vonchina-watch 01.07.2025

china watch

Was passiert hinter der Orwellschen Großen Mauer? Beobachtungen und Kommentare von Au Loong-Yu zu China und Hongkong.

Mehr über diesen Blog

Trump schikanierte die ganze Welt mit Zöllen. Sowohl Kanada als auch China reagierten entschieden, die meisten Länder jedoch nicht. Das brachte Peking international viel Anerkennung ein. Eine weltweite Umfrage von Morning Consult zeigte, dass im Januar letzten Jahres USA und China in verschiedenen Ländern auf der Beliebtheitsskala über 20 Punkte erreichten, und zwar negativ beliebt. Doch bis Ende Mai dieses Jahres, nach Trumps Tag der Befreiung, kehrte sich das Bild um: Die USA lagen bei -1,5, China bei +8,8. Viele sehen darin ein Zeichen für die weltweite Sympathie mit Chinas Widerstand gegen Trump. Doch das hat einen hohen Preis. Chinas Exporte sind seit Anfang 2025 bereits zurückgegangen, im Mai sanken sie im Jahresvergleich um 34,5 %.

Das Geheimnis hinter Chinas Widerstandsfähigkeit

Welche Seite kann im Zollkrieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt mehr verkraften? Einige sehen China als robuster. Das ist plausibel. Beijing hat sich seit dem ersten Handelskrieg mit den USA im Jahre 2018 darauf vorbereitet. Seitdem haben exportorientierte Produktions- und Handelsunternehmen sowohl ihre Auslandsinvestitionen als auch Partnerschaften im Ausland ausgebaut, um Zölle und andere Handelsbarrieren zu umgehen. Als Trumps Handelskrieg 2.0 begann, nutzten chinesische Firmen diese Auslandskontakte schnell, um Trumps Zölle zu umgehen. Zudem können Firmen wie BYD wegen der allgemeinen Überkapazität an E-Autos in China ruinöse Konkurrenz betreiben bzw. zu Dumpingpreisen exportieren. Die New York Times berichtete, dass die Ausfuhren in die USA im April um 21 % einbrachen, die Ausfuhren nach Asien aber rasant anstiegen, da Präsident Trump extrem hohe Zölle auf chinesische Waren erhob Die Produktion findet verstärkt in ASEAN-Ländern statt, da dort in Erwartung dieser Entwicklung Fabriken aufgebaut wurden.“ Das betrifft nicht nur Asien die EU fürchtet ebenfalls eine Importflut chinesischer Produkte seit Trumps aggressivem Zollkrieg gegen China.

Neben diesen taktischen Manövern beider Seiten sollte man ebenfalls die grundsätzlichen Unterschiede in ihrer jeweiligen Kapitalakkumulationsstrategie beachten. Beide Länder kombinieren Marktwirtschaft mit staatlicher Intervention, jedoch setzt die USA stärker auf freies Unternehmertum, während Chinas Staatskapitalismus dem Einparteienstaat eine überragende Steuerungsfunktion zuweist. Letzterer scheint wirtschaftliche Krisen besser managen zu können als eine freiheitliche Demokratie es kann. Als 2008 die Finanzkrise ausbrach, debattierte der US-Kongress heftig über Bushs Rettungspaket, während die Nation in großer Besorgnis zuschaute. Im Gegensatz dazu brachte Premier Wen Jiabao in China ohne große Diskussion unverzüglich ein 4-Billionen-RMB-Rettungspaket auf den Weg, um die rapide sinkenden Exporte auszugleichen. Trotz der Förderung des Privatsektors besitzt die Partei die vollständige Kontrolle über alle Regierungsstellen, alle staatlichen und privaten Unternehmen, auf allen Ebenen, und kann verschiedene Akteure zur Krisenbewältigung koordinieren. Das Motto lautet: Quanguo yipan qi, oder nationale Aktivitäten sicher koordinieren – wie ein Schachspieler seine Figuren bewegt. Das gilt allerdings nur äußerst bedingt für Provinzregierungen, die bei der Umsetzung der Politik der Zentralregierung gewisse Spielräume haben und diese oft zu ihren Gunsten ausnutzen, oft auf Kosten der Zentralregierung (ein Beispiel ist, wie im Jahre 2003 Provinzregierungen die Politik der Zentralregierung, die Immobilienwirtschaft als Säule wirtschaftlichen Wachstums aufzubauen, für sich nutzten – so sehr, dass die weltweit größte Immobilienblase entstand). Es dauert oft lange, bis die negativen Auswirkungen sichtbar werden. Aber die Synchronisierung von Zentral- und Lokalregierung bei der Umsetzung von Rettungspaketen sorgt dafür, dass Krisen in kurzer Zeit abgeschwächt oder bewältigt werden eine beeindruckend rasche Reaktionsfähigkeit bei Wirtschaftskrisen in einem so großen Land.

