vonsaveourseeds 22.06.2010

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog
Prof. Dr. Folkhard Isermeyer (rechts) übergibt seine Koexistenz-Strategie dem Staatssekretär Robert Kloos (Mitte) und nicht Ilse Aigner, der Herr links heißt Olaf Christen Foto: BMELV

„Ein Bisschen schwanger geht nicht“ ist die regelmäßige Antwort derer, die partout keine gentechnisch veränderte Pflanzen und andere Organismen in ihrem Essen, vor allem aber auf ihren Feldern haben wollen auf die Behauptung der Industrie, eine einvernehmliche Koexistenz zwischen gentechnischer und gentechnikfreier Landwirtschaft sei nur eine Frage des guten Willens aller Beteiligten. Der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik des Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsministeriums hat jetzt in einer Stellungnahme seine Definition von „ein Bisschen schwanger“ vorgestellt. Seiner Meinung nach „hat sich jedoch herausgestellt, dass es in einer Welt, in der auch GV-Produkte existieren, illusorisch ist, vollständige GV-Freiheit zu realisieren.“ Faktisch fordert er deshalb eine schleichende Erhöhung der Toleranz für Gentechnik in Lebens- und Futtermitteln, in Rohstoffen und vor allem im Saatgut.

Insgesamt kann man die Stellungnahme der Wissenschaftler als interessanten Beitrag dazu bezeichnen, wie realistisch und ehrlich es ist, auf Basis der Übereinstimmung, über die grundlegenden Fragen nicht übereinzustimmen, technische und wirtschaftliche Kompromisse der Koexistenz zu suchen. Denn die Mitglieder des Ausschusses, so lesen wir im Vorwort, seien sich weder einig darüber wie wünschenswert noch wie riskant der Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft ist. „Der Beirat geht davon aus, dass es bezüglich zugelassener GVP in Deutschland auf absehbare Zeit entschiedene Befürworter und überzeugte Gegner geben wird und die Politik bis auf Weiteres beiden Gruppen zugesteht, die von ihnen jeweils favorisierte Form der Land- und Ernährungswirtschaft zu realisieren.“ Weil gentechnisch veränderte Organismen sich genauso vermehren und auskreuzen wie ihre natürlichen Artgenossen, ist entgegen allen ursprünglichen Beteuerungen der Gentechnik-Branche, eine wirkungsvolle und saubere Trennung gar nicht oder nur mit einem Aufwand zu erreichen, den niemand zu treiben und zu bezahlen bereit und in der Lage ist.

Um also Koexistenz zur Lösung des Problems zu erklären ist zunächst ein wichtiger Dreisprung nötig, den der Beirat so formuliert: „Verunreinigungen von NGV-Produkten (NGV = Nicht gentechnisch verändert) mit GV-Produkten sind nicht gesundheits-relevant, ansonsten dürfte das entsprechende GV-Konstrukt nicht zugelassen sein. (…) Eine wichtige Basis der Koexistenzregelung ist daher der Verzicht der Gentechnikkritiker auf eine „Skandalisierung“ geringfügiger GV-Anteile. Dies insbesondere auch, weil erforderliche Sicherheitsmaßnahmen v. a. zulasten der GV-freien Kette gehen werden, da diese die Monitoringkosten zu tragen hat.“

Im Klartext: Weil nicht sein kann was nicht sein darf, ist von der Unschädlichkeit der GVOs auszugehen. Da dann der Verzicht auf GVOs ein Luxus ist, den sich bestimmte Leute aufgrund von „Werteinstellungen“ leisten wollen, müssen sie auch dafür bezahlen. Weil nun aber das Opfer und nicht der Täter für die Vermeidung des Schadens wirtschaftlich verantwortlich ist, liegt es in dessen eigenem Interesse, nicht jede Verunreinigung beim Namen zu nennen. Das Verursacherprinzip (polluter pays) als Alternative zu diesem Konzept kommt in dem gesamten Gutachten weder als Begriff noch als Konzept vor. Der Beirat schreibt vielmehr:

„Nach Auffassung des Beirats ist gegen das Grundprinzip der EU-Regelung, demzufolge die GV-Landwirte durch die GfP-Auflagen (GfP = Gute fachliche Praxis) die landwirtschaftlichen Koexistenzkosten tragen und im vor- und nachgelagerten Bereich die NGV-Kette, im Allgemeinen nichts einzuwenden. Allerdings führt diese Regelung zu Konflikten, weil die Saatgutwirtschaft als Nutznießer und als Verursacher von Problemen angesehen wird. In der öffentlichen Diskussion ist der Eindruck entstanden, dass internationale Saatgutunternehmen den Nutzen und die Landwirtschaft sowie die Gesellschaft die Kosten zu tragen haben.“ Die Abhilfe, die dafür übrigens vorgeschlagen wird, ist nachgerade lächerlich: Für einen “begrenzten Zeitraum” soll die öffentliche Hand und nicht der einzelne gentechnikfreie („NGV“) Bauer die Kosten der Tests seiner Waren übernehmen.

