vonMario Zehe 27.04.2023

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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Der seit 1970 erscheinende Daily-Strip Doonesbury – getextet und gezeichnet von Garry Trudeau – war zur Zeit seines erstmaligen Auftauchens ein absolutes Novum. Zwar gab es bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert täglich erscheinende Comicstrips in amerikanischen Tageszeitungen. Doch die Absicht Trudeaus, mit seiner Serie tagesaktuell die politische und gesellschaftliche Entwicklung in den USA kritisch zu kommentieren, ist bis dato ohne Beispiel gewesen. Noch immer erscheint der Comic des mittlerweile fünfundsiebzigjährigen Zeichners täglich in renommierten englischsprachigen Tageszeitungen wie dem Guardian oder der Washington Post.

Erst gute dreißig Jahre später startete die Frankfurter Allgemeine Zeitung ein vergleichbares Projekt und gewann dafür den preisgekrönten britisch-kanadischen Comiczeichner und Karikaturisten Steven Appleby. Dessen absurd-komischer Zeichen- und Erzählstil traf allerdings nicht ganz den Geschmack des bürgerlich distinguierten F.A.Z.-Publikums, und so wurde die Serie relativ rasch wieder eingestellt. Ganz anders erging es der in derselben Zeitung 2002 gestarteten Serie STRIZZ von Volker Reiche, der bis dahin zunächst für verschiedene Disney-Lizenznehmer arbeitete und danach zusammen mit Bernd Pfarr die Comicfigur Mecki für die Zeitschrift Hörzu zeichnete.

Der von nun an täglich erscheinende One-Pager kam deutlich bodenständiger daher als dessen gescheiterter Vorgänger und handelte von einem Bilanzbuchhalter [!] namens Strizz und dem konflikthaften Verhältnis zu dessen Vorgesetzten. Strizz eigenwillige Arbeitsauffassung, sein Sinn für schräge Innovationen und ein häufig distanzloses Verhalten versetzt Herr Leo, den Chef des mittelständigen Unternehmens, immer wieder in Rage. Der Protagonist der Serie aber ist und bleibt unverbesserlich und weiß noch in den größten Niederlagen seiner „Arbeitskämpfe“ das Positive zu sehen. Wenn etwa Strizz aufgrund fehlerhaft erstellter Materiallisten einen Rüffel bekommt und darauf hingewiesen wird, dass es einer neu einzustellenden Fachkraft bedarf, diesen Schaden zu beheben, jubiliert dieser: „Ich habe einen Arbeitsplatz geschaffen! […] Nennt mich einfach Mister Job-Wunder.“

Der hier zitierte Gag stammt aus dem Eröffnungsjahr der Serie, also 2002. Im gleichen Jahr wurde von der damaligen Bundesregierung unter Gerhard Schröder die sogenannte Hartz-Kommision eingesetzt, deren Auftrag darin bestand, die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland „effizienter“ zu gestalten und die auf hohem Niveau stagnierende Arbeitslosenzahl spürbar zu senken. An den in den Folgejahren verabschiedeten Gesetzen, die den Vorschlägen der Kommission folgte, sah man, dass die Umsetzung dieses Versprechens vor allem auf dem Rücken der Beschäftigten und insbesondere der Beschäftigungslosen erfolgen sollte. Immer wieder spielen die in STRIZZ zutagetretenden Mikro-Konflikte zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber vor dem gesellschaftlichen Hintergrund eines grundlegenden Umbaus der Arbeitsbeziehungen in den frühen zweitausender Jahren.

Sukzessive erweiterte Volker Reiche in der Folgezeit nicht nur das Figurenensemble der Serie – der altklug dauerphilosophierende Neffe Rafael, der wenig sympathische Kater Paul, der gutmütige Dackel Müller und dessen Frauchen Irmi, die spätere Ehefrau des Protagonisten kommen nach und nach dazu – auch thematisch fächert sich der Strip immer weiter auf. Die Kommentierung aktueller Ereignisse aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport in „Echtzeitberichterstattung“ (so Andreas Platthaus im Vorwort der Sammelausgabe; siehe unten) lehnt sich in dieser Hinsicht an das oben genannte amerikanische Vorbild an (hinsichtlich der impliziten Weltanschaung gibt es jedoch deutliche Unterschiede). Das verlangt dem Comicmacher natürlich einiges ab, der ja nicht nur fünf Tage die Woche je eine ganze Seite zu zeichnen, eine gute Erzählung zu liefern und eine gut gesetzte Pointe bzw. einen funktionierenden Cliffhänger zu liefern, sondern sich auch mit dem Weltgeschehen reflexiv ins Verhältnis zu setzen hat.

Anfang 2009 war es dann auch mit der täglichen Erscheinungsweise vorbei. Noch zwei Jahre erschien der Comic im wöchentlichen Rhythmus und wurde dann ganz eingestellt. Seit 2015 erscheint Strizz wieder, allerdings nicht mehr täglich. Auch hier ist eine Überlegung hinsichtlich des Jahres der Wiederaufnahme der Serie lohnenswert: Mit ihrem berühmten Ausspruch „Wir schaffen das!“ reagierte im August 2015 die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel – in Anlehnung an Barak Obamas Wahlslogan „Yes, we can!“ – auf den zunehmenden gesellschaftlichen Unmut angesichts steigender Migrationszahlen. Schon früh etablierte dagegen Volker Reiche in kritischer Absicht mit dem egomanen Kater Herrn Paul einen Prototyp eines fremdenfeindlichen Populisten, der einmal auf seiner Hundehütte stehend verkündet: „Das Dach ist voll!“.

Wie gesagt, kommt Reiche nicht vom Comic-Underground, sondern von Mecki her – einer nach Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelten Figur für den deutschen Comicmarkt, die selbst nach allen Modernisierungsversuchen ihre Piefigkeit nie verlor. Diese altmodische Steifheit findet sich zweifellos auch in den Strizzstrips wieder. Der schlaksig-ungelenke Protagonist der Serie ist irgendwie auch Sinnbild für deren ganze ästhetische Anlage, sowohl was den Zeichenstil als auch den Humor betrifft. Die konsequent humanistische Haltung des Zeichners, die sich in den karikierenden Kommentaren des gesellschaftspolitischen Zeitgeschehens ausdrückt, verdient jedoch Respekt. Ein Sammelband des Carlsen-Verlags liefert nun eine Werkschau des Comickünstlers.

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