vonWolfgang Koch 16.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Bei keiner Frage waren die Gralshüter der öffentlichen Meinung so eilig zu Stelle wie bei der, ob der sich der norwegische Terrorist noch »Christ« nennen darf. Und die Antwortglocken läuten von Rom über London, Zürich und Wittenberg bis zu Slavoj Žižek und zu den Freimauernlogen hundert Mal: »Nein! Nein! Ein christlicher Konservativer ist dieser kaltblütige Mörder sicher nicht«.

Das war allerdings auch nicht die Frage. Die war: »Kann der Massenmörder Breivik nach seinen Taten überhaupt noch ein Christ sein?«

Hinter der tausendfach wiederholten Blitzanalyse des Großfeuilletons von Der Spiegel, NZZ und F.A.Z., Brevik sei »aus dem Nichts« bzw. »aus der Mitte der Gesellschaft«  gekommen, steht die äußerst wirkungsmächtige Illusion, normale Christenmenschen würden »so etwas« nicht tun.

Denn: Dekalog, denn: »Du sollst nicht töten«, und hat sich Jesus Christus nicht lieber ans Kreuz schlagen lassen als einen falschen Bart anzukleben und gegen seine Verfolger zu kämpfen? – Die Schwachen trösten, eimerweise Asche über den eigenen Kopf gießen, das sei christlich. Auf diesen Pazifismus können sich die Kirchgeher noch nach jedem Gewaltausbruch einigen.

Breivik lehnt diese Haltung explizit ab, und nicht nur er. Ein kurzer Blick in die Weltgeschichte zeigt, dass es immer Christen und Christinnen gegeben hat, die im Namen des Seelenheils oder der Entblößung des falschen Glaubens mordeten. 1963 formulierte ein Papst, vor dem die Welt tief den Hut gezogen hat, ein Bußgebet zum größten europäischen Massenmord in der Geschichte:

»Wir erkennen«, sagte Johannes XXIII, »dass ein Kainsmal auf unserer Stirn steht. Im Laufe der Jahrhunderte hat unser Bruder Abel in dem Blute gelegen, das wir vergossen, und er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben, weil wir Deine (Gottes) Liebe vergaßen. Vergib uns den Fluch, den wir zu unrecht an den Namen der Juden hefteten. Vergib uns, dass wir Dich in ihrem Fleische zum zweiten Mal ans Kreuz schlugen. Denn wir wussten nicht, was wir taten«.

Breivik wusste genau, was er neun Jahre lang vorbereitet hat: als Schreibtischtäter an der Tastatur und als Killer mit Schußwaffen in der Hand. Der voll zurechnungsfähige Mann bezeichnet sich selbst als »konservativer Christ« und verbindet damit bestimmte politische Aussagen.

Auf Seite 1.307 der Bekennerschrift heißt es: »Wer zu Jesus Christus und Gott eine persönliche Beziehung pflegt, ist religiös. Ich und andere an meiner Seite sind das nicht notwendiger Weise. Aber trotzdem glauben wir an das Christentum als eine kulturelle, soziale, identitätsstiftende und moralische Plattform. Das macht uns zu Christen«.

Schwer zu glauben, Herr Breivik, dass sich Jesus für eine »soziokulturelle Plattform« ans Kreuz schlagen hat lassen …

© Wolfgang Koch 2011

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