vonMario Zehe 19.05.2023

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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Ein altmodischer Streifenpolizist, der wahrlich schon bessere Tage gesehen hat, wird zur Aufklärung eines Mordfalls gerufen, damit auf ein (Kapital-)Verbrechen eine angemessene Strafe folge. Eine Reihenfolge, die sich in diesem dystopischen New York voller Robocops, Drohnen und fliegender Oldtimer so schon längst nicht mehr zwangsläufig herstellt. Der „Street Cop“, so auch der Titel der illustrierten Kurzgeschichte von US-Autor Robert Coover, jagt einem Phantom hinterher, wie er einst selbst eines gewesen ist. Als er noch auf der „anderen Seite“ stand, hehlte und vertickte, und den Cops Fersengeld gab. Bis er schließlich unter dubiosen Umständen höchstselbst zum Vertreter einer Ordnung avancierte, die freilich ziemlich schwankend daherkommt und immer mehr entschwindet.

Der Protagonist der Erzählung – und ziemlich gewiss auch deren Autor – hadert mit einer Welt, die offensichtlich aus den Fugen geraten ist: Ganze Straßenzüge verschwinden von einem Moment auf den nächsten und tauchen anderswo urplötzlich wieder auf. Die Stadt hat sich in ein verwirrendes Labyrinth aus dem 3D-Drucker verwandelt, nichts ist mehr dort, wo es einmal war bzw. sein sollte. Und während sich alles räumlich verschiebt und verkehrt, scheint auch das Zeitliche maximal disloziert. Vergangenheit und Zukunft verschmelzen in einer statischen Gegenwart. Nichts geht mehr, weder vor noch zurück. „Raum und Zeit hatten sich irgendwie und auf seltsame Art miteinander verquickt […]“ wird dieser Zustand in der Exposition der Geschichte auf den Punkt gebracht.

© 2023 S. Fischer Verlag

Das berühmte Diktum des italienischen Philosophen und Kommunisten Antonio Gramsci, wonach in einer Welt, in der das Alte im Sterben liege und das Neue (noch) nicht zutage treten kann, die „Zeit der Monster“ anbreche, passt sehr gut auf die anomische Welt des „Street Cop“ von Robert Coover. Es wimmelt darin nur so von Monstern und Monströsitäten: z.B. aberwitzige sexuelle Trends, die dem Tod näher sind als dem Leben, oder Ghouls, lebende Tote, die sich von Menschenfleisch ernähren und als Haustiere gehalten werden. Der Streifenpolizist wird schließlich von einem grotesken, undefinierbaren Wesen begleitet, dessen Inneres nach Außen gekehrt scheint und das auch sonst in förmlicher Auflösung begriffen ist. Und doch scheint es zu denken und zu fühlen.

All das präsentiert Coover mit lakonischem Humor und in Form einer umgekehrten Groteske, in der nicht die Komik allmählich ins Grauen umschlägt, im Sinne eines im Halse steckenbleibenden Lachens, sondern – andersherum – dieser permanente Horror des Absurden sich als ein besonders schräger Witz entpuppt. Kongenial illustriert wurde die Geschichte von Art Spiegelman, der durch seine Graphic Memoir „Maus“ einst zu internationaler Berühmtheit gelangte. Seine Bilder spielen mit Referenzen aus Pop- und Comickultur und stehen in einem produktiven Spannungsverhältnis zu Coovers düster-dystopischem Sound, da sie in knallig-bunten Farben gezeichnet sind und fast cartoonhaft daherkommen. Apropos: Spiegelmans Version des Street-Cop ist der Prototyp eines Cartoon, dessen maskenhaftes Gesicht das eines Mannes ohne Eigenschaften ist. Die Bedeutung von Masken ist in Spiegelmans Hauptwerk zentral, und auch hier ist sie alles andere als unwesentlich für die Frage, wer sich hier ein solch horribles Szenario ausmalt und warum.

abo

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Der Geschichte nachgestellt ist ein lockeres Zwiegespräch zwischen Autor und Zeichner, das um die Themen und Entstehungsbedingungen des Buches kreist. Wer wissen will, wie die beiden „Postmodernisten“ zusammenfanden, wieso Art Spiegelman für das Cover-Artwork ausgerechnet eine übergroßes Covid-Virion über dem Kopf des Protagonisten platzierte und warum wir in den kommenden politischen Kämpfen unseren Humor nicht verlieren dürfen, sollte es lesen. Und das Buch sowieso.

 

 

 

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