vonDetlef Kuhlbrodt 14.10.2011

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Komisch, nach so vielen Jahren wieder zur Buchmesse zu fahren. Eigentlich hatte ich erst wieder mit einem neuen Buch hinfahren wollen. Das hatte aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt. Egal. Am Morgen hatte Eric geschrieben, ob ich nicht Lust hätte, für die Literatur-Zeitschrift „Drecksack“ zu schreiben.  Im Zug sass Laura Ewert. Lange hatte sie das Magazin „Hate“ mitgemacht. Nun war sie für die Zeitschrift „Interview“ unterwegs. Ein großes Ding. Angelehnt an das Andy-Warholsche Magazin sollte die Zeitschrift in Deutschland und Russland Anfang nächsten Jahres zum ersten Mal erscheinen. Die Visitenkarten sahen ziemlich gut aus. Ich hatte keine dabei. Immer vergess ich alles. Sie fuhr zum ersten Mal zur Buchmesse. Ich erzählte ihr alles.

Mal gucken, wie sich‘s in der Gegenwart schreiben läßt. Es regnet in Frankfurt. Der Starbuckskaffee ist nicht so der Hit. Der Weg zum taz-stand ist der gleiche, wie vor 15 Jahren. So kommt es mir jedenfalls vor. Wahrscheinlich ist es nur ungefähr der gleiche Weg in die Halle 3.1 B; irgendwo am Ende der 100er. Als ich da bin, bin ich durchgeschwitzt.

Unser Stand

Es ist super, irgendwo hinzufahren und die Kollegen sind schon da. Der Schriftsteller Jochen Schimmang kommt mit seinem Verleger Lutz Schulenburg vorbei. (Neben mir sitzen Leute und reden sehr laut, Hilfe, Hilfe!) Ich hatte seinen Zukunftsroman „Neue Mitte“ vor ein paar Tagen gelesen. Das Buch spielt 2029 in Berlin, kurz nachdem die 13jährige Herrschaft einer Militärjunta und ihrer Partei „Nationale Moderne“ zu Ende gegangen ist. Die Helden – ehemalige Widerstandskämpfer, Anarchisten, Nonkonformisten – leben im nun verlassenen ehemaligen Regierungszentrum der Stadt. Eine Bibliothek soll aufgebaut werden. usw. Das Buch hatte mir jedenfalls gut gefallen, es war ein angenehmes Lesen; der Ton ist ganz entspannt und es war auch komisch, dass ich selber in dem Roman mit drin bin, eine Figur meiner selbst mit dem Namen Kuhlbrodt, die Schimmang angeregt von meinem Suhrkamp-Buch „Morgends leicht/später laut“  entwickelt hatte und die irgendwann gegen Ende dann auftaucht. Mein anderes Ich in dem Roman ist nun schon siebzig und spielt Tischfussball in einer kreuzberger Kneipe, redet nicht so viel, aber ist sonst eigentlich ganz nett. Der echte Jochen Schimmang kommt mir viel filigraner vor als auf dem Autorenfoto in seinem Buch. Ich freue mich, ihn zu sehen. Und es ist schade, dass keine Zeit bliebt, denn gleich geht ja suhrkamp los.

Lutz Schulenburg und Jochen Schimmang

D.h. wir fahren mit einem Taxi zum Kritikerempfang bei suhrkamp in die Klettenbergstraße, in die schöne Suhrkamp-Villa. Dirk, Andreas, Laura und ich. Die Andeutung eines komischen Gefühls erst, weil ich so lang nicht mehr bei Suhrkamp war; weil das Buch doch eigentlich schon vor zwei Jahren hätte erscheinen sollen, auch weil ich sonst so im Leben doch eher nicht so oft mit vielen Leuten unterwegs bin. Und auch wohl – das fällt mir jetzt erst ein – weil ich irgendwann, 87, 94 oder so, ohne Einladung zu dem Empfang gefahren war und draussen bleiben musste.

Das komische Gefühl legt legt sich schnell. Ich kenn ja doch einige. Viele Leute aus der taz und Extazler sind dabei. Ausser uns ja noch Ulf Erdmann Ziegler, Ina Hartwig,Gerrit Bartels, Harry Nutt, Stefan Kuzmany, Cornelius Tittel und die anderen. Cornelius trägt wie früher einen Parka. Aus Nostalgie vielleicht auch. An Kifferzeiten von früher. Aber über dem Anzug. Ich finde es doof, wenn Leute ihm vorwerfen, zu Springer gegangen zu sein; ich hatte früher ziemlich gern mit Cornelius zusammengearbeitet.  Später erzählt er E, wie er sich mit Akupunktur das Kiffen abgewöhnt hatte; eine harte Methode, die dazu führt, dass einem ganz furchtbar elend, statt angenehm wird, wenn man doch kifft. Nun trinkt er abends dann Wein und braucht dann auch nicht mehr auf den Balkon zu gehen.

Ich bin zum ersten Mal im Unseld-Haus. Und irgendwie dann doch auch stolz darauf, hier zu sein. Es ist schön. 150qm vielleicht, über hundert Gäste – ich bin im Schätzen schlecht; es ist eng auf eine okaye Art, angenehm eingerichtet und anregend und auch ein bißchen museal, aber auch nicht so, dass man ständig Angst hätte, etwas umzuschmeissen. Auch die wertvollen Kunstwerke – echte Warhol-Bilder mit Hermann Hesse drauf usw. – haben nichts …. Gebieterisches.

