vonMalaika Rivuzumwami 23.03.2019

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

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Im letzten Jahr hatte ich mir fest vorgenommen, irgendwann ein Buch über all die Gespräche auf Zugfahrten zu Buchmessen zu schreiben. Diese großartigen Begegnungen dürfen ja nicht einfach in Vergessenheit geraten.
Auf dem Weg nach Frankfurt vor zwei Jahren fragte mich eine Dame, ob ich denn auch zur Buchmesse führe. Ich antwortete wahrheitsgemäß mit „ja“ und sie kommentierte: „Sie sehen gar nicht so aus, als würden Sie lesen.“ Morgens, halb zehn in Deutschland.

Letztes Jahr wurden mir die genauen Liebesverhältnisse aller Kardashians erklärt, das Konzept einer seit über 40 Jahre funktionierenden Ehe und auch die letzten Detail-Geheimnisse von Harry Potter habe ich erfahren – und ich dachte, mir kann keiner mehr was erzählen!

Gestern freute ich mich also schon auf meine Zugfahrt. Nachdem ich meine einzige Aufgabe am Morgen, nämlich die Sitzplatzreservierung für meine Kollegin D. auf dem Platz neben mir einzubuchen, schon erfolgreich versemmelt hatte, war ich bereit, mich mit meiner Sitznachbarin zu unterhalten. Sie allerdings nicht mit mir. Ein paar Telefongespräche mit ihren Kindern später waren wir in Leipzig – ganz skandalfrei. Ich war etwas enttäuscht.

Liebe zu LTE-Verbindungen und Hotspots

Nach meinem ersten Tag auf der Messe war ich davon überzeugt, dass es in diesem Jahr für mich nicht viel zu Erleben geben würde. Ich könnte einen ausführlichen Artikel über fehlendes Internet schreiben, über meine neu aufgeflammte Liebe zu LTE-Verbindungen und Hotspots und darüber, dass ich in einem Kommunikationsunternehmen mit fehlender Kommunikation arbeite, aber all das interessiert ja nun wirklich keinen.

Gestern aber habe ich dann aber Sepp getroffen. Sepp und ich sind 32 Minuten gemeinsam Tram gefahren – es eine lebensveränderte Fahrt zu nennen, wäre übertrieben. Trotzdem möchte ich jetzt gerne sofort reich werden und mir eine Hütte am Chiemsee kaufen um in Sepps Bücherclub einzutreten.

Sepp ist Mitte 50, kommt vom Chiemsee und lebt dort auf dem Bauernhof seiner Urururur-Großeltern – oder so ähnlich. Jedenfalls kümmert er sich jetzt um Haus und Hof, inklusive der 60 Milchkühe und eben seinen Buchclub. Mitglied werden kann man jederzeit, wenn der Rest der Truppe damit einverstanden ist. Außerdem muss man genügend Platz haben, um gelegentlich alle Club-Mitglieder für einen Abend bei sich aufzunehmen. Und Ahnung von bayerischem Bier zu haben, ist auch von erheblichem Vorteil. Ich hab keine Ahnung von Bier.

Noch ein Punkt für die Tod-do-Liste

Die Truppe trifft sich alle zwei Wochen – in dieser Zeit muss dann ein ausgewähltes Buch gelesen werden. Ich habe im vergangenen Jahr vielleicht 6 Bücher gelesen – 3 davon in einem Urlaub. In meinem Kopf setzte ich „▪️ mehr lesen“ auf meine To-do-Liste. Gelesen wird einfach alles – nächste Woche wird „Eure Heimat ist unser Alptraum“ besprochen.

Ich bin fasziniert. Das Durchschnittsalter der Truppe liegt bei ca. 45 Jahren, die meisten leiten ihren eigenen Landwirtschaftsbetrieb und währenddessen setzen sie sich mit aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinander – mitten in der Provinz. Der Ort, in dem Sepp lebt ist nämlich nicht mal eine Gemeinde, sondern kleiner – sowas nennt sich dann Markt. Wieder was gelernt.

Ich erweitere meine To-do-Liste nun um einen weiteren Punkt: „▪️ dringend Vorurteile abbauen“.

Von MALAIKA RIVUZUMWAMI, taz-Redakteurin

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