Hast du dich jemals gefragt, warum wir Torschützinnen so viel Anerkennung zollen? Fans, Sportjournalistinnen und Fachleute schätzen Stürmerinnen am meisten. Ob Ballon d’Or, FIFA Player Award, „Spielerin des Jahres“-Listen in Zeitungen, „Transfermarkt“-Statistiken oder Instagram-Follower – wir sind besessen von Offensivspielerinnen.
Der Fokus auf das Toreschießen
Offensivspielerinnen, insbesondere Torschützinnen, sind in der Regel die „Spielerinnen des Spiels“; sie sind diejenigen, die für ihre Teams am wichtigsten scheinen. Lionel Messi und Cristiano Ronaldo sind die offensichtlichsten Beispiele, aber eine ähnliche Bedeutung wird auch Kylian Mbappé, Erling Haaland, Harry Kane oder Vinícius Júnior zugeschrieben.
Das kam mir schon immer seltsam vor. Fußball ist ein Mannschaftssport, bei dem alle elf Spielerinnen zentrale Funktionen erfüllen und bei dem die Trainerinnen sowie ein riesiges Betreuungsteam ihren Beitrag leisten. Warum fixieren wir uns also so sehr auf die Spielerinnen, die ein Tor erzielen?
Jenseits des Tores: Die unsichtbaren Spielmacherinnen
Vom kausalen Denken her, ist die Bedeutung, die wir Torschützinnen zuschreiben, vergleichbar mit der Behauptung, dass Kaffee durch Drücken des Brühknopfes einer Kaffeemaschine entsteht, dass Lebensmittel in Supermarktregalen wachsen oder dass ein Auto dadurch läuft, dass man das Gaspedal durchdrückt.
Das heißt, wir konzentrieren uns auf den letzten Teil oder die letzte Wirkung eines komplexen Mechanismus, übersehen aber alle vorherigen Ursachen und die Gesamtkonstruktion, die zu der letzten Wirkung, also dem Tor, geführt hat.
Dinge, die für den Fußball von zentraler Bedeutung sind, wie der Spielaufbau, das Stellungsspiel, das Pressing, die Antizipation von Pässen und Laufwegen sowie die Gesamtkoordination des Spielablaufs, sind schwer wahrzunehmen und zu verstehen, vor allem wenn man sich ständig auf die Bewegung des Balls konzentriert, wozu man gezwungen ist, wenn man ein Spiel im Fernsehen verfolgt.
Die Kognitionswissenschaft des Fußballschauens
Daher konzentrieren wir uns stattdessen auf die letzte Spielerin und die letzte Aktion vor einem Tor, vielleicht mit Ausnahme jener Person, die den „Assist“ (Torvorlage) gibt, der direkt zum Tor führt – ein Phänomen, das eine Variante der psychologischen Schwäche sein könnte, die Kognitionswissenschaftlerinnen als „Recency-Effekt“ bezeichnen oder einfach eine Schwäche im kausalen Denken.
Obwohl viele von uns gerne und häufig Fußball schauen, sind wir erstaunlich schlecht darin, das Spiel auf einer höheren Ebene zu verstehen. Was den Fußball betrifft, so scheint der Mangel an Wissen allgegenwärtig zu sein.
Die meisten Spielerinnen, „Expertinnen“ und Journalistinnen scheinen völlig ahnungslos zu sein. Sie schreiben übertrieben viel Bedeutung Torschützinnen und Offensivakteurinnen zu und reduzieren die restlichen Mannschaftsleistung gerne auf die Motivation oder „Mentalität“ im Generellen, was Philip Lahm vor Kurzem zu Recht kritisierte. Nur einige wenige hervorragende Trainerinnen und ihre Mitarbeiterinnen scheinen zu wissen, was vor sich geht.
Das schöne Spiel als Spiegelbild der Gesellschaft
Aber dieses Problem der kausalen Ahnungslosigkeit ist nicht auf den Fußball beschränkt. Unsere Unfähigkeit, Zusammenhänge zu verstehen, Kausalitätsbeziehungen richtig zu erfassen und wahrzunehmen, betrifft viele andere Lebensbereiche, etwa die Sphäre des Politischen oder die meisten wirtschaftlichen Dinge, wo unser Mangel an Kausalverständnis besonders weh tut.
Wie beim Fußball glauben wir auch in vielen anderen Bereichen des Lebens, was uns „Expertinnen“ erzählen, obwohl sich vor unseren Augen ein anderes oder komplexeres Bild entfaltet.
In diesem Sinne ist der Fußball ein Mikrokosmos, der uns hilft, andere Bereiche des Lebens zu verstehen. Gute Trainerinnen behalten ihr Wissen über das Spiel für sich. Das ist ihr gutes Recht – ihr Wissen ist ihre einzigartige Fähigkeit oder ihr Wettbewerbsvorteil in einem Spiel. Politik und Wirtschaft sind jedoch kein Spiel.
Die gute Nachricht ist, dass besseres Denken erlernt werden kann. Wir können lernen, komplexer zu denken und Kausalitäten besser zu erfassen. Wie man das lernen kann, ist leider ein Thema für einen anderen Artikel.
This text is a translation from English. The original can be read on my Substack unalienated.
© 2024 Alexander Jeuk für den Text. Das Beitragsbild wurde durch KI erstellt (s. Bildunterschrift).