Publikationen kann die delirierende Linke Italiens besser nachvollzogen werden, nur wenige Bücher enthalten Sätze wie diesen: »Wer verlangt, dass unsere Wörter einen Sinn haben sollen, dem antworten wir, dass unser Mund immer schon ein Sinnesorgan war«.

© Wolfgang Koch 2010

Klemens Gruber: Die zerstreute Avantgarde. Strategische Kommunikation im Italien der 70er Jahre, 178 Seiten, Wien: Böhlau 2010, EUR 18,90

 

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