Die Überlegungen zu den Details der Vermischung auf dem Felde und in der Verarbeitung für unterschiedliche Pflanzen (Mais, Raps, Kartoffeln, Zuckerrüben) gehören nicht zu den innovativen und auch nicht zu den qualitätsreichsten Abschnitten des Gutachtens. An anderer Stelle haben wir darüber kenntnisreichere und präzisere Angaben gelesen. Die daraus abgeleiteten Empfehlungen bewegen sich am (gentechnisch) oberen Rande dessen was bisher von Wissenschaftlern dazu empfohlen wurde und sind nicht der Rede wert.

Originell ist dagegen die Begründung für die Beibehaltung der gesamtschuldnerischen Haftung von Gentechnik-Bauern für mögliche Verunreinigungen ihrer Nachbarfelder: Weil die Gentechnik-Landwirte ausschließlich für die unmittelbaren Schäden des Nachbarn (er kann sein Produkt nur noch als Gentechnik verkaufen) haften sollen und nicht für „Kettenschäden“, also etwa erforderliche Rückrufaktionen in den Supermarktregalen, sei ihre Beibehaltung vertretbar. Für Kettenschäden dagegen, die bekanntlich hunderte von Millonen Euro kosten können, solle künftig ein „Fonds“ aufkommen, in den neben den Herstellern aus unerfindlichen Gründen v.a. die öffentliche Hand einzahlen soll. Ein solches Modell wurde übrigens bereits vor Jahren vom damaligen Landwirtschaftsminister Seehofer als nicht vermittelbar abgelehnt.

Echte Neuerungen schlägt der Beirat auch bei der Interpretation der Kennzeichnungsgrenzwerte vor. Die bisher für Ausnahmen eingeführte Schwelle von 0,9% GVOs in Produkten gilt nach EU Recht nur sofern die Verunreinigung nachweislich zufällig und technisch unvermeidbar ist. Stattdessen fordern die Wissenschaftler jetzt, diesen Grenzwert generell gelten zu lassen und zwar auch dann, wenn die Hersteller absichtlich die gentechnisch verunreinigte Ware mit gentechnikfreier Ware verschneiden bis der Schwellenwert unterschritten ist. Wenn diese faktische Erhöhung der Toleranz erst einmal vollzogen ist, so die Wissenschaftler weiter, könnte eine Kontrolle der Vorstufen entfallen: Verunreinigungen unterhalb von 0,9% müssten erst gar nicht mehr vermieden werden.

Schliesslich geht der wissenschaftliche Beirat zum Generalangriff auf die gentechnikfreie Produktion über: Auch im Saatgut müssten entgegen der bisherigen Regelung der EU bis zu 0,3% GVOs akzeptiert und nicht mehr gekennzeichnet werden. Obwohl mit bekannten Ausnahmen die Saatgut-Industrie bisher ihre Lieferungen durchaus frei von GVOs hält und Verunreinigungen in Höhe von 0,3% praktisch überhaupt nicht vorkommen (meist bewegen sie sich unterhalb von 0,1%, die der Beirat ohne rechtliche Grundlage zum „Vollzugsschwellenwert“ erklärt), müsse dies in Zukunft geändert werden, weil die Saatgutherstellung umso teurer werde je niedriger der Grenzwert ist. In seiner Begründung listet der Beirat allerdings alle Gründe dafür auf, weshalb die Reinhaltung des Saatgutes entscheidend dafür ist, auch künftig wirtschaftlich ohne Gentechnik produzieren zu können und schreibt expressis verbis:

„Höhere Grenzwerte im Saatgut könnten dazu führen, dass sich der GV-Anteil des NGV-Saatguts im Laufe der Zeit diesem Schwellenwert mehr und mehr nähert. Damit würde es immer schwieriger, im praktischen Anbau den Schwellenwert von 0,9 % oder gar die niedrigeren Anforderungen der Lebensmittelwirtschaft einzuhalten. Das wiederum führt dazu, dass die Regeln der GfP für die GV-Anbauer verschärft werden müssten (z. B. größere Abstände, vgl. unten). Das macht die Koexistenz teurer und verstärkt die Schwierigkeit ihrer Umsetzung in klein strukturierten landwirtschaftlichen Regionen. Insofern ist es im Hinblick auf das Koexistenzziel sinnvoll, für Saatgut einen Schwellenwert festzusetzen, der möglichst niedrig ist.“

