vonWolfgang Koch 17.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Was ist ein Christ? Gute Frage, denn Jesus Christus war wohl genauso wenig einer wie Buddha ein Buddhist und Karl Marx ein Marxist war. Die Traditionshüter sagen: »Wer Christus so annimmt und durch sein Leben bekennt, wie sich dieser Christus selbst bezeugt hat. Wer vorbehaltlos an sein Wort, seine Lehre glaubt und diesen Glauben durch seine Taten (als echt) beweist«.

Das Verbüffende an diesem Gedanken: er ist gar nicht so alt. Die Idee, dass man von einer religiösen Idee persönlich überzeugt zu sein hat, tauchte erst relativ spät, mit dem Protestantismus, auf. In den Jahrhunderten davor dominierten die Zeichen, die Liturgie, das Ritual. Für Abergenerationen von Christen ging die Betonung der Form der Betonung des Sinns, den der Einzelne nachzuvollziehen hat, voraus.

Stimmt schon, ein Christ glaubt an einen persönlichen Gott und an das Weiterleben der Seele nach dem Tode. Heute kann er sich genau genommen, nur als Christ bezeichnen, wenn er die vier  Evangelien, die Apostelgeschichte, die Briefe und die Offenbarungen der Apostel, d.h. die Heilige Schrift des Neuen Testaments und die noch viel umfangreichere des Alten Bundes mit hundertprozentiger Zustimmung annimmt.

Der einfache Christ ist verwirrt. Die Dreieinigkeit Gottes soll er glauben; dass Jesus zu ohne Wenn und Aber Mensch ist und zugleich ohne Wenn und Aber Gott; dass Jesus ein zweites Mal kommen wird, um zu richten und zu herrschen; dass der Glauben allein Gnade schenkt; dass die Heilige Schrift der höchste Maßstab ist und ihre Befolgung wertvoll ist für das christliche Leben.

Was genau meinen die biblischen Grundsätze? Dass wir dem humpelnden Nachbarn über die Straße helfen? Oder dass wir im KZ anstelle eines Familienvaters freiwillig in die Gaskammer gehen? – Sind, frage ich, solche Definitionen, die immer andere ausschließen, überhaupt möglich, ohne jemanden zu beleidigen?

In Römer 10.10 steht: »Wer mit dem Herzen glaubt, wird von Gott als gerecht anerkannt; und wer mit dem Mund bekennt, wird im letzten Gericht gerettet«. Hier dreht sich noch alles um das öffentliche Bekennen.

Jedes Bekenntnis aber bleibt in der Gefangenschaft einer heteronomen, fremden Einbildung. Die Psychoanalyse lehrt, dass das Bekenntnis das Kriterium einer exzessiven, latenten Lust der Neurose ist. Wozu all der theatralische Verdeutlichungs-Aufwand des Glaubens: wozu Taufe, Messe, Kreuz?

Wir eignen uns im öffentlichen Bekenntnis eine Einbildung an, die auf die Einbildung der anderen antwortet. Ich stufe die anderen herab unter meine eigene Überzeugung. 

Wenn ich möchte, dass das Innere meiner Person stärker geachtet wird, so wäre es doch besser, wenn meine äußeren Gesten ignoriert würden. Soll Religion eine persönliche  Glücktechnik werden, muss ich mich mehr und mehr vom Moralsystem entfernen.

Man sollte es den Traditionshütern der Christenheit vielleicht mal sagen, dass sie sich länger schon disqualifiziert haben. Jemand der anderen das Christentum abspricht, kann selbst kein Vollchrist sein.

Wäre es beim allgemeinen Wirrwarr an Forderungen nicht viel einfacher zu sagen: »Als Christ gilt, wer Mitglied in einer Kirche ist«. – Hier haben wir ein objektives, nicht wertendes Kriterium. Breivik ist Mitglied der evangelischen Kirche, die er wohl aus politischen Gründen zerschlagen möchte … aber entwertet das einen das andere?

bereits nach vierzehn Tagen Isolationshaft bat der Mörder, wie die Zeitung Aftenposten berichtete, um ein Gespräch mit dem Gefängnispfarrer.

Wenn Breivik jetzt in Gefangenschaft wiederholt, dass er Christ sei, dann erinnert er sich vor allem daran, dass er nicht der von Gott verheißene Retter ist. Dann beginnt der Mann zu erkennen, dass ihn noch jemand richten wird, egal, was die norwegische Justiz 2012 mit ihm vorhat.

Stellen wir zum Abschluss noch eine christliche Frage: »Soll Breivik seine Tat bereuen?« – Gegenfrage: »Hat er denn ein Recht dazu? Wollen wir, dass der Mann ein Einsehen hat in sein Unrecht und Buße tut für das Massaker an Wehrlosen?«

Nein, denn Reue erstrebt das Vergessen des Verbrechens, verkleinert die Mordtat zu einem Vergehen, und anstelle des schuldigen Täters tritt die unsichtbare Hand eines anonymen Schicksals. – Der Wunsch nach Breiviks Reue mag christlich sein, ihre entschuldigenden Folgen wären es nicht.

© Wolfgang Koch 2011

 

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