vonMario Zehe 18.08.2021

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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Am späten Nachmittag des 9. November 1918 verkündete der linke Sozialdemokrat und Spartakist Karl Liebknecht vom großen Fenster des Berliner Schlosses – freilich folgenlos – die „freie sozialistische Republik Deutschlands“. Im Anschluss gelangte eine größere Menschenmenge ins Gebäude und begann mit der Plünderung des Schlosses, das seit Mitte des 15. Jahrhunderts den brandenburgisch-preußischen Kurfürsten bzw. Königen und später den deutschen Kaisern als Hauptresidenz diente. Wilhelm II., über drei Jahrzehnte Deutscher Kaiser und damit letzter Hausherr, war da längst über alle Berge und hatte nach seiner erzwungenen (faktischen) Abdankung die Niederlande erfolgreich um Asyl ersucht.

Die ersten zwei Exiljahre verbrachte der nunmehr ehemalige Kaiser auf Schloss Amerongen als Gast des Grafen Bentinck. Jan Bachmann hat über diese Zeit einen grandiosen Comic verfasst, der den Exmonarchen gnadenlos als narzisstischen Exzentriker vorführt. Als Grundlage dienten ihm dabei autobiografische Berichte seiner Gastgeber*innen und engsten Vertrauten. Deren Ausführungen – in Frakturschrift gesetzt – bilden in Blocktexten den Erzähler*innenkommentar und handeln von den tagtäglichen Beschäftigungen des einstigen Hohenzollernfürsten unter den einschränkenden Bedingungen des Exils, der Beziehung zu seiner todkranken Frau, dem zusehends schrumpfenden Kreis seiner Gefolgschaft und dem verzweifelten wie sinnlosen Versuch, die Deutungshoheit über sein „Lebenswerk“ (wieder) zu erlangen.

Dem von Mitleidigkeit und Schwülstigkeit getragenen Sound der Zeitzeug*innenberichte („Armer Kaiser! Jeder Tag bringt neue Sorgen, neue Enttäuschungen.“ / „Die Unterschrift Wilhelm war so kühn, die Schnörkel so reich und kräftig wie immer.“ […]) setzt Bachmann eine karikierende Bildsprache entgegen, die Pathos und Melodramatik der Schilderungen immer wieder ins absurd Komische umschlagen lassen. Besonders fällt dabei der an geometrische Formen (Kreise, Ellipsen, Dreiecke) orientierte cartoonhafte Stil der Figurenzeichnungen ins Auge. Der berühmte Zwirbelbart (im Volksmund „Kaiser-Wilhelm-Bart“) erscheint stellenweise dermaßen disproportioniert, als ob seinem Träger ein Bullhornlenker mitten ins Gesicht platziert worden wäre, und die Physiognomie der Kaisergattin setzt sich einzig aus schwarzen Kreisen, Halbkreisen, Strichen und einem Dreieck zusammen, was ihr den Eindruck eine geisterhaften Erscheinung verleiht.

2021 © Jan Bachmann/Verlag Edition Moderne

Und tatsächlich scheint es in diesem Comic zu spuken. Bachmanns expressiver Einsatz leuchtend-kräftiger Blau- und Rotkontraste – sowie viel Schwarz in den Hintergünden- schafft von Beginn an eine entsprechend unheilvolle Athmosphäre. Und so wundert es kaum, dass auf zahlreichen Seiten die Bäume auf dem herrschaftlichen Anwesen des Grafen Bentinck ein unheimliches Eigenleben entwickeln. Der Comiczeichner hat ihnen Gesichter verpasst, die stumm und spooky dem Betrachter der Bilder entgegenblicken. Man könnte meinen, es sind die mahnenden Wiedergänger der mehr als fünfzehn Millionen Toten des Ersten Weltkrieges, den der deutsche Kaiser freilich nicht allein entfesselt hat, den es aber ohne den von ihm befeuerten preußischen Militarismus und Ultanationalismus in dieser Form wohl nicht gegeben hätte. Und als ob Wilhelm II. diese Blicke auch gespürt und kaum ertragen hätte, ließ er in der kurzen Zeit seiner Anwesenheit auf Amerongen mehr als zehntausend Bäume fällen. Vielleicht war es aber auch nur einmal mehr Ausdruck der Tatsache, das dieser Mann nur dort ganz er selbst sein konnte, wo er zerstörte und verheerte.

Und so schlägt das Komische wiederum ins Grauen um, ganz im Sinne der Groteske als Darstellungsweise, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleiben soll. Dem ehemaligen Kaiser und seinem engsten Umfeld fehlte jede Einsicht für das Leid und Elend, welches sie durch ihr Handeln verursacht haben. Dafür bemitleideten sie sich maßlos selbst und verfluchten die deutsche Bevölkerung nach der Novemberrevolution für ihre vermeintliche Treulosigkeit. Dass sie auch im Exil weiterhin ein fürstliches Leben führen konnten, anstatt für Krieg und Verheerung eines ganzen Kontinentes zur Rechenschaft gezogen zu werden, dafür gab es nicht einmal den Anflug von Dankbarkeit oder wenigstens genügsamer Bescheidenheit. Insofern erweisen sich die Nachfahren der Hohenzollerndynastie, die gegenüber dem deutschen Staat seit einiger Zeit Entschädigungsansprüche für zahlreiche beschlagnahmte Besitztümer geltend machen, als „wahre“ Erben des letzten Deutschen Kaisers.

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