vonWolfgang Koch 07.10.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Auf der einen Seite Karl-Lueger-Kopien in Serie, auf der anderen der blaue Retter des Nikolo. Was soll aus Wien nach dem 10. Oktober werden?

Wie soll sich die Bundeshauptstadt je aus der Umarmung durch eine Massenpartei lösen? Nun, die Demokratie ist ein System, dem man nicht entflieht. Seine Fähigkeit zur Wiedereingliederung von Ausgeschlossenem ist so stark, dass es die Vorstellung, eine Gruppe ein für allemal aus seinen Grenzen zu verbannen, nicht ertragen kann.

Ich halte es für an der Zeit, den Misskredit unter den drei Oppositionsklubs zu verringern. Strache lehnt die antiisraelische Stadtaußenpolitik ab und er benennt das Skylink-Projekt am Wiener Flughafen ganz richtig als das, was es ist: »ein von der SPÖ vertuschtes Milliardengrab«. Darum geht es bei dieser Wahl, nicht um Kopftücher.

Andere Dinge sind lachhaft, aber nicht gefährlich. Der Sozialist Anton Tesarek strich 1927 das Krampusfest aus dem roten Kalender, weil der prügelnde Kobold Angst und Schrecken unter den proletarischen Kinderfreunden verbreitete. HC Strache will jetzt den Kompagnon des Krampus, den Nikolaus, in Kindergarten und Schule retten, so eingeschrumpft ist das »Triumphfest des Klerikalismus« mittlerweile, dass der Heilige einen blauen Schutzpatron braucht.

Darüber lässt sich doch auch lachen, ohne dass einem das Lachen vergeht. Straches Feldzug gegen das Minarett scheint eine heimliche Sympathie für das Phallische zugrunde zu liegen. Und dass die Freiheitlichen der Predigt in den Moscheen jetzt unbedingt in deutscher Sprache folgen wollen, ist doch mindestens so komisch, wie es im 18. Jahrhundert die Späherei der Maria-Theresianischen »Keuschheits-Kommissarien« nach der abgefeimtesten Winkelprostitution war.

Die ehrwürdige Nelke

Wien braucht keine stabilen politischen Verhältnisse. Es drohen weder Brotsuppe noch Eichelkaffee, kein Bürgerkrieg dräut am Horizont und auch kein »Kampf der Kulturen«. Es muss hier einfach das Regieren mit wechselnden Koalitionen zum Normalfall werden – das beste Mittel gegen Politikerverdrossenheit.

Was wir als ersten Schritt in diese Richtung bekommen werden, ist eine Regenbogen-Allianz, damit sich die die SPÖ auf der Oppositionsbank regenerieren kann. »Freudschaft ohne Freunderlwirtschaft«, hat Martin Margulies das Ziel der Grünen genannt. Also Offenlegung von Entscheidungsabläufen, sparsames und zweckmäßiges Ausgeben der Gelder und eine Qualitätssteigerung der Regierungsprozesse durch permanente Herausforderung und Infragestellung der anderen.

Unter diesen Verfassungsprämissen wird die ehrwürdige Nelke neu erblühen, die Werktätigen werden wieder am Ring stehen und rufen: »Vorwärts mit frischem Muth!« Beim Wahlgang am 10. Oktober reicht das Bewusstsein der Akteure für die nötige Machtpause der SPÖ noch nicht aus. Aber die Zeit wird kommen; schon rechtfertigt die Misere jede Stimme für Grün, Schwarz und Blau.

Und der kabarettistische Haarkünstler aus der Griechengasse? – Imitation ist eine Form der Trauer durch Identifikation. Der Figaro Er-Ich Joham imitiert, was er sich gerne erklären würde, aber in unpolitischen Begriffen eben nicht kann. Siehe oben.

© Wolfgang Koch 2010

 

 

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