vonWolfgang Koch 03.02.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

Früher war doch einiges besser. Zum Beispiel die Literatur. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Dichter noch Popstars. Bei ihren Auftritten fielen Frauen in Ohnmacht, und was sie sagten, hatte für eine riesige Gemeinde Gewicht.

Um Karl Kraus zu hören, strömte das gläubige Publikum zu nicht weniger als 600 Lesungen in Konzertsäle. Wenn Jean-Paul Sartre in Paris zu einem Schweigemarsch für einen gute Sache rief, verstummte die Menge wie befohlen.

In den friedlichen Ecken des 20. Jahrhunderts gehörte den Dichtern noch die Welt.

Heute, da der Ideentransfer im Web nicht zu kontrollieren ist, von niemandem, lenkt kein Schriftsteller mehr die Aufmerksamkeit auf sich. Kein Dichter ist tonangebend in der Integrationsdebatte; keiner preist ein Wundermittel gegen den Stress der einen uns die Arbeitslosigkeit der anderen.

Kaum einer, gleichgültig, wie erfolgversprechend seine Bücher sind, hat das Zeug dazu, eine populäre Figur zu sein.

Woran mag das liegen? An den Themen der Gegenwartsliteratur?

Alfred Polgar hat Marlene Dietrich porträtiert, er zeigte sich höchst eingenommen von der Absichtslosigkeit ihres Schauspiels. Eine Huldigung von Rainald Goetz an Concita Wurst würde wohl kein Mensch, der noch bei Verstand ist, lesen.

Schriftsteller haben ihre Aura verloren, die ihnen früher einmal dazu verhalf, weit über den Kreis der unmittelbaren Literaturgemeinde hinaus Bedeutung zu erlangen. An allen Orten der Hochkultur werden sie heute an den gesellschaftlichen Rand derer gedrängt, die sich selbst für die geistige und ökonomische Elite halten.

Als ich kürzlich einen Abend des Österreichischen Schriftsteller/innenverbands besuchte, traute ich meinen Augen nicht. Ich war tatsächlich der jüngste Besucher im Bibliothekssaal des Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums in der Wiener Vogelsanggasse.

Bevor die drei Autoren des Abends zu Wort kamen, sonderte ein verwuzelter Kärntner einen respektlosen Sermon zum Besuch des Museums ab. Dann saß Heide Loisel, die Bücher mit sehr schönen Titeln macht, an dem blumengeschmückte Lesetischchen zwischen Ausstellungswänden, deren Tafeln uns mit Wirtschaftstatistiken á la Otto Neurath beglückten: »Arbeitszeitverkürzung seit 1950«, »Der Warenkorb«, »Inflation 1991 bis 2015«.

Als ich mich von einer Darstellung der Wechselkursentwicklungen endlich losgerissen hatte, vernahm ich vom Podium die Worte »Blümchen« und »Brauchtum«. Frau Loisel mahnte in Versen, die »Runen im inneren Urgrund zu deuten«.

Nein, dachte ich, auch das wird die Kulturnation nicht bewegen, nicht nach vorne, nicht zurück. Solche Zeilen mögen verletzlich und ungeschminkt sein, sie haben keine Chance als moralische Instanz zu gelten, oder die Mode unserer Zeit auch nur einen Zentimeter zu diskutieren.

Auch die anschließenden Mord- und Totschlagminiaturen von Johann Twaroch taugten nicht dazu. Dieser Ex-Literaturredakteur des ORF gab einen verschmitzten, stark ins Österreichisch-Depressive hineinhängenden Daniil Charms, der auch schon wieder sechs Jahrzehnte tot ist.

Einzig die Lyrik und die Prosa des Physikhistorikers Peter M. Schuster wusste an dem Abend zu überzeugen. Schuster las zunächst aus seinem 2004 erschienen Huldigungsgedicht an den physikalischen Chemiker Joseph Loschmidt, in dem er eine Laboratoriumsatmosphäre schildert, die Molekülketten mit kulturellen Mustern zu erklären versucht.

Nr. 4 Schuster

Wieviel poetische Kraft muss nötig sein, die ausweglosen Sackgassen des Krimischreibens und der faden Schwindler zu vermeiden, um in die Geschichte der naturwissenschaftlichen Forschungen einzutauchen und aus ihr solche leuchtenden Sternbilder hervorholen zu können!

Aber auch dieser begnadete Peter M. Schuster, dessen Texte aller Trivialität entgehen, taugt nicht zur Identifikationsfigur, die ja vom einem Schriftsteller verlangt, dass er zum Repräsentanten seiner Bücher, seiner Ideen und Stellungnahmen wird.

Schuster ist viel zu bescheiden, um als Person zu symbolisieren, was er zu Papier gebracht hat. Er hat ein extrem schwieriges Thema gewählt: die geistigen Abenteuer von Forschern; seine Sprache ist höchst anspruchsvoll, zitiert in Englisch, Französisch, Latein. Und Schuster kann sich aufgrund von beschädigten Stimmbändern selbst mit Mikrophon nur mehr schwer verständlich artikulieren.

Zum Abschluss der Lesung hörten wir ein paar Seiten aus einem unvollendeten Ludwig-Boltzmann-Roman, und darunter die Klage des Protagonisten, dass man 1895 von Leuten regiert werde, die gerade wegen ihres Mangels an wissenschaftlichen Kenntnissen gesellschaftliche Anerkennung erhalten.

Das ist heute nicht anders. Doch hat Boltzmanns Mahnung, von Schuster als Rückschau auf ein stürmisches Leben erzählt, im Karneval der überhitzten Mediengesellschaft überhaupt keine Chance. Ein Wort wie dieses zählt nicht zu einer Zeit, in der überall und ununterbrochen jede dahergelaufene Ansicht geäußert wird.

© Wolfgang Koch 2015

Fotos: W. Blaschnek – Peter M. Schuster und Helmholtz’scher Resonator

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2015/02/03/die-unerhoerte-schriftstellerische-brillanz-von-peter-m-schuster/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert