Gastbeitrag von Liang Xiang
In letzter Zeit gab es viele Gerüchte und Anzeichen für Machtkämpfe innerhalb der obersten Führung der Kommunistische Partei Chinas (KPCh). So gab beispielsweise das chinesische Verteidigungsministerium im Oktober bekannt, dass neun Generäle der Volksbefreiungsarmee (VBA) verhaftet worden seien. Sie alle sind sehr wichtige Persönlichkeiten und üben die Kontrolle über wichtige militärische Kommandofunktionen aus.
Das größte Gerücht besagt daher, dass Xi Jinping seine Macht verloren habe, weil diese Generäle seine treuen Anhänger waren. Ist das wahr?
Wir leben im 21. Jahrhundert und China ist ein Land, das weltweit Aufmerksamkeit erregt, sodass man sich nicht mehr vollständig auf die altmodischen Mittel der Diktatur verlassen kann – wie zum Beispiel KGB-ähnliche Schläger zu beauftragen, alle Personen zu erschießen, die man nicht mag. Tatsächlich verfügt die KPCh über ein komplexes und in sich geschlossenes Machtsystem, um Stabilität und Respekt zu gewährleisten. Dieses System wurde von mehreren Generationen von Führern entwickelt und von Xi zu seinem eigenen Vorteil reformiert.
Die Partei führt alles
Zunächst einmal heißt es in Artikel eins der Verfassung der Volksrepublik China: „Die Führung durch die KPCh ist das bestimmende Merkmal des Sozialismus chinesischer Prägung.“ Diese Verfassungsregel lässt sich kurz zusammenfassen: Die Partei führt alles.
Theoretisch ist das höchste Entscheidungsgremium der KPCh der Parteitag. Nun, der Parteitag kommt nur alle fünf Jahre zusammen und übt dazwischen keine direkte Macht aus. In der Endphase des Parteitages wird das Zentralkomitee (ZK) mit etwa 200 Mitgliedern gewählt und ihm wird die Macht übertragen. Das ZK tagt jedoch nur ein- oder zweimal im Jahr. Daher wählt es das Politbüro mit 25 Mitgliedern und den Ständigen Ausschuss (SA) des Politbüros mit sieben Mitgliedern und überträgt die Macht erneut. Die übrigen Mitglieder des Politbüros sind jedoch über das ganze Land verteilt, sodass auch sie sich nicht häufig treffen können. Tatsächlich haben nur die Mitglieder des Ständigen Ausschusses (die in der Regel in der Hauptstadt ansässig sind) die Möglichkeit, sich regelmäßig zu treffen. Ihr Entscheidungsstatus wird auch in verschiedenen Parteidokumenten anerkannt.
Haben die sieben Personen gleiche Macht? Theoretisch sind ihre Stimmrechte gleich. Gemäß der Satzung der KPCh und der Geschäftsordnung des Zentralkomitees werden die Sitzungen des Politbüros und des Ständigen Ausschusses jedoch vom Generalsekretär (Xi) einberufen und die Tagesordnungen werden von diesem festgelegt.
Hier wird deutlich, dass es sehr schwierig ist, die Autorität von Xi durch formelle Verfahren zu schwächen. Wenn man ihm beispielsweise einige seiner Befugnisse entziehen möchte, muss man in einer Sitzung des Politbüros oder des Ständigen Ausschuss darüber abstimmen; Xi hat jedoch die Befugnis, dieses Thema von der Tagesordnung der Sitzung zu streichen.
Wie würde man einen Xi los?
Die Wahl des Generalsekretärs findet alle fünf Jahre während der Sitzung des ZK statt, aber die Satzung der KPCh sagt nichts darüber aus, wie viele Amtszeiten man absolvieren kann. In den Parteivorschriften heißt es außerdem: „Die Tagesordnung für die Sitzung des Zentralkomitees wird vom Politbüro nach Einholung von Stellungnahmen innerhalb eines bestimmten Bereichs der Partei festgelegt.“ Da die Tagesordnung der Politbüro-Sitzung von Xi kontrolliert wird, kann er vermutlich erheblichen Einfluss darauf ausüben, welcher Bereich der Partei eine Stellungnahme abgeben darf.