Diesmal ist es anders

Doch diesmal ist die Krise in China wesentlich komplizierter und ernster als 2008/09. Wir erleben eine ausgewachsene hausgemachte Wirtschaftskrise, verschärft durch Trumps Zollkrieg. Schlimmer noch: An der Spitze steht ein Alleinherrscher mit mangelndem Urteilsvermögen. Die scheinbare Effektivität des chinesischen Staatskapitalismus beruhte auf gutem Urteilsvermögen der Führunggut in dem Sinne, dass sie ihren Kapitalismus so gut beherrschte, dass der große Zusammenbruch des Immobilienmarktes keine weitergehenden Konsequenzen hatte (aber nicht gut genug für die arbeitende Bevölkerung). Xi Jinpings Null-Covid-Politik war sowohl ineffektiv als auch schlecht für die Wirtschaft und die Menschen. Ihre Ernte war bitter: Konjunkturabschwung, gefolgt von der White Paper-Bewegung 2022. Auch bei der platzenden Immobilienblase versagte Xi. Sein verspätetes Rettungspaket verschärfte die Krise so sehr, dass ihr zwar die Spitze genommen wurde, sie jedoch bis heute anhält. Ein Bericht im Economist erkennt einerseits eine leichte Abschwächung der großen Immobilienkrise, warnt aber auch: „die Gefahr ist nicht gebannt. Der Handelskrieg wirkt sich auf das Vertrauen der Menschen aus. Die Wohnungspreise in 70 Städten … sanken im April etwa um 2 % im Vergleich zum Vormonat. Die Lage verschlechtert sich nicht sehr, sie wird sich aber wohl auch ohne mehr Unterstützung durch die Regierung nicht verbessern.“

Xis Rettungsplan an sich ist problematisch – er besteht hauptsächlich aus Geldspritzen für Banken und Immobilienentwickler zum Schuldenabbau sowie Investitionen in Industrie und Infrastruktur. Die Autoren (und einige Ökonomen) fordern jedoch seit langem eine Umsteuerung weg von investitionsgetriebener hin zu nachfragegetriebener Wirtschaft insbesondere durch Lohnerhöhungen, um die Binnennachfrage zu stärken und langfristig den Arbeiteranteil am Nationaleinkommen wieder auf das Niveau der 1990er zu bringen. Das würde die Lebensbedingungen der Arbeiter und ihre Bildung verbessern (die Folge wäre gestiegene Produktivität), und es würde den Binnenmarkt stärken. (Das hätte auch den Effekt, dass die Spannungen zwischen China und anderen Staaten abnähmen, die Chinas Dumpingpreise auf Exporte fürchten – das Ergebnis des heimischen Teufelskreises von Über-Investitionen Überkapazitäten steigende Exporte. Doch Chinas Führung zeigt daran kein echtes Interesse.

Der Zollkrieg wird noch schlimmere Folgen haben: Einkommensverluste, Arbeitslosigkeit, Lohnrückstände. Ein Fabrikbesitzer aus Yiwu (einer mittelgroßen Stadt in der Provinz Zhejiang ca. 250km südwestlich von Shanghai) namens Gong sagte der Website Guanfengwen: „Ich kann nachts nicht schlafenhabe den ganzen letzten Monat Geld geliehen, alle Freunde gefragt… Löhne, Rohstoffe, überall fehlt Geld.

Ein anderer Unternehmer, Herr Zhang, dessen Firma Weihnachtsbäume verkauft und zu 80 % vom US-Markt abhängig ist, musste seine Fabrik schließen und schickte die Arbeiter in einen einmonatigen Urlaub über die Gemütslage der Arbeiter schweigen die Medien sich jedoch aus.

Schaut man auf die Einkommen, die wirtschaftliche Lage der Geschäfte in der Nachbarschaft oder den Onlinehandel, gibt es für die einfachen Leute wenig Grund für Optimismus. Die Nachrichten sind ebenfalls düster: Der Zollkrieg zwischen den USA und China gefährdet die Exportindustrie; 12,22 Millionen Hochschulabsolventen drängen im Juni auf den Arbeitsmarkt; der steigende Goldpreis spiegelt den Pessimismus über die internationale Lage wider.

