Es ist ein komplett neues Kunstgenre entstanden, seit es Instagram gibt: Fotos von Büchern in ihrer vermeintlich natürlichen Umgebung, im angeblichen Alltag derer, die sie möglicherweise lesen, auf Holztischen neben Schnittblumen, mit einer Müslischale daneben oder einem Kuchenstück, immer aber mit einem möglichst identitätsstiftenden Heißgetränk. Kräutertee ganz schlecht, Milchschaum immer gut, Matcha auch super, oder ein Espresso für die dynamische Highperformerin.
Das mit den Buchfotos ist natürlich nur ein Teil der Inszenierung. Sehr viele Fotos auf Insta, zu allen möglichen Themen, sehen etwas zu perfekt aus. Erstmal normal: dass Leute ihre Körper, ihre Klamotten, ihr Makeup in Szene setzen, ist nicht so neu. Oder ihre Wohnungen, ihre Kinder, ihre Tiere. Das gab es auch schon, als man Fotos noch entwickeln lassen musste. Dass Leute Bücher und Kaffeetassen zu einer Art Stillleben arrangieren, ist ein neueres Phänomen. Unter #bookstagram, #booklover, #bookaholic, #booklife und so weiter findet man diese Bilder, und ich muss sagen, es ist lustig, wie gleich sie oft aussehen. Im Sommer sieht man viele nackte Oberschenkel mit Buch drauf, im Herbst eine Schale Trauben, im Winter eine Schüssel mit Keksen, im Frühling schön Blumen ausm Supermarkt, daneben das Buch, das vielleicht gerade wirklich gelesen wird, vielleicht auch nicht.
Als mein erstes Buch „Untenrum frei“ rauskam, war ich noch nicht auf Instagram, schaute aber irgendwann mal, was so unterm Hashtag #untenrumfrei läuft. Selten so viele nackte Beine auf einmal gesehen. Als das Buch ganz neu war, waren die Texte zu den Fotos fast immer gleich, ein kurzer Pressetext vom Verlag, gepostet von Influencerinnen, die das Buch wohl vom Verlag bekommen hatten. Das lustigste Posting war das einer Frau, die offenbar nicht nur Bookfluencerin war, sondern auch einen Deal mit einer Schmuckfirma hatte, auf jeden Fall lagen über dem offen aufgeschlagenen Buch diverse Armbänder über dem Text, es war alles sehr irre. Je länger das Buch auf dem Markt war, desto höher wurde die Quote derer, die das Buch dann doch gelesen hatten, die Empfehlungstexte wurden persönlicher, die Fotos weniger durchgestylt, die Bücher hatten Eselsohren und Flecken, schön.
Ich weiß nicht, wie sehr die Verlage sich darauf einstellen, dass es dieses Genre des Buchfotos auf Insta gibt, ob sie sich besonders Mühe geben mit den Covern und den Titeln, oder ob das am Ende gar nicht so sehr ins Gewicht fällt. Hab auf der Messe versucht, ein bisschen rumzufragen, konnte aber nicht so richtig viel rausfinden, es spielen offenbar zu viele Dinge eine Rolle bei der Überlegung, in welcher Form ein Buch erscheint: ob es als Hardcover oder Taschenbuch kommt, oder erst das eine und dann das andere, ob es ein Lesebändchen hat oder ob es in Folie eingeschweißt ist. Eine sehr gute Entwicklung finde ich persönlich Hardcover ohne Schutzumschlag, diese harte, dicke Pappe, die viele Bücher (und auch meine beiden) neuerdings haben, denn man hat nicht dieses flapprige, einreißende Ding drumrum und kann mit dem Umschlag sogar ein Bier aufmachen, wenn man will. (Ich glaube, das heißt „Steifbroschur“, bin nicht ganz sicher, irgendwas in die Richtung.)
Im Laufe meiner Nachfragen hab ich außerdem gelernt, dass es die Bezeichnung „hellblaue Bücher“ gibt, für Bücher, die vor der Sommerurlaubszeit erscheinen und oft sowas wie blauen Himmel mit paar Wölkchen auf dem Cover haben und tendenziell das sind, was als „leichte“ Lektüre bezeichnet wird, die Hochzeit der hellblauen Bücher ist aber wohl schon wieder over.
Eine große Gratulation muss ich an den Suhrkamp-Verlag aussprechen, der definitiv eines der instagramtauglichsten Bücher des Jahres auf den Markt gebracht hat. Kristen R. Ghodsee: „Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Und andere Argumente für ökonomische Unabhängigkeit“ – So lautet der volle Titel, aber auf dem Cover steht nur die erste Hälfte, dazu das Bild einer Speerwerferin, siehe Foto. Wie gut kann ein Cover sein? Das Buch ist noch nicht erschienen, es kommt erst am 26. Oktober raus und bis dahin gibt es eine Sperrfrist, das heißt, man darf jetzt noch nichts darüber schreiben, deswegen kann ich jetzt nichts zum Inhalt schreiben (es halten sich nicht immer alle dran). Nur so viel: Das Buch ist vollgepackt mit historischen Informationen zur Frage der Unabhängigkeit der Frau, zu Geschlechterrollen im Kapitalismus und im Sozialismus in Theorie und Praxis, und ich weiß natürlich nicht, wie es sich verkaufen wird, aber ich schätze mit diesem Titel und Cover besser als mit einem einfarbigen Cover und einem Titel wie „Zur Abhängigkeit der Befriedigung in Intimbeziehungen von der sozialen und ökonomischen Stellung der Frau“ oder so. Ein echtes Statement Piece, wie man unter uns Fashionbloggerinnen glaube ich sagt.