Es ist schon dunkel, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
Tagebuch 22. November: Fünf turbulente Tage liegen hinter uns. Am Freitag fand die ›Schicht!‹-Lesung im Palais am Festungsgraben statt, danach saßen wir bis sechs Uhr mit Johannes Ullmaier, Bernd Klöckener und Klaus Sander in Mitte, vor uns die schrecklichsten chinesischen Nudeln der Welt. Am Samstag Abend hatten wir Johannes und Klaus zum Essen eingeladen. O-Ton des O-Ton-Verlegers Klaus Sander um sechs Uhr morgens nach einer intensiven Absinth-Nacht: »Ich bin hier oben«, er zeigte auf seine Stirn, »ganz klar. Wie spät ist es eigentlich? Ich schätze ein Uhr.«
Sonntags schliefen wir bis zwölf und bereiteten die nächste Lesung vor. Am Montag gab es dann ein gutes italienisches Essen begleitet von munteren Gesprächen bei Sisa und Peter Glaser in Spandau. Mit am Tisch saß Marina Kern, eine ehemalige Chip-Produzentin und Künstlerin, über die Peter Glaser in ›Schicht!‹ berichtet hat.
Am Dienstag stellten wir uns pünktlich zur Verbrecherversammlung im ›Monarch‹ ein. Wie gewöhnlich Chaos, der Beamer war geklaut worden, dann fehlte am Leihgerät der Adapter. Schließlich klappte alles doch noch. ›Die März Akte‹ wurde gezeigt, anschließend sprachen wir mit Jörg Sundermeier über unser ›Schröder erzählt‹-Projekt und den tazblog. Gestern wollten wir nach langer Zeit endlich mal nichts tun, schliefen aus bis zwölf, frühstückten ausgiebig und machten uns dann auf den Weg zu Boteros Großskulpturen im Lustgarten.
Wir haben ja eine besondere Beziehung zu Fernando Botero, die Details stehen in unserer Folge ›Ausländer, Behinderte, Andersdenkende‹. Wer Boteros wunderbare archaische Figuren vor der Nationalgalerie noch nicht gesehen hat, muß sich beeilen, sie stehen nur noch bis zum 25. November dort.
Dann zuckelten wir um 17:30 Uhr mit der S-Bahn zurück, diese Zeitangabe ist für die nächste Episode von gewisser Bedeutung. Wir bestellten nämlich um 18:30 Uhr bei Shi-Hoo am Bundesplatz eine Ente und scharfes Rindfleisch. Am Tisch hinter uns nahmen drei alte Damen Platz. Die Dominante trug ihr Haar kurz, bestellt Suppe, eine große Frühlingsrolle und Tee. Die beiden anderen nahmen ebenfalls eine Suppe und je ein Hauptgericht, dazu tranken sie Bier und Weißwein. Nachdem das geklärt war, klingelte das Mobiltelefon der Dominanten. Bis jetzt hatten wir dieses Freundinnentreffen nur beiläufig beachtet, aber als sie »Geiselnahme am Bahnhof Zoo« sagte, unterbrachen wir unser Gespräch und hörten zu. Die alte Dame berichtete ihren Freundinnen: »Emmy kann nicht kommen. Es gab eine Geiselnahme am Bahnhof Zoo. Alles ist abgesperrt!« Die Weißweintrinkerin sagt darauf: »Na denn! Sag mal, warum hast Du eigentlich eine große Frühlingsrolle bestellt? Die kleinen sind doch viel besser.« Die Dominante entgegnet: »Ich will aber eine große Frühlingsrolle als Hauptgericht.«
Wir zahlten, haben ja nur wenige Schritte bis zur Wohnung, und wollten eigentlich gleich im Netz mehr über die Geiselnahme am Zoo erfahren, denn wir waren dort ja umgestiegen und hatten keine Absperrungen bemerkt.
Doch dann steckte die ›Titanic‹ im Briefkasten, und wir wußten von Oliver Maria Schmitt, daß er in der ›Humorkritik‹ die ›März Akte‹ loben wollte. Und wie, große Freude! Deshalb mußte die Geiselnahme warten, diese hatte auch nicht am Zoo, sondern am Hauptbahnhof stattgefunden. Für die Wilmersdorfer Witwen bleibt der Bahnhof Zoo einfach der Hauptbahnhof. Jedenfalls hatten wir den wirklichen Ort des Geschehens exakt zu dem Zeitpunkt passiert, als sogenannte »Kräfte des Sondereinsatzkommandos der Polizei« die Geiselnahme am Hauptbahnhof beendeten. Zwanzig Polizisten hatten sich auf den Geiselnehmer gestürzt, so stand es im Netz, und ihn überwältigt. Keine Toten und Verletzten – oh happy day!
(BK / JS)