Wenn internationale Beobachter Chinas Resilienz loben, stellt sich immer wieder die Frage: Wer soll den Preis dafür bezahlen? Die Antwort: Vor allem Arbeiter und Bauern sind schwer getroffen. Schon 2018 hatte ein chinesischer Funktionär auf Trumps ersten Wirtschaftskrieg mit den Worten reagiert: Wir Chinesen überstehen diesen Wirtschaftskrieg, und wenn wir ein Jahr lang Gras essen.“ Doch gemeint waren damit nicht unbedingt die Parteifunktionäre – nur das einfache Volk. Man sollte auch bedenken, wenn Arbeiter überleben, weil sie Gras essen, haben sie kein Geld, um damit in absehbarer Zeit wieder im Inland produzierte Güter zu konsumieren.

Chinesen können ein Jahr lang Gras essen

Nach all dem Leid verursacht durch das Regime in den letzten 70 Jahren haben die Chinesen unglücklicherweise tatsächlich gelernt, im Elend zu überleben. Im Schatten des Zollkriegs passen sich Unternehmen rasch an. Auf der Internetseite Sohu ist das Interview mit einem Unternehmer namens Zhang nachzulesen, der Weihnachtsbäume produziert. Seine Geschichte ist tragisch: 2014 nach Russlands Annexion der Krim, die zu einer Finanzkrise führte, weil der Westen Sanktionen verhängte und weil der Ölpreis international stark sankgingen ihm über eine Million Yuan verloren, da sein russischer Käufer nicht zahlte. Ab 2015 verteufelte die KP das Feiern ausländischer Feste. In einigen Provinzen wurde das Aufstellen eines Weihnachtsbaums mit einer Geldstrafe in Höhe von 5.000 Yuan bestraft. Herr Zhang bekam fast keine Inlandsaufträge mehr. Jetzt werden wegen des Zollkriegs US-Aufträge im Wert von über 10 Millionen Yuan auf Eis gelegt – über die Hälfte der Produktion befindet sich bereits im Lager. Und doch sagt dieser Boss, der viele schwer Stürme durchgemacht hat, er wundere sich, dass er so ruhig sei.

Ein chinesischer YouTuber entdeckte in Yiwu Baumwollsocken für 1,5 Yuan pro Paar und fragte den Verkäufer: „Wie könnt ihr bei diesen niedrigen Preisen noch Gewinn machen?“ Die Antwort: Weniger als 0,01 Yuan pro Paar.“ Das bedeutet: Kein Gewinn. Dies ist ein Beispiel für die extrem niedrigen Löhne und Produktionskosten in arbeitsintensiven Industrien. Ein Artikel auf ‚Sina Finance‘ schreibt dazu folgendes: „Es gibt weltweit kein zweites Yiwu, wo arbeitsintensive Qualitätsprodukte hergestellt werden. Hier findet man viele Anbieter und fleißige Arbeiter, die schnell produzieren. Sogar die Logistikunternehmen in Yiwu sind die billigsten.

Amerikanische Kaufleute mögen in anderen Teilen der Welt Arbeitskräfte mit niedrigeren Löhnen finden, aber es gibt keinen Ersatz für Yiwu, wenn sie ein Industriezentrum suchen, in dem Rohstoffe, Arbeitskosten, Bauteile, Versorgungseinrichtungen, Catering, Logistik und andere Produktionsfaktoren billig und effizient bereitgestellt werden.

Die geplatzte Immobilienblase hat die vorher prosperierende Mittelschicht verarmen lassen die meisten von ihnen hatten ihr Vermögen in Immobilien investiert. Für viele besitzlose Arbeiter bedeutet der Konjunkturabschwung seit 2020 Arbeitslosigkeit, besonders im Bausektor und in damit verbundenen Gewerben. Der Zollkrieg wird das noch verschärfen. Nach Angaben des nationalen Statistikamtes lag die Wachstumsrate im ersten Quartal 2025 bei 5,4 %, während die Arbeitslosigkeit 5,3 % betrug. Da der Zollkrieg gerade erst begonnen hat, spiegeln diese Zahlen nicht wider, was im zweiten Quartal geschieht – es könnte sogar noch schlimmer sein als im ersten Quartal. Hinzu kommt, dass Chinas Statistiken nicht gerade für ihre Glaubwürdigkeit bekannt sind. Als die Jugendarbeitslosenquote 21,3 % erreichte und von Internetnutzern in Frage gestellt wurde (einige schätzten die Zahl auf 50 %), stellte die Behörde die Veröffentlichung der Statistiken einfach ganz ein. Und als sie wieder auftauchten, hatte die Behörde bereits die Erhebungsmethodik geändert. Ohne die Zwangsjacke des Einparteienstaats in Bezug auf Rechenschaftspflicht und Pressefreiheit wäre der Erfolg nicht möglich gewesen, mit dem er die Welt von seiner Propaganda und seiner „Einheitsfrontpolitik“ überzeugen konnte – beides war entscheidend, um Freunde und Investoren für Peking zu gewinnen.