Sein Vorschlag zur Güte: Freiwillig soll Saatgut auch künftig als mit weniger als 0,1% verunreinigt gekennzeichnet werden können. De facto wird also vorgeschlagen, normales Saatgut so hoch zu verunreinigen, dass damit Koexistenz nicht mehr machbar ist. Tatsächlich gentechnikfreies Saatgut dagegen soll nur noch als Nischenprodukt mit entsprechendem Preisaufschlag als Sonderware erhältlich sein.

Sowohl der Deutsche Bundestag als auch der Deutsche Bauernverband, die Grünen, Linken, CSU und selbst viele CDUler, von allen Umwelt- und Bioverbänden ganz zu schweigen, waren an diesem Punkt vor Jahren bereits weiter: Der niedrigst mögliche Schwellenwert, keinesfalls über 0,1%, sei anzustreben. Für die im Herbst erwartete erneute Vorlage einer Regelung der Saatgut-Grenzwerte durch die EU-Kommission ist dieser Vorschlag ein denkbar trauriger deutscher Aufschlag. Vorgetragen vom Vorsitzenden des agrarpolitischen Beirates, Prof. Dr. Folkhard Isermeyer (Präsident des Johann Heinrich von Thünen-Instituts des BMELV und Mitglied des “Bioökonomierates” der Industrie und des Forschungsministeriums) ist dieser Frontal-Angriff auf einen der wenigen bisher hinlänglich beständigen Konsens-Punkte über die Grenzen der gentechnischen Verunreinigung durchaus ernst zu nehmen.

Eine weitere Empfehlung des Beirates „zum Schutz der GV-freien Saatzuchtunternehmen um die Zuchtgärten und -stationen der Züchter GV-freie Anbaugebiete kulturartenspezifisch auszuweisen, um damit deren Bemühungen um die Erzeugung GV-freien Saatgutes zu unterstützen“ ist dann nur konsequent und bedeutet im Klartext: Gentechnikfreie Saatgutvermehrung wird künftig nur noch in eigens ausgewiesenen Schutzgebieten möglich sein. Anders ausgedrückt, aber so natürlich nicht erwähnt: Das Recht von Landwirten, ihr eigenes Saatgut nachzubauen, das der Saatgut-Industrie seit Jahren ein Dorn im Auge ist, wäre bei der Gelegenheit, um der Gentechnikfreiheit willen, praktisch ausser Kraft gesetzt. Tja, so ist das eben mit der Koexistenz: Man kann nicht alles haben.

Die Empfehlungen, denen man durchaus das Ringen um Kompromisse zwischen den teilweise dem ökologischen Landbau verpflichteten, teilweise als Gentechnik-Missionare tätigen Wissenschaftlern an vielen Stellen deutlich anmerkt, spiegeln durchaus den Stand der Wissenschaft wider; nicht unbedingt ihres Wissens, wohl aber der Kräftverhältnisse innerhalb der Zunft. Auch wenn bis heute gentechnisch veränderte Pflanzen in Deutschland überhaupt nicht angebaut werden, ist in diesen Kreisen der Durchmarsch flächendeckender gentechnischer Verunreinigung mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil künftiger landwirtschaftlicher Praxis.

Die einfache Wahrheit, dass es für alle Beteiligten mit Ausnahme einer Handvoll Gentechnik-Konzerne erheblich billiger, kundengerechter und effizienter wäre, auf den Anbau von GVOs in Deutschland auch weiterhin zu verzichten, darf hier scheinbar nicht einmal mehr gedacht, geschweige denn ausgesprochen werden.

Ein einziges Mitglied des Beirates, Professor Manfred Heß, war zu solch einer vorweggenommenen feindlichen Übernahme im Kopf wohl nicht bereit und zog sich wenige Tage vor der Veröffentlichung deshalb aus dem Beirat zurück. Das sorgte nach einer Meldung von „proplanta“ für „Irritationen“ – unter oder über 0,9% ?

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/agrarwissenschaftler_fordern_mehr_gentechnik_im_saatgut_als_koexistenzmassnahme/

aktuell auf taz.de

kommentare