vonWolfgang Koch 15.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Antideutschen haben seit den Attentaten vom 22. Juli alle Hände voll zu tun, a] um ihre Islamkritik vom Antiislamismus der extremen Rechten abzugrenzen, b] um die pro-israelische Haltung des Rechtspopulismus und des Terroristen Breivik zu entzaubern und den notdürftig mit Anti-Mohammed-Karikaturen überpinselten Antisemitismus aufzudecken.

Um es gleich vorweg zu nehmen: die Antideutschen, diese Sondertruppe des deutschsprachigen Linksradikalismus, hat in beiden Punkten vollkommen Recht.

Nicht ein Jota Kritik an religiösen Fundamentalisten braucht nach den Morden in Norwegen zurückgenommen zu werden; wir stecken den Finger weiter in die Wunde der Islamwelt, wenn sie Menschen in eine exklusive Eingeschlossenheit führt.

Zweitens ist die neue Israel-Freundlichkeit der äußeren Rechten tatsächlich nur von taktischem Kalkül; kratzt man ein wenig an der Oberfläche der Argumente gegen das multireligiöse Zusammenleben mit den Korangläubigen, so wird der alte ideologische Judenhass sofort wieder sichtbar.

Was ich den antideutschen Stimmen vorwerfe, das sind nicht diese Schlussfolgerungen aus ihren Analysen, sondern der sektierische Stil, in dem sie vorgetragen werden. Diese linken Aufklärer verschanzen den Wahrheitsgehalt ihrer Argumente hinter genau jener pseudoakademischen Sprache, in der auch Breivik seine Bekennerschrift abgefasst hat. Sie geben keine abstrakte Unterscheidung preis; sie versteigen sich in Spekulationen; sie schrauben jeden Gedanken bis auf eine Höhe, wo sie vor der eigenen Kompliziertheit erstarren.

Denkzwang kann man auslachen; und das scheint mir hier dringend geboten. Die antideutsche Publizistik wirft mit Ausdrücken wie »orthodox-konservativen Mainstream-Islam« und »kryptonazistische Muslimhasser« um sich, als sässen wir alle in einem Seminar redseliger Trotzkisten, die gerade ihre Konversion zum Judentum diskutieren.

Beispiele gefällig? Ein antideutscher Anonymus des Aktionsbündnisses gegen Wutbürger schreibt: »Die medialen Massenvernichtungswaffen lagen schon bereit, die Versatzstücke, die jetzt in die Blogs und Zeitschriften kopiert und eingefügt werden, waren lange fertig, bevor Breivik den ersten Schuss abgab. Gewartet hat die Meute darauf, dass irgendwo ein Verbrechen geschehe, dass sich auch nur im entferntesten gegen den Islam richtete, um mit Wilders und Co. auch gleich jedwede aufklärerische Islamkritik mitzuentsorgen, auf dass ewiger Frieden herrsche zwischen den Kulturen«.

Quelle: http://abgwb.wordpress.com/2011/07/27/der-islamneid-des-anders-b/

Gerhard Scheit schreibt: »Den Hass auf die Juden hinter dem Hass der Jihadisten auf das Abendland zum Verschwinden zu bringen und die Holocaust-Religion zu dekonstruieren, weil sie Deutschland und dem Nationalismus in Europa schade, wie Breiviks Manifest es fordert, dieses Manöver ist der Verfassung des postnazistischen Subjekts, postnazistisch im engsten Sinn verstanden, wie angemessen, denn die Leistungen der Vergangenheit, die in der Vernichtung der Juden kulminierten, dürfen unter keinen Umständen, auch nicht im Konkurrenzkampf mit dem Islam, angetastet werden, weil sie die Grundlage der eigenen Gesellschaft sind … Breivik ist der terroristische Quisling dieses postnazistischen Subjekts. Nicht die Fehler der NSDAP wiederholen: das ist der Kern seiner Methode – und zum Ungeheuerlichen dieser Methode gehört auch, wie viel an Vorwand sie dem linken Antisemitismus liefert und noch liefern wird«.

Quelle: http://www.hagalil.com/archiv/2011/08/03/breivik-2/

Die Geburtsfehler dieser Textpassagen: sie klären nicht auf; sie dienen nur der Selbstverständigung; sie sind unverkennbar autoritär gestimmt; diese Autoren entdecken nicht die Möglichkeit eines Funktionierens der Politik ohne Mythen, sondern basteln aus Ekel vor der Banalität an neuen, noch pathetischeren. Die antideutschen Denker treten als Technokraten auf, eingenommen von abstrakten Begriffen und einer hochtrabenden Theoriesprache, die niemanden mehr etwas mitteilen will.

Der Fall Breivik reduziert Europa wieder einmal auf den einfachen Gegensatz zwischen dem Normalen und dem Pathologischen . Ein »irres Pamphlet«, ein »Abgrund an Dummheit« nennen antideutsche Stimmen die Bekennerschrift. »Warum wird Paranoia in verschiedensten Ausprägungen mehr und mehr zur Volkskrankheit?«, fragt ein Autor, und der nächste tönt als Echo zurück: »Ist es auch die Methode eines Einzeltäters, so besitzt sie dennoch den Wahn des Kollektivs«.

Ich verstehe schon, dass sich diese AutorInnen als Teilnehmer an einem Kampfdiskurs begreifen. Doch ich weigere mich, ihrer Lust an geistiger Verstiegenheit in die neuen Textwüsten zu folgen.

Die aktuellen Analysen der Antideutschen versuchen nicht dem Gegensatzpaar Vernunft/Wahnsinn Autonomie zu geben, sondern Breiviks Ideologie zu pathologieren und die Tat als eine nichtpathologische zurück zu gewinnen. Dieser spezielle Diskurs über Oslo und Utøya setzt sich nicht dem Unbewussten entgegen, sondern dem Geheimen, einer rationalen machtpolitischen Dimension, die hinter der kriminellen verborgen liegen soll.

So haben wir alle, die Feuilletonkommentatoren und die Trauma-Forscher, die Theologen und die Freimaurer, die Rechtspopulisten und die Antifaschisten, die Hassblogger und die Antideutschen jetzt plötzlich unerwartet viel zu tun; einige werden sich nach dem nächsten Attentat sicher waschen wollen.

© Wolfgang Koch 2011

 

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