Trotzdem haben Unternehmer in guten Zeiten große Gewinne gemacht – für die Arbeiter sieht es anders aus. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Blüht das Reich, leidet das einfache Volk; bricht es zusammen, leidet es ebenso.“ In Boomzeiten werden die Menschen gezwungen, Überstunden zu machen, sie müssen harte Arbeitsbedingungen und chemische Belastungen ertragen, leben in überfüllten Fabrikschlafsälen und treffen häufig auf Chefs, die sich weigern, Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Die billigen Produkte aus Yiwu beruhen auf zwei Dingen: der hohen Leidensfähigkeit der Arbeiter und der stillschweigenden Duldung von Arbeitsrechtsverstößen durch die Regierung ein extremer Fall des globalen Wettlaufs nach unten.

Verzweifelte Menschen tun verzweifelte Dinge

Am 20. Mai zündete ein Textilarbeiter in Zigong (Provinz Sichuan) seine ehemalige Fabrik an.(1) Das Feuer brannte 37 Stunden, und die Ursache des Vorfalls wurde heftig diskutiert und zur Zielscheibe der Zensur. Nach Angaben der örtlichen Polizei hätte der Verdächtige gekündigt, weil er selbstmordgefährdet wäre. Er habe unbedingt seinen Lohn bekommen wollen, um ihn vor seinem geplanten Suizid noch seiner Mutter zu schicken; da er das Geld nicht rechtzeitig bekommen könnte, habe er beschlossen, sich an der Fabrik zu rächen. Der Vorfall war nicht direkt mit dem Zollkrieg verknüpft, zeigt aber: Auch nach 40 Jahren Kapitalismus in China reicht harte Arbeit für viele nicht aus, um die Familie vor Armut zu bewahren, und ein paar hundert oder tausend Yuan können das Fass zum Überlaufen bringen. Chinesische Arbeiter können vielleicht sehr viel aushalten, aber letztendlich gibt es auch für sie Grenzen.

Wären Arbeiter nicht durch die Partei eingeschüchtert, hätten sie längst revoltiert. Neben der unsichtbaren Hand des Marktes, die die Arbeitnehmer durch die Androhung von Arbeitslosigkeit diszipliniert, steht der sichtbare Stiefel des Staates, der sie niederdrückt. Manche mögen jetzt der Ära Hu Jintao wegen seiner relativ liberalen“ Politik nachtrauern. Doch auch seine Regierung senkte während der Finanzkrise 2008/09 ohne zu zögern den Mindestlohn, um Unternehmer zu entlasten. Premierminister Wen Jiabao ermutigte“ die Wanderarbeiter auch, in ihr Heimatdorf zurückzukehren, damit die arbeitslosen Arbeiter für die Stadtverwaltungen nicht zu einem Problem für die öffentliche Sicherheit wurden. Seit Xi 2012 an die Macht kam, ist er weit über seine Vorgänger hinausgegangen: Er ließ die wenigen Arbeiter-NGOs schließen, Streiks zerschlagen und Proteste der Arbeiter unterdrücken. Während der Null-Covid-Politik hat seine Regierung sogar den Arbeitgebern in 22 Branchen ihre Beiträge zum Sozialversicherungsfond erlassen. Wird Xi die Last der Wirtschaftskrise inmitten des Zollkriegs erneut auf die Arbeiter abwälzen? Vielleicht, vielleicht auch nicht, aber solange den Arbeitern das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit und das Streikrecht verweigert wird, kann Xi tun, was er will. Das ist der erschreckendste Teil der Geschichte.

Wenn dir also das nächste Mal jemand erzählt, wie mutig und standhaft die chinesische Regierung sich gegen Trump gestellt hat, dann erinnere ihn auch an diese Seite der Geschichte.

Anmerkungen
1) siehe auch https://www.forumarbeitswelten.de/blog/flammender-protest-2/

Übersetzung aus dem Englischen von Manfred Pegam

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/china-watch/die-sozialen-kosten-des-zollkrieges-usa-gegen-china-2/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert