vonWolfgang Koch 04.09.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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In der vorletzten Runde der Wiener Feuilleton-Konkurrenz 2010 wählen wir ein neues Thema: die Bildkompetenz der Redaktionen. Und schon haben wir einen neuen Sieger: das ALBUM, das fast durchgehend mit Illustrationen in Magazinqualität punktet.

Der Feuilletonismus hat seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zur Bildkultur. Woche für Woche stemmen sich Redakteure und Redaktricen mit wahren Textgebirgen gegen das allgemeine Diktat der Sichtbarkeit. Die Leserschaft soll durch simples Lesen zum Lebensernst bekehrt werden. Bilder dienen nur zur Auflockerung der Bleiwüsten.

Dass es auch anders geht, dass man Bilder, Grafiken, Cartoons auch in eine nichtillustrative Beziehung zum Text stellen kann, das spricht sich nur langsam herum. Und wieder einmal marschiert Wien am Ende der Kolonne.

 

1. Platz: ALBUM der Tageszeitung »Der Standard«, Redaktion: Christoph Winder

Der Titel über den neuen Drogentrend zu Smart Pills wird mit zwei stimmigen Agenturfotos illustriert: eines zeigt das Tabletop einer Pille, die andere eine knallbunte Lichtzeichnung von Hirnströmen. Hoher Klirrfaktor.

Eine Glosse über den bizarren Alpenbrauch des Wunschkennzeichens wird mit Nummertafel-Abbildungen im doppelten Ausmaß des Textes untermauert.

Heribert Corn zeigt den Architekten Wilhelm Holzbauer anlässlich seines 80. Geburtstags in Schnappschuss-Ästhetik in seinem Mariahilfer Büro.

Auf der Kunstmarkt-Seite ist ein zum Verkauf stehender goldener Luster des französischen Hofebenisten André Charles Boulle zu sehen, plus das Faksimile zeitgenössischer Drucke von Modellen aus derselben Serie.

Die Wander-Route der Woche können wir auf einer Karte nachvollziehen, die nicht einmal auf den Verlauf der Bundesländergrenze im Wolfgangsee vergisst.

Aber muss ein Report aus dem Astrid-Lindgren-Themenpark in Schweden mit einem PR-Foto von lachenden Schauspielern versehen werden? Da hätten wir uns das unbestechliche Auge eines Hausfotografen dieser Zeitung gewünscht.

Sehr gut eine Fotoimpression aus der Hauptstraße der ungarischen Stadt Köszeg. Sie zeigt eine kopflose Schaufensterpuppe unmittelbar neben einer Statue des Heiligen Nepomuk.

Großartig die Präsentation eines aufgeschlagenen Bildbandes mit dem Wolfgangsee, wie ihn der Fotograf Gerhard Trumler aus der Luft sieht.

Die Rezension von Samuel Pepys’ »Vollständiger Ausgabe« bei Zweitausendeins wird mit einem Autorenportrait bebildert. Natürlich hätten wir gerne auch noch erfahren, dass es von J. Hayles 1666 gemalt wurde.

Intelligent: der Rezension eines Buches über den Gründungsmythos des jüdischen Volkes das Nicolas-Poussin-Gemälde »Eroberung Jerusalems durch Kaiser Titus« beizustellen. Warum aber muss das imposante Blutgemetzel auf drei Seiten beschnitten werden? Das Original hängt keine 500 Meter von der Redaktion entfernt im Kunsthistorischen Museum.

Mit Walter Schmögers Schwanz-und-Nippel-Comix fangen wir auch diese Woche nichts an.

In der Serie »Mensch im Bild« erzählt Richard Wall vom eigenhändig entwickelten und abgebildeten SW-Foto einer Nachbarsfrau beim Ausgraben ihrer Mostbirnbäume.

 

2. Platz: SPECTRUM der Tageszeitung »Die Presse«, Redaktion: Karl Woisetschläger

Nicht jeder Autor ist ein so guter Knipser wie der österreichische Schriftsteller Gerhard Roth. Das bestätigen die Still-Life-Aufnahmen, die Martin Leidenfrost zu seinem Donau-Essay abgeliefert hat.