Am Anfang liest Ulla Unseld-Berkéwicz die Namen der anwesenden Schriftsteller vor. Es sind ziemlich viele. Die Verlagschefin sieht sehr schön aus. Im letzten Jahr, sagt jemand, wäre mein Name auch in der Liste der ausgesprochenen Dichter gewesen. Obgleich ich doch gar nicht da gewesen war und mich auch niemand gefragt hatte, ob ich nach Frankfurt mitkommen wolle. Weil ich doch genau zu der Zeit mit meinem alten Raverfreund, dem Förster, in Brandenburger Wäldern eine Woche lang Bäume taxiert und nichtgeraucht hatte. Wegen dem Buch, das vom Nichtrauchen handeln sollte. Die zwanzig Seiten, die ich danach darüber geschrieben hatte, ware aber auch nicht wirklich gut und ich hatte sie dann nicht weiter verbreitet.

Letztes Jahr, gleiche Zeit beim Nichtrauchen

Der chinesische Exil-Dichter Bei Ling, hält eine Rede. Im nächsten Jahr wird ein Buchvon ihm bei Suhrkamp erscheinen. Er ist „kein Oppositioneller, sondern einer, der sich für die Unterdrückten, die Inhaftierten einsetzt“, sagt Ulla Unseld-Berkéwicz. Es geht um seinen Freund Ai Wei und Liu Xiaobo, den Friedensnobelpreisträger des Jahres 2010. Sieben Tage nach dem Tod von Liu Xiaobos Vater hätten ihm die Behörden 24 Stunden Freigang gewährt, um von dem Toten Abschied zu nehmen. Seine Frau durfte Liu dabei nicht sehen. Er erzählt, wie es war, als er zum ersten Mal Anfang der 80er Hermann Hesses „Unterm Rad“ gelesen hatte; wieviel ihm dies Buch bedeutet hatte. Ein zentraler Satz über‘s Exil lautete: “Mein Körper soll nicht früher als meine Bücher in China landen”. Ab und an verlier ich den Faden.

Ein Bücherregal fängt genauso an wie meins mit vielen Büchern von Herbert Achternbusch. Meine Lektorin, sagt, bei ihr wär‘s genauso. Wir reden über das Buch; überlegen, das Konzept zu ändern. Man müsste freier da ran gehen. Das Gespräch ist gut; es wird vielleicht doch noch was werden; ich bin erleichtert.

Giganten des Feuilletons stehen nebeneinander. Alexander Kluge ist glaube ich auch da. Ich halte einen berühmten Kritiker für Frank Schätzing. Und bin mir plötzlich nicht ganz sicher, ob der Mann da hinten nicht Herbert Achternbusch ist. Ich habe allerdings seit neuestem auch gewisse Augenprobleme. Zwischen 1985 und 1996 ungefähr war Achternbusch mein ganz großer Held. Einmal war ich nach München gefahren und hatte ihn interviewt und das Interview war super gewesen. Aber das konnte er nicht sein. (Und wenn er es tatsächlich gewesen wäre, dann würde ich demnächst tatsächlich sehr drastische Lebensveränderungsexerzitien unternehmen)

“Frank Schätzing” (Hubert Winkels), Gerrit Bartels  im Hintergrund: Hermann Hesse

Man wird einander vorgestellt. Iljona Mangold erzählt was über Facebook. Draussen, vor einem wunderschönen alten Baum, rauchen wir Zigaretten. D.h. die Dichterin Ann Cotten, Laura und ich und die anderen. Es regnet nur ganz wenig. Wir hatten uns vor fast zwei Jahren nach der berliner Suhrkamp-Eröffnung kennengelernt; irgendwie in der Nacht waren wir mit einigen anderen in der Wohnung des Schriftstellers Joachim Helfer gelandet und hatten uns über Leonard Cohen unterhalten. Das heisst Joachim und ich hatten übr Bob Dylan und Leonard Cohen gesprochen und ich hatte gesagt, ich fände es doof, wenn Dylan den Literaturnobelpreis bekommt (Dirk will das auch!) und Ann hatte gesagt, „was gehen mich diese alten Männer an“. Sie hat eine sehr angenehme Ausstrahlung, die mich sofort angesprochen hatte. Und obgleich wir einander danach nicht mehr gesehen hatten, fühl ich mich doch vertraut und ganz heimisch neben ihr.

Viele Gespräche da und da, die sich ergeben so und so. Und schönes Essen, das vorbeikommt und trinken sowieso. Zuvor hätte ich gedacht, mir würde bestimmt schlecht oder die Gedanken kämen komplett durcheinander, wenn ich soviel trinken würde. Weil eigentlich bin ich doch Kiffer. Obwohl das so nun auch wieder nicht stimmt und eine Selbstfiktion ist, die man sich ab und an gerne vorliest. Aber so war es gar nicht.

Und am Ende, es ist wohl gegen neun, halb zehn, stehen Gerrit Bartels, Dirk Knipphals, Harry Nutt und ich im Flur. Dirk fällt das Glas Wein aus der Hand. Es gibt rote Weinspritzerflecken an der weissen Wand. Man muss sich dabei ja auch vorstellen, dass die Villa eien Tick auch etwas museales hat. Oweh, oje! Eine Kellnerin wischt alles weg. Harry sagt: „der perfekte Mord….“

Dirk, Laura, Harry

(und dann fahren wir weiter)

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