Nun, Parteidokumente werden nie akribisch umgesetzt. Und es gibt immer Ausnahmefälle. Was passiert, wenn Xi krank ist (am besten bewusstlos) und keine Tagesordnungen erstellen und keine Sitzungen leiten kann? Die anderen Mitglieder des Politbüros könnten eine Abstimmung vorschlagen, um die Arbeitsbelastung des Generalsekretärs zu reduzieren. Aber wenn man ihn entlassen will, muss man immer noch auf die Sitzung des Zentralkomitees warten. Daher ist ein weltbewegendes Ereignis, das über Nacht alles verändert, sehr unwahrscheinlich.
Wie wäre es mit einem Putsch? Man schickt Panzer auf die Straße und verhaftet die Bösewichte. Nun, das hat in der Geschichte schon oft funktioniert, in der UdSSR, in Südkorea, in Chile und 1976 in Peking, beim Ende der Viererbande.
Deutet der Sturz der neun Generäle darauf hin, dass ein Putsch stattgefunden hat? Schwer zu sagen. Aber logischerweise würden einige Leute aus dem Militär, wenn sie einen Putsch inszenieren würden, dies nicht nur halbherzig tun und Xi weiterhin im Amt lassen.
Das Zentrale Militärkommission
Wie lässt sich dann der Sturz dieser glänzenden Generäle erklären? Um Putschversuche zu verhindern, teilt Xi die Militärmacht überhaupt nicht mit anderen Mitgliedern des Politbüros. Die Militärmacht liegt bei der Zentralen Militärkommisson der KPCh , dem Xi und sechs Generäle der Volksbefreiungsarmee (VBA) angehören (jetzt sind es nur noch drei, da die anderen drei verhaftet wurden). Dadurch wurde die VBA zu einem unabhängigen Territorium. Alle zivilen Regierungen- und Parteiorganisationen, von der lokalen bis zur obersten Ebene, haben keine Autorität darüber. Dennoch hat Xi keine militärische Erfahrung, keine konkreten Wurzeln in der PLA, und ich bezweifle sein Wissen auf diesem Gebiet. Umgeben von einer Gruppe von Militärs in der Militärkommission, gehe ich davon aus, dass er weniger Autorität hat als im Ständigen Ausschuss. Um sicherzustellen, dass die VBA loyal ist, säubert Xi ständig ihre obersten Ränge. Dies könnte einen Anreiz schaffen, sich ihm zu widersetzen. Ein mögliches Szenario könnte sein, dass eine Gruppe von Generälen Angst hatte, entlassen zu werden, sich daher zusammenschloss und zuerst Xis loyale Hunde auf legitime Weise (z. B. durch Antikorruptionsermittlungen) loswurde.
Wenn dieses Szenario tatsächlich eingetreten ist, kann Xi nicht wie Stalin einfach alle beteiligten Generäle erschießen lassen, denn das würde zu einer totalen Funktionsstörung der VBA führen. Die VBA ist für die KPCh und Xi von größter Bedeutung. Nicht nur im Hinblick auf einen Militärputsch, sondern Xi braucht die VBA auch, um mit den USA zu konkurrieren, die riesige Bevölkerung zu kontrollieren, Taiwan zu erobern, massive Demonstrationen und Streiks niederzuschlagen usw. Mit der Verhaftung von neun Generälen wurden wahrscheinlich auch mehrere hundert Generalleutnants, Generalmajore, Brigadegeneräle und Oberste in Visier genommen. Eine Säuberung der anderen Fraktionen in der PLA würde die Lage nur unkontrollierbar machen.
Wer würde denn die Verantwortung übernehmen?
Ja, viele Menschen in der KPCh hassen Xi, und einige Generäle der VBA haben das Motiv, sich selbst zu schützen, aber sie haben kaum ein Motiv, Xi zu ersetzen. Die Generäle, die mit Xi unzufrieden sind, aus dem Verkehr zu ziehen, könnte das Land in ein Drecksloch verwandeln. Eine hoffnungslose Wirtschaft, eine katastrophale Außenpolitik, eine hohe Arbeitslosenquote, keine Sozialversicherungsgelder mehr, Desillusionierung unter den Bürokraten, unzufriedene Arbeiter und Mittelschicht – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Xi zu ersetzen bedeutet, die Verantwortung für die Lösung der Probleme zu übernehmen und die Schuld zu tragen, wenn die Lösung scheitert. Es ist zweifelhaft, ob irgendjemand im Ständigen Ausschuss des Politbüros so begierig wäre, dieses Chaos zu übernehmen, dass er dafür sein Leben riskieren würde.
Übersetzung aus dem Englischen von F. Hofmann (Forum Arbeitswelten)