vonAlexander Jeuk 09.05.2023

Alexanderplatz

Alexander Jeuk schreibt zu Politik, Ökonomie, Philosophie und Wissenschaft. Immer für die 99%.

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Wenn es um Gerechtigkeit geht, scheint der Unterschied zwischen Konservativ-Liberalen und Linken manchmal jener zu sein: Konservativ-Liberale behaupten, unser System ist fair, weil jene, die fleißiger sind als andere, bessere Jobs erhalten und mehr verdienen. Dagegen erwidern Linke gerne, dass dies so nicht stimmt, da Vermögende und BesserverdienerInnen bessere Chancen haben, die Vorteile unserer Gesellschaft zu genießen. Ungleiche Ausgangskonditionen (unequal opportunties), beeinflussen Faktoren wie Fleiß in der Form von Motivation selbst, sowie den Zugang zu Bildung oder sozialen Netzwerken, die es erleichtern können, gute Jobs zu bekommen oder das eigene Einkommen zu verbessern.

So mögen Konservativ-Liberale, wie Christian Lindner oder Friedrich Merz, behaupten, dass es fair ist, dass jene, die ÄrztInnen, RechtsanwältInnen oder Bankiers werden—oder anders ausgedrückt, BesserverdienerInnen—dies auch werden, da sie sich mehr angestrengt haben als andere, in diese Berufe zu kommen.

Linke halten dagegen, dass Arme und MigrantInnen unter schlechteren Wettbewerbsbedingungen leiden, die es für sie schwerer machen, solche Berufe zu ergreifen. Gleichsam glauben Konservativ-Liberale eher, dass Elon Musk erfolgreich ist, weil er fleißig und talentiert sei, wohingegen Linke auf seinen familiären Reichtum und staatliche Subventionen zeigen können.

Die Bedenken von linker Seite sind faktisch korrekt: Es ist durchaus gut zu zeigen, dass die konservativen und neoliberalen Argumente nicht greifen. Großkonzerne, Reiche und Wohlhabende genießen fast überall Vorteile gegenüber anderen und somit ist die bürgerliche Gesellschaft nicht in dem Sinne fair, den sie für sich beansprucht. Aber bei dieser Art der Beweisführung kann es nicht bleiben. Denn, belässt man es hierbei, akzeptiert man die konservativ-liberale Gesellschaftsordnung als solche.

Jenseits der Gesellschaft als Spiel

Gemäß dieser Ordnung ist es gut und richtig, dass die Gesellschaft einem Spiel gleicht, wo alle gegen alle spielen. Ein Spiel, wo es um Fairplay, Wettbewerb und das sprichwörtliche „playing by the rules“ („nach den Regeln spielen“) geht; also um Werte, die auch ein Fußballspiel oder jede andere Art des regelgeleiteten Spiels auszeichnen könnten. Aber warum sollten wir akzeptieren, dass das Leben einem Spiel gleicht, wo es doch so viel wichtiger ist als ein solches? Und dann auch noch ein Spiel, dessen Regeln wir nicht konstant demokratisch bestimmen, sondern das von KapitalistInnen in deren Interesse konzipiert ist.

Es kann für Linke also nicht nur darum gehen, für jeden die gleichen Spielregeln herzustellen—„leveling the playingfield“, wie man im Englischen sagt; passenderweise eine weitere Spielmetapher—sondern zu hinterfragen, ob wir diese bürgerliche Spielgesellschaft wollen, selbst wenn sie fair wäre.

Das heißt, wollen wir uns darauf einlassen, dass Superreiche, Großkonzerne und KapitalistInnen für uns ein dystopisches Spiel erstellen, in dem sie die ultimativen GewinnerInnen sind und wir die SpielerInnen um ihre Gunst: Wo wenige „gewinnen“ und die meisten verlieren. Ein Spiel, bei dem wir das große Ziel aus den Augen verlieren, solidarisch eine bessere Gesellschaft zu schaffen, und stattdessen eben jene Solidarität untergraben, indem wir in einem Spiel, oder eher einem aufgezwungenen Verteilungskampf, jeder gegen jeden feststecken.

Alternative Gesellschaftsformen

Anstelle sich auf die konservativ-liberale Denkweise über unsere Gesellschaft einzulassen, sollten SozialdemokratInnen und SozialistInnen die Gesellschaftsordnung als solche hinterfragen. Gibt es in einer besseren Gesellschaft künstliche Knappheit um Berufe, die primär die Funktion haben, die Kapitalistenklasse reich zu halten und reicher zu machen?

Oder geht es in einer besseren Gesellschaft nicht darum, wie es Marx vorschwebte, alle Menschen in den Genuss von Selbstrealisierung, Freiheit, und Wohlstand kommen zu lassen, durch die Hilfe von Automatisierung, Maschinenproduktivität und effizienter Planung der Produktion?

Das heißt, anstelle uns mit Konservativ-Liberalen darüber zu streiten, ob die kapitalistische Gesellschaft fair ist, sollten wir das Narrativ hinter der bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen und für Alternativen argumentieren; alternative Gesellschaftsformen, deren Ordnung und Ziele wir demokratisch bestimmen.

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