vonWolfgang Koch 01.11.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der Weg ist nicht einfach. Sie stoßen, gleich neben dem Kassenraum des Wiener Konzertshauses, eine lackierte Tür auf, fegen Spinnweben beiseite und steigen über Wendeltreppen und Hängebrücken in immer tiefere Tiefen der Keller hinab.

Irgendwann sind Sie in einem kohlschwarzen Raum mit Toiletten angelangt. Hier wohnen nur mehr Larven und Nacktschnecken, Wurmexistenzen und Lichtscheue, und unter ihnen: die Choristen des Neuen, die ewigen Freier der Penelope. Auf einem Tisch liegen Kinderstifte bereit. Im Halbdunkel erkennen Sie Erwachsene, die den Tribut in Form von Schokoladetafeln entrichten. Dann öffnet sich eine Tür, Sie treten in ein noch ein dunkleres Gemach, das wegen seiner brummenden Klimaanlage eigentlich völlig ungeeignet ist für musikalische Aufführungen.

Sie sind angekommen unter den beweglichen Unbeweglichen, in der Unterhöhle der Avantgarde, bei der Künstlerbohemé mit ihrer unendlich spitzfindig verästelten und fein nuancierten Unkorrumpierbarkeit. Im musikalischen Untergrund, wo man wie als Kind scheinbar wertlose Dinge aufhebt, wo man mit Ausdauer und Arbeitkraft auf Trinksprüche und Allgemeinplätze verzichtet, im halb verborgenen Gegenwartsglitzern einer Halloween-gestimmten Totentanzgeneration.

Nein, brut, so der Name des Kellers, ist kein Amusement-Center für alle Bevölkerungsschichten. Während ein paar Niveaus darüber das Festival Wien Modern für betuchtes Publikum mit Schwefelhölzern spielt, versammeln sich hier Exoten und vogelfreie Experimentelle, um ihre inneren Monologe in Klängen und Bildern vor den geschulten Augen und  Ohren von Musikern, Theaterwissenschaftern und Medienlaboranten auszubreiten.

Zunächst entfaltet das Taipei Grass-Mountain Folk Orchestra eine Klangkulisse aus einem vergilbten Asien-Film; das aus der Ferne angereiste Ensemble eröffnet den Raum zur Entfaltung der Imagination: Wer hören kann, wird sehen. Gelungene Volkslieder werden zu Gassenhauern, Figurenrede verwandelte sich in Sprichwörter. Kampfpferde wiehern, das schöne Afrika winkt. Die exotischen Klangfarben von Erhu, Yangqin und den anderen Pfauen unter den Instrumenten Chinas tragen das Publikum weit über die Kellergruft hinaus.

Als der Zhunghu-Spieler des Ensembles eine Legende aus Kelaquin vorträgt und dabei den Chinaschmelz in eine mehr offene Richtung verlässt, wird die Darbietung geradezu verzweifelt expressiv. Das kommt wahrscheinlich daher, dass Asiaten kein sicheres Konzept für Melancholie besitzen.

Die Performance Cortex von ManfreDu Schu versucht das Gestaltungsprinzip der Slow Movie-Bewegung auf die Bühne zu übertragen und scheitert. Hat nicht der auf  Taiwan tätige chinesisch-malaysische Filmregisseur Tsai Ming-Liang erst letztes Jahr im wunderbaren Filmepos Xi You eindrucksvoll gezeigt, wo die Grenzen der Verlangsamung liegen, als er einen Mönch in Superzeitlupe durch die französische Stadt Marsaille laufen ließ?

Der Langsamkeits-Darsteller Raphaël Michon hat beim aNOther festival entschieden zu wenig Zeit; alle Gesten und Bewegungen geraten ihm zu schnell, weil sie gespielt und nicht aus einer inneren Haltung heraus entwickelt sind. Slow Motion hat am Theater einen bekannten Namen: Butoh, und die Erfahrungen dieses Tanztheaters lassen sich nicht einfach überspringen.

Den Höhepunkt des ersten Festivalabends bildet eine Uraufführung von Wolfgang Liebhart, die auf mikrotonale Gesänge der Tao, einem offiziell anerkannten indigenen Volk Taiwans, rekurriert. Die auf der großen und der mittleren chinesischen Fidel, Zhounghu und Gaohu, von der Erhu-Spielerin Chia-Hua Chang angeschlagenen Töne werden dabei elektronisch live bearbeitet.

Liebhart erschafft hier Klänge innerhalb des Klanges, verschmilzt sie zu pastösen Gebilden. Man könnte auch sagen, sein digital induzierter Monolog am Rechner sucht Trost bei den Klangformen und -farben zwischen süd- und ostchinesischer See. Andeutungsweise tauchen Orgelkaskaden auf, Thereminjauler, für Sekunden wabbern lastwagenbreit rhythmische Motive aus den Boxen, bevor dramatisch gekonnt ein leuchtend heller Herbstakkord in den Raum tritt.

Das alles bleibt stets von großer, unpathetischer Klarheit. Wenn eine Musik glaubwürdig ist, dann verströmt sie eine besondere Art freundlicher Energie, und die verdankt sich nur der Genauigkeit eines völlig selbstvergessenen Arbeitens. Spekulationen auf Publikumsreaktionen würden von den kritischen Zuhörer dieses Festivals sofort durchschaut.

Die Schlauheit, das Großartige und auch das Dramatische des Dargebotenen besteht also darin, dass es sich auch nach einhundert Jahren nicht in das System der herrschenden Tonsprachen einschreiben lässt, und in den Katakomben der Gegenwart als Fremdartiges verlässlich Erschrecken und Staunen provoziert.

© 2014 Wolfgang Koch

Fotos: aNOther festival

aNOther 1

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