Auch für einen Beitrag über die aussterbende Salonkunst des Serviettenfaltens hat Autor Wolfgang Freitag die Bilder selbst geschossen. Das Thema wäre selbst für einen erfahrenen Objekt-Fotografen eine starke Herausforderung gewesen.

Eine Erinnerung an den vergessenen Komödienautor Curt Goetz wird mit historischen Aufnahmen aus der Schauspielermappe illustriert.

Wie zeigt man den Krimiautor O. P. Zier anlässlich einer Buchrezension? Vor offenem Himmel, überlegen schmunzelnd an ein Cabrio gelehnt. Foto: Lukas Beck.

Echten Glamoureffekt hingegen versprüht das Portrait des US-amerikanischen Krimiautors John Grisham am nächsten Blatt.

Auf der Spiele-Seite finden wir ganz unten, klein und versteckt, ein Szenenfoto aus dem Actionspiel »Medal of Honor«. Total ghetto, wie wir neudeutsch sagen. In diesem Miniformat schämt sich die Redaktion öffentlich dafür, den Luftbeschuss von Häusern aus der Perspektive eines Bordschützen zu zeigen.

Die Architekturfotos von Ruppert Steiner sind klinisch solide, wie man sich das auch von der neuen Krankenschwesternschule im Kaiser-Franz-Josef-Spital erwarten darf.

Der Sempé-Cartoon auf der letzten Seite düfte eine Menge Feuilletonliebhaber vor ein mittleres Humorrätsel stellen.

 

3. Platz: EXTRA der »Wiener Zeitung«, Redaktion: Gerald Schmickl

Am Titel der zur Recht vergessenen Formel-1-Pilot Jochen Rind. Dass es aus dessen Rennfahrerleben weit bessere Aufnahmen gibt, kann man in der Septemberausgabe des Freaksportmagazins The Red Bulletin nachblättern.

Ähnlich uninspiriert ein Rennwagenpulk im Sonnenuntergang als Illu zum Thema: neue Umweltschutzentwicklungen im Motorsport.

Informativ: die Aufnahme eines Verkehrsplatzes in der norddeutschen Stadt Bohmte, der nach dem Prinzip des »Shared Space« funktioniert. Das beigestellte Portrait des Erfinders der Selbstregulierung,  Hans Mondermann, ist allerdings nicht geschmackssicher.

Aus Anlass der Aufnahme des Nachtbetriebs der Wiener U-Bahnen (ein Wahlkampfzuckerl!) kriegen wir ein mageres Bildchen aus einem Berliner U-Bahn-Schacht zu sehen.

Ein fotogener alten Mann: Ludwig Adamovich, Ex-Präsident des Verfassungsgerichts, im Gespräch lebendig festgehalten von Andreas Urban. Warum das Bild auf der nächsten Seite noch einmal kommt, wissen nur die Redakteure.

Hat Norbert Gstrein nun einen Schlüssellochroman über die Suhrkamp-Verlegerin geschrieben, oder nicht? Die vollkommen unaktuellen Fotos der beiden Personen tragen jedenfalls nichts zur Beantwortung dieser weltbewegenden Frage bei. Ulla Unseld-Berkéwicz ist übrigens die ersten abgebildete Frau nach 11 Männern in dieser Ausgabe. Auch das typisch für das Wiener Feuilleton.

Den ulkigen Salzburger Autor Wolfgang Skwara haben wir  schon einfallsreicher portraitiert gesehen.

Warum lassen sich Pop-Bands (in diesem Fall Interpol) heutzutage wie Telekom-Manager in ihrer Freizeit ablichten: lässiges Sakko, Sonnengläser, Dreitagebart?  Ein Mysterium der Zehnerjahre.

Unnötig: ein Cartoon von Margit Krammer.

Schön: Marilyn Monroe in einer Drehpause, fotografiert von Henri Cartier-Bresson – das Thema der Fotokolumme.

Die letzten Seite im EXTRA dreht endlich den Spieß um: hier stehen zwei Leinwandbilder des Künstlers Hermann Kremsmayer im Mittelpunkt u. die Textchen sind eine gefällige Beigabe.

 

© Wolfgang Koch 2010

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